Bei der Beurteilung, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr besteht, ist zu beachten, dass das Gehvermögen von verschiedenen Faktoren geprägt wird. Dabei sind von Relevanz die anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und Behinderungen, und nicht die das Gehvermögen ebenfalls beeinflussenden Faktoren wie Trainingszustand, Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation. Mit Hilfe der unter den VG, Teil D, Nr 1 Buchst d bis f aufgeführten Regelbeispiele ist der für die Feststellung des Merkzeichens G tatsächlich in Betracht kommende Personenkreis praxisgerecht von den Personen abzugrenzen, die lediglich behaupten, ortsübliche Wegstrecken nicht mehr zu Fuß zurücklegen zu können, oder die aus nicht behinderungsbedingten Gründe ortsübliche Wegstrecken nicht zurücklegen.


Landessozialgericht Baden-Württemberg 3. Senat
24.10.2018
L 3 SB 2660/16
Juris



Leitsatz

Zum Merkzeichen G: Bei der Beurteilung, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr besteht, ist zu beachten, dass das Gehvermögen von verschiedenen Faktoren geprägt wird. Dabei sind von Relevanz die anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und Behinderungen, und nicht die das Gehvermögen ebenfalls beeinflussenden Faktoren wie Trainingszustand, Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation. Mit Hilfe der unter den VG, Teil D, Nr 1 Buchst d bis f aufgeführten Regelbeispiele ist der für die Feststellung des Merkzeichens G tatsächlich in Betracht kommende Personenkreis praxisgerecht von den Personen abzugrenzen, die lediglich behaupten, ortsübliche Wegstrecken nicht mehr zu Fuß zurücklegen zu können, oder die aus nicht behinderungsbedingten Gründe ortsübliche Wegstrecken nicht zurücklegen.


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Merkzeichens „Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr“ (G) streitig.

Bei der 1953 geborenen Klägerin wurde zuletzt aufgrund eines Anerkenntnisses des Beklagten vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) in dem Verfahren S 17 SB 2979/09 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 seit 13.11.2008 zuerkannt (Ausführungsbescheid des Beklagten vom 11.08.2010).

Nachdem ihr im August 2011 gestellter Antrag auf Erhöhung des GdB und Feststellung des Merkzeichens G ohne Erfolg geblieben war (Bescheid vom 22.09.2011), beantragte die Klägerin am 09.05.2014 erneut die Feststellung des Merkzeichens G. In dem von dem Beklagten bei der Hausärztin der Klägerin, Fachärztin für Allgemeinmedizin A., angeforderten Befundbericht vom 22.05.2014 führte diese aus, dass die Klägerin am 09.11.1995 bei einem unverschuldeten Verkehrsunfall ein Schädelhirntrauma, eine Milzruptur mit nachfolgender operativer Entfernung der Milz, einen Unfallschock und einen Stressulcus ventriculi erlitten habe. Es bestünden ein chronischer Schmerzzustand des Bewegungsapparates auf Grund der Unfallfolgen, mehrfache Protrusionen im Halswirbelsäulen (HWS)-Bereich (C3/4, C4/5, C6/7) und mehrfache Bandscheibenvorfälle auf drei Etagen im lumbalen Bereich LWK4/5, LWK3/4, LWK5/SWK1. Die physiologische Lordose der HWS sei aufgehoben. Weiterhin bestünden posttraumatische Gleichgewichtsstörungen und Schwindelzustände, welche zusätzlich die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigen würden. Die Klägerin sei beim Gehen und besonders im Straßenverkehr sehr unsicher und auf fremde Hilfe angewiesen. Nach Auswertung dieses Berichts, dem beigefügten Bericht über die Computertomographie des Abdomens und des Beckens mit intravenöser Kontrastmittelinjektion vom 20.04.2009 sowie des von dem Beklagten außerdem angeforderten Berichts des Dr. B., Rheumatologische Schwerpunktpraxis B., vom 28.07.2014 (vorläufige Diagnosen: kein Hinweis auf entzündlich rheumatische Systemerkrankung, Fibromyalgiesyndrom) kam Dr. C. in der gutachtlichen Stellungnahme vom 08.09.2014 zu dem Ergebnis, dass der Gesamt-GdB weiterhin 60 betrage, unter Berücksichtigung folgender Einzel-GdB: Depression, psychovegetative Störungen: Einzel-GdB 40; Magengeschwürsleiden, Verlust der Milz, Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation: Einzel-GdB 20; degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose): Einzel-GdB 20; Verlust der Gebärmutter, Verlust der Eierstöcke: Einzel-GdB 10; Krampfadern: Einzel-GdB 10; Funktionsbehinderung beider Schultergelenke: Einzel-GdB 20. Ergänzend führte Dr. C. u.a. aus, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen G nicht erfüllt seien. Dem folgend lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11.09.2014 die Neufeststellung des GdB und die Feststellung des Merkzeichens G ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte – nachdem Dr. S. in der gutachtlichen Stellungnahme vom 07.12.2014 an der bisherigen Beurteilung der Einzel- sowie des Gesamt-GdB festgehalten und ergänzend ausgeführt hatte, dass es nachvollziehbar sei, dass die Mobilität eingeschränkt sei, jedoch nicht in einem solchen Maß, dass ortsübliche Wegstrecken nicht zurückgelegt werden könnten – mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2015 zurück.

Auf die hiergegen am 24.03.2015 beim SG erhobene Klage hin, mit der die Klägerin die Feststellung des Merkzeichens G geltend gemacht hat, hat das SG die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen. Die Fachärztin für Orthopädie D. hat am 03.08.2015 mitgeteilt, dass die Klägerin letztmalig im Oktober 2013 bei ihr gewesen sei und keine weiteren Angaben gemacht. Die behandelnde Allgemeinmedizinerin A. hat in ihrer Auskunft vom 24.08.2015, welcher die Berichte über die Computertomographie des Abdomens und des Beckens vom 29.01.2014, über die MRT-Untersuchung des Gehirnschädels vom 19.02.2013, über die CT-Untersuchung der HWS vom 27.01.2012 und über die MRT-Untersuchung der LWS vom 22.03.2006 beigefügt worden sind, von Depressionen und psychovegetativen Störungen sowie einem Magengeschwürleiden, einem Verlust der Milz und Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation nach Polytrauma berichtet, welche als schwer zu bezeichnen seien. Außerdem bestünden sehr schwere degenerative Veränderungen der Wirbelsäule in Form von Bandscheibenprotrusionen in mehrfachen Etagen im HWS-Bereich und Bandscheibenvorfällen in mehrfachen Etagen im Lendenbereich; der GdB für die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule sei zwischen 40 und 50 zu bewerten. Des Weiteren lägen – jeweils mit leichtem Schweregrad – ein Verlust der Gebärmutter und der Eierstöcke sowie Krampfadern vor. Schließlich bestehe eine Funktionsbehinderung beider Schultergelenke mittleren Schweregrades. Auf die Gehfähigkeit würden sich die Bandscheibenvorfälle LWK3/4, LWK4/5, LWK5/SWK1 auswirken. Bei der Klägerin sei die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr wegen der rezidivierenden Schwindelzustände beeinträchtigt. Daher könne sie die üblicherweise zu Fuß zurückgelegten Wegstrecken nicht ohne Gefahren für ihre Person zurücklegen. Eine Einschätzung der Wegstrecke, welche die Klägerin ohne erhebliche Schwierigkeiten oder Gefahren für sich zu Fuß zurücklegen könne, sei nicht genau möglich. Mal würden die Schwindelzustände nach ein paar Metern, mal nach einer Strecke von 100 oder 200 Metern auftreten.

Der Beklagte hat die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. E. vom 18.12.2015 vorgelegt, wonach die Auskunft der Allgemeinmedizinerin A. vom 24.08.2015 keine detaillierten klinischen Funktionsparameter enthalte, so dass der angegebene Einzel-GdB von 40 bis 50 für das Wirbelsäulenleiden nicht nachzuvollziehen sei. Aus den vorgelegten bildgebenden Befunden ließen sich keine Rückschlüsse auf klinische Funktionseinschränkungen ziehen. Bei unveränderter GdB-Bewertung sei auch hinsichtlich des Merkzeichens G keines der diesbezüglichen Anerkennungskriterien gemäß den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), Teil D, Nr. 1 erfüllt.

Die Klägerin hat vor dem SG zuletzt im Wesentlichen noch eingewandt, dass bei ihr eine Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit auch aufgrund von inneren Leiden sowie Störungen der Orientierungsfähigkeit bestehe. Infolge des schweren Verkehrsunfalls würden ihr drei Rippen links fehlen, wodurch keine Steifigkeit des Skeletts gegeben sei und eine erhebliche Einschränkung des Gehvermögens bestehe. Wegen des Unfalls habe ihre Milz entfernt werden müssen und es bilde sich eine dilatierte Dünndarmschlinge im linken Oberbauch, die weitere Beschwerden hervorrufe. Diesbezüglich verweist sie auf den vorgelegten vorläufigen Entlassbericht der H.-I.-Klinik vom 05.08.2015. Des Weiteren leide sie an häufigen und schwerwiegenden Schwindelanfällen, wie auch von der behandelnden Allgemeinmedizinerin A. bestätigt. Hierdurch werde eine Störung der Orientierungsfähigkeit hervorgerufen. Auch würden die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule allein einen GdB von 50 rechtfertigen, wie die behandelnde Allgemeinmedizinerin ebenfalls bestätigt habe. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Beispiele gemäß den VG, Teil D, Nr. 1 nicht abschließend seien.

Mit Gerichtsbescheid vom 29.06.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G seien nicht erfüllt. Bei der Klägerin lägen weder einen GdB von 50 bedingende Behinderungen der unteren Gliedmaßen inklusive der Lendenwirbelsäule (LWS) noch einen GdB von 40 bedingende Behinderungen, die sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken würden, vor. Nach der Stellungnahme der Ärztin für Orthopädie D. vom 24.01.2011 bestehe bei ihr ein chronisch rezidivierendes Lumbalsyndrom. Da sich die Klägerin jedenfalls nicht im streitigen Zeitraum in fachorthopädischer Behandlung befunden habe und deshalb keine objektiven Befunde vorlägen, bestehe kein Anhalt für das Vorliegen von Funktionsstörungen im Bereich der LWS, die gemäß den VG, Teil B, Nr. 18.9 einen GdB von mindestens 40 rechtfertigen würden. Dass der anamnestisch gegenüber der Allgemeinärztin A. mitgeteilte Schwindel derart ausgeprägt sei, dass er zu einer Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führe, sei nicht ersichtlich. In ihrer Zeugenauskunft vom 24.08.2015 habe die Allgemeinärztin A. mitgeteilt, dass sich die Klägerin zuletzt am 18.11.2014 in Behandlung befunden habe und wegen des Schwindels lediglich am 14.04., 02.06. und 06.10.2014 vorstellig geworden sei. Eine weitere fachärztliche Abklärung der Schwindelursache sei nicht erfolgt. Daher gehe das Gericht von einem fehlenden Leidensdruck und einer nicht belangvollen Gesundheitsstörung aus. Auch der Milz- und Rippenverlust sowie der Subileus hätten keine relevante Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr zur Folge. Aktuelle objektive Befunde, aus denen sich entsprechende Einschränkungen ableiten ließen, seien nicht vorhanden. Aus dem Bericht vom 05.08.2015 sei bezüglich des Subileus bereits nicht ersichtlich, dass eine den maßgebenden 6-Monats-Zeitraum überdauernde Gesundheitsstörung anzunehmen sei. Die Auffassung der behandelnden Allgemeinmedizinerin A. überzeuge nicht, da ihre Einschätzung nicht auf aktuellen Befunden beruhe und auch nicht mit den Vorgaben in den VG, Teil D, Nr. 1 in Einklang stehe. Weitere Ermittlungen seien vor allem wegen der fehlenden ambulanten fachärztlichen Behandlung der Klägerin nicht angezeigt. Auch seien die angefochtenen Bescheide hinreichend bestimmt und eine Anhörung wegen des Fehlens eines eingreifenden Verwaltungsakts nicht erforderlich gewesen.

Gegen den dem Bevollmächtigten der Klägerin am 04.07.2016 zugestellten Gerichtsbescheid ist am 18.07.2016 die vorliegende Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung zunächst im Wesentlichen vorgetragen worden, dass das SG den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt habe. Soweit sich das SG auf die Stellungnahme der Ärztin für Orthopädie D. vom 24.01.2011 stütze, wonach (lediglich) ein „Lombardsyndrom“ (gemeint wohl: Lumbalsyndrom) vorliege, werde verkannt, dass es sich dabei um eine Stellungnahme hinsichtlich der Erwerbsunfähigkeit der Klägerin gehandelt habe. Zudem bescheinige auch die Orthopädin D., dass längeres Gehen oder Stehen nicht möglich sei. Des Weiteren bekräftigt die Klägerin, dass bereits die schweren Gesundheitsstörungen im Bereich der Wirbelsäule mit Bandscheibenvorfällen auf den drei Etagen LWK3/4, LWK4/5 LWK5/SWK1 einen GdB von 50 rechtfertigen würden, da gemäß den VG, Teil B, Nr. 18.9 schon mittelgradige bis schwere Auswirkungen in bereits nur zwei Wirbelsäulenabschnitten einen GdB von 30-40 rechtfertigen würden. Auch sei in der Stellungnahme des Dr. A. vom 19.02.2013 von einer deutlichen kyphotischen Fehlstellung der HWS und einer deutlichen Osteochondrose im Segment C5/6 die Rede. Dr. K. stelle in seinem Bericht vom 27.01.2012 fest, dass sogar eine schwere Osteochondrose C5/6 vorliege, die weitere Funktionsstörungen (zusätzlich zu den Funktionsstörungen der LWS) verursache. Außerdem hat die Klägerin erneut auf die drei fehlenden Rippen hingewiesen, was zu einer „degenerativen Steifigkeit des Skeletts“ führe. Sie leide unter erheblichen Schmerzen. Von Bedeutung sei in diesem Zusammenhang auch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.08.2015 (B 9 SB 1/14 R). Vorliegend sei das Schmerzsyndrom nicht berücksichtigt worden; die Schmerzen aufgrund des Fibromyalgie-Syndroms würden allein einen GdB von 50 und die Zuerkennung des Merkzeichens G rechtfertigen. Des Weiteren hat die Klägerin zur Berufungsbegründung das von ihr in Auftrag gegebene Gutachten des Facharztes für Orthopäde Dr. F. vom 20.12.2016 nach einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 04.10.2016 vorgelegt. Darin hat Dr. F. abschließend u.a. ausgeführt, dass die pathologischen Veränderungen (Degeneration, Bandscheibenprotrusion, Nervenwurzelkompressionen) an der HWS und LWS zu einer deutlichen Beeinträchtigung der motorischen, kognitiven und taktilen Fähigkeiten führen würden. Die Beeinträchtigung im Bereich der HWS in Form einer verminderten Rotationsfähigkeit sowie das Auftreten von Schwindel bei Rotation und Lageänderung, die Verringerung des Kraftgrades im Bereich der oberen Extremitäten linksseitig und die Einschränkung der Schultereinsatzfähigkeit ergäben einen hohen Mobilitätsverlust. Die Beeinträchtigung durch die Wirbelsäulenerkrankung, ausstrahlend in die linke Hüfte, sowie das linke Knie mit der dort vorliegenden starken Schädigung im Bereich der Coxarthrose des Hüftgelenks sowie der Gonarthrose des Kniegelenks würden es der Klägerin schwierig machen, größere Gehstrecken (über 80 m) zurückzulegen. Hier liege „eine weitere Beeinträchtigung durch die Einschränkung der Zeit viel taktilen Fähigkeiten sowie des Schwindels vor.“ Bei der Klägerin könnten durchaus deutliche Beeinträchtigungen im Umfang des Merkzeichens „aG“ zuerkannt werden.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Juni 2016 aufzuheben sowie den Beklagten unter Abänderung seines Bescheids vom 11. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Februar 2015 zu verurteilen, bei ihr das Merkzeichen G festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verweist auf die von ihm vorgelegte versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. K. vom 20.03.2017, in welcher er zu dem vorgelegten Gutachten des Dr. F. vom 20.12.2016 u.a. ausgeführt hat, dass sich hinsichtlich der Wirbelsäule unter Zugrundelegung der objektiven Messwerte kein Abweichen von der bisherigen Einschätzung ergebe. Bezüglich der Hüftgelenke zeige sich eine Bewegungseinschränkung, aber noch nicht in einem GdB-relevanten Umfang. Hinsichtlich des linken Kniegelenks werde ein Streckdefizit von 5 bei einer Beugefähigkeit von 95 angegeben. Bei normaler Beweglichkeit des rechten Kniegelenks ergebe sich ein Einzel-GdB von 20. Ergänzend trägt der Beklagte vor, vorliegend werde ein Bezug zu dem in der Berufungsbegründung genannten Urteil des BSG zu einer psychogenen Gangstörung nicht gesehen, und verweist im Übrigen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids.

Der Senat hat den Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie Dr. G. von Amts wegen mit der Begutachtung der Klägerin beauftragt. Dr. G. hat die Klägerin am 02.05.2017 untersucht und ist in seinem Gutachten vom 08.06.2017 unter Berücksichtigung der von der Klägerin noch nachgereichten medizinischen Unterlagen (Bericht der Orthopädischen Klinik der St. V.-Kliniken K. vom 02.03.2017, Bericht der Radiologischen Gemeinschaftspraxis B. über die MRT-Untersuchung des oberen Sprunggelenks rechts mit KM vom 09.12.2016) sowie der übersandten CD über die am 24.05.2017 durchgeführte MRT-Untersuchung des rechten Kniegelenks (dazu noch sogleich) zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin eingeschränkte Beweglichkeiten der HWS, BWS und LWS bestünden. Die von ihr demonstrierten Bewegungseinschränkungen der Schulter- und Ellenbogengelenke sowie der Gelenke an den unteren Extremitäten seien nicht verwertbar, da sie während der Untersuchung deutlich widersprüchlich vorgeführt worden seien. Sämtliche auf den Messblättern dokumentierten Bewegungsausmaße seien solche, die von der Klägerin aktiv vorgeführt worden seien; aktiv geführte Beweglichkeiten – also Bewegungsausmaße, welche der Proband mit Hilfe des Untersuchers erziele, ohne dass diese erzwungen werden – hätten nicht ermittelt werden können, da die Klägerin dies nicht zugelassen habe. Somit könne das Gutachten nicht zur Klärung der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen beitragen.

In ihrer Stellungnahme vom 03.07.2017 zu dem Gutachten des Dr. G. hat die Klägerin gerügt, dass in der medizinischen Vorgeschichte wichtige Angaben fehlen würden (z. B. Tramalabusus, epileptische Anfälle, fortgeschrittene Arthrose, Osteoporose, Fibromyalgie, Hysterektomie). Soweit Dr. G. sie zitiere „... ich kann 5 bis 10 Minuten gehen ... wieviel Meter ich dabei zurücklege, weiß ich nicht ... wahrscheinlich 200 bis 300 Meter ...“, handle es sich dabei um die Angabe, wie viele Meter sie wahrscheinlich alleine zu Fuß gehen könne. Unberücksichtigt bleibe dabei jedoch, wie lange sie gehen könne, bis ein Schwindel auftrete, und die Sturzgefahr. Bei den Wegstreckenangaben handle es sich nur um gefühlte beziehungsweise geschätzte grobe Angaben und keine Messwerte. Von einer Verweigerung bei der Begutachtung könne keine Rede sein; sie habe die „Übungen“ so gut gemacht, wie es ihr möglich gewesen sei. Die Angaben zu den Folgen des Verkehrsunfalls im Jahr 1995 seien unvollständig, ein Bericht der H.-I.-Klinik vom 06.06.2017 (Kniegelenkserguss ohne Trauma) sei ignoriert worden und schließlich gebe Dr. G. selbst an, dass das Gutachten nicht zur Klärung beitragen könne. Zugleich hat die Klägerin den Bericht über die MRT-Untersuchung des rechten Kniegelenks am 24.05.2017 vorgelegt und hierzu ausgeführt, dass dieser eine erhebliche Einschränkung ihrer Mobilität aufzeige. In dem vorgenannten Bericht wird zur Beurteilung ausgeführt: „Wahrscheinlich im Rahmen einer alten Ruptur des Ligamentum collaterale mediale zeigt sich angrenzend an den medialen Femurcondylus eine Verkalkungsstruktur, in deren Umgebung allerdings eine ausgeprägte, wahrscheinlich reizungsbedingte, entzündliche Alteration der Weichteile besteht. Außerdem deutlicher Kniegelenkserguss. Mäßige degenerative Veränderungen des Innenmeniskushinterhorns und des Gelenkknorpels des femorotibialen Gelenkspalts medialseitig. Intakte Darstellung des Außenmeniskus. Kreuzbänder und Außenband regelrecht. Unauffällige Darstellung der knöchernen Kniegelenksanteile.“

Der Senat hat den die Klägerin behandelnden Orthopäden Dr. J. als sachverständigen Zeugen schriftlich vernommen. In seiner Auskunft vom 05.06.2018 hat Dr. J. u.a. ausgeführt, dass sich die Klägerin bei ihm am 08.11.2016 und 27.10.2017 vorgestellt habe. Bei der Vorstellung am 27.10.2017 habe sie HWS-Schmerzen seit Jahren angegeben, die zuletzt durch Schwindel und Ausstrahlung in die rechte Hand verschlimmert worden seien. Dr. J. hat folgenden Befund angegeben: „Paravertebraler Hartspann der HWS und BWS Muskulatur. HWS Rotation bds. 60/0/60°. HWS Seitneigung bds. 30/0/30°. Hypästhesie im Dermatom C6/7 rechts. Regelrechter Reflexstatus. Beide Schultern frei beweglich.“ Dr. J. hat außerdem den Bericht vom 22.11.2017 über die an diesem Tag erfolgte MRT-Untersuchung der HWS und der oberen BWS vorgelegt, in welchem zur Beurteilung ausgeführt wird: „Deutliche Osteochondrose HWK 5/6 und HWK 6/7 mit Unkarthrosen und Spondylarthrosen mit deutlichen Neuroforamenstenosen beidseits. Hypertrophe, deformierende, linksbetonte Spondylarthrosen der oberen HWS mit neuroforaminalen Engen HWK 3/4 und HWK 4/5 links.“

Des Weiteren hat die Klägerin den Bericht über die MRT-Untersuchung des Gehirnschädels am 15.06.2018 zur Akte gereicht, in welchem zur Beurteilung ausgeführt wird: „Am ehesten mikroangiopathisch bedingte Marklagerherde beidseits paraventrikulär betont. Kein Hinweis auf einen raumfordernden Prozess. Keine intrazerebrale Blutung. Kein frisches Infarktareal. Keine Hirnschrankenstörung.“

Abschließend hat die Klägerin den Bericht über die MRT-Untersuchung der HWS vom 13.08.2018 vorgelegt, die gemäß der Beurteilung folgendes ergeben hat: Steilstellung der HWS und osteochondrotisch bedingte kyphotische Fehlhaltung HWK 4/5; ausgeprägte Spondylarthrose HWK 3/4 links mit mäßiger C4 Neuroforamenstenose links, mäßige Spondylarthrose rechts mit leichtgradiger C4 Neuroforamenstenose rechts; medianer Bandscheibenvorfall HWK 4/5 mit leichter Impression des Myelon, ausgeprägte Spondylarthrose links mit mäßiger C5 Neuroforamenstenose links; ausgeprägte Osteochondrose HWK 5/6, bilaterale Unkarthrose und mäßige Spondylarthrose mit hochgradiger C6 Neuroforamenstenose rechts und mäßiger C 6 Neuroforamenstenose links; ausgeprägte Osteochondrose HWK 6/7 und rechtsbetonter Bandscheibenvorfall mit hochgradiger C7 Neuroforamenstenose beidseits; Ankylose des Facettengelenks HWK 3/4 rechts und Teilankylose links. Dieser Bericht – so die Klägerin – belege schwere funktionelle Auswirkungen in mindestens zwei Wirbelsäulenabschnitten. Insbesondere sei auf Höhe HWK 6/7 ein breitbasiger Bandscheibenvorfall mit hochgradiger Neuroforamenstenose beidseits festgestellt worden. Dr. G. habe hierzu keine Feststellungen getroffen. Die Ausführungen des Dr. F., welcher die Funktionsstörung einwandfrei erkannt habe, seien überzeugend. Unter Berücksichtigung des Knieleidens würden die Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und der LWS für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Das Begehren sei auch aufgrund der immer wiederkehrenden Schwindelattacken gerechtfertigt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und zum Vorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Prozessakten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerechte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Gerichtsbescheids des SG vom 29.06.2016, mit dem die Klage der Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten vom 11.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.02.2015 abgewiesen worden ist. Die Klägerin erstrebt die Abänderung dieses Bescheids und die Verpflichtung des Beklagten, bei ihr das Merkzeichen G festzustellen. Dieses prozessuale Ziel verfolgt die Klägerin zulässigerweise gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens G sind §§ 145 Abs. 1 Satz 1, 146 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 69 Abs. 1 und 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in den bis zum 31.12.2017 geltenden Fassungen (vgl. BSG, Urteil vom 11.08.2015, B 9 SB 1/14 R, juris) beziehungsweise §§ 228 Abs. 1 Satz 1, 229 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 152 Abs. 1 und 4 SGB IX in den ab dem 01.01.2018 geltenden Fassungen. Im Hinblick auf die den vorliegend zu beurteilenden Zeitraum betreffenden unterschiedlichen Gesetzesfassungen sind diese – da Übergangsregelungen fehlen – nach dem Grundsatz anzuwenden, dass die Entstehung und der Fortbestand des sozialrechtlichen Anspruchs auf Leistungen nach dem Recht zu beurteilen ist, welches zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände jeweils gegolten hat (BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 9 SB 2/13 R, juris; BSG, Urteil vom 04.09.2013, B 10 EG 6/12 R, juris; Stölting/Greiser in SGb 2015, 135-143).

Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 228 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmen, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 152 Abs. 5 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 230 Abs. 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung unentgeltlich befördert. Über das Vorliegen der damit angesprochenen gesundheitlichen Merkmale treffen nach § 69 Abs. 1 und 4 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 152 Abs. 1 und 4 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen.

In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 229 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Das Gesetz fordert eine doppelte Kausalität: Ursache der beeinträchtigten Bewegungsfähigkeit muss eine Behinderung des schwerbehinderten Menschen sein und diese Behinderung muss sein Gehvermögen einschränken (BSG, Urteil vom 24.04.2008, B 9/9a SB 7/06 R, juris).

Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 153 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt diese Ermächtigung für die allgemeine – also nicht nur für die medizinische – Bewertung des GdB und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen sowie auch für die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden. Indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 241 Abs. 5 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung, dass – soweit eine solche Verordnung nicht erlassen ist – die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG (vormals § 30 Abs. 17 BVG) erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab 01.01.2009 an die Stelle der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ (AHP) getretene Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I S. 249), 14.07.2010 (BGBl. I S. 928), 17.12.2010 (BGBl. I S. 2124), 28.10.2011 (BGBl. I S. 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I S. 2122) sowie das Gesetz vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) geändert worden ist, heranzuziehen.

Gemäß den daher anwendbaren (BSG, Urteil vom 11.08.2015, B 9 SB 1/14 R, juris) Grundsätzen für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für Nachteilsausgleiche ist nach den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. b Satz 1 ein schwerbehinderter Mensch in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, der infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Für die Bewegungseinschränkung ist nicht die Dauerhaftigkeit entscheidend. Nach den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. b Satz 2 kommt es bei der Prüfung der Frage, ob die weiteren Voraussetzungen vorliegen, zudem nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein – das heißt altersunabhängig von nicht behinderten Menschen – noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt nach den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. b Satz 3 eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird. Nähere Umschreibungen für einzelne Krankheitsbilder und Behinderungen enthalten darüber hinaus die VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. d, e und f. Nach den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. d Satz 1 sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können nach den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. d Satz 2 die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, zum Beispiel bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Nach den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. d Satz 3 kommt es auch bei inneren Leiden bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist nach den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. d Satz 4 eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, zum Beispiel chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind nach den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. d Satz 5 die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen. Besonderheiten gelten nach den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. e für hirnorganische Anfälle und nach den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. f für Orientierungsstörungen infolge von Sehbehinderungen, Hörbehinderungen oder geistigen Behinderungen.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass Anspruch auf den Nachteilsausgleich G über die genannten Regelbeispiele hinausgehend auch der schwerbehinderte Mensch hat, der nach Prüfung des einzelnen Falles aufgrund anderer Erkrankungen mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion und die zumutbare Wegstrecke dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis gleichzustellen ist, da die VG, Teil D, Nr. 1 keine abschließende Listung in Betracht kommender Behinderungen aus dem Formenkreis einzelner medizinischer Fachrichtungen enthalten (BSG, Urteil vom 11.08.2015, B 9 SB 1/14 R, juris).

Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Klägerin an einer das Merkzeichen G rechtfertigenden Einschränkung der Gehfähigkeit leidet.

Bei der Klägerin liegen keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der LWS im Sinne der VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. d Satz 1 vor, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen.

Der Senat stützt sich hierbei insbesondere auf die von Dr. F. gemäß seinem von der Klägerin vorgelegten Gutachten vom 20.12.2016, welches als urkundlich belegter, qualifizierter Beteiligtenvortrag zu würdigen ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, Kommentar, 12. Aufl., § 128 Rn. 7g), ermittelten Bewegungsausmaße sowie die in dem gerichtlichen Sachverständigengutachten des Dr. G. vom 08.06.2017 enthaltenen Befunde, soweit der gerichtliche Sachverständige diese nicht selbst zutreffend als unverwertbar bezeichnet hat. Im Rahmen der Entscheidungsfindung nicht verwertbar sind damit insbesondere die im Rahmen der Begutachtung durch Dr. G. ausschließlich von der Klägerin demonstrierten Beweglichkeiten, bei denen die Klägerin eine aktive Führung (jedoch ohne Zwang) durch den Gutachter nicht zugelassen hat. Berücksichtigung finden können hingegen die übrigen objektiven – insbesondere mitarbeitsunabhängigen – Befunde.

Außerdem ist auf folgendes hinzuweisen: Wie sich bereits aus dem Wortlaut der VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. d Satz 1 ergibt, sind hier ausschließlich die Schäden der LWS zu berücksichtigen. Der Katalog der Regelfälle ist insoweit abschließend und lässt die Einbeziehung von Gesundheitsstörungen, die nicht unmittelbar zu einer Einschränkung des Gehvermögens führen (wie z.B. ein bei jeder Bewegung äußerst schmerzhaftes HWS-Syndrom) auch nicht im Wege einer Analogbewertung zu (vgl. Wendler/Schillings, Versorgungsmedizinische Grundsätze, Kommentar, 8. Aufl., S. 409 f.). Soweit die Klägerin also mehrfach auf die Gesundheitsstörungen im Bereich der HWS verweist, ist dies hier nicht von Relevanz. Des Weiteren ist zu beachten, dass entgegen der in der Berufungsbegründung zum Ausdruck kommenden Auffassung der „Wirbelsäulenabschnitt“ gemäß den VG, Teil B, Nr. 18.9 sich nicht auf die einzelnen Etagen bezieht, also bei Schäden in Höhe von LWK3/4 und LWK4/5 nicht bereits zwei Wirbelsäulenabschnitte betroffen sind, sondern „Wirbelsäulenabschnitte“ im Sinne der VG, Teil B, Nr. 18.9 sind die drei Wirbelsäulenabschnitte HWS, BWS und LWS (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.01.2014, L 8 SB 2497/11, juris).

Hinsichtlich der LWS ergab bereits die am 22.03.2006 durchgeführte MRT-Untersuchung Bandscheibenvorfälle in den Segmenten LWK3/4, LWK4/5 und LWK5/SWK1, die auch in der sachverständigen Zeugenauskunft der behandelnden Allgemeinmedizinerin A. genannt werden. Die Auswertung der Röntgenaufnahmen der LWS in 2 Ebenen vom 04.10.2016 durch Dr. G. hat deutlich vermehrte Verschleißerscheinungen im Bewegungssegment L4/5 in Form einer Spondylose und Chondrose ergeben. Dr. G. hat aufgrund seiner Untersuchung am 02.05.2017 eine regelrecht ausgeprägte LWS-Lordose (Krümmung der LWS nach bauchwärts) und die paravertebrale gerade Rückenmuskulatur als ordnungsgemäß ausgeprägt mit regelrechtem Muskel-Tonus beschrieben. Bei der neurologischen Untersuchung durch Dr. G. hat sich kein Hinweis für ein motorisches Nervenwurzelreiz-Syndrom seitens lumbaler Spinalnerven ergeben. Hinsichtlich der Beweglichkeit hat Dr. F. für die Rotation links/rechts nach der Neutral-0-Methode einen Wert von 20-0-30° ermittelt. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Untersuchungsergebnisse ist im Bereich der LWS allenfalls die Annahme eines Wirbelsäulenschadens mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen und damit gemäß den VG, Teil B, Nr. 18.9 ein Einzel-GdB von 20 gerechtfertigt. Schäden im Bereich der LWS mit schweren funktionellen Auswirkungen nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 (GdB 30) vermag der Senat aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht festzustellen. Im Übrigen werden in der sachverständigen Zeugenauskunft des Orthopäden Dr. J. vom 05.06.2018 Beschwerden im Bereich der LWS nicht erwähnt.

Soweit die behandelnde Allgemeinmedizinerin A. in ihrer sachverständigen Zeugenauskunft an das SG vom 24.08.2015 ausgeführt hat, dass ihrer Auffassung nach der GdB hinsichtlich der Wirbelsäule zwischen 40 und 50 betrage, geht daraus nicht hervor, wie sie allein die LWS beurteilt, was – wie oben dargelegt – maßgeblich ist. Somit erübrigt sich eine weitere Auseinandersetzung mit der Auskunft vom 24.08.2015.

Die Nachbefundung der Röntgenuntersuchung des Beckens sowie des linken und rechten Hüftgelenks vom 04.10.2016 durch Dr. G. hat eine regelrechte Darstellung des linken Hüftgelenks sowie initiale Zeichen einer beginnenden Hüftgelenksarthrose rechts ergeben. Dr. F. hat hinsichtlich des linken Hüftgelenks folgende Bewegungsausmaße ermittelt: Innenrotation/Außenrotation: 15-0-30°; Streckung/Beugung: 10-0-110°; Adduktion/Abduktion: 20-0-20°. Bezüglich des rechten Hüftgelenks hat die Untersuchung durch Dr. F. folgende Werte ergeben: Innenrotation/Außenrotation: 25-0-40°; Streckung/Beugung: 20-0-130°; Adduktion/Abduktion: 30-0-40°. Unter Berücksichtigung dieser Befunde und der Vorgaben in den VG, Teil B, Nr. 18.14, wonach (erst) eine Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis zu 0-10-90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) GdB-relevant ist (einseitige Bewegungseinschränkung geringen Grades GdB 10-20, beidseitig GdB 20-30), ergibt sich vorliegend hinsichtlich der Hüftgelenke kein GdB, so bereits zutreffend Dr. K. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 20.03.2017.

Aufgrund der von Dr. F. ermittelten Beweglichkeiten für die Streckung/Beugung der Kniegelenke mit 0-5-95° links und 0-0-120° rechts (rechts also im Normbereich) bringt der Senat unter Berücksichtigung der Vorgaben in den VG, Teil B, Nr. 18.14, wonach eine einseitige Bewegungseinschränkung geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0-0-90°) mit einem GdB von 0-10 und eine solche mittleren Grades (z.B. Streckung/Beugung 0-10-90°) mit einem GdB von 20 zu bewerten ist, sowie unter Mitberücksichtigung der bildgebenden Befunde gemäß dem Bericht über die MRT-Untersuchung des rechten Kniegelenks am 24.05.2017 zu Gunsten der Klägerin für die Gesundheitsstörungen im Bereich der Kniegelenke einen GdB von 20 in Ansatz.

Schließlich sind unter Berücksichtigung der Vorgaben in den VG, Teil B, Nr. 18.14 die von Dr. F. als altersentsprechend leicht reduziert beschriebenen Bewegungsumfänge in den oberen und unteren Sprunggelenken ebenso ohne GdB-Relevanz wie der von ihm gefundene Knick-, Senk- und Spreizfuß beidseits mit ausgeprägtem Hallux rigidus beidseits.

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Einzel-GdB-Werte von jeweils 20 für die Gesundheitsstörungen im Bereich der LWS und die Gesundheitsstörungen der Kniegelenke sowie Heranziehung der Vorgaben in den VG, Teil A, Nr. 3 ergibt sich ein GdB von nicht mehr als 30 für die Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und der LWS, so dass die Voraussetzungen gemäß den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. d Satz 1 nicht vorliegen.

Somit sind auch die Voraussetzungen nach den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. d Satz 2 nicht gegeben, weil – wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt – bereits keine mit einem GdB von 40 zu bewertende Behinderungen der unteren Gliedmaßen vorliegen, so dass es auf die weitere Voraussetzung, dass sich diese auf die Gehfähigkeit besonders auswirken müssen, nicht ankommt.

Hinsichtlich der Voraussetzungen gemäß den Vorgaben in den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. d Satz 1 und 2 ist überdies darauf hinzuweisen, dass Dr. G. bei dem Barfußgang der Klägerin auf ebenem Boden ein kleinschrittiges, jedoch ausreichend sicheres Gangbild beobachtet und die Inspektion der unteren Gliedmaßen durch den Sachverständigen eine im Bereich beider Ober- und Unterschenkel seitengleich regelrecht kräftig ausgeprägte Muskulatur ergeben hat, was nicht für, sondern insoweit vielmehr gegen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit spricht. Soweit die Klägerin auf die Schmerzen aufgrund des Schmerz- beziehungsweise Fibromyalgie-Syndroms verweist, ergibt sich auch daraus vorliegend keine andere Beurteilung. Dass die Gehstrecke im Sinne des Merkzeichens G nur mit Schmerzen bewältigt werden kann, ist kein maßgebliches gesetzliches Beurteilungskriterium (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.03.2017, L 8 SB 3879/16, juris, auch zum Nachfolgenden). Vielmehr stellen die maßgeblichen Regelungen darauf ab, dass die entsprechende Wegstrecke überhaupt bewältigt werden kann. Von Relevanz ist damit nur ein derart ausgeprägtes Schmerzbild, das nach medizinischer Erfahrung zwingend eine Limitierung der Wegstrecke beinhaltet. Ein derartiges Schmerzbild ergibt sich aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht. Es findet – soweit ersichtlich – diesbezüglich auch keine fachärztliche Behandlung statt.

Eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr bedingende innere Krankheiten im Sinne der Vorgaben gemäß den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. d Sätze 3 bis 5 liegen nicht vor. Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf den Bericht der H.-I.-Klinik vom 05.08.2015 auf die dilatierten Dünndarmschlingen verweist, ist nicht ersichtlich, dass sich diese im Sinne der Vorgaben der VG auf die Bewegungsfähigkeit auswirken. Gemäß dem vorgenannten Bericht bestanden Schmerzen im linken Ober- bis Unterbauch (Diagnose: Subileus) und die Klägerin wurde nach kurzem stationärem Aufenthalt vom 03.08. bis 05.08.2015 deutlich beschwerdegebessert und klinisch blande entlassen. Dass die Klägerin damals in der Phase der akuten Schmerzen auch in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt war, erscheint naheliegend, ist jedoch für die Zuerkennung des begehrten Merkzeichens nicht ausreichend. Soweit die Klägerin auf den Verlust der Milz hinweist, ist ebenso wenig nachvollziehbar, dass dies Auswirkungen auf die Bewegungsfähigkeit haben könnte. Die Milz gehört zu den blutbildenden Organen und ihr Verlust rechtfertigt nach den VG, Teil B, Nr. 16.1 lediglich einen GdB von 10.

Auch vermag der Senat hirnorganische Anfälle beziehungsweise hypoglykämische Schocks gemäß den Vorgaben nach den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. e sowie Störungen der Orientierungsfähigkeit, die den in den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. f genannten Voraussetzungen genügen, nicht festzustellen.

Soweit die Klägerin vorträgt, dass sie unter Schwindel leide, vermag dies die Zuerkennung des begehrten Merkzeichens bereits deswegen nicht zu rechtfertigen, weil dieser Schwindel nicht mit dem erforderlichen Vollbeweis (d.h. zur Überzeugung des Gerichts von einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit oder eines so hohen Grades an Wahrscheinlichkeit, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt – vgl. Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 128 Rn. 3b m.w.N.) nachgewiesen ist. Lässt sich der Vollbeweis einer anspruchsbegründenden Tatsache nicht führen, geht die Nichterweislichkeit zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs auf ihr Vorliegen stützen möchte. Soweit der Schwindel in den vorliegenden ärztlichen Unterlagen genannt wird, stützen sich die Ärzte dabei jeweils ausschließlich auf die Angaben der Klägerin. Auch aus den zuletzt noch vorgelegten Untersuchungsergebnissen, insbesondere dem Bericht über die MRT-Untersuchung des Gehirnschädels am 15.06.2018 und dem Bericht über die MRT-Untersuchung der HWS vom 13.08.2018, ergibt sich kein objektiver Befund, welcher die Angaben der Klägerin stützt oder zumindest einen Anhalt für weitere Ermittlungen gibt, zumal auch – soweit ersichtlich – von den behandelnden Ärzten keine spezifische Therapie hinsichtlich des Schwindels eingeleitet worden ist. Der Senat sieht sich auch außerstande, vorliegend ausnahmsweise nur die Angaben der Klägerin zugrunde zu legen. Dies käme allenfalls dann in Betracht, wenn die Angaben zu ihren Beschwerden durchweg überaus glaubhaft wären, was jedoch nicht der Fall ist. So hat die Klägerin etwa bei der Begutachtung durch Dr. G., bei der sie die Ermittlung von aktiv geführten Beweglichkeiten nicht zugelassen hat, eine Beugekontraktur im rechten Hüftgelenk von 20° und im linken Hüftgelenk von 10° bei einer maximalen Beugung bis jeweils 25° sowie in den beiden oberen Sprunggelenken eine Beugekontraktur von 30° demonstriert, während dann aber der Barfußgang auf ebenem Boden möglich war, bei dem jedoch – so Dr. G. – in den Hüftgelenken zwischen 10 und 20° überstreckt und die oberen Sprunggelenke um mindestens 10° überstreckt werden müssen. Im Übrigen ist auch nicht nachvollziehbar, wenn die Klägerin einerseits behauptet, dass sie der Schwindel in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr beeinträchtige, sie dann aber – so ihre ausdrücklichen Angaben gegenüber Dr. G. – keine Gehhilfen (Gehstock, Rollator) benutzt. Denn insbesondere ein Rollator wäre beim Auftreten der von ihr vorgetragenen Schwindelerscheinungen buchstäblich eine Stütze und würde ihr auch ein spontanes Hinsetzen ermöglichen.

Nicht von Relevanz im Hinblick auf die Zuerkennung des Merkzeichens G ist der Verlust von drei Rippen. Soweit hier Auswirkungen auf die „Steifigkeit des Skeletts“ mit negativen Auswirkungen auf das Gehvermögen vorgetragen werden, ist dies nicht nachvollziehbar, denn funktional bilden die Rippen mit den Brustwirbeln und dem Brustbein den knöchernen Brustkorb und schützen hierbei die innen liegenden Organe. Hinsichtlich des in Rede stehenden Merkzeichens unbeachtlich sind auch die Gesundheitsstörungen im Bereich der oberen Extremitäten, denn es ist nicht ersichtlich, dass sich diese auf die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr auswirken.

Die Klägerin leidet auch nicht an anderen Erkrankungen mit bezogen auf die in den VG, Teil D, Nr. 1 genannten Regelbeispiele gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion und die zumutbare Wegstrecke.

Soweit die Klägerin vorträgt, dass sie im Ergebnis nicht in der Lage sei, ohne fremde Hilfe eine Wegstrecke von 2 km in etwa einer halben Stunde zurückzulegen (vgl. etwa Schriftsatz an das SG vom 16.02.2016), weist der Senat abschließend auf folgendes hin: Ob jemand 2 km in 30 Minuten zurücklegen kann, lässt sich gutachterlich meist nur schwerlich begründen (vgl. Wendler/Schillings, a.a.O., S. 406 f., auch zum Nachfolgenden). Das BSG ist bereits in seinem Urteil vom 13.08.1997 (9 RVs 1/96, juris) dann auch davon abgewichen, eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr von der konkreten Frage abhängig zu machen, welche Wegstrecken zu Fuß zurückgelegt werden können. Denn es ist zu beachten, dass das Gehvermögen des Menschen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird. Darunter sind neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, zu nennen. Mit Hilfe der unter den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. d bis f aufgeführten Regelbeispiele ist der für die Feststellung des Merkzeichens G tatsächlich in Betracht kommende Personenkreis praxisgerecht von den Personen abzugrenzen, die lediglich behaupten, ortsübliche Wegstrecken nicht mehr zu Fuß zurücklegen zu können, oder die aus nicht behinderungsbedingten Gründen (wie z. B. mangelnder Trainingszustand oder fehlender Antrieb) ortsübliche Wegstrecken nicht zurücklegen. Entscheidend ist damit, ob ein Regelbeispiel gemäß den VG, Teil D, Nr. 1 Buchst. d bis f vorliegt oder ob die vorhandene Behinderung mit einem solchen Regelbeispiel vergleichbar ist (vgl. BSG a.a.O.; Wendler/Schillings a.a.O.). Dies ist jedoch – wie bereits oben dargelegt – vorliegend nicht der Fall.

Soweit Dr. F. in seinem Gutachten abschließend zu dem Ergebnis kommt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ erfüllt seien, erübrigen sich Ausführungen hierzu, denn die Zuerkennung dieses Merkzeichens ist nicht streitgegenständlich. Es kann daraus auch nicht geschlossen werden, dass er damit zugleich auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G bejaht, denn für das Merkzeichen aG gelten gegenüber dem Merkzeichen G nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG, Urteil vom 13.12.1994, 9 RVs 3/94, juris).

Da die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G nicht vorliegen, war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe es § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.



Versorungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung