Bei der in den versorgungsmedizinischen Grundsätzen im Zusammenhang mit der Zuerkennung des Merkzeichens G genannten Wegstrecke von 2 km in etwa 1/2 Stunde handelt es sich um keine starre Regelung.


Merkzeichen G   Wegstrecke


Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern 3. Senat
  14.05.2020
  L 3 SB 41/15
Juris


Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten noch, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ weiterhin gegeben sind.

Gegenüber der am ... Juli 1987 geborenen Klägerin war in der Vergangenheit durch das Versorgungsamt D-Stadt wegen einer entzündlich rheumatischen Erkrankung der Gelenke (Einzel-GdB 70) und einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 20) ein Gesamt-GdB von 70 anerkannt und das Merkzeichen „G“ zuerkannt worden.

Im Juli 2011 wurde seitens des Beklagten ein Überprüfungsverfahren eingeleitet. In einem Kurzarztbrief des Universitätsklinikum D-Stadt vom 4. Februar 2011 war vermerkt worden, dass unter antirheumatischer Basistherapie eine weitgehende Remission bestehe. Gelegentlich würden noch Arthralgien auftreten, jedoch ohne synoviale Schwellungen. Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. V. teilte am 12. Juli 2011 mit, dass im Juni 2010 wegen Kinderwunsches die rheumaspezifischen Therapien geändert worden seien (durch Resochin), wobei eine weitgehende Remission eingetreten sei.

In einer gutachterlichen Stellungnahme vom 22. Juli 2011 sprach sich Dr. S.-S. für einen Gesamt-GdB von 30 aus unter Berücksichtigung folgender Einzel-GdB:

- entzündlich-rheumatische Erkrankung der Gelenke (30) und - Funktionsstörung der Wirbelsäule (20).

Nach Umstellung auf Resochin sei eine weitgehende Remission eingetreten.

Der Beklagte hörte die Klägerin daraufhin am 3. August 2011 zur Herabsetzung des GdB und Entziehung des Merkzeichens „G“ an und stellte dann mit Bescheid vom 6. September 2011 nach § 48 SGB X einen GdB von 30 fest. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ würden nicht mehr vorliegen angesichts eines nicht mehr gegebenen GdB von wenigstens 50.

Hiergegen ist am 6. Oktober 2011 Widerspruch erhoben worden mit der Begründung, dass weiterhin rheumatisch bedingte Beschwerden bestünden sowie weitere Krankheitsbilder wie Hypertonie, Adipositas und Sehbehinderung (Iritis) gegeben seien.

Der Beklagte befragte nochmals die behandelnden Ärzte, wobei seitens des J.-Krankenhauses in D-Stadt von einer ambulanten Behandlung im Rahmen des Notdienstes im Mai 2011 berichtet wurde wegen des Verdachts einer akuten Iritis. Im Rahmen einer Verlaufskontrolle des Universitätsklinikum D-Stadt vom 13. September 2011 wurde wegen noch bestehenden Arthralgien insbesondere im rechten Ellenbogengelenk empfohlen, zusätzlich zum Resochin eine niedrig dosierte Prednison-Dosis einzunehmen. Unter Resochin werde weiterhin eine regelmäßige augenärztliche Kontrolle sowie laborchemische und klinische Kontrollen empfohlen.

Unter Auswertung dieser Befunde befürwortete Dr. S. in einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15. Februar 2012 einen GdB von 30 seit September 2011. Die Sehminderung (Iritis), der medikamentös kompensierbare Bluthochdruck sowie die Adipositas (mit Steatosis hepatis) stellten keine Behinderungen dar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2012 wurde der Widerspruch dann zurückgewiesen.

Am 23. März 2012 ist Klage vor dem Sozialgericht (SG) Stralsund erhoben worden mit der Begründung, dass die Voraussetzungen für einen GdB von 70 sowie für das Merkzeichen „G“ angesichts weiterhin bestehender Beschwerden nach wie vor gegeben seien.

Das SG hat zunächst Behandlungs- und Befundberichte von Dr. V., Dr. B., Dr. B., Dr. L. und Dr. L. eingeholt. Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. L. hat am 17. Januar 2013 mitgeteilt, dass von ihr keine Rheuma-Medikamente verordnet worden seien. Über eine Einschränkung der Gehstrecke sei nie geklagt worden, wobei es natürlich bei einem Rheumaschub zu Behinderungen der Gehfähigkeit kommen könne. Dr. V. hatte die Klägerin letztmals am 16. Mai 2011 in Bonn behandelt. Facharzt für Augenheilkunde Dr. B. hat über eine korrigierte Sehschärfe von 1,0 berichtet, der Augenhintergrund habe aufgrund des eingenommenen Rheumamedikaments keine Veränderung gezeigt. Bis auf eine akute Iritis im Mai 2012 sei das rechte Auge altersentsprechend gewesen. Dr. L. hat ausgeführt, dass am 24. Oktober 2013 ein niedrig dosiertes Corticoid angepasst worden sei. Es werde über Schmerzen im Nackenbereich und den Fußgelenken berichtet, eine Morgensteifigkeit bestehe nicht. Es werde nach 20 Minuten Fußweg über erhebliche Schmerzen geklagt bei gegebener Kniegelenksfehlstellung. Virologische Hinweise für eine rheumatoide Arthritis hätten sich nicht gezeigt.

In einem dann vom SG veranlassten orthopädischen Gutachten hat Professor Dr. K. am 23. April 2014 zusammengefasst ausgeführt, dass bei einer juvenilen rheumatoiden Arthritis ständig wechselnde Antirheumatika einzunehmen seien. Die Wirbelsäule zeige bei ständiger Überlastung bei massiver Bauchdeckenadipositas eine statische Insuffizienz bei Pseudoradikulär-Syndrom S1 rechts. Während die Beweglichkeit der LWS erheblich eingeschränkt sei, seien die Beweglichkeit und auch die Stabilität sämtlicher Gelenke der oberen und unteren Extremitäten als unauffällig einzuschätzen. Das Gangbild sei nicht hinkend und flüssig. Die chronische Polyarthritis wirke in einer inaktiven Synovialitis fort und die Mesenchymbremse in Form der Glykokortikoidtherapie fördere die Skelettosteoporose. Es sei ein Gesamt-GdB von 40 gerechtfertigt, die Zuerkennung des Merkzeichen „G“ könne nicht empfohlen werden, wobei eine Wegstrecke von 500-800 m in etwa 15-20 Minuten zurückzulegen sei. Danach müsse eine Pause eingelegt werden. 2 km in einer halben Stunde seien nicht zurückzulegen. Die Einzel-GdB hat der Gutachter wie folgt aufgeschlüsselt:

- entzündlich rheumatische Erkrankung der Gelenke im jetzigen Remissionsstadium, Ausbildung eines Morbus Cushing (GdB 40), - Funktionsstörungen der Wirbelsäule mit statischer Insuffizienz des lumbosakralen Überganges bei deutlichem Übergewicht (Einzel-GdB 20).

Die rezidivierende Iritis, der leicht erhöhte Blutdruck und die Adipositas mit Steatosis hepatis würden jeweils einen GdB von unter 10 bedingen.

Hierzu hat der Klägerbevollmächtigte ausgeführt, angesichts der vom Gerichtsgutachter dargestellten Beschwerden sei die Annahme eines GdB von 40 nicht nachzuvollziehen und von einem GdB von 50 auszugehen. Würde ein GdB von 50 unterstellt, wären auch die Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ erfüllt, da nach Einlassung des Gutachters 2 km in einer halben Stunde nicht zurücklegbar seien.

Ergänzend vom SG dazu befragt, ob angesichts der angenommenen Schwere der Geheinschränkung vielleicht doch eine Höherbewertung des GdB in Betracht kommen könne, hat Professor Dr. K. am 17. September 2014 ergänzend ausgeführt, dass die Gehstreckenverkürzungen auf 500-800 m Folge der statischen Insuffizienz der Wirbelsäule bei deutlichem Übergewicht sei, sodass für das Funktionsdefizit der BWS und LWS ein Einzel-GdB von 30 und ein Gesamt-GdB von 50 gerechtfertigt sei wie auch die Vergabe des Merkzeichen „G“.

Hierauf hat der Beklagte entgegnet, die Angaben zur deutlich eingeschränkten Gehstrecke seien subjektiv von der Klägerin getätigt worden, während der Gutachter ein flüssiges und nicht hinkendes Gangbild beschrieben habe. So seien während der Begutachtung auch 15 Treppenstufen flüssig gemeistert worden.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 18. August 2015 hat der Beklagte einen GdB von 50 anerkannt und am 2. September 2015 dann auch einen entsprechenden Ausführungsbescheid erlassen.

Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen und beantragt,

den Bescheid der Bundesstadt D-Stadt vom 6. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 22. Februar 2012 aufzuheben und die Zuerkennung des Merkzeichen „G“ aufrecht zu erhalten.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 18. August 2015 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung zusammengefasst ausgeführt, dass sich der Gesundheitszustand gegenüber dem aufgehobenen Bescheid vom 13. November 1998 insofern wesentlich verändert habe, als dass das Merkzeichen „G“ nicht mehr anzuerkennen sei. Weder würden sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der LWS vorliegen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingten. Noch handele es sich um Behinderungen, die sich besonders auf die Gehfähigkeit auswirkten. Die die Bewegungseinschränkung bedingenden Hauptleiden seien nach den Feststellungen von Professor Dr. D. eine Adipositas und eine seit Kindheit bestehende Polyarthritis. Zwar sei die Klägerin nach Auffassung des Gutachters nicht in der Lage, die nach ständiger Rechtsprechung als ortsübliche Wegstrecke angesehen Entfernung von etwa 2000 Meter zurückzulegen. Der Gutachter habe jedoch von einem flüssigen Gangbild berichtet. Auch enthalte das Gutachten die Wertung, dass die Beweglichkeit und Stabilität der unteren Extremitäten als unauffällig einzuschätzen sei. Insoweit sei die Wertung von Professor Dr. K. nicht geeignet, eine erhebliche Gehbehinderung der Klägerin nachzuweisen. Wenn die Klägerin 800 Meter in 15 Minuten bewältigen könne, seien 2 km in ca. 40 Minuten zurückzulegen. Das BSG habe eine starre Anwendung der 2-Kilometer-Regelung auch verneint und auf die entscheidenden Maßstäbe der Regelbeispiele abgestellt (BSG, Urteil vom 13. August 1997, 9 RVs 1/96), die nicht vorliegen würden. Auch sei ein ausschließliches Abstellen der möglichen Wegstrecke auf den subjektiven Bericht eines Betroffenen als einzige Tatsachengrundlage nicht tragfähig.

Gegen das am 24. August 2015 zugestellte Urteil ist am 17. September 2015 Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) erhoben worden. Das erstinstanzliche Urteil weiche von dem selbst in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten ab. Bei Zweifeln an der gutachterlichen Wertung hätte es einer weiteren Begutachtung bedurft. Weswegen im Übrigen die 2-Kilometer-Regelung in der VMG nicht ausreichend sein solle, erschließe sich ebenfalls nicht.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

den Beklagten zu verurteilen über das erstinstanzlich erfolgte Teilanerkenntnis hinaus,

den Bescheid der Bundesstadt D-Stadt vom 6. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 22. Februar 2012 unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Stralsund vom 18. August 2015 zum Geschäftszeichen S 10 SB 52/12 zu verurteilen, der Klägerin das Merkzeichen „G“ zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat den erstinstanzlichen Gerichtsgutachter ergänzend dazu befragt, ob die Urteilsgründe des SG Stralsund geeignet seien, von der bisherigen Beurteilung abzuweichen.

Professor Dr. K. hat am 14. Juni 2017 ausgeführt, bisher habe er bei entsprechenden Einschränkungen der Fortbewegung bei einem Gesamt-GdB von 50 stets die Anerkennung des Merkzeichen „G“ empfohlen. Dieser „Automatismus“ sei nicht angebracht. Eine erhebliche Gehbehinderung liege nicht vor. Das Gangbild sei flüssig gewesen, das Treppensteigen problemlos. Die Einschränkung der LWS-Beweglichkeit und auch das Pseudoradikulärsyndrom rechts seien allenfalls mäßig ausgebildet ohne Paresen. Die Adipositas permagna stelle das Hauptproblem der eingeschränkten Mobilität der jungen Klägerin dar.

Der Senat hat im weiteren Verlauf den Beklagten noch um Stellungnahme zur Rechtsprechung des BSG vom 24. April 2008 (B9/9a SB 7/06R) ersucht. Dieser hat am 5. Dezember 2017 ausgeführt, nach dieser Rechtsprechung gehöre ein erhebliches Übergewicht, welches bei der Klägerin zweifelsfrei vorliege, zu den Faktoren, die einen Bezug zu einer Behinderung haben und bei der Beurteilung des Gehvermögens mit berücksichtigt werden müssen. Bei dem Sachverhalt, der dieser Rechtsprechung zugrunde lag, habe die dortige Klägerin aber nur noch eine Wegstrecke von 250 Metern zurücklegen können. Das BSG habe hierzu ausgeführt, dass diese Strecke nur einen Bruchteil des Weges von 2 km sei, der im Ortsverkehr üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werde. Vorliegend handele es sich bei der angegebenen Wegstrecke von noch 500-800 Metern nur um eine subjektive Angabe der Klägerin und zum anderen würde diese Wegstrecke nicht wesentlich von der im Ortsverkehr üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegten Wegstrecke abweichen.

Im Mai 2018 ist der Klägerbevollmächtigte darauf hingewiesen worden, dass weitere medizinische Ermittlungen von Amts wegen nicht beabsichtigt sind, woraufhin dieser am 25. Juni 2018 um Fristverlängerung bis zum 6. August 2018 ersucht hat. Seitdem ist kein weiterer Schriftverkehr erfolgt.

Die Verfahrensbeteiligten haben mit Schriftsätzen vom 20. April und 8. Mai 2020 jeweils ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.


Entscheidungsgründe

Die auf allein gegen die Aufhebung der Zuerkennung des Merkzeichen „G“ gerichtete Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

Das SG hat die Klage insoweit zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen im Wesentlichen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG), abgewiesen.

Die durch den Beklagten wegen wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach § 48 Sozialgesetzbuch X – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) verfügte Aufhebung der Zuerkennung des Merkzeichen „G“ ist rechtmäßig. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 SGG) ist der Senat der Überzeugung, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Merkzeichens zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung nicht (mehr) vorlagen. Die bei der Klägerin bestehenden Krankheitsbilder einer entzündlich rheumatischen Erkrankung der Gelenke im jetzigen Remissionsstadium (GdB 40) und die Funktionsstörungen der Wirbelsäule mit statischer Insuffizienz des lumbosakralen Überganges bei deutlichem Übergewicht (GdB 30) rechtfertigten nicht (mehr) die Zuerkennung bzw. die Beibehaltung dieses Merkzeichens.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichen „G“ werden in der Versorgungsmedizin-Verordnung (VMG) unter Punkt D1 beschrieben. Danach ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr u.a. erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein – d.h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen – noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa 2 km, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird. Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arterieller Verschlusskrankheit mit einem GdB von 40.

Insoweit werden im Schwerbehindertenrecht in den VMG zwar Grundsätze aufgestellt, die medizinische Einzelfallsubsumtion hierunter bedarf dann aber wieder der medizinischen Sachkunde. Dabei handelt es sich bei der Wegstrecke von 2 km in etwa einer halben Stunde, wie schon die Verwendung des Begriffs „in etwa“ zeigt, um keine starre Regelung.

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben lagen die Voraussetzungen für die Zuerkennung bzw. Beibehaltung des Merkzeichens „G“ nicht (weiter) vor, wobei angesichts der erfolgten Aufhebung durch den Beklagten unter Annahme einer wesentlichen Änderung i.S. von § 48 SGB X entscheidungserheblich der Gesundheitszustand und die damit einhergehenden Funktionseinschränkungen zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vorliegend Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2012) ist.

Insoweit vermögen die vorliegend teilweise remittierte Arthritis sowie vor allem die gutachterlich mit einem Einzel-GdB von 30 bewerteten Wirbelsäulenbeschwerden die Annahme einer erheblichen Gehbehinderung nicht zu rechtfertigen. Aufgrund dieser Beschwerdebilder sind auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen nicht feststellbar. Professor Dr. K. hat die Beweglichkeit und Stabilität sämtlicher Gelenke der oberen und unteren Extremitäten als unauffällig beschrieben. Auch die Wirbelsäulenbeschwerden werden nicht derartig ausgeprägt beschrieben, dass durch z.B. ausstrahlende Schmerzen oder nervale Auswirkungen Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen hervorgerufen würden. Es ist insoweit allein aufgrund der ständigen Überlastung bei massiver Bauchdeckenadipositas eine statische Insuffizienz und rechtsseitig ein Pseudoradikulärsyndrom S1 beschrieben worden, allerdings ohne Einfluss auf die Beweglichkeit und auch die Stabilität der Gelenke der unteren Extremität. Dementsprechend ist das Gangbild vom Gerichtsgutachter Professor Dr. K. als nicht hinkend und flüssig beschrieben worden, welcher sich im Berufungsverfahren dann auch nicht mehr für die Zuerkennung des Merkzeichen „G“ ausgesprochen hat mit der ergänzenden und für den Senat gut nachvollziehbaren Begründung, dass die Einschränkung der LWS-Beweglichkeit und auch das Pseudoradikulärsyndrom rechts allenfalls mäßig ausgebildet seien ohne Paresen.

Hinsichtlich des Aspekts der bei der Klägerin bestehenden Adipositas (Körpergewicht von 133 kg bei einer Körpergröße von 1,62 m) rechtfertigt das medizinische Beweisergebnis auch nicht unter dem Aspekt der zur massiven Adipositas ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 24. April 2008, B9/9a SB 7/06 R) die Zuerkennung des Merkzeichens „G“. In der genannten Entscheidung hat das BSG geschlussfolgert, dass auch ein erhebliches Übergewicht einen Bezug zu einer Behinderung habe und daher bei der Beurteilung des Gehvermögens berücksichtigt werden könne. In der dortigen Fallkonstellation waren funktionelle Auswirkungen im Wirbelsäulen-, Hüft- und Kniegelenk (welche allerdings keinen GdB von 50 oder 40 rechtfertigten) durch eine Adipositas per Magna soweit verstärkt worden, dass die Wegstrecke auf eine zumutbare Entfernung von weit unter zwei km abgesunken war (250 m).

So weitgehend ist selbst unter Berücksichtigung allein der Angaben der Klägerin ihr Gehvermögen nicht eingeschränkt, wobei noch einmal erwähnt sei, dass der Sachverständige ein flüssiges Gangbild und ein problemloses Bewältigen von 15 Treppenstufen beobachtet hat. Wird die Wegefähigkeit ausgehend von 800 m binnen 15 Minuten hochgerechnet, könnte die Klägerin demnach unter Pausen eine Wegstrecke von 2 km binnen ca. 40 Minuten bewältigen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die orthopädischen Beschwerdebilder die Zuerkennung/Beibehaltung des Merkzeichen „G“ nicht rechtfertigen und die bestehende Adipositas sich zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt auch als nicht so ausgeprägt darstellte, dass hierdurch die Wegefähigkeit im Zusammenspiel mit den einen GdB rechtfertigenden Funktionsstörungen so weit herabgesetzt wurde, dass die Zuerkennung des Merkzeichen „G“ weiterhin gerechtfertigt gewesen wäre.

Nach alldem kann die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Revisionszulassung gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vo



Versorgungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung