Der Begriff der Heilungsbewährung wurde erstmals 1965 in die AHP übernommen. Er geht zurück auf die Rechtsprechung des BSG zu wesentlichen Änderungen im Sinne des § 62 BVG bei Lungentuberkulosen. In einem Urteil vom 22. Mai 1962 hatte das BSG entschieden, dass in dem Fall, in dem die Inaktivität einer Lungentuberkulose längere Zeit, etwa vier bis fünf Jahre ohne Rückfall andauere, die damit eingetretene klinische Heilung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse darstellen könne. Dies bedeute, dass während der Bewährungszeit die damals geltende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) höher zu beurteilen sei, als sie sich allein aus den verbliebenen funktionellen Schaden ergebe. Die Grundsätze der Heilungsbewährung wurden in den jeweiligen AHP wiederholt modifiziert, wobei in den jeweiligen Änderungen die Fortschritte der medizinischen Wissenschaft beachtet wurden. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass das Abwarten einer Heilungsbewährung bei der Tuberkulose wegen der Wirksamkeit der modernen Chemotherapie in aller Regel nicht mehr erforderlich ist. Auch bei Herzinfarkten wird nach den AHP im Gegensatz zu früher im Regelfall die Berücksichtigung einer Heilungsbewährung nicht mehr als notwendig angesehen. Nach den zur Zeit gültigen AHP soll aber eine Heilungsbewährung bei einer Reihe von Erkrankungen abgewartet werden. Dazu zählen die Schizophrenie, die Drogenabhängigkeit, die Alkoholkrankheit, die multiple Sklerose, der Zustand nach Herz- und Nierentransplantation und die chronische Osteomyelitis. Im Vordergrund stehen jedoch nach wie vor Krebserkrankungen (vgl. zur Problematik: Urteil des Sächsischen LSG vom 25. Mai 2005, Az: L 6 SB 55/04).


Landessozialgericht für das Saarland 5. Senat
27.06.2006
L 5 SB 118/03
Juris



Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch darüber, ob dem Kläger ein höherer Grad der Behinderung (GdB) zusteht, nämlich mindestens 50 statt (ursprünglich 30) jetzt 40.

Der 1941 geborene Kläger begann nach eigenen Angaben nach dem Unfalltod seines 8-jährigen Sohnes 1978 größere Mengen an Alkohol zu trinken. In den Jahren 1991 bis 1998 hatte er vermehrt erfolglos Entziehungsmaßnahmen durchgeführt. Zuletzt hielt sich der Kläger vom 13. Februar bis 04. Juni 1998 in der psychosomatischen Fachklinik in M. auf. Nachdem es dann wieder zu einem Alkoholabusus gekommen war, begab sich der Kläger in die Praxis der Dres. D. und H., Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, S.- D., in Behandlung. Von dort wurde zunächst eine akute Entgiftung (23. März bis 07. April 1999) im Krankenhaus D. in die Wege geleitet. Der Kläger gibt an, seit März 1999 nicht mehr rückfällig geworden zu sein.

Der Kläger beantragte am 12. Oktober 1999, eingegangen am 14. Oktober 1999, die Anerkennung einer Behinderung.

Mit Bescheid vom 18. Januar 2000 stellte der Beklagte einen GdB von 30 nach dem damals noch geltenden Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz ) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl I, 1421, ber. 1550) fest.

Der Beklagte ging von der Funktionsbeeinträchtigung „Alkoholkrankheit im Stadium der Heilungsbewährung“ aus.

Bei dieser Behinderung handele es sich, so die Begründung des Beklagten, um eine Gesundheitsstörung, bei der eine erforderliche Zeit des Abwartens einer Heilungsbewährung zu beachten sei. Im Falle des Klägers werde diese Zeit des Abwartens mit zwei Jahren als angemessen erachtet. Unter Berücksichtigung des Beginns der Heilungsbewährung im Monat April 1999 ende dieser Zeitraum mit Ablauf des Monats März 2001. Für diese Zeit des Abwartens der Heilungsbewährung sei der GdB für die genannte Behinderung höher angesetzt worden, als er sich aus dem Schaden ergebe. Dies bedeute, dass nach Ablauf der Heilungsbewährung auch bei gleichbleibenden Symptomen unter Umständen eine Neubewertung des GdB erforderlich sei. Diesbezüglich sei daher eine Nachprüfung für April 2001 vorgesehen.

Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 30. Januar 2000. Der Kläger machte geltend, bezüglich seiner Alkoholkrankheit möge der GdB von 30 vielleicht noch angemessen sein, die Befristung der Heilungsbewährung auf März 2001 sei jedoch völlig unzureichend. Die Krankheit sei nach Aussage der behandelnden Ärzte und Psychologen nicht heilbar. Es werde immer der Besuch einer Selbsthilfegruppe notwendig sein. Eine Begrenzung der Heilungsbewährung auf fünf Jahre wäre zwar immer noch nicht ausreichend, zumindest aber realistischer. Darüber hinaus rügte der Kläger, dass weitere körperliche Beeinträchtigungen, nämlich seine über Jahre zunehmenden starken Schulter- und Rückenschmerzen, nicht berücksichtigt seien. Er leide zudem am Ende eines jeden Arbeitstages unter Kopfschmerzen, die er sich mit der Arbeit am Computer erkläre.

Mit Bescheid vom 23. März 2000 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die vom Kläger weiter angegebenen Gesundheitsstörungen, nämlich Schulter-, Rücken- und Kopfschmerzen, bedingten keine Erhöhung des GdB. Bezüglich der Alkoholkrankheit ergebe sich aus den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP), damaliger Rechtsstand: 1996, dass die GdB-Bewertung davon abhängig zu machen sei, welches Ausmaß der Organschaden angenommen habe. Des Gleichen bestimme sich der GdB bei Alkoholkrankheiten nach dem Ausmaß der Abhängigkeit von dem Suchtmittel und der suchtspezifischen Persönlichkeitsveränderung (vgl. Ziff. 26.3 der AHP). Sei bei nachgewiesener Abhängigkeit eine Entziehungsbehandlung durchgeführt worden, müsse eine Heilungsbewährung abgewartet werden. Im Allgemeinen betrage diese zwei Jahre ab Beginn der Entzugsbehandlung. Während dieser Zeit sei der GdB für die durch die Alkoholerkrankung verursachten funktionellen Defizite auf 30 festzusetzen, es sei denn, der Organschaden erlaube von seinem Ausmaß her eine höhere Bewertung. Das sei beim Kläger nicht der Fall.

Hiergegen hat sich seine Klage vom 10. April 2000, beim Sozialgericht für das Saarland (SG) am 13. April 2000 eingegangen, gerichtet.

Der Kläger hat die Feststellung eines GdB von mindestens 50 begehrt und dazu vorgetragen:

Er leide unter Beschwerden der Lendenwirbel(LWS)- und Halswirbelsäule (HWS). Es komme zu Ausstrahlungen in die Schulter und zu erheblichen Kopfschmerzen. Überdies habe er Beschwerden in den Handgelenken, die er zum Teil kaum noch bewegen könne. Über die Schmerzsymptome hinaus liege ein depressives Syndrom vor, das einen GdB von mindestens 20 rechtfertige.

Das SG hat ärztliche Befundberichte des Dr. U., Internist, S., vom 08. Mai 2001 und des Dr. R., Facharzt für Orthopädie, Chirotherapie, Sportmedizin, S., vom 11. November 2002 und 20. Februar 2003 beigezogen.

Es hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Dr. V. N., Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, S., vom 08. August 2000.

Der Sachverständige Dr. V. N. hat eine neurotische Entwicklung mit fehlenden Verarbeitungsmöglichkeiten emotional belastender Situationen diagnostiziert, die dann im Sinne eines Alkoholismus beantwortet würden. Er hat dafür einen Einzel-GdB von 30 auf Dauer empfohlen. Insgesamt hat er einen Gesamt-GdB von 40 für angemessen gehalten.

Das SG hat ferner ein orthopädisches Gutachten des Sachverständigen H. K., Facharzt für Orthopädie, Sportmedizin, Chirotherapie, physikalische Therapie, Unfallarzt, S., vom 09. Januar 2001 eingeholt, das durch Stellungnahmen vom 18. März 2001, vom 24. Januar 2003 und vom 23. Mai 2003 ergänzt worden ist.

Der Sachverständige K. hat beim Kläger ein degeneratives Wirbelsäulen(WS)-Syndrom unter Betonung der unteren HWS im Sinne einer Spondylose und Spondylarthrose mit anamnestisch rezidivierender Wurzelirritation und Ansatztendopathie beider Schultergelenke diagnostiziert, das er mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet hat, und eine Chondromalacia patellae beider Kniegelenke, Zustand nach medialer Meniscektomie mit beginnender Funktionseinschränkung rechts und Kraftminderung bei noch ausreichend erhaltener Gesamtbeweglichkeit und Kraftentfaltung, für die er einen Einzel-GdB von 10 empfohlen hat, sowie eine Senkspreizfußdeformität mit Hallux valgus rigidus mit noch ausreichend erhaltener Zehengelenksgesamtbeweglichkeit und Kraftentfaltung. Für letztere Funktionsbeeinträchtigung hat er einen GdB von 10 für angemessen gehalten. Insgesamt hat der Sachverständige einen Gesamt-GdB von 40 empfohlen.

Das SG hat schließlich Beweis erhoben durch Einholung eines internistisch-lungenfachärztlichen Gutachtens des Dr. D., Arzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, S., vom 12. Dezember 2001. Der Sachverständige hat beim Kläger eine chronisch-obstruktive Bronchitis mit Emphysem festgestellt, für die er einen GdB von 30 empfohlen hat. Den Gesamt-GdB hat er mit 40 als ausreichend bewertet gesehen.

Mit Schriftsatz vom 17. Januar 2002 hat der Beklagte anerkannt, dass beim Kläger ein GdB von 40 ab Dezember 2001 vorliege.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger vorgetragen, es sei im August 2003 zu einem weiteren Bandscheibenvorfall gekommen. Er leide überdies an einer Unterschenkelthrombose links.

Mit Urteil vom 05. September 2003 hat das SG unter Abänderung des Bescheides vom 18. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2000 den Beklagten verurteilt, einen GdB von 50 „ab heute“ festzustellen, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Der Beklagte wurde weiter verurteilt, dem Kläger die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Zu berücksichtigen seien, wie das SG zur Begründung ausgeführt hat, die neurologisch-psychiatrischen und lungenfachärztlich-internistischen Funktionsbeeinträchtigungen, aber auch die Leiden auf orthopädischem Gebiet. Die von dem Sachverständigen K. festgestellten Verschleißerscheinungen der unteren HWS seien durch die glaubwürdigen Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung bestätigt worden. Es bestehe deshalb kein Grund, einen Einzel-GdB von 20 für diese Leiden zu unterschreiten. Dieser GdB sei in jeder Hinsicht angemessen. Der Gesamt-GdB sei bis August 2003 auf 40 festzusetzen, ab September 2003 betrage er 50. Ab September 2003 sei auch das WS-Leiden des Klägers zu berücksichtigen, denn der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung geschildert, dass er einen weiteren Bandscheibenvorfall erlitten habe. Angesichts des Ausmaßes, das sich nun ergebe, sei es geboten, die WS-Erkrankung als weiteres Leiden bei der Bildung des Gesamt-GdB zu berücksichtigen.

Gegen dieses Urteil, das dem Beklagten am 17. September 2003 zugestellt worden ist, hat dieser mit Schriftsatz vom 01. Oktober 2003, am 06. Oktober 2003 beim Landessozialgericht (LSG) für das Saarland eingegangen, Berufung eingelegt mit dem Ziel, das Urteil des SG insoweit zu ändern, als die Klage unter Berücksichtigung des bereits abgegebenen Teilanerkenntnisses vom 17. Januar 2002 als unbegründet abzuweisen sei.

Es sei nicht nachvollziehbar, so trägt der Beklagte zur Begründung vor, den Gesamt-GdB bis August 2003 mit 40 und ab September mit 50 zu bewerten, zumal alle Fachgutachter den bisherigen Gesamt-GdB von 40 bestätigten, auch unter Berücksichtigung des WS-Leidens mit einem Teil-GdB von 20. Weshalb das WS-Leiden erst ab September 2003 zu berücksichtigen sei, obwohl die fachorthopädische Untersuchung bereits am 12. September 2000 erfolgt sei, sei nicht nachvollziehbar. Gegen die Einzelbewertungen des WS-Leidens mit einem Teil-GdB von 20 und der Bewertung des Lungenleidens mit 30 seien keine Einwände zu erheben. Die Alkoholkrankheit sei nach dem Sachverständigen Dr. V. N. fehlerhaft bewertet. In der psychosomatischen Fachklinik M. sei vom 13. Februar bis 04. Juli 1998 eine entsprechende Behandlung durchgeführt worden. In der Zeit vom 23. März bis 07. April 1999 sei eine stationäre Entgiftungsbehandlung erfolgt. Damit sei der Beginn der Heilungsbewährung auf April 1999 zu legen. Diese ende zwei Jahre später im April 2001. Diese Heilungsbewährung sei inzwischen eingetreten, was bisher noch nicht berücksichtigt worden sei. Nach Auffassung von Dr. N. handele es sich bei der Alkoholkrankheit um eine Erkrankung, die nicht einer Heilungsbewährung unterliege. Der erstinstanzliche Gutachter treffe hier eine Prognosebeurteilung, die im Widerspruch zu Ziff. 18 Abs. 7 AHP stehe. Während der internistischen Untersuchung durch Dr. D. am 12. Dezember 2001 sei der Konsum von Alkohol verneint worden. Somit sei davon auszugehen, dass die Entgiftung erfolgreich verlaufen sei. Die Schwerbehinderteneigenschaft lasse sich aber mit einem Einzel-GdB von 30 auf internistischem Fachgebiet und mit einem Teil-GdB von 20 auf orthopädischem Fachgebiet nicht begründen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Beklagte erklärt, den GdB von 40 ab Antragstellung anzuerkennen.

Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.

Der Beklagte beantragt nunmehr,

1. das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 05. September 2003 zu ändern und

2. die Klage, soweit sie über das soeben ergangene Teilanerkenntnis hinausgeht , abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise im Hinblick auf seine, des Klägers, Alkoholkrankheit ein Sachverständigengutachten einzuholen bei einem Arzt, der in der Feststellung und Behandlung einer Alkoholkrankheit über besondere Erfahrung verfügt.

Der Kläger trägt vor:

Insbesondere sehe er nach wie vor sein orthopädisches Leiden nicht ausreichend bewertet. So sei er auf Grund der schwierigen Funktionsstörung der HWS im Jahr 2004 rund neun Monate arbeitsunfähig gewesen.

Er sei seit über sieben Jahren trocken, leide allerdings bei Belastungen regelmäßig an Panikattacken, was dazu führe, dass er dann das Haus nicht verlassen könne, sondern allenfalls Freunde und Bekannte aus der von ihm aufgesuchten Selbsthilfegruppe anrufe. Diese Dinge seien in dem von Dr. N. erstatteten Gutachten nach seiner Auffassung richtig bewertet.

Der Schwerbehindertenstatus sei ihm mittlerweile nicht mehr so wichtig. In der Zeit, in der er noch berufstätig gewesen sei, habe das für ihn eine andere Bedeutung gehabt, insbesondere im Verhältnis zu Mitarbeitern, bei denen eine Schwerbehinderung festgestellt gewesen sei.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Anforderung von ärztlichen Befundberichten der Dres. R. vom 09. und 24. Februar 2004, der Phlebologin und Lymphologin J., S., vom 05. März 2004 und des Dr. Ne., Chefarzt der Rehabilitationsklinik für Abhängigkeitserkrankungen, Fachklinik T., S., vom 23. Dezember 2005 sowie durch Einholung von Stellungnahmen des Dr. N. vom 18. Dezember 2003 und des Orthopäden H. K. vom 20. Juli 2004.

Der Senat hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines fachärztlichen Gutachtens des Dr. E. Th., Facharzt für Phlebologie und Lymphologie, S., vom 06. April 2003, das durch eine Stellungnahme vom 18. Mai 2004 ergänzt worden ist.

Der Sachverständige Dr. E. Th. hat beim Kläger eine linksseitig chronisch venöse Insuffizienz im Stadium I, einen Zustand nach tiefer Unterschenkelvenenthrombose und ein beginnendes postthrombotisches Syndrom festgestellt. Die auf seinem Fachgebiet vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen hat der Sachverständige mit einem GdB von 20 bewertet, insgesamt einen GdB von 50 empfohlen.

Der Senat hat darüber hinaus Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens des Oberarztes A., Facharzt für Orthopädie beim Klinikum S., vom 24. November 2004.

Der Sachverständige A. hat beim Kläger folgende Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt:

„chronisch schmerzhaftes Cervikalsyndrom auf überwiegend degenerativer Basis mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung der HWS;

fortgeschrittene Osteochondrose und Diskopathie mit Bandscheibenprotrusion des Segmentes C5/6, Bandscheibenprotrusionen der Segmente C3/4 und C4/5, allerdings keine neurologische Symptomatik;

statisches lokales Thorakal- und Lumbalsyndrom bei teilfixiertem Rundrücken, rezidivierende Lumboischialgien links bei kernspintomographisch nachgewiesenem Bandscheibenvorfall L4/5 links;

mäßig schmerzhafte Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenkes bei Bursitis calcarea;

beginnende bis deutliche medial betonte Gonarthrose des rechten Kniegelenkes nach Innenmeniskusoperation;

Senk-Spreizfußdeformität mit Hallux-valgus-Bildung beidseits.“

Der Sachverständige hat für den Bereich der HWS und LWS einen GdB von 20, für die Kniegelenke, die Fußdeformitäten und für die Schultergelenke von je 10 empfohlen. Insgesamt hat auch er einen GdB von 50 für angemessen gehalten.

Der Senat hat den Sachverständigen Dr. Ri, Facharzt für Innere Medizin, Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Rehabilitationswesen und Sozialmedizin, Sozialmedizinischer Dienst der Bundesknappschaft S., mit der Fertigung eines Gutachtens beauftragt und um ganzheitliche Beurteilung gebeten. Dr. Ri hat in seinem Gutachten vom 20. Mai 2005 beim Kläger über die bereits festgestellten folgende weitere Leiden diagnostiziert:

„Atemnot bei mittelgradiger obstruktiver Lungen-Funktionsstörung infolge chronischer Bronchitiden und Lungenemphysem;

leichtgradiges Venenleiden ohne aktuelle Komplikationen, d. h. keine Schwellungen, keine Entzündungen, keine Rötungen bei bekannter chronisch-venöser Insuffizienz Grad I und jetzt leichtgradigem postthrombotischem Syndrom;

Ausschluss von Herzrhythmusstörungen von Krankheitswert;

Risikoprofil:

a) Nikotinmissbrauch;

b) Bluthochdruck, vor allem Belastungshochdruck (unbehandelt);

Zustand nach früherer Alkoholkrankheit, seit 6 Jahren abstinent, ohne psychische Auffälligkeiten oder geistige Defizite;

subjektive Beschwerden über Schwindel, Kopfschmerzneigung ohne organpathologischen Befund.“

Der Sachverständige hat für die Behinderungen Einzel-GdB von 30, 20, 0, 0, 10, 0 und 10 für angemessen gehalten. Insgesamt hat er einen GdB von 40 empfohlen.

Nach Kenntnis des Gutachtens Dr. Ri hat der Kläger eingewandt, der Sachverständige habe ihn nicht länger als 20 bis 25 Minuten persönlich gesprochen. Zu der Alkoholkrankheit habe er, der Sachverständige, ihn nicht länger befragt. Er könne sich mit der Diagnose „Zustand nach früherer Alkoholkrankheit nach 6 Jahren abstinent“ ebenso wenig einverstanden erklären wie mit der Bewertung mit einem Einzel-GdB von 0. Der Sachverständige Dr. Ri beurteile Wesen und Auswirkungen der bei ihm vorliegenden Alkoholerkrankung nicht richtig. Der Sachverständige versuche, die von Dr. N. abweichende Auffassung damit zu begründen, dass im Jahr 1999 die Rückfallgefahr noch hochgradig gewesen sei, nunmehr aber nicht. Diese Einschätzung sei falsch. Die Rückfallgefahr sei nach wie vor hochgradig. Deshalb müsse er, der Kläger, immer noch eine Selbsthilfegruppe besuchen. Es werde deshalb ausdrücklich beantragt, einen Sachverständigen zu beauftragen, der auf Fragen der Alkoholkrankheit spezialisiert sei.

Um Stellungnahme gebeten, hat der Sachverständige Dr. Ri am 04. Januar und 19. April 2006 zunächst ausgeführt, dass er sich sehr intensiv mit dem Kläger befasst habe. Er, der Sachverständige, stelle nicht in Abrede, dass die Ausführungen des Sachverständigen Dr. N. zum damaligen Zeitpunkt zutreffend gewesen seien. Das Gutachten sei aber vor 5 Jahren gefertigt worden. Damals sei der Kläger erst ein Jahr trocken gewesen. Bei der Stellungnahme vom 18. Dezember 2003 handele es sich um Ausführungen nach Aktenlage. Der Kläger sei jedoch jetzt sei Jahren abstinent. Körperliche, seelische oder geistige Leistungseinschränkungen in Folge der Alkoholkrankheit seien zum Zeitpunkt seiner, des Sachverständigen Dr. Ri, erfolgten Untersuchung nicht mehr erkennbar gewesen. In dem ihm zur Kenntnis gereichten Befundbericht des Dr. Ne. seien bekannte psychiatrische Grundsätzlichkeiten bei Alkoholkranken genannt. Im Schwerbehindertenrecht gehe es aber nicht um das Risiko oder die Möglichkeit einer Verschlechterung, sondern um die messbaren körperlichen, seelischen und geistigen Leistungsdefizite. Dass solche Leistungsdefizite von ihm übersehen worden seien, lasse sich aus dem Befundbericht des Dr. Ne. nicht entnehmen. Im Übrigen habe er im Rahmen seiner psychiatrischen Ausbildung über mehrere Jahre alkoholkranke Menschen behandelt und fast zwei Jahre Menschen in der Teestube der Stadt Ko. im Rahmen seiner Tätigkeit beim Bundeswehrkrankenhauses Ko. betreut.

Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Übrigen wird auf den Inhalt der eingeholten Befundberichte, Stellungnahmen und Gutachten verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrensganges wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten mit der Stammnummer 86/9819-2 Bezug genommen. Die Beiakte war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.


Entscheidungsgründe

I.

Bezüglich der Zulässigkeit der Berufung haben sich keine Bedenken ergeben. II.

Sie ist, soweit der Rechtsstreit nicht durch die Annahme des Anerkenntnisses vom 27. Juni 2006 teilweise erledigt wurde, begründet.

Auf die Berufung des Beklagten war das Urteil des SG vom 05. September 2003 in der Hauptsache insoweit aufzuheben, als der Beklagte unter Abänderung seines Bescheides vom 18. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2000 dazu verurteilt wurde, beim Kläger einen GdB von mehr als 40 festzustellen.

Denn der Kläger hat gegen den Beklagten nur Anspruch auf Feststellung eines GdB von 40 ab Antragstellung, wie der Beklagte nunmehr in der mündlichen Verhandlung auch anerkannt hat. Über dieses Teilanerkenntnis hinaus, das der Kläger angenommen hat, war die Klage abzuweisen, so dass die nunmehr nur noch darauf gerichtete Berufung erfolgreich war. Das Urteil des SG war deshalb in der Hauptsache insoweit aufzuheben.

Zwar hat das SG im Tenor unter Abweisung der Klage im Übrigen den Beklagten nur verurteilt, beim Kläger ab „heute“ einen GdB von 50 festzustellen. Den Entscheidungsgründen ist aber zu entnehmen, dass das SG für die Zeit davor einen GdB von 40 für rechtens erachtet hat. Der Tenor war deshalb unter Heranziehung der Entscheidungsgründe so auszulegen, dass für die Zeit von Antragstellung bis August 2003 der Beklagte verurteilt wurde, beim Kläger einen GdB von 40 und danach einen GdB von 50 festzustellen (vgl. zur Problematik: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8. Auflage, § 136 SGG, Rdnr.: 5c).

Da der Kläger das Teilanerkenntnis des Beklagten vom 17. Januar 2002, mit welchem dieser zunächst die Feststellung eines GdB von 40 ab Dezember 2001 angeboten hat, weder ausdrücklich noch konkludent angenommen hatte, hatte der Rechtsstreit insoweit auch keine Beendigung gefunden. Erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger das nunmehr weitergehende Teilanerkenntnis, nämlich einen GdB von 40 ab Antragstellung, angenommen.

Ein darüber hinausgehender Anspruch besteht nicht, weshalb das angefochtene Urteil, soweit dort beim Kläger ein höherer GdB als 40 ab Antragstellung festgestellt worden ist, in der Hauptsache aufzuheben war.

Rechtsgrundlage für die Anerkennung einer Behinderung ist § 69 Abs. 1 des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) vom 19. Juni 2001 (BGBl I, 1046), das an Stelle des früher geltenden SchwbG getreten ist.

Nach § 69 Abs. 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Menschen sind behindert, wenn ihre körperlichen Funktionen, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt. Hierbei gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgestellten Maßstäbe entsprechend. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von mindestens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Satz 3 bis 5 SGB IX).

Nach welchen Rechtsmaßstäben der GdB festzustellen ist und wie bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden ist, richtet sich in erster nach den AHP, die zwar keine Normqualität haben, aber weitgehend als antizipierte Sachverständigengutachten verstanden werden können. Sie wirken sich in der Praxis normähnlich aus und sind im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Rechtsnormen von den Gerichten anzuwenden, bis der Gesetzgeber die erforderlichen Ermächtigungsnormen und klare gesetzliche Vorgaben, insbesondere im Hinblick auf die parlamentarische Verantwortung für die im Verordnungswesen zu erlassenden, jetzt in den AHP enthaltenen Regelungen geschaffen hat (vgl. zur Problematik. Bundessozialgericht , in seiner amtlichen Sammlung, BSGE, Band 72, Seite 285f).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hält der Senat nach Durchführung der Beweisaufnahme, gestützt auf die Gutachten der Sachverständigen K., A., Dres. D., E. Th. und Ri, einen Gesamt-GdB von 40 für die Zeit ab Antragstellung für ausreichend.

Ein höherer GdB als 40 lässt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht rechtfertigen.

Bezüglich der Leiden im Bereich der WS und Gliedmaßen, über die der Kläger bereits in seinem Antrag geklagt hat, ist von einem GdB von 20 ab Antragstellung auszugehen.

Der Sachverständige A. hat in seinem vom Senat erbetenen Gutachten für die Funktionssysteme HWS und LWS einen Einzel-GdB von 20, für die Kniegelenke, für die Fußdeformitäten und für die Schultergelenke von jeweils 10 für angemessen gehalten. Er kommt dabei zu einer mit dem in erster Instanz befassten Sachverständigen K. vergleichbaren Einschätzung.

Diese Bewertungen, die vom Beklagten nicht angegriffen werden, stehen im Einklang mit den AHP (dort: Ziff. 26.18 „Wirbelsäulenschäden“). Bei WS-Schäden ergibt sich der GdB primär aus dem Maß der Bewegungseinschränkung, der WS-Verformung und -Instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen WS-Abschnitte. Unter Berücksichtigung dessen ist ein GdB von 20 vorgesehen bei WS-Schäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem WS-Abschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades sowie häufig rezidivierende und Tage andauernde WS-Syndrome). Bei schweren funktionellen Auswirkungen in einem WS-Abschnitt ist ein höherer GdB als 20 vorgesehen. Dies konnte der Sachverständige A. ebenso wenig wie der in erster Instanz beauftragte Sachverständige K. feststellen. Der Sachverständige A. hat ein chronisches schmerzhaftes Cervikalsyndrom auf überwiegend degenerativer Basis mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung der HWS bei fortgeschrittener Osteochondrose und Diskopathie mit Bandscheibenprotrusion des Segmentes C5/6 und C3/4 und C4/5 ohne neurologische Symptomatik diagnostiziert.

Ein Einzel-GdB von 20, von dem allerdings ab Antragstellung auszugehen ist, ist daher angemessen.

Der Kläger hat bereits bei der Antragstellung diese orthopädischen Leiden geklagt, sie ergeben sich auch aus dem Entlassungsbericht der Fachklinik M. vom 08. Juni 1998.

Bezüglich der Kniegelenke steht die Bewertung mit einem GdB von 10 in Einklang mit Ziff. 26.18 AHP (dort: Schäden der unteren Gliedmaßen). Die Bewegungseinschränkung im Kniegelenk ist nämlich nur einseitig und noch geringeren Grades.

Die Fußdeformität ist ohne größere Funktionsstörung mit einem GdB von 10 ausreichend bewertet (Ziff. 26.18 der AHP), gleiches gilt für die Schultergelenke. Dort wird die Bewegungseinschränkung auch nur als mäßig schmerzhaft beschrieben.

Aus internistischer Sicht ist die chronisch-obstruktive Bronchitis mit Emphysem, mit einem GdB von 30 bewertet, ab April 2001 zu berücksichtigen. Der in erster Instanz beauftragte Sachverständige Dr. D. hat das auf Grund seiner Untersuchung vom 12. Dezember 2001 festgestellte Leiden mit einem GdB von 30 bewertet, was der Beklagte nicht beanstandet.

Auszugehen ist davon, dass dieses Leiden ab April 2001 vorlag. Erstmals dokumentiert sind nämlich Feststellungen dazu im Befundbericht des Dr. U. vom 08. Mai 2001.

Wegen des Venenleidens ist ein Einzel-GdB von 20 gerechtfertigt, aber erst ab August 2003 zu berücksichtigen.

Der Sachverständige Dr. E. Th. hat eine linksseitig chronisch venöse Insuffizienz im Stadium I, einen Zustand nach tiefer Unterschenkelvenenthrombose und ein beginnendes postthrombotisches Syndrom festgestellt. Er hat in seinem Gutachten vom 06. April 2003 (gemeint ist wohl 06. April 2004) insoweit einen GdB von 20 empfohlen. Zu Recht führt der ärztliche Dienst des Beklagten in seiner Stellungnahme vom 27. April 2004 aus, dass damit der Bewertungsrahmen ausgeschöpft ist. Gemäß Ziff. 26.9 AHP ist nämlich bei der chronisch-venösen Insuffizienz und bei dem postthrombotischen Syndrom mit geringem belastungsabhängigem Ödem bei nicht ulzerösen Hautveränderungen und ohne wesentliche Stauungsbeschwerden ein- oder beidseitig ein GdB von 0 bis 10 angemessen. Erst bei erheblicher Ödembildung, häufig (mehrmals im Jahr), mit rezidivierenden Entzündungen ein- oder beidseitig ist erst ein GdB von 20 bis 30 vorgesehen. Der Sachverständige beschreibt ein mäßiggradig ausgeprägtes Phlebödem. Varizen und Hautveränderungen konnte er nicht feststellen. Ein GdB von 20 ist damit auf jeden Fall ausreichend.

Dieses Leiden ist aber erst ab August 2003 zu berücksichtigen. Dafür, dass dieses Leiden zu einem früheren Zeitpunkt vorlag, fehlen Anhaltspunkte. In seinem Antrag nennt der Kläger diese Erkrankung noch nicht. Auch im Entlassungsbericht der Fachklinik M. und in dem Befundbericht seines Hausarztes Dr. U. vom 08. Mai 2001 finden sich diesbezüglich keine Feststellungen. Erstmals trägt der Kläger dazu in der mündlichen Verhandlung vom 05. September 2003 vor. Aus dem Befundbericht der Phlebologin J. vom 05. März 2004 ergibt sich, dass im August 2003 eine Venenbehandlung notwendig wurde, so dass der Senat diesen Zeitpunkt als denjenigen ansieht, ab dem diese Funktionsbeeinträchtigung vorlag.

Die Alkoholkrankheit war zwar für die Zeit von der Antragstellung bis März 2001 mit einem GdB von 30 bewertet, ab April 2001 – also nach Ablauf der Heilungsbewährung, beträgt der GdB dafür aber 0.

Der Sachverständige Dr. Ri hat in seinem sozialmedizinischen Gutachten, in dem er um eine Gesamtschau gebeten worden ist, beim Kläger aus nervenärztlicher Sicht den Zustand nach früherer Alkoholkrankheit, seit sechs Jahren abstinent, ohne psychische Auffälligkeiten oder geistige Defizite sowie subjektive Beschwerden über Schwindel, Kopfschmerzen ohne organpathologischen Befund mit Einzel-GdB von 0 und 10 bewertet.

Der Kläger wendet sich zwar gegen die Art der Begutachtung durch Dr. Ri und gegen die Beurteilung seiner Alkoholkrankheit.

Die Einwendungen des Klägers sind indes nicht geeignet, die Bewertungen des Sachverständigen in Frage zu stellen.

Der Senat folgt den Einschätzungen des Dr. Ri, die überzeugend sind und im Einklang mit den AHP stehen.

Zunächst hat Dr. Ri den Vorwurf, er habe den Kläger persönlich nur 20 bis 25 Minuten untersucht, in seinen Stellungnahmen vom 04. Januar und 19. April 2006 hinreichend entkräftet. Dass eine Begutachtung durch Dr. Ri mehrere Stunden in Anspruch nimmt, ist dem Senat aus Erfahrung bekannt. Dass der Sachverständige Dr. Ri bei dieser Begutachtung nicht zu jeder Zeit zugegen gewesen sein mag, sondern sich auch des Einsatzes seiner Mitarbeiter bedient hat, steht dem nicht entgegen und ist nicht geeignet, die Ergebnisse seines Gutachtens, die schlüssig und folgerichtig sind, in irgendeiner Weise zu relativieren.

Soweit der Kläger sich durch den Sachverständigen Dr. N. in seiner Alkoholkrankheit - im Gegensatz zu Dr. Ri - richtig beurteilt sieht und sich die Ausführungen des Dr. Ne. zu eigen macht, lässt auch dies keine andere Bewertung als die des Sachverständigen Dr. Ri zu. Dr. Ri führt dazu - für den Senat folgerichtig - aus, der Kläger sei jetzt seit sechs Jahren abstinent. Körperliche, seelische oder geistige Leistungseinschränkungen in Folge der Alkoholkrankheit seien nicht feststellbar. Der Zeit fänden sich keine alkoholbedingten neurologischen, psychischen oder geistigen Auffälligkeiten. Dr. Ne. verkenne, dass nicht das Risiko oder die Möglichkeit einer Verschlechterung eine Behinderung ergebe, sondern nur die messbaren körperlichen oder geistigen Defizite maßgeblich seien. Dass solche von ihm, Dr. Ri, übersehen worden seien, behaupte Dr. Ne. nicht.

Der Senat hält diese Ausführungen für in sich schlüssig. Sie stehen im Einklang mit den AHP.

Eine neurotische Entwicklung mit fehlenden Verarbeitungsmöglichkeiten emotional belastender Situationen, die dann im Sinne eines Alkoholismus beantwortet würden – wie von Dr. N. diagnostiziert – , konnte der Sachverständige Dr. Ri nicht feststellen. Nach seinen Untersuchungen spricht die Biographie des Klägers, was für den Senat überzeugend ist, gegen eine neurotische Entwicklung von Krankheitswert.

Entgegen der Auffassung des Sachverständigen Dr. N. sehen die AHP für die Alkoholkrankheit und Abhängigkeit indes eine Heilungsbewährung vor ( Ziffer 26.3 AHP).

Der Begriff der Heilungsbewährung wurde erstmals 1965 in die AHP übernommen. Er geht zurück auf die Rechtsprechung des BSG zu wesentlichen Änderungen im Sinne des § 62 BVG bei Lungentuberkulosen. In einem Urteil vom 22. Mai 1962 hatte das BSG entschieden, dass in dem Fall, in dem die Inaktivität einer Lungentuberkulose längere Zeit, etwa vier bis fünf Jahre ohne Rückfall andauere, die damit eingetretene klinische Heilung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse darstellen könne. Dies bedeute, dass während der Bewährungszeit die damals geltende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) höher zu beurteilen sei, als sie sich allein aus den verbliebenen funktionellen Schaden ergebe. Die Grundsätze der Heilungsbewährung wurden in den jeweiligen AHP wiederholt modifiziert, wobei in den jeweiligen Änderungen die Fortschritte der medizinischen Wissenschaft beachtet wurden. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass das Abwarten einer Heilungsbewährung bei der Tuberkulose wegen der Wirksamkeit der modernen Chemotherapie in aller Regel nicht mehr erforderlich ist. Auch bei Herzinfarkten wird nach den AHP im Gegensatz zu früher im Regelfall die Berücksichtigung einer Heilungsbewährung nicht mehr als notwendig angesehen. Nach den zur Zeit gültigen AHP soll aber eine Heilungsbewährung bei einer Reihe von Erkrankungen abgewartet werden. Dazu zählen die Schizophrenie, die Drogenabhängigkeit, die Alkoholkrankheit, die multiple Sklerose, der Zustand nach Herz- und Nierentransplantation und die chronische Osteomyelitis. Im Vordergrund stehen jedoch nach wie vor Krebserkrankungen (vgl. zur Problematik: Urteil des Sächsischen LSG vom 25. Mai 2005, Az: L 6 SB 55/04).

Die AHP sehen grundsätzlich vor, dass die GdB-Bewertung bei der Alkoholkrankheit vom Ausmaß des Organschadens und seiner Folgen und/ oder vom Ausmaß der Abhängigkeit und der suchtspezifischen Persönlichkeitsänderung bestimmt wird. Bei nachgewiesener Abhängigkeit mit Kontrollverlust und erheblicher Einschränkung der Willensfreiheit ist der Gesamt-GdB aufgrund der Folgen des chronischen Alkoholkonsums nicht niedriger als 50 zu bewerten. Ist bei nachgewiesener Abhängigkeit eine Entziehungsbehandlung durchgeführt worden, muss eine Heilungsbewährung abgewartet werden (im Allgemeinen 2 Jahre). Während dieser Zeit ist in der Regel ein GdB von 30 anzunehmen, es denn, dass der Organschaden noch einen höheren GdB bedingt.

Das ist hier, wie der Sachverständige Dr. Ri zutreffend bemerkt hat, gerade nicht der Fall. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass es bezüglich der Alkoholkrankheit und der damaligen psychischen Auffälligkeiten durch die nun schon sechsjährige Karenz zur völligen Heilung und Besserung gekommen sei. Es fänden sich derzeit keinerlei alkoholbedingte neurologische oder psychische Auffälligkeiten. In diesem Fall einen GdB von 0 anzunehmen, ist richtig und steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG (Beschluss vom 26. Januar 1994, AZ:. 9 BVs 44/93). Das BSG hat dort ausgeführt, dass es im Schwerbehindertenrecht um die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung gehe, so dass nicht die Diagnosen oder körperlichen Defizite, sondern die Behinderung zu erfassen sei, die darin bestehe, dass der von Krankheit betroffene Mensch nicht mehr die Gesamtheit der ihm sozial zugeschriebenen Funktionen unbeeinträchtigt und ungefährdet wahrnehmen könne. Wer etwa krankmachende Stoffe meide, sei nur dann behindert, wenn er damit in den genannten Bezügen, also in Arbeit, Beruf oder Gesellschaft auffällig sei. Die Abstinenz von Suchtmitteln habe selbst dann keine Behinderung zur Folge, wenn die Abstinenz maßgeblich auf einen regelwidrigen Körperzustand und dabei nicht auf freier Willensentscheidung beruhe.

Der Umstand, dass der Kläger nach wie vor auf die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe angewiesen ist, kann nach Auffassung des Senats nicht als wesentlich beeinträchtigend angesehen werden. Gleiches gilt für die bei Belastungen auftretenden Panikattacken, die nach seinem eigenen Vorbringen jedenfalls nicht ein derartiges Ausmaß erreicht haben, dass sie sein Leben und seinen Alltag bestimmen und prägen.

Die Einschätzung von Dr. Ri ist unter diesen Gesichtspunkten in keiner Weise zu beanstanden.

Der Senat hat dem wiederholt gestellten Antrag, einen in der Feststellung und Behandlung einer Alkoholkrankheit spezialisierten Sachverständigen zu beauftragen, nicht entsprochen. Durch die Beauftragung des Sachverständigen Dr. Ri ist diesem Anliegen des Klägers bereits Rechnung getragen worden. Wie nämlich Dr. Ri in seiner Stellungnahme vom 19. April 2006 ausgeführt hat, verfügt er, was dem Senat im Übrigen auch wohl bekannt ist, über eine jahrelange Erfahrung mit alkoholkranken Menschen, die er während seiner Tätigkeit im Bundeswehrkrankenhaus Ko. betreut hat. Auch an seiner diesbezüglichen Kompetenz hat der Senat keine Zweifel.

Nach alledem ist der GdB für die Alkoholkrankheit bis zum Ablauf der Heilungsbewährung mit 30, ab April 2001 aber mit 0 zu bewerten.

Unter Berücksichtigung all dessen ist der Gesamt-GdB für die Zeit der Antragstellung durchgängig mit 40 zu bewerten, wie es der Empfehlung von Dr. Ri zu entnehmen ist.

Dies steht im Einklang mit Ziff. 19 AHP. Liegen nach Ziff. 19 AHP mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so sind zwar Einzelgrade anzugeben, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB für alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

Unter Berücksichtigung dessen ist für die Zeit ab Antragstellung von der Alkoholkrankheit im Zustand der Heilungsbewährung auszugehen, die mit einem GdB von 30 ausreichend bewertet war. Dazu kamen die nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. Ri gleichgebliebenen Leiden auf orthopädischem Gebiet, die ab Antragstellung mit einem GdB von 20 zu bewerten sind. Bis zum Ablauf der Heilungsbewährung, also bis März 2001, beträgt der Gesamt-GdB 40.

Mit Ablauf der Heilungsbewährung ist es bezüglich des Alkoholleidens zu einer Besserung gekommen, aber es ist ab April 2001 eine neue Erkrankung hinzugetreten, nämlich die chronische Bronchitis mit Lungenemphysem, die von Dres. D. und Ri mit einem GdB von 30 bewertet wird. Bei gleichbleibenden Behinderungen auf orthopädischem Gebiet ist deshalb auch ab April 2001 von einem GdB von 40 auszugehen.

Das nach Auffassung des Sachverständigen Dr. Ri als leichtgradig beschriebene Venenleiden, ab August 2003 zu berücksichtigen, fällt nicht ins Gewicht. Es bleibt deshalb auch ab August 2003 bei einem GdB von 40.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das gegenseitige Obsiegen und Unterliegen.

Für den ersten Rechtszug hat es bei dem Kostenausspruch des SG zu verbleiben, weil beim Kläger, bei dem bereits ein GdB von 30 festgestellt war, der aber einen GdB von mindestens 50 begehrt hat, von einem hälftigen Obsiegen auszugehen ist.

Im Berufungsrechtszug war der Beklagte zur Hälfte unterlegen, weil er mit seinem ursprünglichen Ziel, die Klage auch insoweit abzuweisen, als ein GdB von 40 für die Zeit vor Dezember 2001 nicht gegeben sei, nicht durchzudringen vermochte.

Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, haben sich nicht ergeben.



Versorungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung