Gleichstellung Ermessen

Nach § 2 Abs. 3 SGB IX "sollen" Gleichstellungen mit den Schwerbehinderten erfolgen, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 2. März 2000 a.a.O.) ist unter dem Prädikat "sollen" ein gebundenes Ermessen zu verstehen, wonach im Regelfall eine Gleichstellung zu erfolgen hat, es sei denn, es läge ein atypischer Fall vor.


Landessozialgericht Hamburg 2. Senat
07.09.2011
L 2 AL 5/09
Juris



Tatbestand

Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Men-schen. Die am XXXXX 1963 geborene Klägerin ist seit August 2003 arbeitslos und bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch –Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Dem Gutachten des Facharztes für Neurochirurgie Dr. W.K. vom ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit in H. vom 15. Februar 2006 zufolge war bzw. ist ihre Erwerbsfähigkeit in qualitativer Hinsicht auf körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne besonderen Zeitdruck und ohne hohe psychische Belastung sowie besondere Verantwortung beschränkt, und ist sie in der Lage, diese noch regelmäßig vollschichtig zu verrichten. Maßgebend für diese Einschätzung waren belastungsabhängige Rückenschmerzen bei mäßigen Ver-schleißerscheinungen der Lendenwirbelsäule und leichten funktionellen Einschränkungen, zeitweilige Knieschmerzen bei Reizung der Kniescheibengleitlager, vielfältige Beschwerden im Bereich des Skelettsystems, Beschwerden im Herz-Kreislaufsystem, Schwindel, Kopf-schmerzen sowie eine Kollapsneigung, am ehesten im Sinne einer psychischen Überlage-rung. Die Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz, stellte mit Bescheid vom 29. September 2006 fest, dass bei der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) im Sinne des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) von 40 bestehe und dass sie damit zum Personenkreis der behinderten Menschen gehöre. Als Gesundheitsstörungen wurden dabei berücksichtigt eine psychische Störung, degenerative Veränderungen in allen Segmenten der Wirbelsäule, ein Bandscheibenschaden mit ausstrahlenden Beschwerden sowie ein Kniegelenksverschleiß. Die Klägerin beantragte daraufhin am 30. September 2006 sowie am 2. Oktober 2006 formlos und am 20. November 2006 förmlich ihre Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX. Zur Begründung gab sie an, die Gleichstellung sei erforderlich, um ihr die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen und einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden. Im Zeitpunkt dieser Antragstellung war die Klägerin seit dem 20. März 2006 laufend arbeitsunfähig krank. Mit Bescheid vom 5. Januar 2007 sicherte die Beklagte der Klägerin die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 SGB IX für den Fall zu, dass im Zuge der Vermittlungsbemühungen bzw. ihrer eigenen Bemühungen um einen Arbeitsplatz der Arbeit-geber ihre Einstellung von einer solchen Gleichstellung abhängig mache. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch. Sie vertrat die Auffassung, die Beklagte habe ihr die Gleichstellung nicht nur zuzusichern, sondern zuzusprechen. Dies setze keineswegs voraus, dass ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorliege und dass die Gleich-stellung zur Erlangung eines konkreten Arbeitsplatzes führe. Vielmehr sei Ziel der Gleichstellung die rechtzeitige Hilfe für den behinderten Menschen zur Behebung einer ungünstigen Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt. Die Erteilung der Gleichstellung sei erforderlich, um die ARGE zu veranlassen, ihr – der Klägerin - jetzt und in Zukunft nur für behinderte Menschen geeignete Arbeitsgelegenheiten anzubieten. Mit Zwischenbescheid vom 27. Februar 2007 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass ihrem Anliegen bezüglich der Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes dadurch praktisch entsprochen worden sei, dass ihr die unverzügliche Gleichstellung für den Fall zugesichert worden sei, dass ein Arbeitgeber ihre Einstellung von der beantragten Gleichstellung abhängig machen sollte. Gleichwohl hielt die Klägerin an ihren Widerspruch fest. Noch vor der Bescheidung des Widerspruchs beantragte die Klägerin am 8. März 2007, die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr die Gleichstellung mit behinderten Menschen zu erteilen. Die Arbeitsverwaltung habe ihr bisher unterschiedliche Be-schäftigungen angeboten, ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit zu nehmen. Die einstweilige Anordnung sei erforderlich, damit sie – die Antragstellerin bzw. Klägerin nicht mehr jedes Arbeitsangebot, insbesondere keine ungeeigneten Arbeitsplätze annehmen müsse. Ohne die Gleichstellung müsse sie jeden Job und jedes Arbeitsplatzangebot annehmen, was für sie als Behinderte sehr schädlich sein würde. Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die der Klägerin gegebene verbindliche Zusicherung sei durchaus das geeignete Mittel, ihre Wiedereingliederung in das Arbeitsleben zu fördern. Es sei berücksichtigen, dass die Ver-mittlungschancen durch eine Gleichstellung nicht wesentlich verbessert würden; dies ergebe sich aus dem Umstand, dass Schwerbehinderte im Allgemeinen wesentlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen seien. Für den Fall der nachgewiesenen Notwendigkeit der Gleich-stellung werde diese unverzüglich erteilt werden. Dadurch sei gewährleistet, dass sie eine Einstellung einerseits nicht verhindern aber andererseits auch fördern kann. Die von der Klägerin erstrebte Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. komme nicht in Betracht, weil nicht erwiesen sei, dass die Klägerin auf dem Arbeitsmarkt behinderungsbedingt nicht konkurrenzfähig und die Behinderung wesentliche Ursache für die bisherige Erfolglosigkeit der Bemühungen um ihre berufliche Eingliederung ist. Das von der Klägerin mit der Gleichstellung offensichtlich verfolgte Ziel, keine ungeeigneten Arbeitsplätze mehr annehmen zu müssen, sei bereits durch das ärztliche Gutachten vom 15. Februar 2006 erreicht und darüber hinaus auch nicht Zweck der Gleichstellung. Die Arbeitsvermittlung habe bei den Bemühungen um die berufliche Eingliederung der Klägerin ihre festgestellten Behin-derungen und gesundheitlichen Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit auch ohne die angestrebte Gleichstellung zu berücksichtigen und auch tatsächlich berücksichtigt und Maßnahmen zu ihrer beruflichen Eingliederung im Rahmen des ärztlichen Gutachtens vom 15. Februar 2006 und zu veranlassen und auch veranlasst. Da der Nachweis der Behinderung als wesentliche Ursache der Arbeitslosigkeit fehle und damit die Anhaltspunkte für behinderungsbedingte Eingliederungsprobleme vergleichsweise schwach ausgeprägt seien, sei die Zusicherung ausgesprochen worden, um die Eingliederungschancen der Klägerin günstiger zu gestalten. Dem Interesse der Klägerin sei damit Genüge getan. Durch die Zusicherung einer Gleichstellung erhalte sie sofort den Gleichstellungsbescheid, wenn ein Arbeitgeber die Einstellung davon abhängig mache. Dieser Bescheid sei im Falle der Zusicherung der Gleichstellung bereits unterschriftsreif vorbereitet und werde unverzüglich erteilt, wenn der Eintritt der in der Zusicherung genannten Umstände belegt werde, z.B. durch eine von der Gleichstellung abhängig gemachte Einstellungszusage eines Arbeitgebers. Im Übrigen hätten die Voraussetzungen für die begehrte Gleichstellung auch deswegen nicht vorgelegen, weil die Klägerin wegen Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehe. Erst nach Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit könne in der Regel abgeschätzt werden, inwieweit die Gleichstellung zur Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes benötigt werde. Den Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Sozialgericht durch Beschluss vom 19. Juni 2007 (S 14 AL 202/07 ER) mit der Begründung zurückgewiesen, es fehle sowohl am Anordnungsgrund wie am Anordnungsanspruch. Es seien keine wesentlichen Nachteile ersichtlich, die durch die einstweilige Anordnung vermieden werden könnten. Bei summarischer Prüfung spreche alles für die Rechtmäßigkeit der erteilten Zusicherung und der Verweigerung der Gleichstellung. Die Beschwerde der Klägerin gegen die-sen Beschluss hat das Landessozialgericht Hamburg durch den Beschluss vom 17. Oktober 2007 (L 5 B 320/07 ER AL) zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, die Klägerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie ohne eine vorab erklärte Gleichstellung kei-nen geeigneten Arbeitsplatz erlangen könne, denn für den Fall eines konkreten Arbeitsplatzangebots gelte die Zusicherung der Beklagten, sie ab Einstellung gleichzustellen. Im Rahmen der zulässigen summarischen Prüfung habe die Antragsgegnerin von dem er gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX zustehenden pflichtgemäßen Ermessen in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht, indem sie nicht eine sofortige Gleichstellung ausgesprochen, sondern stattdessen eine entsprechende Zusicherung abgegeben. Dass die fehlende Gleichstellung bereits die Arbeitsplatzsuche erschwert habe, sei weder glaubhaft gemacht worden noch sonst erkennbar. Soweit die Klägerin geltend mache, (nur) eine Gleichstellung würde die Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGB II (ARGE) zwingen, ihr ausschließlich behindertenge-rechte Arbeitsplätze oder Arbeitsgelegenheiten anzubieten, verkenne sie, dass die ARGE gesetzlich verpflichtet sei, bei der Vermittlung in Arbeit etwaige Behinderungen zu berücksichtigen. Nach § 10 Abs. 1 SGB II sei den erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen jede Arbeit zuzumuten, es sei denn, dass einer der dort unter den Nummern 1-5 aufgeführten Gründe ge-geben sei; hierzu gehöre nach Nr. 1 der Vorschrift, dass der Hilfebedürftige zu der bestimm-en Arbeit körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage sein. Dies gelte auch für Arbeits-gelegenheiten. Sollten Vermittlungen erfolgen, die mit den gesundheitlichen Möglichkeiten der Klägerin nicht in Einklang zu bringen seien, so brauche sie ihnen nicht Folge zu leisten und könne gegen etwaige Sanktionen Rechtsmittel einlegen. Bereits am 6. Juni 2007 hatte die Klägerin Klage erhoben an ihrem Begehren festgehalten. Aufgrund ihrer Behinderung und Erkrankung liege bei ihr eine mangelnde Konkurrenzfähigkeit vor, weil sie ständig unter Wirbelsäulenbeschwerden, Ermüdung und Unkonzentriertheit leide, was zum langsameren Arbeiten, zu Unpünktlichkeit und häufigen Fehlzeiten führe. Des Weiteren habe sie unter Diskriminierung am Arbeitsplatz gelitten und leide unter der Diskri-minierung durch die ARGE. Die gegenwärtige Arbeitsunfähigkeit sei kein Grund, die Gleichstellung zu verweigern. Weil die Gleichstellung bisher nicht ausgesprochen worden sei, bestünden für sie viele Nachteile, z.B. diskriminierende Äußerungen der Sachbearbeiter vom Arbeitsamt und der ARGE wie z.B. die Behauptung, dass sie kein Interesse an Integration habe, was absolut unzutreffend sei. Die zuständigen Arbeitsvermittler hätten die gesundheit-liche Situation gar nicht berücksichtigt und keine geeigneten Maßnahmen zu ihrer beruflichen Eingliederung unternommen. Vielmehr habe man ihr gesagt, sie sei verpflichtet, jede Arbeit anzunehmen. Dies sei ihr jedoch nicht möglich, weil sie behindert sei. Auch treffe die Behauptung der Beklagten nicht zu, dass sie zahlreiche Termine nicht wahrgenommen habe. Sie sei die ganze Zeit krank gewesen und habe deswegen auch keine Termine wahrnehmen können. Sie habe eine Umschulung zur Bürokauffrau erfolgreich absolviert und sei bis 2003 auch als Bürokauffrau tätig gewesen. Das Sozialgericht hat die Klage durch den Gerichtsbescheid vom 16. Februar 2009 abge-wiesen und zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid der Beklagten, seinen Beschluss vom 19. Juni 2007 und den bereits zitierten Beschluss des Landessozialgerichts vom 17. Oktober 2007 verwiesen. Die Klägerin hat gegen den ihr am 18. Februar 2009 zugestellten Gerichtsbescheid am 24. Februar 2009 Berufung eingelegt. Das Sozialgericht sei im angefochtenen Gerichtsbescheid ebenso wie das Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 17. Oktober 2007 auf die von ihr vorgetragenen Argumente nicht eingegangen. Ohne die Gleichstellung werde es ihr wegen der behinderungsbedingten mangelnden Konkurrenzfähigkeit nicht gelingen, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden. Es reiche nicht, dass die Beklagte die Gleichstellung nur in Aussicht gestellt habe. Wegen der bislang vorenthaltenen Gleichstellung habe sie viele Nachteile, z.B. diskriminierende Äußerungen der Sachbearbeiter der Arbeitsagentur und der ARGE, denen zufolge sie kein Interesse an daran habe, an ihrer Integration mitzuwirken. Zu Unrecht habe ihr die Beklagte in diesem Zusammenhang vorgehalten, zahlreiche Termine nicht wahrgenommen zu haben, denn sie sei während der ganzen Zeit arbeitsunfähig krank gewesen. Die zuständigen Arbeitsvermittler hätten ihre gesundheitliche Situation nicht berücksichtigt und keine geeigneten Maßnahmen zu ihrer beruflichen Eingliederung unter-nommen. Man habe fälschlicherweise unter Androhung von Nachteilen erklärt, sie sei ver-pflichtet, jede Arbeit anzunehmen. Sie sei auf einen geeigneten Arbeitsplatz angewiesen. Dieser müsse auch von vornherein geeignet sein, was die Beklagte bislang überhaupt nicht beachtet habe. Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Februar 2009 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 5. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2007 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, die Gleichstellung der Klägerin mit schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX auszusprechen.

Die Vertreterin der Beklagten beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Berufung für unbegründet. Eine sofortige Gleichstellung habe aufgrund der fehlenden Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Antragstellung und auch gegenwärtig nicht ausgesprochen werden können. Mit der Zusicherung habe die Klägerin trotzdem alle Möglich-keiten, die auch die Gleichstellung ihr bei der Arbeitssuche eröffnen würde. Sie sei zum Zeitpunkt des Antrags auf Gleichstellung arbeitsunfähig erkrankt und habe seitdem regelmäßig weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. Folgerichtig trage sie in ihrer Berufungsbegründung vor, auch keine Termine wahrnehmen zu können, weil sie die ganze Zeit krank gewesen sei, und dass eine Vermittlung während der Erkrankung nicht möglich sei. Tatsache sei, dass die Klägerin dem Arbeitsmarkt aufgrund der ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit nicht zur Verfügung stehe. Eine Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes auszusprechen, sei unter diesen Umständen nicht möglich gewesen. Darüber hinaus habe die Klägerin auch keinerlei Nachweis über behinderungsbedingt erfolglose Bewerbungen oder andere Eigeninitiativen geführt. so dass sie sich nicht darauf berufen könne, dass ihre mangelnde berufliche Eingliederung auf dem Fehlen der Gleichstellung beruht.

Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift vom 24. Juni 2011 aufgeführten Akten verwiesen, die Gegenstand der Verhandlung gewesen sind.


Entscheidungsgründe

Die Berufung ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewie-sen. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte der Klägerin mit dem angefochtenen Bescheid die beantragte Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen lediglich zugesichert, nicht aber unmittelbar zugesprochen hat. Gesetzliche Grundlage einer solchen Gleichstellung ist § 2 Abs. 3 SGB IX. Dieser Bestim-mung zufolge sollen behinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von we-niger als 50 aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatz 2 vor-liegen, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinde-rung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht erhalten können. Vorliegend kommt nur die erste Alternative (Erlangen eines Arbeitsplatzes) in Betracht, weil die Klägerin einen Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX nicht innehat. Es kann auf sich beruhen, ob in der Person der Klägerin neben den persönlichen Vorausset-zungen des § 2 Abs. 3 SGB IX in der Gestalt des GdB von 40 auch die sachlichen Voraus-setzungen für eine Gleichstellung erfüllt sind. Die Beklagte hat dies allein schon im Hinblick auf den Umstand verneint, dass der Vermittlung der Klägerin in Arbeit bei der Beantragung der Gleichstellung und im Zeitpunkt der Entscheidung über diesen Antrag die seit März 2006 fortlaufend ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit entgegenstand, die die Klägerin ihren eigenen Angaben in der Begründung ihrer Berufung zufolge daran gehindert hatte, die Termine wahrzunehmen, zu denen die Beklagte sie eingeladen hatte. In der Tat fehlt es deshalb an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass gerade die fehlende Gleichstellung die Arbeitsplatzsuche der Klägerin erschwert hat. Offen ist jedoch, ob dies zur Verneinung der Voraussetzun-gen der Gleichstellung ausreicht, oder ob nicht die Beklagte die bei der Klägerin bestehenden Behinderungen - losgelöst von den bisherigen Vermittlungshemmnissen - daraufhin zu prüfen hat, ob sie bei wertender Betrachtung im Sinne einer wesentlichen Bedingung die Klägerin in ihrer Wettbewerbsfähigkeit gegenüber einer Nichtbehinderten in besonderer Weise beein-trächtigen und sie deshalb nur schwer zu vermitteln ist (vgl. BSG 7. Senat, Urteil vom 2. März 2000, Az. B 7 AL 46/99 R, BSGE 86, 10). Ausgangspunkt für die Frage, ob der behinderte Mensch der Gleichstellung bedarf, ist seine gesundheitliche Schädigung, nicht die fest-gestellte Vermittlungserschwerung (Christians in Großmann Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch (GK) - SGB IX § 2 Rdnr. 163). Eine aktuelle Arbeitsunfähigkeit muss dem nicht entgegenstehen, da diese der Natur der Sache nach eine vorübergehende Erscheinung ist, nicht und die Gleichstellung in erster Linie zukunftsorientiert ist. Auch wenn man unterstellt, dass die sachlichen Voraussetzungen für eine Gleichstellung der Klägerin mit schwerbehinderten Menschen vorliegen, hat ihre Berufung keinen Erfolg. Allein die Erfüllung der Voraussetzungen der Gleichstellung verpflichtet die Beklagte noch nicht, sie auszusprechen. Nach § 2 Abs. 3 SGB IX "sollen" Gleichstellungen mit den Schwerbehinder-ten erfolgen, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Über die Bedeutung des Begriffes "sollen" herrscht in der Literatur Streit (vgl. die Darstellung bei Schimanski in: GK-SGB IX, § 2, Rdnrn. 308, 309). Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 2. März 2000 a.a.O.) ist unter dem Prädikat "sollen" ein gebundenes Ermessen zu verstehen, wonach im Regelfall eine Gleichstellung zu erfolgen hat, es sei denn, es läge ein atypischer Fall vor. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an, weil sie einerseits dem Sinn der gesetzlichen Regelung entspricht und andererseits garantiert, dass der Einheitlichkeit der Auslegung des Merkmals "soll" Rechnung getragen wird (vgl. z. B. § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Bei ihrer Entscheidung, der Klägerin lediglich eine Zusicherung zu erteilen, hat die Beklagte ihr Ermessen sachgerecht und dem Zweck der Ermächtigung entsprechend ausgeübt (§ 39 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I –). Auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens hat die Klägerin einen Anspruch (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I). Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte bei ihrer Ermessensausübung sowohl dem Umstand, dass die Klägerin aktuell nicht Inhaberin eines Arbeitsplatzes gemäß § 73 SGB IX ist als auch der Arbeitsmarktsituation Bedeutung beigemessen hat. Diese Gesichtspunkte entsprechen dem Zweck der Ermächtigung, denn der Sinn der gesetzlichen Regelung besteht – wie dargestellt – darin, die Chancen des von § 2 Abs. 3 SGB IX betroffenen Personenkreises gegenüber nicht behinderten Arbeitnehmern bzw. Arbeitsuchenden zu verbessern. Würde im vorliegenden Fall die Gleichstellung ausgesprochen, hätte dies zur Folge, dass sich zwar einerseits die Chancen der Klägerin verbesserten (nämlich soweit sie die Einstellung bei ei-nem Arbeitgeber anstrebt, der bereit bzw. interessiert ist, eine Schwerbehinderte einzustellen), anderseits aber auch verschlechterten, weil ein Teil des Arbeitsmarktes verschlossen würde, nämlich soweit es sich um Arbeitsstellen bei einem Arbeitgeber handelt, der die Einstellung eines Schwerbehinderten (z. B. wegen des erweiterten Kündigungsschutzes) ablehnt. Dieser tatsächlichen Situation auf dem Arbeitsmarkt kann nur durch die Zusicherung Rechnung getragen werden. Dass es durchaus Arbeitgeber gibt, die sich in der beschriebenen Weise verhalten, kann die Beklagte aufgrund ihrer Verpflichtung zur Beobachtung, Untersuchung und Auswertung des Arbeitsmarktes (vgl. §§ 280 ff. SGB III) beurteilen. Diese Sachnähe ist auch der Grund, warum nicht den Versorgungsämtern oder den Hauptfürsorgestellen (jetzt Integrationsämtern), sondern der Bundesagentur für Arbeit die Prüfung der Gleichstellungsanträge übertragen wurde (vgl. Spiolek in: Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch – SGB IX § 104, Rdnr. 75). Die Arbeitsmarktsituation ist damit nicht nur zulässiges, sonders sogar notwendiges Kriterium für die Ausübung des der Beklagten auf-gegebenen gebundenen Ermessens. Vor diesem Hintergrund bietet die von der Beklagten gewählte verwaltungsrechtliche Hand-lungsform der Zusicherung die Möglichkeit, die Konkurrenzsituation der Klägerin auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Wegen der Zusicherung der Gleichstellung kann sie sich soweit es darauf ankommt auf den Gleichstellungsanspruch berufen und damit ihre Chancen bei Bewerbungen verbessern, gleichzeitig kann sie für jenen Teil des Arbeitsmarktes, bei dem die Schwerbehinderung bzw. die Gleichstellung nicht weiterhilft bzw. sogar schadet, als Nichtbehinderte auftreten. Sollte die Klägerin als Nichtbehinderte einen Arbeitsplatz erlangen, ergäbe sich bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 SGB IX (Gefährdung dieses Arbeitsplatzes aufgrund seiner Behinderungen) die Möglichkeit, eine Gleichstellung zu erreichen. Insgesamt bietet damit die Entscheidung der Beklagten eine wesentlich bessere Möglichkeit, eine Reintegration der Klägerin in das Erwerbsleben zu erreichen, als eine (sofortige) Gleichstellung (vgl. Urteil des Hessischen Landessozialgerichts, Beschluss vom 11. Juli 2007 – Az. L 7 AL 61/06 – Juris). Ein weiterer atypischer Umstand, der es rechtfertigt, von der für den Regelfall gebotenen Gleichstellung abzusehen und der Klägerin diese stattdessen verbindlich für den Fall zuzu-sagen, dass ein Arbeitgeber ihre Einstellung von ihrer Gleichstellung mit einer Schwerbehin-derten abhängig macht, ist ihre offenkundig seit längerem bestehende Arbeitsunfähigkeit, die zum einen die Bemühungen der Beklagten um eine Vermittlung der Klägerin in einen lei-densgerechten Arbeitsplatz bisher unmöglich machte und damit eine konkrete Beurteilung ihrer Konkurrenzfähigkeit zumindest erschwerte, zum anderen für die Dauer ihres Bestehens die Notwendigkeit einer sofortigen Gleichstellung ausschließt. Hier ist die verbindliche Zusage, die Gleichstellung sofort auszusprechen, wenn ein Arbeitgeber die Einstellung von der Gleichstellung abhängig macht, gleichsam das Mittel der Wahl. Dem stehen schließlich auch nicht die von der Klägerin dargestellten Beweggründe für ihren Antrag und die an die Gleichstellung geknüpften Erwartungen entgegen. Soweit sie geltend macht, (nur) eine Gleichstellung würde die ARGE zwingen, ihr ausschließlich behindertengerechte Arbeitsplätze oder Arbeitsgelegenheiten anzubieten, verkennt sie, dass die ARGE schon von Gesetzes wegen verpflichtet ist, bei der Vermittlung in Arbeit etwaige Behinde-rungen zu berücksichtigen, so dass es hierzu der erstrebten Gleichstellung nicht bedarf. Zu Unrecht hält die Klägerin, wie sich aus der Begründung ihres Antrags auf Erlass einer einst-weiligen Anordnung ergibt, ihre sofortige Gleichstellung mit einer Schwerbehinderten für erforderlich, damit sie nicht mehr jedes Arbeitsangebot, insbesondere keine ungeeigneten Ar-beitsplätze annehmen müsse. Es trifft eben nicht zu, dass sie ohne die Gleichstellung jeden Job und jedes Arbeitsplatzangebot annehmen muss. Nach § 10 Abs. 1 SGB II ist den er-werbsfähigen Hilfsbedürftigen jede Arbeit zuzumuten, es sei denn, dass einer der dort unter den Nummern 1-5 aufgeführten Gründe gegeben sei; hierzu gehört nach Nr. 1 der Vorschrift, dass der Hilfebedürftige zu der bestimmten Arbeit körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage sein. Dies gilt auch für Arbeitsgelegenheiten. Sollten Vermittlungen erfolgen, die mit den gesundheitlichen Möglichkeiten der Klägerin nicht in Einklang zu bringen sind, so braucht sie ihnen nicht Folge zu leisten. Gegen Sanktionen der Beklagten steht ihr der Rechtsweg offen. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil hierfür eine Veranlassung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht bestanden hat.



Versorgungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung


Versorungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung