GdB-Rechner? Es gibt keinen GdB-Rechner!
Ich habe mir lange überlegt, auf diesem Portal das Stichwort GdB-Rechner überhaupt aufzunehmen. Der Grund hierfür ist schlichtweg der, dass es definitiv keinen GdB-Rechner gibt, auch wenn Ihnen manche Webseiten das weismachen wollen.
Die Bildung des Grades der Behinderung aus mehreren Beeinträchtigungen ist immer eine höchst individuelle Angelegenheit, denn jeder Fall ist anders gelagert, jedes Mal handelt es sich um eine andere Person, deren Beeinträchtigungen einzuordnen sind. Eine schematische Betrachtungsweise verbietet sich daher schon aus systemimmanenten Gründen.
Gleichwohl sind auch manche Landessozialgerichte nicht davor gefeit, vermeintliche Regeln aufzustellen, die angeblich einzuhalten sind. Als einschlägige Beispiele sei auf die beiden unten angeführten Entscheidungen des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg verwiesen. Soweit dort ausgeführt wird, dass bei einer bestimmten GdB-Konstellation dann mehr oder weniger automatisch (in aller Regel) ein GdB von XY folge, muß man diese Entscheidungen zumindest als problematisch einstufen. Die dort postulierten Regeln gibt es in den versorgungsmedizinischen Grundsätzen so nicht und sie werden auch nicht benötigt. Die Vorgaben der versorgungsmedizinischen Grundsätze sind durchaus ausreichend und präzise genug, um jedem Einzelfall gerecht zu werden, auch ohne die fragwürdigen Leitsätze des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg.
Dass es auch anders geht, ist aus den hier ebenfalls wiedergegebenen beiden Entscheidungen des Landessozialgerichts Baden-Württemberg zu nehmen, in welchen nochmals völlig zutreffend hervorgehoben wird, dass sich jedwede schematische Betrachtungsweise schon im Ansatz verbietet.
Der faktische Hintergrund für die beiden Entscheidungen: Gerade in Baden-Württemberg hat sich schon seit langer Zeit die Unsitte in der Versorgungsverwaltung eingeschlichen, bei 2 Einzelgraden von jeweils 30 nahezu stets und ohne Rücksicht auf die betroffenen medizinischen Fachgebiete immer nur einen Gesamt-GdB von 40 zu bilden. Wenn nicht alles täuscht, hat diese Unsitte auch auf andere Bundesländer übergegriffen. Dem sollte man unter Hinweis auf die hier wiedergegebenen Entscheidungen des Landessozialgerichts Baden-Württemberg nachhaltig entgegentreten.
3. Bei Einzel-GdB-Werten von 30 für den Bereich Psyche und 30 für den Bereich Augen kann ein Gesamt-GdB von 50 dann gebildet werden, wenn zwischen den beiden Funktionssystemen keinerlei Überschneidungen bestehen, etwa wenn die depressive Erkrankung auf die durchlittene Krebserkrankung zurückzuführen ist.
4. Es gibt keinen Grundsatz, wonach ein weiterer Teil-GdB von 30 regelmäßig nur zu einer Erhöhung um 10 Punkte führt und nur ausnahmsweise zu einer solchen um 20 Punkte.
Aus den Gründen:
Nach Überzeugung des Senats ist der Gesamt-GdB aus den Einzel-GdB-Werten von 30 für die Funktionsstörungen im Bereich Psyche, 30 für die Erblindung des linken Auges und 10 für die Refluxerkrankung - bezogen auf den vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides am 03.11.2016 – mit 50 festzustellen. Dieses Ergebnis ergibt sich auf Grund einer konkreten, auf den Einzelfall bezogenen Würdigung anhand der VG, Teil A, Nr. 3. Danach sind bei der Bildung des Gesamt-GdB ausschließlich die Auswirkungen der einzelnen Funktionsstörungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen und ihrer Auswirkungen auf die Gestaltung des Alltags zu betrachten und zu fragen, ob sie sich gegenseitig überschneiden oder verstärken oder sich auf andere nachteilig auswirken (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).
Im Falle des Klägers gelangt der Senat zu einem GdB von 50, da es zwischen den Funktionssystemen Psyche einerseits und Augen andererseits keinerlei Überschneidungen gibt. Vielmehr resultieren die Funktionsstörungen im Bereich Psyche aus der durchgemachten Krebserkrankung des Klägers, deren Eintritt der Heilungsbewährung zur Herabsetzung des ursprünglichen Gesamt-GdB von 70 auf 40 geführt hat. Hiervon völlig unberührt besteht die Erblindung des linken Auges, die durch den Beklagten bereits im letzten bindenden Bescheid vom 15.11.2012 mit einem eigenständigen Teil-GdB von 30 bewertet wurde. Ein Gesamt-GdB von lediglich 40 wäre mit den oben genannten Maßstäben nicht in Einklang zu bringen. Einen Grundsatz, wonach ein weiterer Teil-GdB von 30 regelmäßig nur zu einer Erhöhung um 10 Punkte führt und nur ausnahmsweise zu einer solchen um 20 Punkte gibt es nicht. Ein solcher Grundsatz lässt sich auch nicht der Entscheidung des 3. Senats des LSG Baden-Württemberg vom 18.08.2015 (Az.: L 3 SB 1182/14) entnehmen, wie dieser selbst in seiner weiterführenden Entscheidung vom 24.10.2018, Az.: L 3 SB 5/17, nach juris, klarstellend ausgeführt hat. Dort heißt es, ein weiterer GdB von 30 führt dann zu einer Erhöhung um 20 und nicht nur um 10 Punkte, wenn eine wesentliche Zunahme der Behinderung vorliegt. Der erkennende Senat schließt sich diesen Ausführungen an und sieht diese Voraussetzungen im Falle des Klägers für gegeben an.
Landessozialgericht Baden-Württemberg 8. Senat
13.11.2020
L 8 SB 2/19
Zur Bildung des Gesamt-GdB bei 2 Einzel-GdB-Werten von jeweils 30: Eine schematische Bewertung dahingehend, dass bei einem Einzel-GdB von 30 ein weiterer Einzel-GdB von 30 regelmäßig nur zu einer Erhöhung um 10 Punkte und nur ausnahmsweise zu einer Erhöhung um 20 Punkte führt, steht mit den in den VG, Teil A, Nr 3 aufgestellten und vom BSG in ständiger Rechtsprechung gebilligten Grundsätzen zur Bildung des Gesamt-GdB nicht in Einklang.
Landessozialgericht Baden-Württemberg 3. Senat
24.10.2018
L 3 SB 5/17
In Konstellationen zweier führender Einzel-GdB von 30, bei denen die diesen Werten jeweils zugrundeliegenden Funktionsbeeinträchtigungen in ihren Auswirkungen voneinander völlig unabhängig sind und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen, ist die Annahme der Schwerbehinderteneigenschaft nicht nur in begründeten besonderen Fällen, sondern im Regelfall möglich, eine Gesamtabwägung führt in derartigen Konstellationen im Einzelfall häufiger zur Annahme eines GdB von 50 und damit der Schwerbehinderteneigenschaft.
SG Aurich 4. Kammer
04.05.2022
S 4 SB 154/21
Aus Einzel-GdB von 40 und 10 folgt in aller Regel ein Gesamt-GdB von 40, aus Einzel-GdB von 40 und 20 ein Gesamt-GdB von regelmäßig 40 und nur ausnahmsweise von 50 und aus Einzel-GdB von 40 und 30 in aller Regel ein Gesamt-GdB von 50.
2. Nach Teil A Nr 3 b) der Anlage zu § 2 VersMedV sind bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind.
Der Vergleich mit dem Verlust einer ganzen Hand oder dem Verlust eines Beines im Unterschenkel bei genügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und der Gelenke dürfte seine Grundlage in Teil A Nr. 19 (2) der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) haben, die bis zum 31. Dezember 2008 maßgeblich für die GdB-Bewertung waren. Während die AHP beispielhaft Fälle – unter ihnen die vom Sozialgericht genannten – aufgezählt hatte, bei denen ein GdB von 50 vorlag, fehlt eine solche Aufzählung in der Anlage zu § 2 VersMedV. Allerdings sind nach Teil A Nr. 3 b) der Anlage zu § 2 VersMedV nach wie vor bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind.
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 11. Senat
06.01.2020
L 11 SB 177/17
1. Nach Teil A Nr 2e) der Anlage zu § 2 VersMedV sollen im Allgemeinen die folgenden Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden: Gehirn einschließlich Psyche, Augen, Ohren, Atmung, Herz-Kreislauf, Verdauung, Harnorgane, Geschlechtsapparat, Haut, Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem, innere Sekretion und Stoffwechsel, Arme, Beine, Rumpf. Eine zusammenfassende Beurteilung von Beeinträchtigungen in den Funktionssystemen Kopf und Gesicht (hier der Migräne) einerseits und Nervensystem und Psyche andererseits ergibt sich daraus nicht.
2. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, dass aus Einzel-GdB von 40 und 30 in aller Regel ein Gesamt-GdB von 50 folgt (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 6.1.2020 - L 11 SB 177/17).
3. Die Beurteilung der Kausalität ist nach Teil A Nr 2a) der Anlage zu § 2 VersMedV für das final ausgerichtete Schwerbehindertenrecht unmaßgeblich.
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 11. Senat
24.10.2024
L 11 SB 307/23