prophylaktische Mastektomie bei erhöhtem Brustkrebsrisiko


SG Karlsruhe 14. Kammer
22.06.2017
S 14 KR 3991/16
Juris



Leitsatz

Nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse besteht kein hinreichendes Potential einer erfolgreichen Behandlungsalternative für eine prophylaktische Mastektomie bei erhöhtem Brustkrebsrisiko, wenn keine BRCA 1 - oder BRCA 2 - Genmutation vorliegt.


Tatbestand

Im Streit steht eine nipple-sparing Mastektomie mit anschließender Implantatrekonstruktion der linken Brust als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Die 1988 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger litt unter einem Mammakarzinom an der rechten Brust. Im April 2015 erfolgte deswegen bereits eine nipple-sparing Mastektomie der rechten Brust mit anschließender Implantatrekonstruktion.

Unter Vorlage eines ärztlichen Berichtes der Frauenklinik des Universitätsklinikums T. vom 25.11.2015, beantragte die Klägerin am 12.02.2016 eine prophylaktische Mastektomie links. Dem ärztlichen Bericht ist zu entnehmen, dass die humangenetische Diagnostik keinen Genmutationsnachweis gezeigt habe, die Klägerin jedoch im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung auf Grund des jungen Erkrankungsalters ein erhöhtes Erkrankungsrisiko habe. Der Wunsch der Klägerin nach einer prophylaktischen Mastektomie links werde daher unterstützt. Empfohlen werde eine nipple-sparing Mastektomie mit Implantatrekonstruktion links.

Mit Schreiben vom 16.02.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, der Antrag sei dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) weitergeleitet worden. Mit Schreiben vom 23.02.2016 forderte die Beklagte bei der Klägerin einen ausführlichen Facharztbrief der humangenetischen Untersuchung an, welchen die Klägerin mit Eingang am 29.03.2016 überließ.

Daraufhin erteilte der MDK unter dem 07.04.2016 ein sozialmedizinisches Gutachten. In diesem kam der Gutachter W. zu dem Ergebnis, die medizinischen Voraussetzungen für die beantragte Leistung seien nicht erfüllt. Bei der Klägerin sei im April 2015 auf Grund eines G3 Mammakarzinoms rechts eine nipple-sparing Mastektomie und Implantation eines Implantates rechts mit anschließender Radiatio und Chemotherapie erfolgt. Eine humangenetische Untersuchung habe keine Gen-Mutationen gezeigt. Damit bestehe kein Hinweis auf das Vorliegen einer familiären Disposition. Eine Wahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung der eigenen Erkrankung Anlagenträgerin zu sein liege im Bereich der Allgemeinbevölkerung. Entsprechend der S3-Leitlinie für Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms könne die Kostenübernahme für eine prophylaktische Mastektomie nicht empfohlen werden.

Mit Bescheid vom 11.04.2016 lehnte die Beklagte den Antrag unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK ab.

Hiergegen erhob die Klägerin am 11.05.2016 Widerspruch. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, sie habe durch den Austausch mit anderen Betroffen und deren Erfahrungen erleben müssen, dass der Krebs auch ohne Gendefekt in der anderen Brust zurück gekommen sei. Sie verwies auf den ärztlichen Bericht der Frauenklinik T. vom 25.11.2015. Im Nachgang überließ die Klägerin außerdem ein Attest der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie T. vom 30.05.2016, wonach der Wunsch der Klägerin auch zur Verhinderung einer Destabilisierung des psychischen Zustandes befürwortet werde.

Die Beklagte beauftragte erneut den MDK mit einer Begutachtung. Dr. U. gelangte in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 11.07.2016 wieder zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung nicht erfüllt seien. Die leitliniengerechte Nach- bzw. Vorsorge sowie eine begleitende Psychotherapie seien ausreichend und empfehlenswert.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2016 wies die Beklagte auch den Widerspruch der Klägerin zurück und berief sich zur Begründung auf die Gutachten des MDK.

Hiergegen richtet sich die am 21.11.2016 zum Sozialgericht Karlsruhe erhobene Klage. Die Klägerin beruft sich zur Begründung der Klage im Wesentlichen auf die bereits im Verwaltungsverfahren überlassenen Berichte des Universitätsklinikums T.. Es liege ein deutlich erhöhtes Erkrankungsrisiko vor. Der Klägerin sei nicht zuzumuten den Beginn der Erkrankung abzuwarten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 11.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.11.2016 zu verurteilen, die Kosten einer nipple-sparing Mastektomie mit anschließender Implantatrekonstruktion der linken Brust zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und beruft sich zur Begründung auf das Verwaltungsverfahren und die Stellungnahmen des MDK.

Sie hat mitgeteilt, dass die voraussichtlichen Kosten für die begehrte Leistung bei 7004,87 Euro betragen würden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte und auf die Gerichtsakte Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 11.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.11.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer nipple-sparing Mastektomie mit anschließender Implantatrekonstruktion der linken Brust zu Lasten der GKV.

1. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V auch die Krankenhausbehandlung. Die Krankenhausbehandlung umfasst im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere ärztliche Behandlung nach § 28 Abs. 1 SGB V (§ 39 Abs. 1 Satz 3 SGB V) Gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst die ärztliche Behandlung die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Insoweit entspricht die Vorgabe des § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wonach die Leistungen der Krankenkassen der GKV ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).

Dabei überprüft der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden oder angewandt werden sollen, daraufhin, ob sie für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind (§ 137c Abs. 1 SGB V). Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der Gemeinsame Bundesausschuss bisher keine Entscheidung nach Absatz 1 getroffen hat, dürfen im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist (§ 137c Abs. 1 SGB V).

Die hier streitige Mastektomie links mit anschließender Implantatrekonstruktion, stellt bei der hier vorliegenden Indikation eine sog. „neue“ Behandlungsmethode dar. Bei der vorliegenden Indikation (erhöhtes Erkrankungsrisiko an Brustkrebs) ist die Mastektomie nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) für vertragsärztliche Leistungen enthalten. Diese Leistung bedarf mithin der Empfehlung des GBA. Der GBA hat bislang jedoch über eine prophylaktische Mastektomie zur Behandlung eines erhöhten Erkrankungsrisikos nicht entschieden. Die prophylaktische Mastektomie ist deshalb vom Leistungsumfang der GKV nicht mit umfasst.

Ein Ausnahmefall, in dem es keiner positiven Empfehlung des GBA bedarf, liegt nicht vor. Die prophylaktische Mastektomie bietet bei vorliegender Indikation insbesondere nicht das Potenzial einer erfolgreichen Behandlungsalternative gem. § 137c Abs. 3 SGB V. Denn diese entspricht (bei vorliegender Indikation) nicht den erforderlichen Qualitätsanforderungen, die an eine zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchzuführende Behandlungsmethode zu stellen sind. Es entspricht nicht dem derzeitigen wissenschaftlichen Stand der Dinge eine prophylaktische Mastektomie bei einem erhöhten Erkrankungsrisiko an Brustkrebs auf Grund eines jungen Erkrankungsalters durchzuführen. Nach der interdisziplinären S3-Leitlinie für Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms, herausgegeben von der Deutschen Krebsgesellschaft, der Deutschen Krebshilfe und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), ist eine solche Maßnahme lediglich bei der Risikogruppe 5, also bei Frauen mit BRCA 1- oder BRCA 2- Genmutation indiziert. Eine solche Genmutation liegt im Falle der Klägerin jedoch (unstreitig) nicht vor.

Die Klägerin kann ihren Anspruch auch nicht auf ein Systemversagen stützen. Ein solches Systemversagen wegen verzögerter Bearbeitung eines Antrags auf Empfehlung einer neuen Methode (vgl. dazu BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190) liegt nicht vor, da ein entsprechender Antrag bislang noch nicht gestellt wurde. Auch ein Seltenheitsfall ist nicht gegeben. Voraussetzung wäre ein singulärer Krankheitsfall, so dass generelle wissenschaftliche Aussagen zur Therapie der Krankheit infolge der geringen Zahl an Patienten so gut wie ausgeschlossen sind (BSG 19.10.2004, B 1 KR 27/02 R, BSGE 93, 236-252). Das Mammakarzinom gehört zu den häufigsten malignen Tumoren bei Frauen. Ein erhöhtes Erkrankungsrisiko betrifft alle bereits an einem Mammakarzinom erkrankte Frauen. Ein Seltenheitsfall liegt damit nicht vor. Die positive Empfehlung des GBA nach § 137c SGB V ist somit nicht entbehrlich.

Auch mittels einer grundrechtsorientierten Auslegung der Regelungen des SGB V kann vorliegend nicht auf das Erfordernis einer positiven Empfehlung des GBA nach § 137c SGB V verzichtet werden. Denn eine derartige verfassungskonforme Auslegung setzt u.a. voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25-51; BSG 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, BSGE 96, 170-182; BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R, BSGE 96, 153-161; seit 01.01.2012: § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V). Daran fehlt es vorliegend. Ein bloßes Erkrankungsrisiko hat an sich keinen Krankheitswert und ist damit nicht lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufend. Auf Grund der in der Vergangenheit aufgetretenen Brusterkrankung besteht lediglich die Möglichkeit, dass sich auch in der linken Brust ein Karzinom entwickelt. Dieses Risiko hat sich jedoch bei der Klägerin noch nicht realisiert.

Das Erkrankungsrisiko der Klägerin ist auch nicht mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung vergleichbar. Das BSG hat das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit und eine Gleichstellung selbst bei einem Prostatakarzinom im Anfangsstadium ohne Hinweise auf metastatische Absiedlungen verneint (BSG Urteil vom 04.04.2006, B 1 KR 12/05 R, SozR 4-2500 § 27 Nr. 8) und ausgeführt, es handele sich nicht um eine notstandsähnliche Extremsituation, in denen das Leistungsrecht der GKV aus verfassungsrechtlichen Gründen gegenüber den allgemein geltenden Regeln zu modifizieren wäre. Dementsprechend kann bei einem bloßen Erkrankungsrisiko erst recht nicht von einem solchen Fall ausgegangen werden.

Es stehen außerdem allgemein anerkannte, dem medizinischem Standard entsprechende Untersuchungsmethoden zur Verfügung. Auch aus diesem Grund scheidet eine verfassungskonforme Auslegung des geltenden Rechts aus (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25-51; BSG 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, BSGE 96, 170-182). Insoweit hat die Beklagte bereits auf die Risikopräventionsuntersuchungen hingewiesen.

Ein Anspruch auf Kostenübernahme ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass medizinische Leistungen zur Verhütung von Krankheiten und Prävention (§§ 20 ff SGB V) zum Leistungsumfang der GKV zählen. Auch im Rahmen von Vorsorgeleistungen erbrachte neue Behandlungsmethoden unterliegen dem Erlaubnisvorbehalt des § 137c SGB V.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.



Versorungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung