Gleichstellung tarifliche Unkündbarkeit

Gleichstellungsantrag, Unkünbbarkeit und abstrakte Gefährdung des Arbeitsplatzes


Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht 3. Senat
14.12.2012
L 3 AL 36/11
Juris



Leitsatz

1. Die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen (§ 2 Abs 3 SGB 9) zum Behalten eines Arbeitsplatzes erfordert eine Prognose, ob durch die Gleichstellung zumindest der Arbeitsplatz sicherer gemacht werden kann. Das ist bei tariflicher Unkündbarkeit nur aus besonderen Gründen der Fall (vgl BSG vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R = BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).

2. Eine abstrakte Gefährdung des Arbeitsplatzes reicht für eine Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB 9 nicht aus


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gleichstellung des Klägers mit schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Der ...1951 geborene Kläger steht in einem Beschäftigungsverhältnis als Groß- und Außenhandelskaufmann bei der H...-B...AG in Ha... (inzwischen umfirmiert in C... Deutschland Markengesellschaft mbH). Seit dem 1. Oktober 1981 ist er als Gebietsleiter tätig. In seinem Gleichstellungsantrag gab der Kläger an, dass auf sein Arbeitsverhältnis der tarifliche Kündigungsschutz Anwendung findet. Dies entspricht auch den Angaben des Arbeitgebers im Verwaltungsverfahren.

Mit anwaltlichem Schreiben an die Beklagte vom 4. Mai 2006, eingegangen am 8. Mai 2006, ließ der Kläger mitteilen, dass er mit gleicher Post beim Landesamt für soziale Dienste (LAsD) in S... seine Anerkennung als Schwerbehinderter beantragt habe. Da bisher unklar sei, welcher Grad der Behinderung (GdB) bei ihm vorliege, beantrage er zunächst gegenüber der Beklagten seine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen. In dem hierzu am 23. Mai 2006 nachgereichten Formularantrag begründete der Kläger seinen Antrag mit den Auswirkungen eines Bandscheibenvorfalls im Halswirbelbereich, wodurch seine Kopfdrehung stark eingeschränkt sei. Dadurch gebe es insbesondere beim Autofahren (er fahre 50.000 bis 60.000 km im Jahr) starke Einschränkungen. Er könne seine derzeitige Tätigkeit mit behinderungsbedingten Einschränkungen weiterhin ausüben; eine innerbetriebliche Umsetzung wegen der Auswirkungen seiner Behinderungen sei nicht möglich. Sein Arbeitsplatz sei auch aus anderen, nicht behinderungsbedingten Gründen gefährdet, nämlich wegen einer Rationalisierung im Vertrieb nach starken Absatzrückgängen. Mit einer Kündigung habe sein Arbeitgeber noch nicht gedroht. Als sonstige Gründe für die Notwendigkeit der Gleichstellung gab der Kläger die Arbeitsplatzsicherung nach fast 25jähriger Betriebszugehörigkeit an.

Das LAsD stellte mit Bescheid vom 15. September 2006 das Vorliegen einer Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 69 SGB IX mit einem GdB von 20 fest und benannte dazu als berücksichtigte Funktionsbeeinträchtigungen

• Funktionsstörung der Wirbelsäule mit Ausstrahlungen • Kopfschmerzen • Ohrgeräusche • Funktionsstörung im Hüftgelenk.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Kläger bei dem Sozialgericht Schleswig Klage zum Az. S 14 SB 126/06. Auf sein im Klageverfahren ergangenes Anerkenntnis erließ das LAsD den Ausführungsbescheid vom 30. November 2007, der das Vorliegen einer Behinderung mit einem GdB von 30 unter Berücksichtigung der bereits benannten Funktionsbeeinträchtigungen feststellte. In dem Bescheid heißt es, die Voraussetzungen dieser Feststellung hätten bereits ab Mai 2006 vorgelegen.

In dem von der Beklagten durchgeführten Gleichstellungsverfahren ging am 7. Dezember 2007 eine Stellungnahme der Personalabteilung der H...-B... AG ein. Darin heißt es, als gesundheitliche Einschränkung des Klägers sei ein Bandscheibenvorfall bekannt. Dadurch werde der Arbeitseinsatz eingeschränkt; es ergäben sich Behinderungen beim Autofahren (der Kläger müsse als Außendienstmitarbeiter viel fahren). Der Arbeitsplatz sei aber zurzeit nicht aufgrund behinderungsbedingter Auswirkungen gefährdet; auch aus sonstigen Gründen sei der Arbeitsplatz nicht gefährdet. Eine Kündigung sei nicht ausgesprochen worden. In einer beigefügten Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung wurde die Frage nach einer Gefährdung des Arbeitsplatzes durch behinderungsbedingte Auswirkungen bejaht und zur Begründung ausgeführt, die Arbeitskraft, -leistung und -qualität würden weniger. Eine Arbeitsplatzgefährdung aus sonstigen Gründen liege nicht vor.

Der Betriebsrat schloss sich der Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung vollinhaltlich an. Am 13. Dezember 2007 hielt ein Mitarbeiter der Beklagten telefonisch Rückfrage unter dem in der Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung angegebenen Anschluss. In dem hierüber gefertigten Vermerk heißt es:

„Herr S. ist 57 J. und wohnt in F.... Er ist Außendienstmitarbeiter bei der Brauerei und für den Raum SHH zuständig. Sollte er seine Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter nicht mehr verrichtet können, würde ihm ein Arbeitsplatz in Ha... angeboten. Herr S. hat bereits einen weitergehenden Kündigungsschutz.“

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2007 lehnte die Beklagte den Gleichstellungsantrag ab und führte zur Begründung aus: Behinderte Menschen, denen nicht nur vorübergehend ein GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30 zuerkannt worden sei, sollten von der Agentur für Arbeit einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten könnten (§ 2 Abs. 3 SGB IX). Diese Voraussetzungen seien bei dem Kläger nicht gegeben. Die Prüfung seines Antrags habe keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sein Arbeitsplatz aus behinderungsbedingten Gründen gefährdet und er zur Erhaltung seines Arbeitsplatzes auf den Schutz angewiesen sei. Des Weiteren habe er bereits einen weitergehenden Kündigungsschutz (MTV Brauereien HH/SH). Allgemeine Darlegungen, dass sich das Leiden verschlimmern könnte und deshalb in Zukunft Leistungseinschränkungen am Arbeitsplatz erwartet würden, dass mit der Gleichstellung das bestehende Beschäftigungsverhältnis oder allgemein die Integration ins Arbeitsleben leichter zu sichern seien, reichten nicht aus, um die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen zu erlangen. Auch allgemeine Hinweise, man benötige die Gleichstellung, um Wettbewerbsnachteile gegenüber Nichtbehinderten auszugleichen, begründeten keine Gleichstellung. Eine erneute Antragstellung könne bei Änderung der Verhältnisse jederzeit erfolgen.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete der Prozessbevollmächtigte des Klägers damit, dass nach seiner Kenntnis der im Ausgangsbescheid beschriebene weitergehende Kündigungsschutz nicht bestehe, weil der Kläger außertariflich angestellt worden sei. Im Übrigen sei sein Arbeitsplatz konkret gefährdet. Der Arbeitgeber sei mehrfach an ihn herangetreten und habe sich wegen der behinderungsbedingten Ausfallzeiten, namentlich durch Krankheit, beschwert und die Kündigung des Arbeitsverhältnisses angedroht. Demgemäß sei auch eine Versetzung in den Innendienst angedroht worden. Abgesehen davon, dass eine Versetzung vom Wohnort F... nach Ha... mit erheblichen Beeinträchtigungen verbunden wäre, ergebe sich bereits daraus die Gefahr einer Änderungskündigung, die ihm konkret avisiert worden sei. Er bedürfe deshalb des besonderen Schutzes des Schwerbehindertenrechts.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie wiederholte die Gründe des Ausgangsbescheides und führte aus: Die vom Kläger geschilderten Schwierigkeiten stünden in direktem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Gebietsverkaufsleiter. Diese Tätigkeit bringe in hohem Maße Fahrtätigkeiten mit sich, so dass diese Tätigkeit unter Berücksichtigung der festgestellten Behinderungen nur bedingt geeignet zu sein scheine. Voraussetzung für eine Gleichstellung sei aber ein kausaler Zusammenhang zwischen der festgestellten Behinderung und einer Arbeitsplatzgefährdung. Die auch geltend gemachte Rationalisierung könne als Begründung für eine Gleichstellung nicht herangezogen werden, weil hiervon alle Mitarbeiter betroffen seien. Auch vor einer drohenden Umsetzung nach Ha... könne eine Gleichstellung nicht schützen, weil der eigentliche Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht in Gefahr sei. Zudem sei der Kläger tariflich unkündbar, so dass es darüber hinaus nicht des zusätzlichen Schutzes nach dem SGB IX bedürfe.

Der Kläger hat am 4. April 2008 bei dem Sozialgericht Schleswig Klage erhoben und zur Begründung sein bisheriges Vorbringen weiter vertieft. Insbesondere hat er noch einmal hervorgehoben, dass seine Beeinträchtigungen, die ihn als Gebietsleiter voraussichtlich in naher Zukunft an der Ausführung seiner Tätigkeit hindern würden, entweder zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder - trotz gegenteiliger Ankündigung der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrats - zu einer Umsetzung von seinem Wohnort nach Ha... führen würden. Seine Minderleistung sei allein krankheitsbedingt. Die Behauptung der Beklagten, er sei ordentlich unkündbar, sei nicht belegt.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 12. Dezember 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX gleichzustellen,

hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, ihn nach Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide Bezug genommen und deren Inhalt weiter vertieft. Ergänzend hat sie ausgeführt: Unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen sei nicht der Kläger ungeeignet, sondern die bisher ausgeübte Tätigkeit. Bei der Gleichstellung handele es sich um ein Instrument, das nicht den Arbeitsplatz um jeden Preis schützen solle, sondern insbesondere auch die gesundheitliche Situation des behinderten Menschen im Auge behalte. Vor dem Hintergrund der immer wieder auftretenden behinderungsbedingten Arbeitsunfähigkeitszeiten sowie der Aussagen, dass es beim Autofahren zu starken Beeinträchtigungen komme und die Tätigkeit nun einmal zu einem Großteil aus Fahrertätigkeit bestehe, halte die Beklagte an ihrer Auffassung fest, dass die Tätigkeit eines Gebietsverkaufsfahrers für den Kläger ungeeignet sei bzw. erscheine. Eine behinderungsbedingte Arbeitsplatzgefährdung sei nicht zu erkennen. Die in Rede stehende Umsetzung nach Ha... stelle keine Arbeitsplatzgefährdung dar, sondern lediglich eine Veränderung des Einsatzortes, vor der die Gleichstellung nicht schützen könne und solle.

Was die Unkündbarkeit des Klägers betreffe, stütze die Beklagte sich auf die vom Arbeitgeber gemachten Angaben.

Nach mündlicher Verhandlung am 19. Mai 2011 hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom selben Tage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger habe weder Anspruch auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen noch auf nochmalige ermessensfehlerfreie Entscheidung der Beklagten hierüber. Die Voraussetzungen für eine Gleichstellung seien aus den zutreffenden Gründen des Widerspruchsbescheides, dem das Gericht folge, nicht erfüllt. Es bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seinen Arbeitsplatz als Gebietsverkaufsleiter bei der H...-B... AG ohne die Gleichstellung nicht behalten könne. Der Arbeitgeber habe in seiner Stellungnahme eine Kündigungsabsicht verneint und überdies auf einen seiner Ansicht nach bestehenden tariflichen Kündigungsschutz des Klägers hingewiesen. Unter diesen Umständen greife der Schutzzweck des § 2 Abs. 3 SGB IX nicht ein. Das SGB IX solle mit seinen Vorschriften über den Sonderkündigungsschutz vor allem Nachteile von schwerbehinderten Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen. Sein Zweck gehe dahin, von schwerbehinderten Menschen besondere Gefahren fernzuhalten, denen sie wegen ihrer Behinderung auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt seien, und sicherzustellen, dass sie gegenüber den gesunden Arbeitnehmern nicht ins Hintertreffen gerieten. Solche Gefahren bestünden für den Kläger nicht. Eine Kündigung sei bisher in Übereinstimmung mit der Äußerung des Arbeitgebers gegenüber der Beklagten nicht ausgesprochen worden. Der Kläger selbst befürchte in erster Linie, innerhalb des bestehenden Arbeitsverhältnisses umgesetzt zu werden, und verweise in diesem Zusammenhang auf die „Gefahr“, künftig im Innendienst eingesetzt zu werden. Vor derartigen Konfliktlagen wolle das Schwerbehindertenrecht indessen nicht bewahren. Wenn der Arbeitgeber auf die Rückenprobleme des Klägers in aus Sicht des SGB IX erwünschter Weise reagieren wolle, während der Kläger durch die Gleichstellung erreichen wolle, seinen nicht leidensgerechten Arbeitsplatz mit umfangreicher Fahrtätigkeit beizubehalten, so stelle Letzteres - wenngleich die Kammer das Problem des Klägers eines Umzugs von F... in den Ha...er Raum durchaus nachvollziehen könne - kein nach § 2 Abs. 3 SGB IX schützenswertes Anliegen dar. Vor diesem Hintergrund stehe dem Kläger weder die Gleichstellung zu, noch sei ersichtlich, dass die Beklagte die abzuwägenden Belange nicht oder nicht mit ihrer richtigen Gewichtung in ihre Entscheidung eingestellt habe mit der Folge, dass sie ihr Ermessen nochmals und zutreffend ausüben müsse.

Gegen diese seinem Prozessbevollmächtigten am 16. September 2011 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 20. September 2011 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) eingegangene Berufung des Klägers.

Zur Begründung macht er geltend: Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts seien die Gleichstellungsvoraussetzungen erfüllt. Dabei komme es nicht darauf an, dass der Arbeitgeber - bislang - eine Kündigung nicht ausgesprochen bzw. auf Nachfrage mitgeteilt habe, er beabsichtige dies nicht. Ebenso belege die bisher nicht ausgesprochene Kündigung nicht, dass nicht eine Kündigungsgefahr bestehe. Denn eine solche Gefahr bestehe bei abstrakter Betrachtung durchaus; eine konkrete Gefährdung sei nicht erforderlich. Er fürchte auch eine Umsetzung und eine Kündigung. Auch eine Umsetzung unterfalle dem besonderen Kündigungsschutz und bedürfe der Zustimmung des Integrationsamtes. Zu beanstanden sei auch die Auffassung des Sozialgerichts, wonach er keinen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des Schwerbehindertenrechts habe. Entscheidend seien insoweit seine subjektiven Vorstellungen. Auch ein Arbeitnehmer, der auf einem nicht vollständig gesundheitlich förderlichen Arbeitsplatz beschäftigt sei, könne die Gleichstellung erhalten. Der Eingriff des Sozialgerichts in seine - des Klägers - Entscheidungsfreiheit sei auch grundrechtsrelevant zu weitgehend.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 19. Mai 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Dezember 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX gleichzustellen,

hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, ihn nach Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie stützt das angefochtene Urteil und erwidert: Auch mit der Berufungsbegründung sei keine Arbeitsplatzgefährdung nachgewiesen; Anhaltspunkte dafür seien nicht genannt. Aus der in Rede stehenden Umsetzung könne nicht unmittelbar auf eine Arbeitsplatzgefährdung geschlossen werden; der Fortbestand des bestehenden Arbeitsverhältnisses sei nicht in Gefahr. Es sei auch noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Arbeitsplatz eines Gebietsverkaufsfahrers als ungeeignet anzusehen sei. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung, dass mit einer Gleichstellung nur für den behinderten Menschen geeignete Arbeitsplätze geschützt werden sollten, niemandem verbieten wollen, auch ungeeignete Tätigkeiten auszuüben. Einen besonderen Schutz dieser ungeeigneten Arbeitsplätze, die sich negativ auf den Gesundheitszustand auswirkten, habe es aber mit Hilfe der Gleichstellung nicht geben sollen. Dieser Schutzgedanke widerspreche keineswegs den Grundrechten, sondern entspringe ihnen unmittelbar.

Der Senat hat eine Arbeitgeberauskunft vom 30. Januar 2012 eingeholt, in der es heißt, dass der Arbeitsplatz des Klägers aufgrund behinderungsbedingter Auswirkungen zurzeit nicht gefährdet sei. Des Weiteren hat der Senat die den Kläger betreffenden Akten des LAsD zur kurzfristigen Einsicht beigezogen. Daraus ergibt sich, dass der Kläger gegenüber dem LAsD am 10. April 2008 einen Verschlechterungsantrag gestellt und zur Begründung im Wesentlichen zusätzlich aufgetretene Herzbeschwerden geltend gemacht hat. Der Ablehnungsbescheid vom 7. August 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2008 war Gegenstand des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Schleswig zum Az. S 14 SB 117/08. Das Verfahren endete mit einem vom Kläger angenommenen Anerkenntnis des LAsD, wonach der GdB nunmehr mit 40 bewertet wird (Ausführungsbescheid vom 9. Juli 2010 mit Wirkung ab 25. Mai 2010). Dazu wurden nunmehr folgende Funktionseinschränkungen benannt:

• Funktionsstörung der Wirbelsäule mit Ausstrahlungen • Funktionsstörung im Hüftgelenk (beidseitig) • Herzbeschwerden • Sehbehinderung, künstliche Augenlinse • Ohrgeräusche • Kopfschmerzen • Funktionsstörung im Knie (rechts).

Dem Senat haben die den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Gerichtsakten vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird hierauf Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Eine Berufungsbeschränkung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegt nicht vor, weil die Klage keine Geld-, Dienst oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und aus zutreffenden Gründen abgewiesen, weil der Kläger keinen Anspruch auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen oder jedenfalls auf Neubescheidung durch die Beklagte hat.

Nach § 2 Abs. 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Abs. 2 der Vorschrift vorliegen, mit schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen). Bei dem Kläger haben ausweislich des Bescheides des LAsD vom 30. November 2007 bereits ab Mai 2006 - also dem Zeitpunkt der Antragstellung - die Voraussetzungen für die Feststellung eines GdB von 30 vorgelegen; mit Wirkung ab 25. Mai 2010 ist der GdB mit 40 bewertet worden (Bescheid des LAsD vom 9. Juli 2010). Die in § 2 Abs. 3 SGB IX erwähnten „weiteren Voraussetzungen des Abs. 2“ sind unproblematisch erfüllt, weil der in F... wohnhafte und aufgrund seines Anstellungsvertrages in Ha... und Umgebung beschäftigte Kläger - wie von § 2 Abs. 2 SGB IX gefordert - seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne von § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich des Gesetzbuches hat.

Der Kläger begehrt die Gleichstellung zum Behalten seines Arbeitsplatzes. Dafür ist im Hinblick auf die nach dem Gesetzeswortlaut erforderliche Kausalität unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob bei wertender Betrachtung in der Behinderung, also gerade in ihrer Art und Schwere, die Schwierigkeit der Erhaltung des Arbeitsplatzes begründet liegt. Bei der erforderlichen Prognose über das Behaltenkönnen des Arbeitsplatzes ist keine absolute Sicherheit erforderlich, sondern es genügt, dass durch eine Gleichstellung der Arbeitsplatz sicherer gemacht werden kann (Götze in Hauck/Noftz, SGB IX, Stand: 12/12, K § 2 Rz 55 zit. nach juris). Das ist in der Regel bereits durch den besonderen Kündigungsschutz nach § 85 SGB IX der Fall. Ist ein behinderter Mensch auf seinem Arbeitsplatz gegenüber nicht behinderten Menschen nicht mehr konkurrenzfähig, so kann diese ungünstige Konkurrenzsituation durch eine Gleichstellung verbessert und somit der Arbeitsplatz sicherer gemacht werden (vgl. Götze a.a.O. unter Bezugnahme auf die bereits zum Schwerbehindertengesetz ergangene Entscheidung des Bundessozialgerichts [BSG] vom 2. März 2000, B 7 AL 46/99 R). Dies gilt allerdings im Falle des Klägers - ohne dass es insoweit auf weitere Voraussetzungen ankäme - nicht, weil er bereits tariflich unkündbar ist. Seinen besonderen tariflichen Kündigungsschutz hat der Kläger in seinem Gleichstellungsantrag vom Mai 2006 ausdrücklich erwähnt; in der Stellungnahme des Arbeitgebers vom 6. Dezember 2007 wird ausgeführt, dass es sich aufgrund tariflicher Bestimmung (MTV-Brauereien Hamburg/Schleswig-Holstein) um ein unkündbares Arbeitsverhältnis handelt. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers dies bestreitet, ist das Vorbringen deshalb unsubstantiiert und gibt dem Senat keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen.

Allerdings scheidet die Gleichstellung unkündbarer Arbeitnehmer nicht generell wegen deren Unkündbarkeit aus (BSG, Urteil vom 1. März 2011, B 7 AL 6/10 R). Wie bereits ausgeführt, dient die Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes dazu, bei einer Arbeitsplatzgefährdung den Arbeitsplatz sicherer zu machen. Deshalb bedarf es einer besonderen Prüfung bei Personengruppen mit einem "sicheren Arbeitsplatz", wie bei Beamten, Richtern auf Lebenszeit und Arbeitnehmern mit besonderem Kündigungsschutz (BSG, Urteil vom 1. März 2011, a.a.O.). Bei diesen Personengruppen können die allgemeinen Voraussetzungen der Gleichstellung wegen Arbeitsplatzgefährdung zwar vorliegen, es bedarf aber einer besonderen Begründung, warum trotz Kündigungsschutz der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Umstände, die in diesem Sinne trotz bestehender Unkündbarkeit eine Arbeitsplatzgefährdung begründen könnten, liegen jedoch zur Überzeugung des Senats nicht vor. Bereits der Umstand, dass es seit Stellung des Gleichstellungsantrages bis zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung zu keiner Kündigung gekommen ist, spricht als Indiz gegen eine Arbeitsplatzgefährdung. Der Arbeitgeber hat auch sowohl im Verwaltungsverfahren im Dezember 2007 als auch auf die erneute gerichtliche Anfrage im Januar 2012 erklärt, dass der Arbeitsplatz des Klägers aufgrund behinderungsbedingter Auswirkungen zurzeit nicht gefährdet sei. Dass sich insoweit seither Veränderungen ergeben hätten, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Zwar ist es ohne Weiteres nachvollziehbar, dass die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers Auswirkungen auf seine Leistungsfähigkeit haben, insbesondere im Hinblick auf die in erheblichem Umfang anfallenden Autofahrten. Derartige Einschränkungen werden auch in der Stellungnahme der Schwerbehinderten-Vertretung, die gleichlautend für den Betriebsrat erfolgt ist, bestätigt. Bereits im Dezember 2007 hat der Arbeitgeber jedoch auf Nachfrage mitgeteilt, dass dem Kläger ein Arbeitsplatz in Ha... angeboten würde, sollte er seine Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter nicht mehr verrichten können (Aktenvermerk vom 13. Dezember 2007). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass dem Kläger von seinem Arbeitgeber ein Arbeitsplatz selbst dann zur Verfügung gestellt werden würde, wenn er die Außendiensttätigkeiten nicht mehr verrichten könnte, und dass ein solcher Arbeitsplatz gemessen an den Kenntnissen, Fertigkeiten und Funktionseinschränkungen des Klägers geeignet wäre bzw. ggf. durch Förder- und Umgestaltungsmaßnahmen geeignet gemacht werden könnte. Angesichts der Größe des Unternehmens bestehen auch keine Zweifel, dass ein solcher geeigneter Arbeitsplatz im Betrieb vorhanden wäre. Sollte damit eine Umsetzung nach Ha... verbunden sein, wäre dies für den in F... wohnhaften Kläger mit Einschränkungen verbunden. Dies muss allerdings im vorliegenden Verfahren unberücksichtigt bleiben, weil die Gleichstellung - wie die Beklagte zu Recht geltend macht - nicht vor derartigen Arbeitsplatzveränderungen schützen soll. Dies hat auch das Sozialgericht zutreffend ausgeführt; auf die Gründe des angefochtenen Urteils kann insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden.

Hinzuweisen ist ergänzend darauf, dass eine abstrakte Gefährdung des Arbeitsplatzes für eine Gleichstellung nach § 2 Abs. 3 SGB IX nicht ausreicht. Vielmehr müssen Tatsachen vorliegen, die den Rückschluss zulassen, dass der Arbeitsplatz wegen der Behinderung konkret gefährdet ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. April 2010, L 19 AL 51/09 [juris]). Das ist hier - wie ausgeführt - nicht der Fall.

Soweit der Kläger in seinem Gleichstellungsantrag auch auf eine Arbeitsplatzgefährdung wegen einer Rationalisierung im Vertrieb nach starken Absatzrückgängen hingewiesen hat, ist dies von einer Behinderung unabhängig und nicht geeignet, den vorliegenden Antrag zu stützen.

Nach allem kann das Gleichstellungsbegehren auch im Berufungsrechtszug keinen Erfolg haben. Auch der Hilfsantrag ist nicht begründet, weil - wie bereits das Sozialgericht zu Recht entschieden hat - Ermessensfehler bei der angefochtenen Entscheidung der Beklagten nicht ersichtlich sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG und orientiert sich am Ausgang des Rechtsstreits.

Der Senat hat keinen Anlass gesehen, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen.



Versorungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung