Für die Zuerkennung des Merkzeichens aG müssen erhebliche mobilitätsbezogene Beeinträchtigungen vorhanden sein. Wie bei Personen, die unmittelbar aufgrund orthopädischer Leiden in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, muss es sich um besonders gravierende und schwerwiegende Beeinträchtigungen handeln. Das bedeutet, dass die sich aus einer geistigen Behinderung bzw. Hirnleistungsschwäche ergebenden Einschränkungen für die Mobilität im Hinblick auf die Orientierung und die Fähigkeit, zielgerichtete Wege zu gehen, für sich genommen ebenso wenig ausreichen, wie eine verminderte Gehfähigkeit aufgrund von orthopädischen Beschwerden. Es muss eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegen, die von der Intensität einer Rollstuhlnutzung auch auf kurzen Wegstrecken entspricht. Das ist nach höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung erst dann der Fall, wenn aufgrund der erheblichen Selbstgefährdung oder Gefährdung Dritter eine verantwortungsbewusste Begleitperson den Behinderten im innerstädtischen Fußgängerverkehr nicht mehr führen, sondern regelmäßig nur noch im Rollstuhl befördern würde (BSG v. 13.12.1994 - 9 RVs 3/94; LSG Nordrhein-Westfalen v. 25.08.2005 - L 7 SB 176/04; LSG Berlin-Brandenburg v. 10. März 2016 - L 11 SB 257/13 jeweils in juris).


Landessozialgericht Hamburg 3. Senat
14.05.2019
L 3 SB 22/17
Juris



Tatbestand

Die Beteiligten streiten um das Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung).

Der 1998 geborene und unter gesetzlicher Betreuung seiner Eltern stehende Kläger beantragte 2002 erstmals die Feststellungen nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bei der Beklagten. Mit Feststellungsbescheid vom 10. April 2003 wurden wegen einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 und die Merkzeichen B (Berechtigung zur ständigen Begleitung) und H (Hilfslosigkeit) festgestellt. Aufgrund eines Neufeststellungsantrags im August 2013 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 17. April 2014 einen GdB von 100 wegen einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung und zusätzlich das Merkzeichen G (erhebliche Gehbehinderung) fest. Mit seinem Neufeststellungsantrag vom 4. März 2015 beantragte der Kläger auch die Feststellung des Merkzeichens aG. Zur Begründung legte er eine Stellungnahme seines behandelnden Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. C. bei. Dieser führte aus, aufgrund der besonderen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der autistischen Erkrankung des Klägers ergäben sich Probleme an der Teilnahme des öffentlichen Lebens, insbesondere auf der Straße. Der Kläger gerate teils massiv unter Druck, wenn er Dinge nicht verstehe oder wenn Dinge längere Zeit in Anspruch nehmen würden. Er schmeiße sich beispielsweise auf den Boden und lasse sich nicht aufheben. Er werde auf den Fußwegen mitunter sehr aggressiv und betrete dann unvermittelt die Fahrbahn. Um die Zeit von der Wohnung zum Auto zuverlässig zu verkürzen, empfahl Herr Dr. C. die Einrichtung einer Parkerleichterung und die Gewährung des Merkmals aG, weil beim Kläger jederzeit die Gefahr bestehe, dass er weglaufe und sich dadurch erheblich in Gefahr bringe. Nachdem die Beklagte das Pflege-gutachten des Klägers, einen Befundbericht von Herrn Dr. C. und eine Stellungnahme ihres ärztlichen Dienstes eingeholt hatte, stellte sie mit Bescheid vom 10. Juni 2015 fest, dass weiterhin ein GdB von 100 wegen einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung bestehe. Ebenso seien die Merkzeichen G, B, H und zusätzlich RF (Ermäßigung der Rundfunkgebühr) festzustellen. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG seien nicht erfüllt. Hiergegen legte der Kläger am 1. Juli 2015 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2015 zurückgewiesen wurde.

Am 3. August 2015 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben mit dem Ziel der Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen aG. Zur Begründung hat er vorgetragen, außergewöhnlich gehbehindert zu sein, weil er sich wegen der Schwere seines Leidens nur mit fremder Hilfe fortbewegen könne. Er leide an einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung. Es lägen geistige und körperliche Einschränkungen seiner Gehfähigkeit vor. Unter Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention sei bei ihm das Merkzeichen aG festzustellen.

In der mündlichen Verhandlung hat der Betreuer des Klägers, sein Vater, geschildert, dass der Kläger zunehmend aggressiv werde und auch weglaufe, wenn er, der Vater, wegen des Mangels an Parkplätzen das Auto weiter entfernt von dem geplanten Ziel parken müsse. Wenn z.B. geplant sein, mit dem Kläger zum Schwimmen zu gehen und er wegen des Parkplatzmangels nahe beim Schwimmbad weiter entfernt bei einem Supermarkt parke, werde der Kläger aggressiv.

Die Beklagte hat auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und den Inhalt ihrer Verwaltungsakte verwiesen. Ergänzend hat sie ausgeführt, dass nach Einholung der Befundberichte deutlich werde, dass der Kläger den ganzen Tag herumlaufe. Eine relevante motorische Störung liege nicht vor.

Das Sozialgericht hat zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt (Berichte der Ärzte für Kinder- und Jugend-psychiatrie Dres. H. und C. sowie der Ärztin für Allgemein Medizin I.).

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 13. September 2017 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs aG nicht vorliegen würden. Unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Ziels der Neuregelung in § 146 Abs. 3 SGB IX und des Grundsatzes, dass das Recht, Behinderten-Parkplätze zu benutzen, wegen ihrer begrenzten Anzahl unter strengen Voraussetzungen zu vergeben sei, erfülle der Kläger die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht. Es fehle an einer mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem GdB von 80 entspreche. Schon deshalb sei eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht erforderlich. Der Kläger sei unstreitig in der Lage, zu gehen. Es liege auch keine Störung mobilitätsbezogener mentaler Funktionen im Sinne von § 146 Abs. 3 Satz 3 SGB IX vor. Dem Kläger sei zwar einzuräumen, dass er nicht in der Lage sei, ohne sich und andere Verkehrsteilnehmer an Leib und Leben zu gefährden, selbstständig am Straßenverkehr teilnehmen zu können. Deshalb bedürfe er der Begleitung und insoweit sei auch das entsprechende Merkzeichen B (neben dem Merkzeichen G) festgestellt worden. Die gewünschte Parkerleichterung wäre ihm aber keine Hilfe, sein Ziel zu erreichen, weil er auch auf dem verkürzten Weg überwacht und geleitet werden müsse. Eine Erleichterung würde nur für die Begleitpersonen eintreten, das sei aber nicht Sinn des Nachteilsausgleichs. Hiermit solle die unausweichliche Wegstrecke für Schwerbehinderte, die sich nur mit außergewöhnlicher Anstrengung zu Fuß fortbewegen können, verkürzt werden. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Ausnahmegenehmigung für Parkerleichterungen nach der Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) erfülle der Kläger gleichfalls nicht.

Gegen das am 19. September 2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. Dezember 2017 Berufung eingelegt. Entgegen der Annahme des Sozialgerichts seien die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, unter welchen Voraussetzungen eine außergewöhnliche Gehbehinderung zu bejahen sei, nicht ohne weiteres auf die aktuelle Rechtslage übertragbar. Der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung klargestellt, dass auch Gesundheitsstörungen außerhalb des orthopädischen Fachgebiets eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung bedingen könnten, da die Legaldefinition in Satz 2 des § 146 Abs. 3 SGB IX aufgrund ihrer allgemeinen Formulierung Gesundheitsstörungen verschiedenster medizinischer Fachgebiete umfasse. Das Bundessozialgericht habe mehrfach festgestellt, dass auch neurologische Erkrankungen die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG begründen könnten. Das BSG habe es jedoch versäumt, sich inhaltlich mit den verfassungs- und konventionsrechtlichen Diskriminierungsverboten auseinanderzusetzen. Zusammenzufassend sei festzustellen, dass die vom Sozialgericht in Anlehnung an die frühere Rechtsprechung des BSG entwickelten starren Kriterien, die praktisch den Anwendungsbereich des § 146 Abs. 3 SGB IX für psychische und seelische Behinderungen ins Leere laufen lassen würden, einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und des Diskriminierungsverbots des Artikels 5 Abs. 2 UN-Behindertenrechtskonvention darstellen würden, wenn sich ein schwerbehinderter Mensch im Einzelfall tatsächlich dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeugs zu bewegen vermöge, jedoch seine Gehfähigkeit einschränkenden Behinderungen unterhalb des maßgebenden Grades bleiben würden. Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. September 2017 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen aG festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des klageabweisenden Urteils des Sozialgerichts vom 13. September 2017.

Der Senat hat das Pflegegutachten vom 1. Oktober 2014 von der Pflegekasse beigezogen. Hieraus ergibt sich ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 281 Minuten. In dem Gutachten wird eine starke Distanzlosigkeit des Klägers beschrieben. Es komme häufig zu autoaggressivem Verhalten und unsachgemäßem Umgang mit Gegenständen, es bestünden Weglauftendenzen.

Das Berufungsgericht hat zur allgemeinen Sachverhaltsaufklärung im Hinblick auf die Erkrankung des Klägers, seine Wegefähigkeit und die beim Kläger bestehende mentale Belastung bei der Überwindung auch kürzerer Wegstrecken sowie zur Gefährdungssituation ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Der Facharzt für Allgemeinmedizin W. ist nach Untersuchung des Klägers in häuslicher Umgebung in seinem Sachverständigengutachten vom 27. Juli 2018 zu der Einschätzung gelangt, dass eine die Umwelt stark herausfordernde Verhaltensweise mit hohem Bewegungsdrang, distanzlosem Verhalten gegenüber anderen und ungebremstem Interesse an Gegenständen sowie häufige Weglauftendenzen vorliegen würden. Der Kläger sei nicht in der Lage, Risiken und Gefahren einzuschätzen, er zeige unvorhersehbar spontane Verhaltens- und Stimmungsänderungen. Ohne eine ständige Betreuung und engmaschige Kontrolle könne er sich nicht außerhalb der Wohnung bewegen. Die allgemeine Gehfähigkeit des Klägers sei jedoch als uneingeschränkt zu beurteilen. Je nach Tagesform könne er auch längere Wegstrecken zurücklegen, dies aber nur in Begleitung. Jederzeit müsse mit unvorhergesehenen Verhaltensweisen und Reaktionen gerechnet werden. So komme es vor, dass der Kläger plötzlich und unvermittelt auf die Straße laufe, ohne den Verkehr zu beachten. Auch auf Fußwegen sei er nicht verkehrssicher, zeitweise werfe er sich hin, schreie oder ziehe sich die Oberbekleidung aus. Diese Verhaltensweisen seien nicht vorhersehbar. Es gebe Schwankungen mit unruhigen Phasen von etwa zwei Wochen Dauer, die von ruhigeren Phasen unterbrochen würden, die etwa 2-3 Wochen dauern. Insbesondere bei neuen, fremden oder ungewohnten Situationen sei mit unvorhergesehenen Verhaltensweisen zu rechnen. Die Belastung des Klägers im Vergleich zu nichtbehinderten Menschen sei bei der Überwindung auch kürzerer Wegstrecken sehr hoch. Im Unterschied z.B. zu Querschnittsgelähmten, die ständig an den Rollstuhl gebunden seien, könne der Kläger außerhalb der Wohnung, unabhängig von der zurückgelegten Wegstrecke, keine Sekunde aus den Augen gelassen werden, da jederzeit mit selbst- und fremdgefährdendem Verhalten zu rechnen sei (z.B. durch das unaufmerksam Betreten der Fahrbahn oder das Hinwerfen auf Fußwegen). Der Sachverständige hat seinem Gutachten einen Bericht der Tagesförderung M. vom 29. Juni 2018 beigefügt. Es wird inhaltlich auf das Sachverständigengutachten vom 27. Juli 2018 und die beigefügten Anlagen Bezug genommen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass auch in Anbetracht der Feststellungen des Sachverständigen nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Voraussetzungen des Merkzeichens aG vorliegen würden. Selbstverständlich könnten auch psychische Erkrankungen zu einer Einschränkung des Gehvermögens führen, gleichwohl sei mit der Neufassung des Rechts für das Merkzeichens aG und der Statuierung des Begriffs mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung keine vollkommene Loslösung vom Begriff der Gehfähigkeit beabsichtigt gewesen. Andernfalls müsste auch blinden Menschen, deren Gehfähigkeit ansonsten gut erhalten sei, ein entsprechender Anspruch zugebilligt werden, was nicht der Fall sei.

Bei dem Kläger sei keine mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung festzustellen, die einem GdB von 80 entspreche. Denn wie sich aus dem Sachverständigengutachten ergebe, sei die Fähigkeit, sich fortzubewegen, uneingeschränkt vorhanden. Die Erforderlichkeit, den Kläger zu führen und zu beaufsichtigen werde nicht in Abrede gestellt, sei jedoch bereits durch die Feststellung der Merkzeichen H und B ausgeglichen. Auch bei einem an Demenz erkrankten Menschen müsse für die Feststellung des Merkzeichens aG eine so starke Selbstgefährdung oder Gefährdung Dritter vorliegen, dass eine verantwortungsbewusste Begleitperson den behinderten Menschen im innerstädtischen Fußgängerverkehr nicht mehr führen, sondern regelmäßig nur noch im Rollstuhl befördern wurde. Das sei auch nach Inkrafttreten der Regelung des § 229 SGB IX geltende Rechtslage.

Selbst wenn man bestimmte Einschränkungen des Berufungsklägers unter dem Begriff mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung subsumieren würde, erreiche dieser dennoch nicht einen Teil-GdB von 80 im Hinblick auf die Mobilitätseinschränkungen. Die wesentlichen Beeinträchtigungen des Klägers seien nicht mobilitätsbezogen, so z.B. die Intelligenzminderung, fehlender Spracherwerb, Schlafstörungen und die allgemeine Pflegebedürftigkeit. Der verbleibende mobilitätsbezogene Anteil erreiche nicht den erforderlichen Grad von 80.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat darauf hingewiesen, dass die Beweisaufnahme mobilitätsbezogene Beeinträchtigungen ergeben habe. Das Berufungsgericht habe durch die Beweisanordnung zu erkennen gegeben, dass es auf die Klärung der erstinstanzlich offen gebliebenen Tatsachenfragen ankomme. Diese seien nunmehr positiv beantwortet worden und es sei davon auszugehen, dass Gerichte nur über entscheidungserhebliche Tatsachenfragen Beweis erheben dürften. Soweit die Beklagte die Voraussetzungen einer mobilitätsbezogenen Beeinträchtigung verneine, beziehe sie sich auf überholte Kommentarliteratur und Rechtsprechung. Sie übersehe zudem, dass der Sachverständige gerade den Aspekt der Selbstgefährdung und Gefährdung Dritter einer ausführlichen Prüfung unterzogen habe. Im Übrigen seien sämtliche Beeinträchtigungen des Klägers, die einen Gesamt-GdB von 100 ausmachen würden, als mobilitätsbezogen anzusehen.


Entscheidungsgründe

Die statthafte, insbesondere form- und fristgerechte Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden, das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Die Beklagte hat es zu Recht mit Bescheid vom 10. Juni 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2015 abgelehnt, das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen aG festzustellen. Die Tatbestandsvoraussetzungen hierfür liegen nicht vor.

Seit dem 1. Januar 2018 sind die Voraussetzungen für eine außergewöhnliche Gehbehinderung in § 229 Abs. 3 SGB IX geregelt, eine inhaltliche Neuregelung gegenüber § 146 Abs. 3 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung ist nicht erfolgt.

Schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind danach Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht (§ 229 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Nach Satz 2 liegt eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung - dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen - aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind (Satz 3). Verschiedenste Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen (Satz 4). Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleichkommt (Satz 5).

In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/9522, S. 317 f.) zu dieser Vorschrift werden folgende Beispiele genannt, bei denen die Voraussetzungen erfüllt sein können:

- zentralnervöse, peripher-neurologische oder neuromuskulär bedingte Gangstörungen mit der Unfähigkeit, ohne Unterstützung zu gehen, oder wenn eine dauerhafte Rollstuhlbenutzung erforderlich ist (insbesondere bei Querschnittlähmung, Multipler Sklerose, Amyotropher Lateralsklerose (ALS), Parkinsonerkrankung, Para- oder Tetraspastik in schwerer Ausprägung)

- Funktionsverlust beider Beine ab Oberschenkelhöhe oder Funktionsverlust eines Beines ab Oberschenkelhöhe ohne Möglichkeit der prothetischen oder orthetischen Versorgung (insbesondere bei Doppeloberschenkelamputierten und Hüftexartikulierten)

- schwerste Einschränkung der Herzleistungsfähigkeit (insbesondere bei Linksherz-schwäche Stadium NYHA IV)

- schwerste Gefäßerkrankungen (insbesondere bei arterieller Verschlusskrankheit Stadium IV)

- Krankheiten der Atmungsorgane mit nicht ausgleichbarer Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades

- schwerste Beeinträchtigung bei metastasierendem Tumorleiden (mit starker Auszehrung und fortschreitendem Kräfteverfall)

Wie sich aus den Gesetzesmaterialien zum Bundesteilhabegesetz (BT-Drs. 18/9522 S. 317) ergibt, soll es nicht mehr auf das Vorliegen bestimmter Diagnosen, sondern ausschließlich darauf ankommen, ob die Auswirkungen einer Gesundheitsstörung in Wechselwirkung mit vorhandenen Barrieren im Einzelfall zu Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und somit zu einer Behinderung führen. Die bisherige diagnosebezogene Definition der außergewöhnlichen Gehbehinderung im Verkehrsrecht habe diesem neuen Standard nicht mehr entsprochen, auch wenn im Wege der Auslegung andere Gesundheitsstörungen hätten einbezogen werden können. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich allerdings auch, dass in Anbetracht des knappen Parkraums weiterhin eine restriktive Auslegung geboten ist, was auch aus behinderungspolitischen Erwägungen folgt, wonach sichergestellt werden soll, dass behinderte Menschen mit den beschriebenen Einschränkungen die Erleichterung auch tatsächlich in Anspruch nehmen können. Der Grund liegt darin, dass der Personenkreis, welcher zur Nutzung von Behindertenparkplätze berechtigt ist, möglichst klein gehalten werden soll. Dieses Ziel kann erreicht werden, indem man die tatbestandlichen Voraussetzungen bewusst eng hält (Masuch in: Hauck/Noftz, SGB, 08/18, § 229 SGB IX, Rn. 140).

Das bedeutet, dass sich das Vorliegen mobilitätsbezogener Einschränkungen ausschließlich nach den tatsächlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen beurteilt und es nicht darauf ankommen kann, ob bestimmte orthopädische Einschränkungen vorliegen. Auch neurologisch-psychiatrische Erkrankungen können grundsätzlich zu einer außergewöhnlichen Gehbehinderung führen. Der Gesetzestext nennt in diesem Zusammenhang ausdrücklich Störungen neuromuskulärer oder mentaler Funktionen (§ 229 Abs. 3 Satz 4 SGB IX). Allerdings reichen Auswirkungen auf das Gehvermögen nicht aus. Die Mobilitätsstörungen sind nach § 229 Absatz 3 Satz 5 SGB IX nur dann als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Absatz 3 Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleich kommt. Unter Berücksichtigung der Legaldefinition in § 229 Abs. 3 Satz 2 SGB IX ergibt sich, dass sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können und hierzu zählen nach Satz 3 insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung - dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen - aus medizinischer Notwendigkeit auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen sind. Eine solche Vergleichbarkeit liegt jedoch nicht vor.

Da der Vergleichsmaßstab auch nach der Neufassung des § 146 Abs. 3 SGB IX (und inhaltlichen Übernahme in § 229 Abs. 3 SGB XI) unverändert geblieben ist und auf die Gehfähigkeit außerhalb von Kraftfahrzeugen und die Nutzung eines Rollstuhls auch für sehr kurze Entfernungen abgestellt wird, kann auf die in der Rechtsprechung entwickelten Auslegungsgrundsätze zurückgegriffen werden. Die gesetzliche Definition des neuen Begriffs der "erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung" knüpft sehr eng an die vorherige Rechtsprechungs- und Verwaltungspraxis an. Demnach kann insbesondere auf die bisherigen Grundsätze zurückgegriffen werden, die die Rechtsprechung für die Prüfung herangezogen hat, ob der schwerbehinderte Mensch "nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung" gehen kann (Masuch in: Hauck/Noftz, SGB, 08/18, § 229 SGB IX, Rn. 140).

Das BSG hat konkretisiert, dass starre Vorgaben in Bezug auf eine bestimmte Gehstrecke und die hierfür benötigte Zeit nicht aufgestellt werden können (BSG v. 11.08 2015 - B 9 SB 2/14 R in juris):

Ob die danach erforderlichen großen körperlichen Anstrengungen beim Gehen dauerhaft vorliegen, ist Gegenstand tatrichterlicher Würdigung, die sich auf alle verfügbaren Beweismittel, wie Befundberichte der behandelnden Ärzte, Sachverständigengutachten oder einen dem Gericht persönlich vermittelten Eindruck, stützen kann. Dabei stellt das alleinige Abstellen auf ein einzelnes, starres Kriterium vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes in Art 3 Abs 1 GG in der Regel keine sachgerechte Beurteilung dar, weil es eine Gesamtschau aller relevanten Umstände eher verhindert (vgl BSG Urteil vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - Juris RdNr 17). Ein an einer bestimmten Wegstrecke und einem Zeitmaß orientierter Maßstab liegt auch nicht wegen der Methode nahe, mit der die medizinischen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" festgestellt werden. Denn für das Merkzeichen "aG" gelten gegenüber "G" nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG Urteil vom 29.3.2007 - B 9a SB 1/06 R - Juris RdNr 21 f; BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 11 S 45 = Breithaupt 1995, 623).

Maßgeblich sind die Anstrengungen, die für die Bewältigung auch kürzerer Wegstrecken aufgewendet werden müssen, Gradmesser hierfür können Schmerzen bzw. das Erschöpfungsbild sein, welches sich u.a. durch Pausen und den Umständen, unter denen der behinderte Mensch seinen Weg fortsetzt, ableiten lassen (BSG v. 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R und B 9a SB 5/05 R, jeweils in juris). Die Anstrengungen müssen dauerhaft vorliegen.

Bei Einschränkungen aufgrund von psychiatrischen Erkrankungen oder einer Hirnleistungsschwäche ist jedoch häufig das körperliche Gehvermögen nicht maßgeblich beeinträchtigt, sondern die Steuerungsfähigkeit in Bezug auf Koordination, Orientierungsfähigkeit und Gefahrenerkennung. Derartige Behinderungen können dazu führen, dass bei einem grundsätzlich intakten Gehvermögen auch kürzere Wegstrecken nicht zielgerichtet bewältigt werden können, z.B. weil Weglauftendenzen bestehen oder unvermittelte Bewegungen bzw. Anfälle zu Eigen- und Fremdgefährdung führen können. Auch derartige Störungen vermögen nach dem Gesetzeswortlaut grundsätzlich eine außergewöhnliche Gehbehinderung zu begründen. Der umfassende Behindertenbegriff i.S. des § 2 Abs. 1 S 1 SGB IX gebietet im Lichte des verfassungsrechtlichen und des unmittelbar anwendbaren UN-konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots (Art 3 Abs. 3 S 2 GG; Art 5 Abs. 2 UN-BRK) die Einbeziehung aller körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen (BSG v. 11.08 2015 - B 9 SB 1/14 R, SozR 4-3250 § 69 Nr. 21, Rn 21 zum Merkzeichen G). Allerdings müssen die Anstrengungen auf einem vergleichbaren Niveau sein, wie es bei Gehbehinderten mit körperlichen Einschränkungen der Fall ist.

Das BSG hat in diesem Zusammenhang bei einem intensiven Anfallsleiden mit zwanzig Anfällen pro Tag eine Vergleichbarkeit abgelehnt und ausgeführt, dass es am erforderlichen Dauerzustand mangele. Eine Gleichstellung käme erst in Betracht, wenn wegen gleichbleibender Häufigkeit der Anfälle ständig ein Rollstuhl genutzt werden müsse. Die dauernde Gefahr des Eintretens einer außergewöhnlichen Gehunfähigkeit sei nicht einem Fortbestehen derselben gleichzuachten, wenn der Zweck der Parkvergünstigung berücksichtigt werde. Gefährdungen dieser Art bestünden bei zahllosen Behinderten mit hirnorganischen Anfallsleiden sowie bei unzähligen Personen mit anderen Erkrankungen, die gelegentlich zu einem anfallsartigen Zusammenbruch führen. (BSG v. 29. 01. 1992 - 9a RVs 4/90 in juris, Rn. 13 - 14). Das BSG hat auch vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Neufassung von § 146 SGB IX an dieser Rechtsaufassung festgehalten (BSG v. 16.03.2016 - B 9 SB 1/15 R).

In einer anderen Entscheidung zu dieser Thematik hat das BSG klargestellt, dass es nicht ausreicht, wenn die durch den Nachteilsausgleich aG vermittelten Parkvergünstigungen der Begleitperson ihre Aufgabe erleichtern würde, weil sie den dortigen Kläger nur auf einem verkürzten Weg zu überwachen und zu leiten gehabt hätte. Das sei nicht Sinn dieses Nachteilsausgleichs. Er solle allein die neben der Kraftfahrzeugbenutzung unausweichliche Wegstrecke für Schwerbehinderte abkürzen, die sich nur mit außergewöhnlicher und großer Anstrengung zu Fuß fortbewegen können (BSG v. 13. 12. 1994 - 9 RVs 3/94, SozR 3-3870 § 4 Nr 11, Rn. 12).

Das LSG Nordrhein-Westfalen (v. 25. 08 2005 - L 7 SB 176/04 in juris, Rn. 22 unter Verweis auf BSG v. 13.12.1994 - 9 RVs 3/94; v. 29.01.1992 - 9 a/9 RVs 4/90; v. 22.04.1998 - B 9 SB 7/97 R) hat bei einer Demenzerkrankung keine außergewöhnliche Gehbehinderung angenommen. Ein solcher Zustand sei noch nicht erreicht, wenn der Behinderte wegen der Beeinträchtigung seines Orientierungsvermögens und seines unkontrollierbaren Bewegungsdranges der Führung durch eine Begleitperson bedürfe. Hinzukommen müsse eine so starke Selbstgefährdung oder Gefährdung Dritter, dass eine verantwortungsbewusste Begleitperson den Behinderten im innerstädtischen Fußgängerverkehr nicht mehr führen, sondern regelmäßig nur noch im Rollstuhl befördern würde.

In einem vergleichbaren Fall mit einem therapieschweren Epilepsiesyndrom bei geistiger Behinderung sowie einer schweren autistischen Verhaltensstörung hat das LSG Berlin-Brandenburg (v. 10. 03 2016 - L 11 SB 257/13 in juris) entschieden, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht gegeben seien. Ähnlich wie im vorliegenden Fall kam es in Situationen, wie z. B. bei Ortswechseln oder unvorhergesehenen Begebenheiten zu vehementen Bewegungsstereotypien, zeitweise auch mit stark autoaggressivem und aggressivem Verhalten ohne Einwirkungsmöglichkeiten. Diese Verhaltensweisen sind jedoch nach Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg nicht geeignet, das Merkzeichen aG zu begründen. Zweck dieses Merkzeichens sei es nämlich, die neben der Kraftfahrzeugbenutzung unausweichliche Wegstrecke für die schwerbehinderten Personen abzukürzen, die sich nur mit außergewöhnlicher und großer Anstrengung zu Fuß fortbewegen können. Dieser Zweck lasse sich jedoch nicht erreichen. Denn die vorliegenden Beeinträchtigungen würden lediglich zur Notwendigkeit einer ständigen, d.h. auch auf einem gegebenenfalls verkürzten Weg, Überwachung und Begleitung führen (LSG Berlin-Brandenburg v. 10. 03. 2016 - L 11 SB 257/13 in juris, Rn 33).

Gemessen an diesen sich aus dem Gesetz und der Rechtsprechung ergebenden Kriterien kann nicht von einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung ausgegangen werden. Die Situation des Klägers weicht von denjenigen Personen ab, die sich dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Sie ist nicht vergleichbar mit der Notwendigkeit, auch für sehr kurze Entfernungen einen Rollstuhl nutzen zu müssen.

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ergibt sich das Bild einer sehr beeinträchtigenden geistigen Behinderung auf dem Boden einer autistischen, frühkindlich begonnenen schweren Entwicklungsverzögerung mit Intelligenzminderung und fehlendem Spracherwerb. Obwohl die Gehfähigkeit des Klägers motorisch nicht beeinträchtigt ist und er, je nach Tagesform, auch längere Wegstrecken zurückzulegen kann, ist er nicht in der Lage, zielgerichtet allein Wegstrecken zurückzulegen. Es muss - besonders in fremder Umgebung - jederzeit mit unvorhergesehenen Verhaltensweisen und Reaktionen gerechnet werden. Es kommt nach den glaubhaften Schilderungen der Eltern und den Feststellungen des Sachverständigen W. vor, dass der Kläger unvermittelt, ohne auf den Verkehr zu achten, auf die Straße läuft oder aber sich auf den Gehweg wirft und die Oberbekleidung auszieht. Es ist jederzeit mit selbst- und fremdgefährdenden Verhalten z.B. durch das unaufmerksame Betreten der Fahrbahn oder das Hinwerfen auf Wegen zu rechnen. Diese Verhaltensweise besteht nach den Angaben des Sachverständigen unabhängig von der Wegstrecke und der Situation, sie kommt häufig, aber nicht regelhaft vor und kann nicht vorhergesagt werden. Nach den Feststellungen des Sachverständigen gibt es Schwankungen mit unruhigen Phasen von etwa 2 Wochen Dauer, die von ruhigeren Phasen unterbrochen würden, die wiederum etwa 2-3 Wochen dauern.

Soweit es die vom Sachverständigen beschriebenen unvorhergesehenen "Ausbrüche" betrifft, also das unvermittelte Loslaufen und das Hinwerfen auf dem Gehsteig, fehlt es bereits an der geforderten Dauerhaftigkeit der Einschränkung. Die mobilitätsbezogene Einschränkung muss im Sinne eines Dauerzustandes gegeben sein, einzelne "Anfälle" reichen nicht aus, ebenso die dauernde Gefahr des Eintretens einer Gehunfähigkeit - sofern man davon ausgeht, dass der Kläger nicht mehr zu Weitergehen motiviert werden kann, wenn er sich hingeworfen hat. Das BSG hat an der Rechtsprechung festgehalten, dass eine dauerhafte Einschränkung bestehen muss und Gefährdungen, wie sie bei zahllosen Behinderungen mit hirnorganischen Anfallsleiden vorkommen, nicht berücksichtigt werden können und eine Gleichstellung erst in Betracht kommt, wenn aufgrund der Häufigkeit der Anfälle ständig einen Rollstuhl benutzt werden muss (s. zuletzt BSG v. 16.03.2016 - B 9 SB 1/15 R in juris, Rn 21).

Aber auch ungeachtet der Dauerhaftigkeit der Einschränkung bzw. Vorfälle besteht keine Vergleichbarkeit mit der Notwendigkeit der Nutzung eines Rollstuhls für kürzere Wegstrecken. Wie bereits dargelegt müssen erhebliche mobilitätsbezogene Beeinträchtigungen vorhanden sein. Wie bei Personen, die unmittelbar aufgrund orthopädischer Leiden in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, muss es sich um besonders gravierende und schwerwiegende Beeinträchtigungen handeln. Das bedeutet, dass die sich aus einer geistigen Behinderung bzw. Hirnleistungsschwäche ergebenden Einschränkungen für die Mobilität im Hinblick auf die Orientierung und die Fähigkeit, zielgerichtete Wege zu gehen, für sich genommen ebenso wenig ausreichen, wie eine verminderte Gehfähigkeit aufgrund von orthopädischen Beschwerden. Es muss eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegen, die von der Intensität einer Rollstuhlnutzung auch auf kurzen Wegstrecken entspricht. Das ist nach höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung erst dann der Fall, wenn aufgrund der erheblichen Selbstgefährdung oder Gefährdung Dritter eine verantwortungsbewusste Begleitperson den Behinderten im innerstädtischen Fußgängerverkehr nicht mehr führen, sondern regelmäßig nur noch im Rollstuhl befördern würde (BSG v. 13.12.1994 - 9 RVs 3/94; LSG Nordrhein-Westfalen v. 25.08.2005 - L 7 SB 176/04; LSG Berlin-Brandenburg v. 10. März 2016 - L 11 SB 257/13 jeweils in juris).

Eine solche Situation ergibt sich vorliegend jedoch nicht. Es ist weder vorgetragen noch kann aus den beigezogenen Befundberichten bzw. dem eingeholten Sachverständigengutachten abgeleitet werden, dass der Kläger so massiv beeinträchtigt ist, dass er im öffentlichen Bereich nur noch in einem Rollstuhl transportiert werden könnte. Zum einen fehlt es an einer entsprechenden Versorgung, der Sachverständige hat ausgeführt, das Hilfsmittel weder vorhanden noch notwendig seien. Der Transport in einem Rollstuhl wäre auch kontraproduktiv, weil der Kläger einen starken Bewegungsdrang hat. Die Eltern des Klägers haben gegenüber dem Sachverständigen angegeben, dass ihr Sohn einen hohen Bewegungsdrang habe, aus diesem Grund würden Sie nach Möglichkeit jeden Tag mit ihm außerhalb der Wohnung umhergehen. Je nach Tagesform kann der Kläger dabei auch - in Begleitung - längere Wegstrecken zurücklegen. Das Bedürfnis nach Bewegung würde sich mit entsprechend negativen Folgen erhöhen, wenn der Kläger sämtliche Wege nur noch im Rollstuhl zurücklegen würde.

Auch wenn man allein auf den Grad der Anstrengung und Belastung abstellt, ergibt sich keine abweichende Einschätzung. Zwar hat der Sachverständige die Belastung des Klägers im Vergleich mit nichtbehinderten Menschen bei der Überwindung auch kürzester Wegstrecken als sehr hoch eingeschätzt, er hat jedoch zur Begründung auf die Situation der Begleitperson abgestellt, indem er zur weiteren Erläuterung ausführt, dass der Kläger keine Sekunde aus den Augen gelassen werden könne und ständiger Betreuung und Überwachung bedürfe. Der Sachverständige hat dementsprechend weiter dargelegt, dass der Kläger im Vergleich zu einem Querschnittsgelähmten mehr Aufmerksamkeit bei der Begleitung benötige. Auch an dieser Stelle hat der Sachverständige auf die Situation der Begleitperson abgestellt. Diese ist aber - wie bereits dargelegt - für das Merkzeichen aG nicht von Belang. Es ist nicht die Zielsetzung der Parkvergünstigung und entspricht nicht dem Sinn des Nachteilsausgleichs, die Aufgaben der Begleitperson zu erleichtern und entsprechende Wege zu verkürzen. Das entsprechende Bedürfnis des Klägers wird bereits durch die Merkzeichen B und H abgedeckt (s. BSG v. 13.12. 1994 - 9 RVs 3/94; LSG Nordrhein-Westfalen v. 25.08.2005 - L 7 SB 176/04; LSG Berlin-Brandenburg v. 10. März 2016 - L 11 SB 257/13 jeweils in juris). Auch entfällt die Notwendigkeit der Beaufsichtigung und Begleitung nicht auf kürzeren Wegstrecken.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger durch die Bewegung oder längere Wegstrecken in außergewöhnlich hohem Umfang in Form von Schmerzen, Erschöpfungszuständen oder durch die Erforderlichkeit häufiger Gehpausen im Sinne der Rechtsprechung des BSG besonders belastet würde (s. BSG v. 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R und B 9a SB 5/05 R, jeweils in juris). Hiergegen spricht bereits, dass er ein ausgeprägtes Bewegungsbedürfnis hat. Weder aus den vorliegenden Befunden noch aus dem Sachverständigengutachten ergibt sich, dass der Kläger nach längeren Wegstrecken stark ermüdet oder erschöpft oder anderweitig stark belastet wäre. Das gilt auch für die geschilderten Verhaltensweisen. Selbst wenn man diese als für den Kläger belastend einstuft, wofür es bislang keinen medizinischen Beleg gibt, besteht kein erkennbarer Zusammenhang zur Bewegung im öffentlichen Verkehrsraum. Aus den Schilderungen der Tagesförderung M. vom 29. Juni 2018 ergibt sich vielmehr, dass der Kläger entsprechende Verhaltensweisen auch in geschlossenen Räumen zeigt. Es ist ein hoher Bewegungsdrang geschildert worden und dass der Kläger ähnlich wie eine Flipperkugel schnell und ziellos in den Räumen herumlaufe.

Der Argumentation des Prozessbevollmächtigten des Klägers, dass diese Rechtsprechung, die zum alten Recht ergangen ist, keinen Bestand mehr haben könne, vermag der Senat nicht zu folgen. Durch die Neufassung in § 146 SGB IX und Überführung in § 229 SGB IX ist die bisherige diagnosebezogene Definition aufgegeben worden. Nunmehr kommt es ausschließlich auf die Auswirkungen einer Gesundheitsstörung an. Nach wie vor ist aber auch nach der Neufassung des § 146 Abs. 3 SGB IX bzw. § 229 Abs. 3 SGB IX Vergleichsmaßstab unverändert die Gehfähigkeit außerhalb von Kraftfahrzeugen und die Nutzung eines Rollstuhls auch für sehr kurze Entfernungen. Auslegungsregelungen, die an eine bestimmte Diagnose anknüpfen, können deshalb tatsächlich nicht mehr herangezogen werden. Das gilt jedoch nicht für Fallgestaltungen, bei denen auf die erforderliche Einschränkung bei der Gehfähigkeit abgestellt wird. An dieser Stelle ist es gerade nicht zu Änderungen gekommen, weshalb insbesondere auf die bisherigen Grundsätze zurückgegriffen werden kann, die die Rechtsprechung für die Prüfung herangezogen hat, ob der schwerbehinderte Mensch "nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung" gehen kann (Masuch in: Hauck/Noftz, SGB, 08/18, § 229 SGB IX, Rn. 140; Wendler in Wendler/Schillings, Versorgungsmedizinische Grundsätze, Kommentar - Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung, 8. Auflage, Teil D, Merkzeichen aG, S. 441).

Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG und gegen Art. 5 Abs. 2 der UN-Behindertenrechtskonvention liegt nicht vor, weil der Anwendungsbereich von § 229 Abs. 3 SGB IX gleichermaßen Menschen mit geistigen Behinderungen sowie körperlichen Behinderungen umfasst. Eine Diskriminierung findet gerade nicht statt und der Anwendungsbereich läuft auch für psychische Behinderungen nicht ins Leere, indem sowohl für körperliche als auch geistige Behinderungen ein Anwendungsbereich eröffnet ist, der allerdings aufgrund der gebotenen restriktiven Auslegung mit einem strengen Prüfungsmaßstab jeweils nur selten gegeben ist. Wie bereits dargelegt, ist auch für mentale bzw. psychiatrische Behinderungen grundsätzlich ein Anwendungsbereich eröffnet, wenn die Eigen- und Fremdgefährdung so erheblich ist, dass auch auf kürzeren Wegstrecken ein Transport in einem Rollstuhl erforderlich wäre oder die Belastungssituation für den behinderten Menschen (nicht für die Begleitperson) dauerhaft aufgrund von Schmerzen, Erschöpfungszuständen oder einem erhöhten Pausenbedürfnis als so gravierend einzuschätzen ist, dass sich ein vergleichbar limitierter Aktionsradius ergibt. Ein weiterer Anwendungsbereich kann bei einer rein seelisch bedingten, psychogenen Gehstörung gegeben sein.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Es sind keine Gründe ersichtlich, die Revision zuzulassen. Das Gericht weicht nicht von obergerichtlicher oder höchstrichterlicher Rechtsprechung ab.



Versorungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung