Während bei leichteren psychischen Störungen eine nicht stattfindende Therapie ein Hinweis für fehlenden Leidensdruck sein kann, spricht dieser Umstand bei schwereren Störungen eher für fehlende Krankheits- und Behandlungseinsicht. Denn es ist häufig zu beobachten, dass, je schwerer die Störung ist, desto weniger Therapie stattfindet. Ein fehlender Leidensdruck mit Indizwirkung für das Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigung kann aus der fehlenden psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlung in diesem Falle nicht abgeleitet werden.


Landessozialgericht Baden-Württemberg 12. Senat
24.07.2020
L 12 SB 2021/19
Juris



Leitsatz

Während bei leichteren psychischen Störungen eine nicht stattfindende Therapie ein Hinweis für fehlenden Leidensdruck sein kann, spricht dieser Umstand bei schwereren Störungen eher für fehlende Krankheits- und Behandlungseinsicht. Denn es ist häufig zu beobachten, dass, je schwerer die Störung ist, desto weniger Therapie stattfindet. Ein fehlender Leidensdruck mit Indizwirkung für das Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigung kann aus der fehlenden psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlung in diesem Falle nicht abgeleitet werden.


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.

Der 1962 geborene Kläger beantragte erstmalig am 10.04.2014 die Feststellung eines GdB. Zu den Akten gelangte unter anderem ein Reha-Entlassungsbericht der Klinik S. vom 19.03.2014 mit den Diagnosen einer atherosklerotischen Herzkrankheit: Ein-Gefäß-Erkrankung, dem Vorhandensein eines Stents, einer gemischten Hyperlipidämie sowie einer essenziellen Hypertonie. In der hierzu eingeholten versorgungsmedizinischen Stellungnahme wurde die koronare Herzkrankheit mit Stentimplantation mit einem Einzel-GdB von 10, zugleich auch der Gesamt-GdB, bewertet. Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15.04.2014 den Antrag auf Feststellung eines GdB ab, da die beim Kläger festgestellten Gesundheitsstörungen keinen GdB von wenigstens 20 bedingen würden.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren zog der Beklagte unter anderem folgende ärztliche Unterlagen bei: den Entlassungsbericht der Fachkliniken W. vom 19.05.2015, in welchem unter anderem der Verdacht auf eine manifestierte Herzneurose geäußert worden ist; den Arztbrief des Dr. D., Arzt für Innere Medizin und Kardiologie, vom 03.07.2015, in welchem dieser über einen aktuell geringen linksventrikulären Schaden (Ejektionsfraktion ca. 44 %) nach subakutem Vorderwandinfarkt Januar 2014 und eine hypertensive Herzerkrankung mit geringer konzentrischer Linksherzhypertrophie berichtet hat; den Arztbrief der O.-klinik, Abteilung für Kardiologie und internistische Intensivmedizin, vom 03.11.2015, in welchem neuerlich über eine gering eingeschränkte linksventrikuläre Funktion und geringe konzentrische Hypertrophie berichtet worden ist und angesichts einer fehlenden fassbaren somatischen Erklärung für die vom Kläger beklagten Beschwerden empfohlen worden ist, den psychosomatischen Aspekt zumindest parallel dringend weiterzuverfolgen.

Hierauf gestützt bewertete der Versorgungsarzt Dr. Z. in seiner Stellungnahme vom Dezember 2015 den GdB für die koronare Herzkrankheit mit Stentimplantation und Bluthochdruck mit 20. Der Beklagte erließ daraufhin den Teil-Abhilfebescheid vom 07.01.2016, mit dem der GdB seit 10.04.2014 mit 20 festgestellt wurde und wies mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2016 den darüber hinaus gehenden Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 05.04.2016 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben, mit der er einen höheren GdB geltend gemacht hat.

Das SG hat den Reha-Entlassungsbericht der Klinik H. vom 07.07.2016 über die dortige stationäre Heilbehandlung im Juni 2016 mit den Diagnosen (unter anderem) einer koronaren Ein-Gefäß-Erkrankung, einer Somatisierungsstörung und einer mittelgradigen depressiven Episode und Verbitterung beigezogen.

Der Kläger hat das im Auftrage der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg am 24.08.2016 nach ambulanter Untersuchung am selben Tag erstattete Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Ha. vorgelegt. Dieser hat eine chronifizierte, langanhaltende, mindestens mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom, eine Verbitterungsstörung im Sinne einer Anpassungsstörung und eine Somatisierungsstörung diagnostiziert und beim Kläger ein auch für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter 3 Stunden liegendes Leistungsvermögen angenommen.

Das SG hat weiterhin die den Kläger behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen.

Die Internistin und Lungenfachärztin Dr. R. hat in ihrer Stellungnahme vom 05.10.2016 auf ihrem Fachgebiet relevante Funktionsbeeinträchtigungen verneint.

Der Kardiologe Dr. V. (Praxis Dr. D. und Dr. V.) hat unter dem 18.10.2016 über eine nach einem Myokardinfarkt noch bestehende, leichtgradig eingeschränkte systolische linksventrikuläre Pumpfunktion und eine hypertensive Herzerkrankung ohne relevante Dysfunktion des linken Ventrikels berichtet.

Der Hausarzt Dr. Si. hat am 26.10.2016 über eine schwierig einzuordnende Beschwerdesymptomatik des Klägers berichtet, welcher zwar über klassische Symptome einer koronaren Herzerkrankung klagen würde, bei dem aber andererseits die kardiologische Diagnostik bis auf eine zuletzt leichtgradige Funktionseinschränkung nicht wegweisend gewesen sei.

Der Orthopäde Dr. Fr. hat am 14.11.2016 über eine rezidivierende Funktionsbeeinträchtigung des Klägers im Bereich des unteren Rückens berichtet.

Der Neurologe Dr. Kr. hat unter dem 16.11.2016 für sein Fachgebiet objektivierbare Funktionsbeeinträchtigungen verneint.

Der Nervenfacharzt Dr. Ho. hat in seiner Stellungnahme vom 14.11.2016 beim Kläger, gestützt auf dessen einmalige Vorstellung am 21.12.2015, Angst und depressive Störung gemischt diagnostiziert.

Der Versorgungsarzt Dr. G. hat in seiner Stellungnahme vom Januar 2017 weitere Sachaufklärung auf nervenärztlichem Gebiet angeregt und für die übrigen medizinischen Fachgebiete neue Gesichtspunkte aufgrund der vorgelegten ärztlichen Unterlagen verneint.

Das SG hat daraufhin Prof. Dr. St., Nervenarzt und Facharzt für Psychotherapie, mit der Erstattung eines Gutachtens von Amts wegen beauftragt. Dieser hat beim Kläger in seinem Gutachten vom 22.02.2017, beruhend auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers am selben Tag, eine intensive Beschäftigung mit Schmerzen, Missempfindungen und daraus resultierenden Funktionsunfähigkeiten im Vordergrund gesehen, eine chronifizierte, schwer ausgeprägte und einer Behandlung nicht zugängliche Somatisierungsstörung und somatoforme Schmerzstörung (Einzel-GdB 40) diagnostiziert und eine Depression stärkeren Ausmaßes verneint. Der Einzel-GdB von 40 für die Schmerzstörung, der zugleich auch die Ausprägung von Angst und Depression sowie den orthopädischen Teilcharakter der beschriebenen Schmerzzustände vollumfänglich enthalten würde, würde sich durch das Hinzutreten eines weiteren Einzel-GdB von 20 wegen der koronaren Herzkrankheit auf 50, durchgängig seit April 2014, erhöhen.

Der Beklagte ist mit versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. Sc. vom April 2017 und des Dr. Wo. vom Juli 2017 der Beurteilung des Sachverständigen entgegengetreten und hat vergleichsweise die Anerkennung eines GdB von 30 angeboten. Schon ein Einzel-GdB von 30 auf psychischem Gebiet würde bereits im oberen Ermessensspielraum liegen, weshalb sich der weitere Einzel-GdB von 20 auf kardiologischem Gebiet nicht erhöhend auswirken würde, zumal hier auch deutliche gegenseitige Überschneidungen im Sinne einer Somatisierungsstörung bestehen würden.

Der Kläger hat in der Folgezeit eine ganze Reihe von nicht den Streitgegenstand betreffenden Unterlagen, unter anderem ein „souveränes Affidavit der Wahrheit“, vorgelegt.

Mit Gerichtsbescheid vom 24.05.2019 hat das SG nach vorheriger Anhörung der Beteiligten den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 15.04.2014 in der Form des Teil-Abhilfebescheides vom 07.01.2016 und des Widerspruchsbescheids vom 04.03.2016 verurteilt, beim Kläger ab dem 10.04.2014 einen GdB von 50 anzuerkennen. In Übereinstimmung mit dem Gutachten des Prof. Dr. St. sei die seelische Erkrankung des Klägers mit einem Einzel-GdB von 40 und die Funktionsbeeinträchtigung aufgrund des Herzens mit einem weiteren Einzel-GdB von 20 zu bewerten und hieraus ein Gesamt-GdB von 50 zu bilden. Zwar würden sich die psychische Erkrankung sowie die Herzerkrankung erheblich, aber eben bei weitem nicht vollständig überschneiden.

Der Beklagte hat gegen den ihm am 03.06.2019 zugestellten Gerichtsbescheid am 21.06.2019 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und zu deren Begründung auf die im Klageverfahren vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahmen verwiesen. Vorgelegt worden ist weiterhin eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. Wo. vom Juni 2019, in welcher dieser neuerlich ausgeführt hat, bereits der Einzel-GdB von 30 auf psychischem Gebiet sei als entgegenkommend anzusehen. Selbst wenn man dennoch einen Einzel-GdB von 40 auf psychischem Gebiet annehmen würde, könnte dann ausgehend von einem sehr weitreichenden Einzel-GdB von 40 der weitere Einzel-GdB von 20 auf kardiologischem Gebiet bei teilweisen Überschneidungen (Somatisierungsstörung) nicht zum Gesamt-GdB beitragen.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24.05.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das Gutachten des Prof. Dr. St. für zutreffend.

Mit Schreiben vom 19.01.2020 hat der Kläger und mit solchem vom 04.02.2020 der Beklagte einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig und teilweise begründet.

Streitgegenständlich ist vorliegend der Gerichtsbescheid des SG vom 24.05.2019, mit welchem dieses den Beklagten unter Abänderung seiner entgegenstehenden Bescheide verurteilt hat, beim Kläger ab dem 10.04.2014 einen GdB von 50 anzuerkennen. Die Berufung ist dabei insoweit begründet, als die beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen nur einen Gesamt-GdB von 40 zu rechtfertigen vermögen.

Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte GdB-Feststellung ist § 2 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in den bis zum 31.12.2017 und ab dem 01.01.2018 geltenden Fassungen in Verbindung mit § 69 SGB IX in den bis zum 14.01.2015, 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise in Verbindung mit § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung. Im Hinblick auf die den vorliegend zu beurteilenden Zeitraum betreffenden unterschiedlichen Gesetzesfassungen sind diese – da Übergangsregelungen fehlen – nach dem Grundsatz anzuwenden, dass die Entstehung und der Fortbestand des sozialrechtlichen Anspruchs auf Leistungen nach dem Recht zu beurteilen ist, welches zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände jeweils gegolten hat (BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 9 SB 2/13 R, in juris; BSG, Urteil vom 04.09.2013, B 10 EG 6/12 R, in juris; vgl. Stölting/Greiser in SGb 2015, 135-143).

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate hindern können, wobei eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in den bis zum 14.01.2015 und 29.12.2016 geltenden Fassungen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt ergänzend, dass der GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung festgestellt wird. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX in den bis zum 14.01.2015 und 29.12.2016 geltenden Fassungen, nach § 69 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung hierbei nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.

Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 153 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt diese Ermächtigung für die allgemeine – also nicht nur für die medizinische – Bewertung des GdB und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen sowie auch für die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden. Indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 241 Abs. 5 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung, dass – soweit eine solche Verordnung nicht erlassen ist – die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG in der bis zum 30.06.2011 geltenden Fassung beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der ab dem 01.07.2011 geltenden Fassung erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 01.01.2009 an die Stelle der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ (AHP) getretene Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I S. 249), 14.07.2010 (BGBl. I S. 928), 17.12.2010 (BGBl. I S. 2124), 28.10.2011 (BGBl. I S. 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I S. 2122) sowie das Gesetz vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) geändert worden ist, heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, in juris).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in den bis zum 14.01.2015, 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem 2. Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem 3. Schritt ist dann in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, in juris). Nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. c ist bei der Bildung des Gesamt-GdB in der Regel von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und sodann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. d, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es danach vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Außerdem sind nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind.

Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, in juris).

Nach diesen Maßstäben sind die beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Gesamt-GdB von 40 zu bewerten.

Dabei schließt sich der Senat, wie bereits zuvor das SG, bezüglich der beim Kläger ganz im Vordergrund stehenden seelischen Beeinträchtigungen der Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. St. an, wonach die hieraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten sind.

Dieser hat beim Kläger auch für den Senat überzeugend eine chronifizierte, einer Behandlung nur schwer zugängliche und schwer ausgeprägte Somatisierungsstörung und somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Der Sachverständige hat anhand der von ihm erhobenen klinischen Befunde und unter Berücksichtigung und Auseinandersetzung mit den zahlreich vorhandenen Behandlungsunterlagen, Arztbriefen, den beiden Reha-Entlassungsberichten und dem für die Rentenversicherung erstatteten Gutachten des Dr. Ha. schlüssig und nachvollziehbar herausgearbeitet, dass beim Kläger die intensive Beschäftigung mit Schmerzen, Missempfindungen und daraus resultierenden Funktionsunfähigkeiten ganz im Vordergrund steht. Der Kläger ist bereits seiner eigenen Schilderung nach spätestens 2012 eindeutig primär psychosomatisch erkrankt, wobei er die zu dieser Zeit beklagten Beschwerden auf einen (niemals diagnostizierten) „grippalen Infekt“ zurückgeführt hat und keine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung in Anspruch genommen hat. Der somit psychosomatisch bereits deutlich erkrankte Kläger erlitt schließlich Anfang 2014 einen Herzinfarkt, von dem er sich nach eigener Einschätzung nie erholt hat; es verblieben Schmerzzustände im Brust- und Rückenbereich und eine ausgeprägte subjektive Leistungsunfähigkeit, ohne dass jemals, trotz vielfacher Bemühungen der behandelnden Kardiologen und der Ärzte im Rahmen der beiden Reha-Aufenthalte, eine körperliche Ursache hierfür gefunden werden konnte, so der Sachverständige. Zu diesen körpernah wirkenden Beschwerden sind zwischenzeitlich aber auch eine Fülle von Angstsymptomen mit körpernahen oder primär psychischen Symptomatiken getreten, die unverändert bis zum heutigen Tage fortbestehen. Diesbezüglich verweist der Sachverständige beispielhaft auf die vom Kläger beklagten Rückenschmerzen in der Lendenwirbelsäule, die ihn mittlerweile zum Tragen eines Stützmieders und der Benutzung einer Unterarmgehstütze veranlasst haben, ohne dass jemals eine radikuläre Symptomatik oder der Nachweis eines Bandscheibenvorfalls erfolgt wäre.

Auch die behandelnden Ärzte sind in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen verbreitet von einer psychosomatischen Beschwerdeverursachung ausgegangen, was dann beim Kläger die vorbeschriebene Verbitterungsstörung hervorgerufen hat, so der Sachverständige. So haben bereits die Ärzte der Fachkliniken W. im Mai 2015 den Verdacht auf eine manifestierte Herzneurose geäußert. Die Kardiologen Dr. D. und Dr. V., der Hausarzt Dr. Si. wie auch die Ärzte der O.-Klinik haben angesichts fehlender somatischer Erklärungsansätze für die vom Kläger geäußerten Beschwerden jeweils eine psychosomatische Ursache in Betracht gezogen. Im Entlassungsbericht der Klinik H. ist dann folgerichtig eine Somatisierungsstörung bei mittelgradiger depressiver Episoden diagnostiziert und eine dringende psychosomatische Therapiebedürftigkeit festgestellt worden.

Auch Dr. Ha. ist von einer vorbestehenden Somatisierungsstörung und dem Herzinfarkt im Januar 2014 als dem entscheidenden Ereignis für die psychische Dekompensation des Klägers ausgegangen. Soweit er zusätzlich eine chronifizierte und mindestens mittelgradige depressive Episode angenommen hat, kann dem mit dem Sachverständigen Prof. Dr. St. nicht gefolgt werden. Prof. Dr. St. hat im Rahmen seiner Begutachtung eine tiefergehende depressive Verstimmung mit Sicherheit ausschließen können. Die Stimmungslage des Klägers hat sich im Rahmen der Begutachtung bestenfalls mäßiggradig dysphorisch und die Breite der affektiven Ausdrucksfähigkeit allenfalls leicht reduziert gezeigt. Insgesamt ist der Kläger jedoch noch deutlich schwingungsfähig gewesen und hat sich keine stärkere Antriebsminderung feststellen lassen. Der Kläger pflegt seinen Schilderungen zufolge soziale Aktivitäten zwar nur noch in reduziertem Rahmen. Es sind aber außerfamiliäre Aktivitäten, beispielsweise der Kontakt mit Freunden, gleichwohl noch erhalten und es erfolgt eine regelmäßige Rollenübernahme im Kontakt mit den Kindern. Bestätigt wird dies durch den diesbezüglich weitgehend unauffälligen Befund, den der Nervenarzt Dr. Ho. im Dezember 2015 erhoben hat. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, worauf der Sachverständige zu Recht hinweist, dass ein gewisses Ausmaß von Depressivität, Missstimmung und Verbitterung obligatorischer Bestandteil der Symptomatik einer schweren Somatisierungsstörung ist, ohne dass deshalb eine gesonderte Diagnose gerechtfertigt ist.

Auch das von Prof. Dr. St. angenommene Ausmaß der durch diese seelische Erkrankung hervorgerufenen Funktionsbeeinträchtigung und deren Bewertung mit einem Einzel-GdB von 40 begegnet keinen Bedenken.

Gemäß den VG, Teil B, Nr. 3.7 sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem Einzel-GdB von 0 bis 20, stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem Einzel-GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem Einzel-GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem Einzel-GdB von 80 bis 100 zu bewerten.

Der Sachverständige hat überzeugend herausgearbeitet, weshalb im Falle des Klägers nicht mehr von einer leichteren psychovegetativen oder psychischen Störung in diesem Sinne ausgegangen werden kann, sondern vielmehr bereits eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vorliegt. Es liegt beim Kläger ein sehr breites Spektrum an Symptomen mit unterschiedlichsten Schmerzzuständen und Missempfindungen vor, welches erschwerend von Symptomen von Depression und phobischer Angst begleitet wird und die in ihrer Art und Ausprägung ganz typisch für eine schwere psychosomatische Schmerzerkrankung sind. Wie bei schwer ausgeprägten Somatisierungsstörungen häufig zu beobachten ist, besteht auch beim Kläger dabei kein Verständnis für die hier ganz maßgeblich im Vordergrund stehende psychosomatische Beschwerdekomponente, so der Sachverständige, wobei die Fixierung des Klägers auf eine rein körperliche Verursachung ein Stück weit dadurch nachvollziehbar unterhalten wird, dass mit dem im Januar 2014 erlittenen Herzinfarkt als dem maßgeblichen Anstoß für die psychische Dekompensation zweifellos auch eine (mittlerweile erheblich gebesserte) schwere körperliche Erkrankung einhergegangen ist.

Der Sachverständige hat sich bei seiner Beurteilung auch schlüssig und nachvollziehbar mit der bereits von Dr. Ha. aufgeworfenen Frage der Aggravation auseinandergesetzt. Auch der Sachverständige hat, wie zuvor bereits Dr. Ha., beim Kläger eine seltsam anmutende Mischung aus grob demonstrativ erscheinenden Verhaltensweisen (bei der körperlichen Untersuchung und bei der Bearbeitung des strukturierten Fragebogens simulierter Symptome) und einem andererseits konsistenten Verhalten mit durchaus guter Kooperation, wie etwa im Konzentrationstest, festgestellt. Dieses Verhalten hat der Kläger, wie sich den zahlreichen Arztbriefen entnehmen lässt, keineswegs nur im Rahmen der beiden Begutachtungen an den Tag gelegt, sondern hat er auch bei praktisch allen behandelnden Ärzten im Verlauf der letzten Jahre in der beschriebenen Weise dargeboten, so der Sachverständige. Dieses Befundmuster ist indes, so Prof. Dr. St., typisch für die Situation einer sehr tief verwurzelten Krankheitsüberzeugung bei gleichzeitig großem Misstrauen und inneren Widerstand gegenüber Ärzten und Gutachtern. Dabei ist gerade diese festgefügte Haltung des Klägers der Kern des seelischen Problems und wohl willentlich nicht überwindbar. Aufgrund dessen bestimmen die vom Kläger demonstrierten Funktionsstörungen, auch wenn man eine gewisse demonstrative Komponente subtrahiert, tatsächlich in diesem Ausmaß auch weitestgehend seinen Alltag, so schlüssig und überzeugend der Sachverständige.

Zu dieser Überzeugung ist im Übrigen auch Dr. Ha. gelangt. Auch gegenüber Dr. Ha. hat der Kläger jegliche Diskussion über eine seelische Komponente seiner Erkrankung abgewehrt und daran festgehalten, nicht etwa psychisch krank, sondern nur schwer herzkrank zu sein, was aber niemand so richtig ernst nehme, weshalb der Kläger tief enttäuscht, gekränkt und verbittert ist. Dementsprechend hat auch Dr. Ha. die von ihm festgestellten, eindeutig demonstrierten Verhaltensweisen des Klägers vor dem Hintergrund von dessen tiefer Enttäuschung, Kränkung und auch Verbitterung darüber, dass man ihn für psychisch krank und nicht als schwer herzkrank anschaue, gesehen. Auch Dr. Ha. hat keinen Zweifel an einem erheblichen Leidensdruck des Klägers und geht von einer ausgeprägten, fixierten und einer willentlichen Beeinflussung weitgehend entzogenen seelischen Störung aus, aufgrund derer ein aufgehobenes Leistungsvermögen auch für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts vorliege.

Soweit die beiden Versorgungsärzte Dr. Sc. und Dr. Wo. in ihren Stellungnahmen in einer schon stereotyp zu bezeichnenden Weise unter Bezugnahme auf „einschlägige Rechtsprechung“ des LSG gegen die Beurteilung des Dr. Ha. und des Sachverständigen Prof. Dr. St. die fehlende psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung einwenden, wirkt dies im vorliegenden Fall ausgesprochen unreflektiert und vermag nicht zu überzeugen. Prof. Dr. St. hat auch insofern überzeugend dargelegt, dass die Frage, ob eine Behandlung stattfindet, vorliegend nicht maßgeblich sein kann. Denn gerade bei einer solchen schweren psychischen Störung beim Kläger gilt der Grundsatz, wonach je schwerer die Störung ist, desto weniger Therapie häufig stattfindet. Während bei leichteren Störungen eine nicht stattfindende Therapie ein Hinweis für fehlenden Leidensdruck sein kann, so spricht dieser Umstand bei schwereren Störungen eher für fehlende Krankheits- und Behandlungseinsicht. Gerade im Falle des Klägers, bei dem sowohl Dr. Ha. wie auch der Sachverständige überzeugend das Unvermögen des Klägers, eine psychische Genese für seine Gesundheitsbeeinträchtigungen auch nur in Erwägung zu ziehen, herausgearbeitet haben, liegt es auf der Hand, dass die fehlende Behandlung auf seelischem Gebiet nicht etwa auf fehlendem Leidensdruck, sondern auf diesem ausschließlich somatischen Krankheitsverständnis unter vollständigen Negierung einer seelischen Komponente beruht.

Auch zur Überzeugung des Senats liegt somit beim Kläger eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor, wobei es in Anbetracht der Schwere und der Unzugänglichkeit der Störung gut vertretbar erscheint, den oberen Wert des eingeräumten Beurteilungsrahmens zu wählen. Eine schwere Störung mit bereits mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten, die mit einem Einzel-GdB von wenigstens 50 zu bewerten wäre, ist dagegen, so zu Recht der Sachverständige, angesichts der noch vorhandenen sozialen Integration mit entsprechenden Aktivitäten, wie beispielsweise der regelmäßigen Betreuung der getrennt bei der ehemaligen Ehefrau lebenden Kinder des Klägers, den noch vorhandenen Kontakten mit Freunden, der Versorgung von Haushalt und Garten und auch den gelegentlichen Jagdteilnahmen eindeutig zu verneinen.

Die beim Kläger weiterhin vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund seiner Herzerkrankung sind mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten.

Gemäß den VG, Teil B, Nr. 9.1.1 sind Einschränkungen der Herzleistung ohne eine wesentliche Leistungsbeeinträchtigung (keine Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse Schmerzen) selbst bei gewohnter stärkerer Belastung (z. B. sehr schnelles Gehen [7–8 km/h], schwere körperliche Arbeit), keine Einschränkung der Solleistung bei Ergometerbelastung; bei Kindern und Säuglingen (je nach Alter) beim Strampeln, Krabbeln, Laufen, Treppensteigen keine wesentliche Leistungsbeeinträchtigung, keine Tachypnoe, kein Schwitzen, mit einem Einzel-GdB von 0 bis 10 und solche mit einer Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung (z. B. forsches Gehen [5–6 km/h], mittelschwere körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten); bei Kindern und Säuglingen Trinkschwierigkeiten, leichtes Schwitzen, leichte Tachy- und Dyspnoe, leichte Zyanose, keine Stauungsorgane, Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 1 Watt/kg Körpergewicht mit einem Einzel-GdB von 20 bis 40 zu bewerten. Liegen weitere objektive Parameter zur Leistungsbeurteilung vor, sind diese entsprechend zu berücksichtigen. Notwendige körperliche Leistungsbeschränkungen (z. B. bei höhergradiger Aortenklappenstenose, hypertrophischer obstruktiver Kardiomyopathie) sind wie Leistungsbeeinträchtigungen zu bewerten.

Nach diesen Maßstäben ist die Bewertung mit einem Einzel-GdB von 20 nicht zu beanstanden. So hat der Versorgungsarzt Dr. Z. in seiner Stellungnahme vom November 2015 unter Bezugnahme auf die im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren vorgelegten ärztlichen Befundberichte zutreffend darauf verwiesen, dass beim Kläger ein (nur) geringer linksventrikulärer Herzmuskelschaden vorliegt. Dr. V. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 18.10.2016 eine weiterhin leichtgradig eingeschränkte systolische linksventrikuläre Pumpfunktion bestätigt und über die hypertensive Herzerkrankung ohne relevante diastolische Dysfunktion des linken Ventrikels berichtet. Er ist aufgrund der Angaben des Klägers über eine Belastungsdyspnoe von einer Herzinsuffizienz im Stadium NYHA I-II ausgegangen und hat dabei selbst einschränkend angemerkt, dass bei der ergometrischen Untersuchung im März 2016 nicht etwa die Dyspnoesymptomatik sondern ein Tremor der Hände und Finger sowie eine Kaltschweißigkeit zum Abbruch der Untersuchung geführt habe. Ob diese Symptomatik als Ausdruck einer kardiopulmonalen Limitierung aufgrund einer Herzinsuffizienz gewertet werden müsse oder vielmehr doch Ausdruck einer psychosomatischen Erkrankung sei, müsse dahingestellt bleiben. Sofern sich die eingeschränkte körperliche Belastbarkeit von 75 Watt auf eine kardiopulmonale Limitierung zurückführen lasse, erachte er einen GdB von 30 auf kardiologischem Fachgebiet für angemessen.

Zu Recht hat der Versorgungsarzt Dr. G. in seiner Stellungnahme vom 13.01.2017 in diesem Zusammenhang aber festgestellt, dass eine kardiale Leistungsbeeinträchtigung bereits auf dem Niveau von 75 Watt gerade nicht belegt ist. Weder im Rahmen des Belastungs-EKG im März 2016 bei Dr. V. noch bei Durchführung des Belastungs-EKG im Juni 2016 in der Klinik H. ist es bei der Belastung bis 75 Watt zu signifikanten EKG-Veränderungen gekommen. Das spricht dafür, dass auch die vom Kläger beklagte subjektive Dyspnoe Ausdruck der schweren Somatisierungsstörung ist, die Dr. Ha. und der Sachverständige Prof. Dr. St. diagnostiziert haben und wovon auch die Ärzte der Klinik H., der Hausarzt Dr. Si. und letztlich auch Dr. V. in dem seiner sachverständigen Zeugenaussage beigefügten Arztbrief vom 23.03.2016 ausgegangen sind. Der nach dem Herzinfarkt im Januar 2014 verbliebenen kardialen Restsymptomatik ist daher mit einem Einzel-GdB von 20, der ja bereits Beschwerden und das Auftreten pathologischer Messdaten auf dem Belastungsniveau von 75 Watt erfasst, in ausreichendem Umfang entsprochen, so Dr. G..

Die Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet können nicht mit einem höheren GdB als 10 berücksichtigt werden. Dr. Fr. hat beim Kläger nach Ausschluss eines raumfordernden Bandscheibenvorfalls oder einer knöchernen Stenose durch bildgebende Verfahren ein chronisches Wirbelsäulensyndrom mit rezidivierenden Funktionsbeeinträchtigungen der Lendenwirbelsäule diagnostiziert. Eine von ihm angeregte neurologische Abklärung durch Dr. Kr. ergab keinen Befund. Obwohl sowohl Dr. Ha. wie auch der Sachverständige Prof. Dr. St. eindeutige körperliche Funktionseinschränkungen auch im Bereich der Wirbelsäule überhaupt nicht feststellen konnten, hat der Kläger jeweils eine Mitarbeit bei der körperlichen Untersuchung insoweit mit Hinweis auf Schmerzen („geht nicht, tut weh“, so gegenüber Dr. Ha.) bzw. unter Hinweis auf eine Sturzgefährdung (gegenüber Prof. Dr. St.) abgelehnt. Damit sind wenigstens mittelgradige funktionelle Auswirkungen in wenigstens einem Wirbelsäulenabschnitt, die Voraussetzung für eine Bewertung mit einem Einzel-GdB von zumindest 20 wären (VG, Teil B, Nr. 18.9), nicht nachgewiesen, so zu Recht Dr. G..

Die danach beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen können keinen Gesamt-GdB von mehr als 40 rechtfertigen.

Ausgehend von den Gesundheitsstörungen auf seelischem Gebiet als der Funktionsbeeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB, nämlich 40, rechtfertigt der weitere Einzel-GdB von 20 für die Herzerkrankung keine Erhöhung des Gesamt-GdB. Denn zum einen überschneiden sich die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf seelischem und kardiologischem Gebiet bzw. werden die durch die Funktionsbeeinträchtigung auf seelischen Gebiet hervorgerufenen Gesundheitsstörungen durch die der kardiologischen Erkrankung geschuldeten Gesundheitsstörungen nicht verstärkt (VG, Teil A Nr. 3 Buchst. d cc) bzw. dd). Dies hat bereits Prof. Dr. St. eingeräumt, der von gewissen, allerdings nicht vollständigen Überschneidungen zwischen den beiden Gesundheitsstörungen ausgegangen ist. Tatsächlich liegt hier aber sogar eine deutliche gegenseitige Überschneidung vor, so Dr. Wo. in seinen Stellungnahmen vom 28.06.2017 vom 19.06.2019. Denn die Somatisierungsstörung des Klägers äußert sich maßgeblich in einem vom Kläger als Ausdruck einer kardialen Erkrankung empfundenen Beschwerdekomplex. Dies zeigt sich bereits in der von den Ärzten der Fachkliniken W. gestellten Diagnose eines Verdachts auf eine manifestierte Herzneurose, wobei das vom Kläger beklagte Symptomemspektrum noch deutlich über eine bloße Herzneurose hinausgeht, so Prof. Dr. St.. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass, wie bereits dargelegt, es bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt ist, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. d ee). Zutreffend hat insoweit der Versorgungsarzt Dr. Sc. eine zusätzliche Teilhabebeeinträchtigung des Klägers durch die koronare Herzkrankheit – über die aufgrund der psychischen Erkrankung bereits angenommene wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit hinaus – abgelehnt, weil bei dem Kläger, der durchaus noch in der Lage ist, die Haus- und Gartenarbeit zu verrichten und gelegentlich zur Jagd zu gehen, eine alltagsrelevante Herzleistungsminderung zu verneinen ist.

Die weitere Funktionsbeeinträchtigung auf orthopädischem Gebiet, die maximal mit einem Einzel GdB von 10 zu bewerten ist, führt gemäß den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. d ee), S. 1 gleichfalls nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Behinderung.

Somit ist beim Kläger von einem Gesamt-GdB von 40 auszugehen und ist auf die Berufung des Beklagten hin der Gerichtsbescheid des SG vom 24.05.2019 entsprechend abzuändern und die Klage des Klägers insoweit abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.



Versorungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung