Gleichstellung und Verbeamtung

Gleichstellungsantrag zur Verbesserung der Chancen auf angestrebte Verbeamtung


Hessisches Landessozialgericht 7. Senat
20.09.2013
L 7 AL 7/13
Juris



Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gleichstellung im Sinne des § 2 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).

Der 1960 geborene Kläger hat ein Studium an der Fachhochschule A-Stadt in der Fachrichtung Ingenieur-Informatik mit einem Diplom abgeschlossen. Seit dem 1. Februar 2004 ist er bei dem C. Informationstechnik (C.) im Angestelltenverhältnis in der Stabsstelle Innenrevision mit Dienstsitz in A-Stadt beschäftigt. Bereits durch Bescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales vom 11. September 2003 wurde bei ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt. Danach leidet er an Funktionsstörungen des linken Kniegelenkes, Herzschaden, Bluthochdruck und Beschwerden des rechten Ellenbogens.

Am 9. August 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Zur Begründung führte er aus, er benötige die Gleichstellung, da er die Beamtenlaufbahn einschlagen wolle. Er könne zwar seine derzeitige Tätigkeit mit behinderungsbedingten Einschränkungen weiterhin ausüben; das Arbeitsverhältnis sei auch nicht gekündigt. Von schwerbehinderten Menschen werde jedoch für die Beamtenlaufbahn nur ein Mindestmaß an körperlicher Eignung vorausgesetzt.

Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens holte die Beklagte eine Stellungnahme der zuständigen Schwerbehindertenvertretung ein. Nach deren Auffassung sei der derzeitige Arbeitsplatz des Klägers behindertengerecht ausgestattet. Eine innerbetriebliche Umsetzung sei wegen der Auswirkungen der Behinderung nicht erforderlich. Auch sei der Arbeitsplatz aufgrund behinderungsbedingter Auswirkungen oder aus sonstigen Gründen nicht gefährdet. Der Stellungnahme fügte die Schwerbehindertenvertretung das amtsärztliche Gesundheitszeugnis vom 21. September 2010 bei, wonach der Kläger als Beamter im nicht-technischen Dienst aus gesundheitlichen Gründen nicht geeignet sei. Auf die entsprechende Aufforderung der Beklagten machten der Arbeitgeber und die Personalvertretung im Wesentlichen gleichlautende Ausführungen.

Mit Schreiben vom 13. Oktober 2010 teilte das C. dem Kläger mit, dass derzeit die Möglichkeit bestehe, Tarifbeschäftigten, die die Voraussetzungen erfüllen, die Laufbahnbefähigung für den nichttechnischen Verwaltungsdienst bzw. für den naturwissenschaftlichen Dienst anzuerkennen. Mangels Einrichtung der technischen Laufbahn beim C. könne eine Anerkennung der Laufbahnbefähigung und eine Übernahme des Klägers in ein Beamtenverhältnis nicht erfolgen. Sein abgeschlossenes Ingenieurstudium der Informatik sei der technischen Laufbahn und nicht der naturwissenschaftlichen Laufbahn zuzuordnen. Im Übrigen bestünden gesundheitliche Bedenken. Der Kläger erfülle nicht die nach § 9 Bundesbeamtengesetz geforderte gesundheitliche Eignung. Eine Übernahme in ein Beamtenverhältnis könne daher nicht befürwortet werden.

Mit Bescheid vom 29. Oktober 2010 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gleichstellung mit der Begründung ab, dass sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass der Arbeitsplatz im Angestelltenverhältnis aus behinderungsbedingten Gründen gefährdet und der Kläger zur Erhaltung dieses Arbeitsplatzes auf den Schutz des Schwerbehindertenrechts angewiesen sei. Die beabsichtigte Verbeamtung sei kein Anerkennungsgrund für eine Gleichstellung.

Hiergegen richtet sich der am 23. November 2011 erhobene Widerspruch zu dessen Begründung der Kläger ausführte, dass er als behinderter Mensch diskriminiert werde. Durch die Verweigerung der Gleichstellung sei ihm die Möglichkeit der Verbeamtung verwehrt. Im Übrigen handele es sich um eine Neueinstellung in das Beamtenverhältnis.

Durch Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, die arbeitsmarktliche Wettbewerbssituation beschäftigter behinderter Menschen konkretisiere sich zunächst in der Situation am gegenwärtigen Arbeitplatz. Es müsse eine konkrete Gefährdung des Arbeitsplatzes gegeben sein. Wegen der geforderten Kausalität sei zu prüfen, ob die Schwierigkeiten des behinderten Menschen an diesem Arbeitplatz, insbesondere Befürchtungen, ihn zu verlieren, maßgeblich auf die Auswirkung der gesundheitlichen Einschränkungen zurückzuführen seien. Eine konkrete Gefahr, den Arbeitsplatz wegen der Behinderung nicht behalten zu können, sei vorliegend nicht dargetan. Nach eigenen Angaben könne der Kläger seine berufliche Tätigkeit ohne Einschränkungen weiterhin ausüben. § 2 Abs. 3 SGB IX bezwecke, behinderte Menschen vor einer für sie ungünstigen Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt zu schützen. Eine solche trete ein, wenn der innegehabte Arbeitsplatz verloren zu gehen drohe oder der behinderte Mensch, der nicht über einen Arbeitsplatz verfüge, auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ausweichen und dort in Konkurrenz mit gesunden und in ihrer Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigten Arbeitnehmern treten müsse.

Einer solchen Situation sei der Kläger nicht ausgesetzt. Er habe einen angemessenen und geeigneten Arbeitsplatz inne, der erkennbar nicht gefährdet sei. Dies ergebe sich auch aus den eingeholten Stellungnahmen des Personalrates und der Schwerbehindertenvertretung. Vielmehr sei die Gleichstellung allein deshalb beantragt worden, um mit ihrer Hilfe die Übernahme in das Beamtenverhältnis zu erreichen. Die Gleichstellung diene jedoch nicht dem Aufstieg in eine bessere berufliche Stellung, wenn der Behinderte einen angemessenen Arbeitsplatz besitze. Hiervon sei im Fall des Klägers auszugehen.

Hiergegen hat der Kläger am 28. März 2011 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Die von der Beklagten angeführte Begründung der Zurückweisung seines Antrages sei unzutreffend, da gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX eine Gleichstellung auch erfolgen solle, wenn ein geeigneter Arbeitsplatz infolge einer Behinderung nicht erlangt werden könne. Dies treffe in seinem Fall zu. Er habe eine Verbeamtung beantragt. Auf Grund eines amtsärztlichen Gutachtens in Verbindung mit seiner Behinderung sei er für eine Verbeamtung nicht geeignet. Mit einer Gleichstellung, welche ihm im Übrigen am 8. November 2004 von der Agentur für Arbeit zugesichert worden sei, wäre diese Verbeamtung möglich. Durch die Verweigerung der Gleichstellung könne er sich beruflich nicht mehr weiter entwickeln. Nur die Verbeamtung ermögliche ihm die berufliche Weiterentwicklung. Die Versagung der Gleichstellung sei rechtswidrig und aufzuheben.

Die Beklagte hat sich zur Begründung ihres Antrages auf die im Widerspruchsbescheid gemachten Ausführungen bezogen. Ergänzend trägt sie vor, dass nach ihrer Auffassung die Schutzregelung des § 2 Abs. 3 SGB IX nicht so weitreichend sei, dass damit auch bei Nichtgefährdung eines vorhandenen, geeigneten Arbeitsplatzes das Begehren, in einem Beamtenverhältnis weiterbeschäftigt zu werden bzw. in ein solches übernommen zu werden, umfasst wäre. Insoweit müssten besondere Ansprüche des Betroffenen für die Beurteilung, ob eine Hilfe in Form der Gleichstellung notwendig ist, unberücksichtigt bleiben.

Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht Frankfurt am Main mit Gerichtsbescheid vom 4. Dezember 2012, der Beklagten zugestellt am 14. Dezember 2012, den Bescheid vom 9. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2011 aufgehoben und die Beklagte - unter Abweisung der Klage im Übrigen - verpflichtet, über den Antrag des Klägers vom 9. August 2010 über die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die zulässige Klage sei begründet. Die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte verkenne vorliegend, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 SGB IX nicht nur kumulativ, sondern auch alternativ vorliegen könnten (Verweis auf BSG, Urteil vom 1. März 2011, B 7 AL 6/10 R). Insoweit hätte sie auch bei Nichtgefährdung des Arbeitsplatzes des Klägers - wie im vorliegenden Fall - prüfen müssen, ob die Voraussetzungen der 1. Alternative des § 2 Abs. 3 SGB IX (Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes) vorliegen.

Ausweislich des Schreibens des C. vom 13. Oktober 2010 bestünden gesundheitliche Bedenken betreffend die Eignung des Klägers für die Beamtenlaufbahn. Der Kläger erfülle nicht die nach § 9 Bundesbeamtengesetz geforderte gesundheitliche Eignung. Eine Übernahme in ein Beamtenverhältnis könne daher nicht befürwortet werden. Gerade der Inhalt dieses Schreibens verdeutliche, dass der Kläger aufgrund seiner Behinderung nicht in der Lage sei, die von ihm angestrebte Beamtenlaufbahn einzuschlagen. Hierdurch ergebe sich eine für ihn ungünstige Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt, welche es zu verbessern gelte. Die ratio der Gleichstellungsregelung greife insoweit zur Überzeugung des Gerichts durchaus ein.

Mit der Vorschrift „soll“ in § 2 Abs. 3 SGB IX habe der Gesetzgeber der Beklagten zudem ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gebe ihr nur dann die Möglichkeit zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigten (atypischer Fall). Da die Beklagte die 1. Alternative von § 2 Abs. 3 SGB IX grundsätzlich nicht in Erwägung gezogen habe, habe sie insoweit auch die entsprechende Ermessensprüfung unterlassen. Ein prüfungsrelevanter Ermessensausfall sei somit gegeben. Dies werde seitens der Beklagten in der neuen Entscheidung über den Gleichstellungsantrag nachzuholen sein. Eine Ermessensreduzierung auf Null vermöge das Gericht im vorliegenden Fall nicht zu erkennen, weswegen es bei der Verurteilung zur Bescheidung bleibe.

Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist am 11. Januar 2013 bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingegangen.

Die Beklagte trägt vor, die Gleichstellung diene dazu, eine ungünstige Konkurrenzsituation des behinderten Menschen am Arbeitsplatz oder auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und somit den Arbeitsplatz sicherer zu machen oder die Vermittlungschancen zu erhöhen. Die Regelung bezwecke den Schutz vor einer für den behinderten Menschen ungünstigen Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt. Einer solchen Situation sei der Kläger nicht ausgesetzt. Der Kläger habe einen angemessenen und geeigneten Arbeitsplatz. Besondere Ansprüche des Betroffenen müssten bei der Beurteilung, ob die Gleichstellung angezeigt sei, unberücksichtigt bleiben. Um einen solchen besonderen Anspruch handele es sich bei dem Begehren, mit Hilfe der Gleichstellung in einem Beamtenverhältnis beschäftigt zu werden und nicht im Wege eines unbefristeten Angestelltenverhältnisses. Etwas anderes folge auch nicht aus dem Umstand, dass § 73 Abs. 1 SGB IX als Arbeitsplatz auch Stellen nenne, auf denen Beamtinnen und Beamte beschäftigt würden. Der Begriff des Arbeitsplatzes bestimme sich rein rechnerisch, weder in einem gegenständlich-räumlichen Sinne, noch in einem funktionalen Sinne als Inhalt dessen, was arbeitsvertraglich von einem Beschäftigten verlangt werde. Die Auffassung des Sozialgerichts, den Begriff des Arbeitsplatzes im Sinne einer rechtlich-funktionalen Definition zu verstehen, sei demnach unzutreffend.

Schließlich gebe auch das an den Kläger gerichtete Schreiben des C. vom 13. Oktober 2010 Hinweise darauf, dass gesundheitliche Gründe bzw. die Behinderungen gar nicht der wesentliche Grund dafür seien, dass der Kläger nicht in ein Beamtenverhältnis übernommen werde. Wie das C. ausführe, könne schon mangels Einrichtung einer technischen Laufbahn beim C. eine Anerkennung der Laufbahnbefähigung des Klägers und eine Übernahme in ein Beamtenverhältnis nicht erfolgen.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. Dezember 2012 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er legt zum Nachweis, dass im C. auch eine Laufbahn des Technischen Verwaltungsdienstes eingerichtet wurde, ein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 19. Oktober 2010 vor, aus dem sich dies ausdrücklich ergebe. Im Übrigen sei die Berufungsbegründung der Beklagten nicht geeignet, die überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts Frankfurt am Main im Gerichtsbescheid vom 4. Dezember 2012 zu widerlegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide zu Recht aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag des Klägers auf Gleichstellung vom 9. August 2010 erneut zu entscheiden. Die Frage, ob die Beklagte mangels Vorliegens einer atypischen Fallgestaltung - und somit ohne Berücksichtigung von Ermessensgesichtspunkten - zu verpflichten gewesen wäre, eine Gleichstellung nach § 2 Abs. 3 SGB IX auszusprechen, bedarf demgegenüber keiner Entscheidung, da der Kläger - im Hinblick auf die ihn insoweit treffende Klageabweisung - keine Berufung eingelegt hat.

Nach § 2 Abs. 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen (mit einem GdB von wenigstens 50; § 2 Abs. 2 SGB IX) gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz i.S. des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können.

Beim Kläger wurde mit Bescheid vom 11. September 2003 ein GdB von 30 festgestellt.

Hinsichtlich des geeigneten Arbeitsplatzes ist auf die angestrebte Tätigkeit im Beamtenverhältnis abzustellen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dabei nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung von einer rechtlich-funktionalen Dimension des Arbeitsplatzbegriffs auszugehen. Insoweit hat der 6. Senat des Hessischen Landessozialgerichts in einer - zur gleichen Problematik kürzlich ergangenen - Entscheidung vom 19. Juni 2013 (Aktenzeichen: L 6 AL 116/12, juris Rdn. 28 f.) folgendes ausgeführt:

„Arbeitsplatz ist hiernach diejenige Stelle, in deren Rahmen eine bestimmte Tätigkeit auf der Grundlage eines Arbeits-, Dienst oder Ausbildungsverhältnisses mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten vollzogen wird (BVerwG, Urteil vom 8. März 1999 - 5 C 5/98 – Rn. 12 nach juris; = NZA 1999, 826; Trenk-Hinterberger in: Lachwitz/Schellhorn/Welti, HK-SGB IX, 3. Aufl. 2010, § 73, Rn. 5 m.w.N.). Der Arbeitsplatzbegriff des § 73 SGB IX hat zwar zunächst eine rechnerische Komponente, wie die Beklagte zu Recht hervorhebt, wenn es etwa um die Ermittlung des Umfanges der Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers geht. Sie hat aber auch einen rechtlich-funktionalen Bedeutungsgehalt. Nur die Einbeziehung funktionaler Kriterien ermöglicht eine Feststellung, ob z.B. ein Ersatzbeschäftigungsverhältnis oder eine Vertretung im Sinne des § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX vorliegen, bei denen jeweils nur ein Arbeitsplatz zu berücksichtigen ist, oder ob es sich um zusätzlich zu zählende Arbeitsplätze handelt (jurisPK-Goebel § 73 Rn. 8 m.w.N.). Auf die rechtlich-funktionalen Qualitäten des Arbeitsplatzes, insbesondere bei den Eigenheiten der Rechtsstellung aus dem dem Arbeitsplatz zugrundeliegenden Rechtsverhältnis, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch bei Prüfung der Arbeitsplatzgefährdung im Rahmen des § 2 Abs. 3 SGB IX abzustellen (vgl. speziell zum Beamtenverhältnis: BSG, Urteil vom 1. März 2011 – B 7 AL 6/10 R – Rn. 13 nach juris).

Ohne eine rechtlich-funktionale Betrachtungsweise des Arbeitsplatzbegriffs könnte das SGB IX nicht seinem Auftrag aus Art. 21 und 26 der Charta der der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz, sowie §§ 7, 8, 24 AGG i.V.m. § 9 Beamtenstatusgesetz, § 8 Hessisches Beamtengesetz gerecht werden. Ein diskriminierungsfreier Zustand ist nach den genannten Vorschriften nicht bereits dann hergestellt, wenn ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, die regelmäßig im Beamtenverhältnis ausgeübt wird; vielmehr müssen Gesetzgeber und Dienstherr die Voraussetzungen zum Zugang zum Beamtenverhältnis in der Weise modifizieren, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausübung der entsprechenden Tätigkeit gerade im Beamtenverhältnis ermöglicht wird (vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 25. Januar 2011 – 5 LC 190/09 – juris; von Roetteken, jurisPR-ArbR 36/2011 Anm. 5). Aus den vorgenannten Umständen folgt auch, dass der Kläger mit der von ihm verfolgten Zielsetzung der Gleichstellung, die Lebenszeiternennung zu erreichen, keinesfalls „besondere Ansprüche“ verfolgt, die nicht für eine Arbeitsplatzgefährdung herangezogen werden könnten. Er begehrt lediglich den diskriminierungsfreien Erhalt bzw. die Wiedererlangung seines Arbeitsplatzes, der nach hessischem Recht typischerweise im Wege des Beamtenverhältnisses ausgestaltet ist.“

Dieser Rechtsauffassung zur rechtlich-funktionalen Betrachtungsweise schließt sich der erkennende Senat nach eigener Überzeugung an.

Auch steht für den Senat aufgrund der bereits im Verwaltungsverfahren von der Beklagten selbst eingeholten Stellungnahmen fest, dass der Kläger ohne die Gleichstellung für die angestrebte Beamtenlaufbahn im Technischen Verwaltungsdienst, die - wie dem im Berufungsverfahren vorgelegten Schriftsatz des Bundesministeriums der Finanzen vom 19. Oktober 2010 unmissverständlich zu entnehmen ist - auch tatsächlich eingerichtet wurde, aufgrund seiner behinderungsbedingten gesundheitlichen Einschränkungen nicht in Betracht kommt. Damit ist die Behinderung auch die wesentliche Ursache, weshalb der Kläger „einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX nicht erlangen“ kann. Für den Senat steht auch fest, dass sich die Chancen des Klägers auf die angestrebte Verbeamtung mit einer Gleichstellung erheblich verbessern. Insoweit ergibt sich schon aus Ziffer 1.3. der in Auszügen vorgelegten und von dem C. zu berücksichtigenden „Rahmenintegrationsvereinbarung zur Eingliederung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen in der Bundesfinanzverwaltung“ (Bl. 27-30 der Verwaltungsakte der Beklagten), dass von schwerbehinderten Menschen - und damit auch von diesen gleichgestellten - bei der Einstellung nur das Mindestmaß an körperlicher Eignung verlangt werden darf. Ebenso können danach schwerbehinderte Menschen als Beamtinnen bzw. Beamte auch dann eingestellt werden, wenn als Folge ihrer Behinderung eine vorzeitige Dienstunfähigkeit nicht auszuschließen ist. Die Bewerberinnen und Bewerber seien darauf hinzuweisen, dass eine beamtenrechtliche Versorgung eine abgeleistete Dienstzeit von mindestens 5 Jahren (Wartezeit) voraussetzt.

Vor diesem Hintergrund wird bei schwerbehinderten Menschen die körperliche Eignung im Allgemeinen auch dann noch als gegeben angesehen, wenn nach amtsärztlichem Zeugnis davon ausgegangen werden kann, dass sie mindestens fünf Jahre dienstfähig bleiben. Hiervon ist bei dem Kläger auch aufgrund der Ausführungen von Dr. D. in dem amtsärztlichen Gesundheitszeugnis vom 21. September 2010 („Für seine bisherige Tätigkeit ist künftige Dienstunfähigkeit innerhalb der nächsten 5 Jahre nicht zu erwarten“) nach derzeitiger Aktenlage auszugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür gem. § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Die Frage, ob der Arbeitsplatzbegriff auch ein rechtlich-funktionales Element aufweist, ist bereits durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt.



Versorungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung