Auf den medizinischen Gesichtspunkt, dass BWS und LWS funktional als Rumpfwirbelsäule eine Einheit bilden, kommt es nicht an, denn die GdB-Bewertung bei Wirbelsäulen-Einschränkungen ist durch die rechtlichen Vorgaben der AHP und der VG an die Differenzierung in (drei) Wirbelsäulenabschnitte gebunden.


Landessozialgericht Baden-Württemberg 8. Senat
24.01.2014
L 8 SB 2497/11
Juris



Leitsatz

1. Auf den medizinischen Gesichtspunkt, dass BWS und LWS funktional als Rumpfwirbelsäule eine Einheit bilden, kommt es für die Subsumtion unter die Voraussetzungen des GdB-Bewertungsrahmens nicht an, denn die GdB-Bewertung bei Wirbelsäulen-Einschränkungen ist durch die rechtlichen Vorgaben der VG an die Differenzierung in (drei) Wirbelsäulenabschnitte gebunden.

2. Die Bewertungsstufe des GdB 30 bis 40 wird erst erreicht, wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei der drei Wirbelsäulenabschnitte (HWS, BWS, LWS) vorliegen.

3. Die Obergrenze des GdB 40 ist erreicht bei schweren Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten. Die Verteilung auf zwei Wirbelsäulenabschnitte mit jeweils nur mittelgradigen Auswirkungen bzw mit mittelgradiger und schwerer Betroffenheit je Wirbelsäulenabschnitt rechtfertigt dagegen beide Male nur den GdB 30, was ebenso für den vergleichbaren, aber nicht gesondert geregelten Fall der Betroffenheit von drei Wirbelsäulenabschnitten gelten muss, in denen jeweils nur mittelgradige Auswirkungen bestehen.


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger, dem der Beklagte bereits ab dem 29.01.2010 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 zuerkannt hat, schon ab dem 13.02.2007 ein GdB von 50 festzustellen ist.

Der 1947 geborene Kläger, türkischer Staatsangehöriger, der sich aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet aufhält, bezieht von der Deutschen Rentenversicherung eine mit einem Abschlag behaftete Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

Das Versorgungsamt S. stellte mit (Teilabhilfe-)Bescheid vom 20.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 11.12.2002 wegen einer seelischen Störung (Teil-GdB 20), einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sowie degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule (Teil-GdB 20), einem Schlafapnoe-Syndrom (Teil-GdB 20), einer Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (Teil-GdB 10), einer Refluxkrankheit der Speiseröhre sowie eines Speiseröhrengleitbruches (Teil-GdB 10) und einer Schwerhörigkeit beidseits (Teil-GdB 10) einen GdB von 40 seit dem 14.11.2001 fest.

Spätere Anträge auf höhere Neufeststellung des GdB (vom 19.08.2003 , 22.09.2003 und 19.05.2004 ) waren nicht erfolgreich (Bescheid vom 03.02.2004 , 09.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.05.2005 ).

Am 13.02.2007 beantragte der Kläger beim Landratsamt E. (im Folgenden: LRA) die höhere Neufeststellung seines GdB (Blatt 125, 126 der Verwaltungsakte des Beklagten). Zu diesem Antrag verwies er auf Herzrhythmusstörungen, Schmerzen im rechten Arm und psychische Störungen.

Auf Anforderung des Landratsamtes legte der den Kläger behandelnde Dr. O. einen Bericht des Arztes für Lungen- und Bronchialheilkunde T.-S. vom 17.10.2006 (Blatt 129 der Verwaltungsakte des Beklagten), einen Bericht des Facharztes für Orthopädie, Chirotherapie und Akkupunktur, Dr M. vom 10.01.2007 (Blatt 130 der Verwaltungsakte des Beklagten), einen Bericht des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie Dr. A. vom 12.01.2007 (Blatt 131 der Verwaltungsakte des Beklagten) und einen Bericht des Facharztes für innere Krankheiten, Kardiologie Dr. M. vom 05.02.2007 (Blatt 132 der Verwaltungsakte des Beklagten) vor. Unter Berücksichtigung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. S. vom 12.04.2007 (Blatt 134, 135 der Verwaltungsakte des Beklagten) lehnte das LRA mit Bescheid vom 16.04.2007 (Blatt 136, 137 der Verwaltungsakte des Beklagten) die Neufeststellung des GdB ab. Eine wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustandes sei nicht eingetreten.

Hiergegen erhob der Kläger am 03.05.2007 Widerspruch (Blatt 139 der Verwaltungsakte des Beklagten). Schon die bisher festgestellten Erkrankungen begründeten einen GdB von mindestens 50. Wegen vermehrter Schulterschmerzen sei eine Infiltrationsbehandlung eingeleitet worden (Blatt 144 bis 147 der Verwaltungsakte des Beklagten).

Das LRA holte daraufhin die Auskunft des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. O. vom 20.07.2007 (Blatt 150 der Verwaltungsakte des Beklagten) ein. Danach hätten in letzter Zeit die Atembeschwerden und die Dyspnoe zugenommen, gleichzeitig habe der Kläger Husten. Im EKG sei ein Linksschenkelblock (LSB) festgestellt worden, der im Zusammenhang mit einer Hypertonie stehe. Wegen der Funktionsbeeinträchtigung der Schulter werde auf den bereits übersandten Bericht von Dr. M. verwiesen. Des Weiteren äußerte sich Dr. S. für den versorgungsärztlichen Dienst (Stellungnahme vom 08.09.2007, Blatt 156 der Verwaltungsakte des Beklagten).

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.2007 (Blatt 158 bis 160 der Verwaltungsakte des Beklagten) wies der Beklagte durch das Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - den Widerspruch des Klägers zurück.

Der Kläger hat am 30.10.2007 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben. Er habe sich zum erneuten Feststellungsantrag veranlasst gesehen, nachdem er neben zunehmenden körperlichen Beschwerden insbesondere in der linken Schulter u. a. unter den Folgen einer Platzangst, hauptsächlich in geschlossenen Räumen, leide, so dass er beispielsweise jegliche Aufzugsfahrten meide. Gegen den Beklagten spreche, dass er an einer Vielzahl unterschiedlicher Beeinträchtigungen leide, die meist ohne Auswirkungen oder Überlagerungen auf andere Krankheitssymptome bestünden. Dies gelte sowohl für die Schmerzen im Bereich des linken Schultergelenkes, wie auch für die beidseitig bestehende Schwerhörigkeit, die ihn im Alltag erheblich einschränke. Auch die Auswirkungen der Refluxkrankheit mit sauerem Aufstoßen stellten eigenständige Beschwerden dar, die gänzlich ohne Bezug zu allen anderen Behinderungen seien. Entsprechendes gelte für die Knieschmerzen sowie der hierdurch bedingten eingeschränkten Geh- und Belastungsfähigkeit.

Das SG hat Beweis erhoben durch Befragung der den Kläger behandelnden Ärzte. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 36, 37 bis 42, 43 bis 47, 48 bis 50, 51 bis 59 sowie 71 der SG-Akte Bezug genommen.

Der Arzt für Anästhesie, spezielle Schmerztherapie Tip. Dr. K. hat dem SG am 18.03.2008 geschrieben, eine Beurteilung des aktuellen Gesundheitszustandes sei ihm nicht möglich. Der Kläger sei zuletzt am 21.12.2006 in seiner Praxis gewesen.

Der Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie Dr. A. hat dem SG mit Schreiben vom 27.03.2008 mitgeteilt, beim Kläger bestehe aus psychiatrischer Sicht eine spezifische Angststörung im Sinne einer Klaustrophobie, die als mittelschwer bezeichnet werden könne. Er teile die Einschätzung des versorgungsärztlichen Dienste zu einem Teil-GdB von 20 auf seinem Fachgebiet.

Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. O. hat dem SG unter dem Datum des 14.03.2008 geschrieben, es liege eine Hypertonie, ein Struma, ein Schlafapnoe-Syndrom, ein LSB, eine Sinusbradykardie sowie eine Hyperlipidämie vor. Die Hypertonie und das Struma seien mittelschwer, das Schlafapnoe-Syndrom schwergradig ausgeprägt. Für das Schlafapnoe-Syndrom sei ein Teil-GdB von 30 anzunehmen.

Der Facharzt für Orthopädie, Chirotherapie, Akkupunktur Dr. M. hat mit Schreiben vom 16.04.2008 ausgeführt, es bestehe eine Akromioclavikulararthrose, eine Tendinitis calcarea, eine akute Lumbalgie sowie eine Spondylarthrose. Betroffen seien zwei Wirbelsäulenabschnitte, die HWS und die LWS. Bezüglich der Wirbelsäule stimme er mit der Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes überein, würde jedoch die Behinderung im Bereich der Schulter mit einem Teil-GdB von 20 höher einschätzen. Der Gesamt-GdB auf orthopädischem Fachgebiet betrage 30.

Der Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie T.-S. hat dem SG am 31.03.2008 geschrieben, laut Feststellungen des Schlaflabors liege ein Schlafapnoe-Syndrom nicht vor. Es handele sich vielmehr um ein starkes Schnarchen, welches zu zahlreichen Arousals (Weckreaktionen) führe. Er teile die Einschätzung des medizinischen Dienstes.

Die Diplom-Psychotherapeutin S.-K. hat angegeben, der Kläger habe starke innere Unruhe, Engegefühl, Einschränkung durch schwere klaustrophobische Symptome, eingeschränkte Mobilität, Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, Schlafapnoe, die die Phobie und das Angehen der Ängste gefährlich machen könnten. Wegen der gegenseitigen Wechselwirkungen sei der Schweregrad auf 70 bis 80 % zu schätzen.

Das SG hat des Weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens bei Prof. Dr. W.. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 99 bis 117 der SG-Akte Bezug genommen.

Der Ärztliche Direktor der Orthopädischen Klinik am Klinikum S. - O. Prof. Dr. W. hat in seinem Gutachten vom 29.01.2010 beim Kläger eine degenerative Erkrankung der Wirbelsäule mit Beteiligung aller drei Wirbelsäulenabschnitte, des Weiteren Verkalkungen im Bereich der linken Rotatorenmanschette und beginnendem Verschleiß im Acromioclaviculargelenk, eine beginnende Coxarthrose links sowie eine beginnende Gonarthrose rechts festgestellt. Den Schweregrad hat er hinsichtlich der Wirbelsäule als mittelschwer bezeichnet, jedoch seien alle drei Abschnitte betroffen (GdB 40). Den Teil-GdB hat er für die Hüftgelenke, die Kniegelenk sowie das Schultergelenk auf jeweils 10 eingeschätzt. Den Gesamt-GdB der orthopädischen Krankheitsbilder hat er mit 40 angegeben. Dies gelte seit Juli 2006.

Daraufhin hat der Beklagte zunächst als Vergleichsangebot, später als Teilanerkenntnis (Schriftsatz vom 20.04.2010 in Verbindung mit dem Schriftsatz vom 12.08.2010), angeboten, unter Zugrundelegung eines Teil-GdB von 30 für die Wirbelsäule seit dem 29.01.2010 einen GdB von 50 festzustellen. Der Kläger hat das Teilanerkenntnis zur (teilweisen) Erledigung des Rechtsstreits angenommen und den Rechtsstreit im Hinblick auf den Beginn der Feststellung fortgeführt (Schriftsatz vom 01.09.2010).

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 16.05.2011 die Klage abgewiesen. Es habe sich nicht davon überzeugen können, dass eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers bereits für die Zeit vor dem 29.01.2010 eingetreten sei. Nach B Nr. 18.9 VG seien Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten. Dies habe der Beklagte mit Teilanerkenntnis für die Zeit ab dem 29.01.2010 auch zutreffend getan. Das Gericht habe sich hingegen nicht davon überzeugen können, dass ein Teil-GdB von 30 auch für die Zeit vor dem 29.01.2010 anzunehmen ist. Der behandelnde Facharzt für Orthopädie Dr. M. habe angegeben, dass zum Zeitpunkt der letztmaligen Behandlung am 03.05.2007 die LWS-Beweglichkeit bei regelrechtem neurologischem Status um ein Drittel eingeschränkt gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei die Funktionseinschränkung mit einem Teil-GdB von 20 daher zutreffend bewertet. Das Gutachten von Prof. Dr. W. enthalte keinerlei objektive Befunde, die zu einer anderen Annahme führen könnten. Dieser stütze sich bei der Festlegung des Zeitpunkts auf subjektive Beschwerdeangaben des Klägers. Anhaltspunkte, die zu einer höheren Bewertung des GdB bereits ab dem 13.02.2007 führen könnten, seien darüber hinaus nicht gegeben. Auch im Übrigen sind die Funktionsstörungen des Klägers durch den Beklagten zutreffend bewertet worden. Nach Würdigung aller Umstände sei das Gericht davon überzeugt, dass beim Kläger die Feststellung eines GdB von 50 ab dem 13.02.2007 nicht in Betracht komme.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 26.05.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15.06.2011 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Das SG habe rechtsfehlerhaft zugrunde gelegt, dass die Schwerbehinderung des Klägers vor dem 29.01.2010 nicht nachgewiesen sei. Prof. Dr. W. habe in seinem Gutachten ausdrücklich angegeben, der gesamte GdB für die orthopädischen Krankheitsbilder belaufe sich seit Juli 2006 auf 40. Zur Begründung habe der Gutachter ausgeführt, dass die Ausprägung der Wirbelsäulenbeteiligung nicht hinreichend berücksichtigt worden seien. Dagegen habe Dr. M. nicht nur auf die spondylarthrotischen Veränderungen der Lendenwirbelsäule mit akuter Lumbalgie verwiesen, die von ihm als „mittelgradig mit einem GdB von 20“ eingestuft worden seien. Darüber hinaus habe dieser auch auf einen Bandscheibenvorfall im Bereich C5/6 (NPP), dessen Schweregrad vom Behandler damals ebenfalls als mittelgradig eingeschätzt worden sei, verwiesen und insoweit einen GdB von 20 vorgeschlagen. Es sei gerechtfertigt, den orthopädischen Teil-GdB auf 40 anzusetzen. Ungeachtet dessen sei er auch noch wegen weiterer unabhängiger Funktionsbeeinträchtigungen behindert, die für sich alleine jeweils ebenfalls mindestens einen GdB von 20 rechtfertigten, so dass auch bei einem Teil-GdB von 30 für die bestehenden orthopädischen Funktionsbeeinträchtigungen ein Gesamt-GdB von 50 im streitigen Antragszeitpunkt hätten bestätigt werden können.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 16.05.2011 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landratsamts E. vom 16.04.2007 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 08.10.2007 zu verurteilen, über das Teilanerkenntnis vom 24.01.2014 hinaus einen GdB von mindestens 50 seit 13.02.2007 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hat angeboten (Schreiben vom 17.02.2012, Blatt 60 der Senatsakte), im Wege des Vergleichs ab dem 09.06.2009 einen GdB von 50 festzustellen. Der Kläger hat dieses Angebot im Hinblick auf die damit nicht vermeidbaren Rentenabschläge nicht angenommen (Schriftsatz vom 02.03.2012).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Beklagte als Zeitpunkt der Feststellung des GdB 50 den 09.06.2009 anerkannt. Der Kläger hat das Teilanerkenntnis angenommen und den Rechtsstreit im Übrigen fortgeführt.

Der Senat hat Beweis erhoben durch ergänzende Befragung von Dr. M.. Dieser hat in seinem Schreiben vom 22.04.2013 (Blatt 83 der Senatsakte) angegeben, der Kläger habe am 24.04.2006 über Beschwerden im Bereich der BWS geklagt. Der Befund sei gewesen: endgradig eingeschränkte Seitdrehung des Rumpfes, Seitneigung frei, Druckschmerz über Costovertebralgelenk TH 3+4 links, Sensibilität und Kraft ungestört. Röntgenbilder seien keine angefertigt worden.

Darüber hinaus hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens nach Aktenlage gemäß § 109 SGG bei Dr. S.. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 84 bis 106 der Senatsakte Bezug genommen.

Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Sportmedizin, Chirotherapie, Akkupunktur Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 16.05.2013 angegeben, die regelwidrigen körperlichen Zustände mit Funktionsbeeinträchtigungen nicht nur vorübergehender Art seien ab dem Zeitraum vom 13.02.2007 bis 09.06.2009 auf orthopädischen Fachgebiet im Gutachten von Prof. Dr. W. ausreichend beschrieben. Die Gesundheitsstörung Adipositas bedinge als Folgeerkrankungen eine arterielle Hypertonie, eine Hyperlipidämie, ein Wirbelsäulenleiden, eine Arthrose (Knie und Hüfte), eine Depression sowie ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom. Die Erkrankung aller drei Wirbelsäulenabschnitte habe in der Vergangenheit zu häufigen orthopädischen Vorstellungen geführt. Die Funktionsminderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen bedingten einen Teil-GdB von 40, die Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenkes einen Teil-GdB von 10, die Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenkes einen Teil-GdB von 10, die Funktionsbehinderung des linken Schultergelenkes einen Teil-GdB von 10, die Adipositas mit schwerwiegenden Folgeerkrankungen einen Teil-GdB von 20, das Schlafapnoe-Syndrom einen Teil-GdB von 20, der Bluthochdruck und die Herzrhythmusstörungen einen Teil-GdB von 20, die seelische Störungen einen Teil-GdB von 20, die Refluxerkrankung der Speiseröhre mit Speiseröhrengleitbruch einen Teil-GdB von 10 sowie die Schwerhörigkeit beidseits einen Teil-GdB von 10. Insgesamt sei der GdB mit 60 zu bewerten. Alle Erkrankungen hätten schon vor dem 13.02.2007 vorgelegen.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom September 2013 (Blatt 117 bis 119 der Senatsakte) hat Dr. S. an seiner Einschätzung des GdB festgehalten.

Für den versorgungsärztlichen Dienst hat sich Dr. R. geäußert (Stellungnahme vom 20.08.2013) und Dr. W. (Stellungnahme vom 07.10.2013, Blatt 121, 122 der Senatsakte) ausgeführt, auch nach Kenntnisnahme der ergänzenden Stellungnahme von Dr. S. könne nicht vorgeschlagen werden, von der bisherigen Beurteilung abzuweichen. Prof. Dr. W. habe von Seiten der Halswirbelsäule eine Seitneigung von 20-0-10 Grad und für die Kopfdrehung eine Beweglichkeit von 50-0-40 Grad angegeben. Das seien allenfalls mittelgradige Funktionseinschränkungen im Bereich der Halswirbelsäule. Von Seiten der Rumpfwirbelsäule, welche als Funktionseinheit von BWS und LWS zu sehen sei, werde für die Seitneigung eine Beweglichkeit von 30-0-30 Grad und für die Drehung eine Beweglichkeit von 45-0-45 Grad angegeben. Diese Werte lägen noch im Normbereich. Das Schoberzeichen sei mit 30 zu 32 cm normal, allenfalls im Hinblick auf die Entfaltbarkeit der LWS mit 10 zu 12 cm mittelgradig eingeschränkt. Somit lägen allenfalls mittelgradige Funktionseinschränkungen der HWS und end- bis maximal mittelgradige Funktionseinschränkungen der Rumpfwirbelsäule vor. Unter diesen Gesichtspunkten könne für das Wirbelsäulenleiden allenfalls ein Teil-GdB von 30 zuerkannt werden. Nachgewiesen sei dieser Teil-GdB für das Wirbelsäulenleiden erst ab dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Herrn Prof. Dr. W., also ab 09.06.2009. Eine Rückdatierung auf 13.02.2007 lasse sich nicht eindeutig ableiten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte und die beigezogene Akte des SG sowie des Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber nicht begründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist zuletzt noch die Frage, ob dem Kläger bereits in der Zeit vom 13.02.2007 (Datum der Antragstellung) bis 08.06.2009 ein Anspruch auf Feststellung eines Gesamt-GdB von 50 zusteht, nachdem sich durch angenommenes Teilanerkenntnis vom 24.01.2014 der Rechtsstreit, der zuvor noch den Zeitraum bis 28.01.2010 erfasst hatte, erledigt hat (§ 101 Abs. 2 SGG). Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist insoweit gegenstandslos geworden. Darüber hinaus ist er nicht zu beanstanden, da die Klage zu Recht abgewiesen worden ist. Ein Anspruch auf Feststellung eines GdB 50 vor dem 09.06.2009 steht dem Kläger nicht zu.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2004 bzw. 2008 (AHP; die angegebenen Seitenzahlen gelten jeweils für beide Fassungen der AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 – B 9 SB 3/02 R - BSGE 19091, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3 3870 § 4 Nr. 1).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 mwN). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, aaO, RdNr. 30) .In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (ständige Rechtsprechung des Senats).

Auch aus der vom Senat und vom SG durchgeführten Beweisaufnahme ergibt sich, dass erst ab dem Tag der Untersuchung durch Prof. Dr. W. (09.06.2009) die Voraussetzungen für die Feststellung eines Gesamt-GdB von 50 nachgewiesen werden können und daher erst ab diesem Tag eine wesentliche Änderung i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten ist.

Auf orthopädischem Fachgebiet liegt, wie sich aus den Gutachten von Prof. Dr. W. und Dr. S. ergibt, zunächst eine degenerative Erkrankung der Wirbelsäule mit Beteiligung aller drei Wirbelsäulenabschnitte bei Keilwirbelbildung in der Brustwirbelsäule, Spondylophyten insbesondere der Hals- und Brustwirbelsäule und ein Dauerschmerz vor. Erstmals hat Prof. Dr. W. bei seiner Untersuchung im Juni 2009 eine Beteiligung aller drei Wirbelsäulenabschnitte feststellen können. Der behandelnde Orthopäde Dr. M. hat dagegen noch im April 2008 (Blatt 48 der SG-Akte) eine Beteiligung von nur zwei Wirbelsäulenabschnitten ausdrücklich bestätigt. Soweit Dr. S. Bedenken gegen die Einschätzung und Beurteilung der Erkrankung durch Dr. M. vorbringt, mag dies hinsichtlich der Diagnosestellung wohl zutreffen. Die vorgebrachten Bedenken können jedoch nur zur Annahme bisher nicht von Dr. M. erfasster Erkrankungen führen, das Ausmaß hieraus abzuleitender Beeinträchtigungen ist damit nicht bewiesen. Für die Frage der GdB-Bewertung ist nicht allein maßgeblich auf das Vorliegen der Erkrankung, sondern auf die Fähigkeiten bzw. die aus den Erkrankungen resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen abzustellen. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Prof. Dr. W. bei seiner Untersuchung folgende Bewegungsmaße hat feststellen können:

Bewegungsumfang der HWS: Vorneigen/Rückneigen: 10/0/50° Seitneigen re./li.: 20/0/10° Drehen re./li.: 50/0/40° Bewegungsumfang der BWS und LWS (in Grad): Seitneigen re./li.: 30/0/30° Drehen im Sitzen nach re./li.: 45/0/45° Fingerbodenabstand: 20 cm Ott Meßstrecke DF C7 30 cm caudal: 30/32 cm Schober Meßstrecke DF Sl 10 cm cranial: 9/10/12 cm

Im Übrigen hat er mitgeteilt, dass beim Lasègue-Test bei 60 Grad ein Schmerz angegeben wurde und beim Langsitz eine Hüftbeugung von über 100 Grad eingenommen werden konnte.

Im Hinblick auf die tatsächliche Beweglichkeit der HWS hat der Gutachter Prof. Dr. W. daher allenfalls mittelgradige Funktionseinschränkungen mitteilen können. Auch von Seiten der Rumpfwirbelsäule wird mit der Seitneigung eine Beweglichkeit von 30/0/30 Grad und für die Drehung eine Beweglichkeit von 45/0/45 Grad angegeben. Zutreffend hat Dr. W. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.10.2011 (Blatt 121 der Senatsakte) darauf hingewiesen, dass diese Werte noch im Normbereich liegen. Auch aus dem Schoberzeichen kann allenfalls eine gewisse Einschränkung der Entfaltbarkeit der Lendenwirbelsäule abgeleitet werden. Demgegenüber steht aber der Umstand, dass der Langsitz, der ebenfalls die Lendenwirbelsäule betrifft, schmerzfrei möglich war. Somit liegen also allenfalls mittelgradige Funktionseinschränkungen der Halswirbelsäule und end- bis unter mittelgradige Bewegungseinschränkungen der Lendenwirbelsäule vor, was den Beklagten zur Anerkennung des unstreitigen Gesamt-GdB 50 wegen des jetzt nachgewiesenen Teil-GdB 30 für die Wirbelsäule bewogen hat. Hierbei ist aus Sicht des Senats unerheblich, ob darüber hinaus degenerative Veränderungen im Bereich der Brustwirbelsäule bestehen, denn der Senat konnte jedenfalls vor dem 09.06.2009 auch hier keine Funktionsbeeinträchtigungen von mindestens mittelgradiger Ausprägung feststellen. Daher kann der Senat der GdB-Einschätzung von Prof. Dr. W. und Dr. S. mit einem GdB von 40 nicht folgen. Der GdB-Rahmen von 30 bis 40 ist lediglich eröffnet (vgl 26.18 AHP, Seite 116; B Nr. 18.9 VG), wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten bestehen.

Auf den medizinischen Gesichtspunkt, dass BWS und LWS funktional als Rumpfwirbelsäule eine Einheit bilden, wie Dr. W. ausführt, kommt es vorliegend in dieser Hinsicht nicht an, denn die GdB-Bewertung bei Wirbelsäulen-Einschränkungen ist durch die rechtlichen Vorgaben der AHP und der VG an die Differenzierung in (drei) Wirbelsäulenabschnitte gebunden. Maßgebend ist damit, dass die Bewertungsstufe GdB 30 bis 40 erst erreicht wird, wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorliegen. Die Obergrenze des GdB 40 ist danach erreicht bei schweren Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten. Die Verteilung auf zwei Wirbelsäulenabschnitte mit jeweils nur mittelgradigen Auswirkungen bzw. mit mittelgradiger und schwerer Betroffenheit je Wirbelsäulenabschnitt rechtfertigt dagegen beide Male nur den GdB 30, was ebenso für den vergleichbaren, aber nicht gesondert geregelten Fall der Betroffenheit von drei Wirbelsäulenabschnitten gelten muss, in denen jeweils nur mittelgradige Auswirkungen bestehen. Für die somit allein noch streitige Rechtsfrage, ob der Gesamt-GdB 50 bereits ab 13.02.2007 vorlag, ist daher entscheidend, inwieweit neben der bereits bisher durch mittelgradige Funktionsstörungen belasteten HWS noch solche mindestens mittelgradige Auswirkungen in anderen Wirbelsäulenabschnitten vorlagen, wobei die Betroffenheit eines Wirbelsäulenabschnitts ausreichen würde.

Das ist aber vorliegend nicht der Fall, da hinsichtlich der Halswirbelsäule zwar mittelgradige Funktionsbeeinträchtigen, hinsichtlich der Lendenwirbelsäule jedoch nur geringgradige Funktionsbehinderungen in der Zeit vor Juni 2009 nachgewiesen sind. Dies ergibt sich für den Senat aus der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. M. vom 16.04.2008, der den Kläger ab 2003 behandelt hatte. Er hatte nur eine Bewegungseinschränkung der LWS um ein Drittel bei der Seitdrehung und Seitneigung, aber einen regelrechten Reflexstatus und eine intakte Sensomotorik und negative Foramen erhoben. Seine Teil-GdB-Bewertung von 20 für die LWS beruht allein auf der als akut bezeichneten Lumbalgie des Klägers, die er ebenso als nur vorübergehende Gesundheitsstörung einschätzte. Dass beim Kläger häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder Instabilitäten mittleren Grades bzw. häufige und über Tage anhaltende Wirbelsäulensyndrom (Definition der mittelgradigen Funktionsbeeinträchtigung nach den AHP und VG) vorgelegen hätten, ist für die LWS der Beschreibung von Dr. M. nicht zu entnehmen, worauf auch in der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. vom 20.08.2013 hingewiesen worden ist. Dr. M. hat vielmehr der Beurteilung des Versorgungsärztlichen Dienstes, die der Zeugenanfrage des SG beigefügt war, mit einem Teil-GdB 20 für die Wirbelsäulenerkrankung ausdrücklich zugestimmt, was eine Betroffenheit von zwei Wirbelsäulenabschnitten, nämlich einmal mit mittelgradiger Auswirkung (HWS) und einmal mit geringgradiger Auswirkung (LWS) nicht ausschließt. Zur funktionellen Beeinträchtigung der BWS ergeben sich aus der Aussage des behandelnden Orthopäden für den Zeitraum ab 2003 keine Befunde, geschweige denn eine Betroffenheit von mindestens mittelgradiger Auswirkung, die dann allein noch einen GdB 50 für einen bereits früheren Zeitpunkt begründen könnte. Der von Dr. M. gebildete Teil-GdB 30 für alle Beschwerden auf orthopädischem Gebiet widerspricht den Grundsätzen zur Bildung des (Teil-)GdB, da nur einheitliche Funktionssysteme zusammenfassend zu berücksichtigen sind (vgl. VG Teil A Nr. 2 e), weshalb der von Dr. M. insoweit befürwortete GdB 30 nicht der Bewertung zu Grunde gelegt werden kann. Das in der mündlichen Verhandlung wiederholte Vorbringen des Klägers, bereits 2001 sei ein chronisches Lumbalsyndrom diagnostiziert und behandelt worden, ist weder belegt noch ergeben sich hieraus hinreichende Anknüpfungstatsachen für weitere Ermittlungen. Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (GdB 10) umfassen durchaus rezidivierende, aber nur selten und kurz dauernd auftretende Wirbelsäulensyndrome. Die sachverständige Zeugenaussage von Dr. M. vom 16.04.2008 erfasst den Zeitraum ab November 2003 und ergibt, wie dargelegt, keine Frequenz von Lendenwirbelsäulensyndromen im Ausmaß, das den (Teil)GdB 30 vor Juni 2009 rechtfertigt. Der Senat sieht sich auch durch das Vorbringen des Klägers selbst bestärkt. Denn in seinem Antrag vom 13.02.2007 hat er eine Verschlimmerung der Wirbelsäulenerkrankung gerade nicht angegeben. Auch in der Widerspruchsbegründung hat er das orthopädische Fachgebiet betreffend lediglich eine Infiltrationsbehandlung der Schulter angegeben. Ebenso hat er auch noch in der Klagebegründung vom 16.01.2008 Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule nicht angegeben; auch hier hat er lediglich auf die Schulterproblematik und die nichtorthopädischen Erkrankungen verwiesen. Vor diesem Hintergrund konnte der Senat nicht erkennen, dass bereits vor der Untersuchung durch Prof. Dr. W. die Voraussetzungen eines Teil-GdB von 30 im Hinblick auf das häufig rezidivierend auftretende, behandlungsbedürftige Wirbelsäulensyndrom nachgewiesen wären. Vielmehr ist die Bewertung der Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule mit einem Teil-GdB von 20, wie vom Beklagten angenommen, zutreffend.

Darüber hinaus bestehen Verkalkungen im Bereich der linken Rotatorenmanschette mit beginnendem Verschleiß im Acromioclaviculargelenk mit endgradiger Bewegungseinschränkung und Belastungslimitierung. Diese haben die Gutachter Prof. Dr. W. und Dr. S. übereinstimmend mit einem Teil-GdB von 10 bewertet. Die Armhebung ist mit Bewegungsmaßen von schmerzfrei rechts 170, links 160 nur unwesentlich eingeschränkt. Die für den GdB-Wert von 10 vorgesehene Einschränkung der Armhebung nur bis 120 Grad ist hier nicht erreicht, sodass der Senat hier nur bei wohlwollender Betrachtung den von den Gutachtern angenommenen Teil-GdB-Wert unterstützen kann.

Die beginnende Coxarthrose links mit endgradiger Bewegungseinschränkung und die beginnende Gonarthrose rechts mit endgradiger Bewegungseinschränkung haben die Gutachter Prof. Dr. W. und Dr. S. übereinstimmend mit einem Teil-GdB-Wert von jeweils 10 bemessen. Angesichts der mitgeteilten Bewegungsmaße (Hüfte: rechts 0/0/110, links 0/0/110; Knie: rechts 0/0/120, links 0/0/120), der Betroffenheit jeweils nur einer Seite aber eines lediglich leicht rechts hinkenden Ganges ist diese Bewertung zutreffend (vgl 26.18 AHP, Seite 124, 126; B Nr. 18.14), und der Teil-GdB-Wert für das Funktionssystem der unteren Gliedmaßen auf 10 festzustellen.

Insgesamt ergeben sich aus der Bewertung auf orthopädischem Fachgebiet Teil-GdB-Werte 30, 10, 10 ab Nachweis der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule am Begutachtungstag bei Prof. Dr. W. (09.06.2009), deren Beeinträchtigung zuvor mit dem GdB 20 festzustellen war.

Hinsichtlich der weiter geltend gemachten Funktionsbeeinträchtigungen konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass ein Schlafapnoe-Syndrom beim Kläger tatsächlich besteht. Denn wie sich aus dem Bericht des behandelnden Lungen- und Bronchialfacharztes T.-S. vom 03.12.2007 (Blatt 46 = 47 der SG-Akte) ergibt, leidet der Kläger nicht an Schlafapnoe sondern an starkem Schnarchen, das zu zahlreichen Arousals (Weckreaktionen) führt. Dies hat Herr T.-S. dem SG auch so ausdrücklich mitgeteilt (Auskunft vom 31.03.2008, Blatt 51 der SG-Akte). Auch konnte im Schlaflabor in der Klinik S. (Bericht vom 21.11.2005, Blatt 52 bis 54 der SG-Akte) ebenso wie im Bericht der Klinik L. vom 01.12.1998 (Blatt 55, 56 der SG-Akte) eine Schlafapnoe ausgeschlossen werden (bestätigt durch den Bericht des Kreiskrankenhauses P. vom 27.06.2000, Blatt 57 der SG-Akte). Die CPAP-Behandlung dient der Vermeidung der Arousals. Hinsichtlich der Lungenfunktion hat Herr T.-S. aber einen normalen Befund dargestellt (Bericht vom 03.12.2007, Blatt 46=47 der SG-Akte) und die Behinderung durch das Schnarchen als geringgradig bezeichnet. Auch seien die Arousals durch die CPAP-Therapie weitgehend beseitigt. Soweit der Beklagte hier den Teil-GdB-Rahmen einer Schlafapnoe analog angewendet wissen will und daher einen Teil-GdB von 20 (26.8 AHP, Seite 70; B Nr 8.7 VG) angenommen hat, so will der Senat dem insoweit folgen.

Bei der vom Beklagten mit einem Teil-GdB-Wert von 20 bemessenen seelischen Störung des Klägers handelt es sich in der Sache um eine spezifische Angststörung im Sinne einer Klaustrophobie. Diese behindert den Kläger beim Benutzen eines Aufzuges, eines Taxis, enger Zimmer, bei großen Menschenansammlungen sowie - seinen Angaben zufolge (vgl. Bericht von Dr. A. vom 04.12.2007, Blatt 42 der SG-Akte) - auch bei der Benutzung von Flugzeugen. Dennoch war es dem Kläger möglich, mit einem Flugzeug zum Urlaub in sein Heimatland hin und zurück zu fliegen (vgl. Bericht Dr. A. vom 04.12.2007). Die im Februar 2007 begonnene psychotherapeutische Therapie mit probatorischen Sitzungen - nach eigenen Angaben hat er ca. fünf Termine wahrgenommen (Blatt 42 der SG-Akte) - konnte für den viele Monate dauernden Urlaub (Bericht Dr. A. aaO) unterbrochen werden; die Behandlung wurde danach nicht wieder aufgenommen (vgl. dazu die Angaben der Psychotherapeutin S.-K. vom 07.08.2008, Blatt 71 der SG-Akte). Soweit der Kläger gegenüber Dr. A. (Bericht vom 04.12.2007, Blatt 42 der SG-Akte) angegeben hatte, die Therapie wieder aufzunehmen, konnte dies die Psychotherapeutin S.-K. nicht bestätigen, die vielmehr einen Behandlungszeitraum lediglich vom Februar 2007 bis April 2007 bestätigt hat (Blatt 71 der SG-Akte). Vor diesem Hintergrund konnte sich der Senat - auch unter Berücksichtigung des Zusammenwirkens mit anderen Erkrankungen - nicht vom Vorliegen einer mit einem Teil-GdB-Wert von 20 anzunehmenden Funktionsbehinderung im Sinne einer stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen; dazu vgl. 26.3 AHP, Seite 48;B 3.7 VG) überzeugen. Vielmehr ist hier ein Teil-GdB-Wert von 10 anzunehmen.

Der Bluthochdruck und die Herzrhythmusstörungen sind vom Beklagten mit einem Teil-GdB von 20 bewertet. Aus den Auskünften der behandelnden Ärzte gegenüber dem SG lassen sich jedoch erhebliche Bluthochdruck- und Herzerkrankungen nicht ableiten. So hat der behandelnde Hausarzt, der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. O., im Hinblick auf diese Erkrankungen eine Hypertonie und einen Linksschenkelblock (LSB) und eine Sinusbradykardie angegeben. Doch ergeben sich hieraus keine wesentlichen Funktionseinschränkungen. Zwar wird die Hypertonie medikamentös behandelt, doch war der Kläger noch am 01.02.2007, mithin zu Beginn des hier streitigen Zeitraumes, noch in der Lage, ohne Angina perctoris-Symptome, ohne ventrikulären Extrasystolen jedoch konstanter Endstreckenveränderung bei komplettem LSB und dem Anstieg der Herzfrequenz und des Blutdrucks (Bericht des Facharztes für innere Medizin, Kardiologie Dr. M. vom 05.02.2007, Blatt 132 der Verwaltungsakte des Beklagten) im Belastungs-EKG über fünf Minuten - ausgehend von 50 Watt in zweiminütigen Steigerungen à 50 Watt - noch eine Minute 150 Watt leisten. Dementsprechend hat Dr. M. eine koronare Herzerkrankung ausgeschlossen und eine adäquate Herzfrequenz- und Blutdruckregulation beschrieben. Auch war das Belastungs-EKG nicht wegen der Erkrankung, sondern wegen der Erschöpfung/Ermüdung des Klägers beendet worden (vgl. Blatt 132 der Verwaltungsakte des Beklagten). Da der Kläger aber sogar über zwei Minuten 100 Watt sowie eine Minute zusätzlich noch 150 Watt leisten konnte, konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass ein höherer Teil-GdB als 20 gerechtfertigt ist. Unter Berücksichtigung der diagnostizierten Tachykardien ist die bestehende Hypertonie, die nicht zu Organbeteiligungen geführt hat, (dazu vgl 26.9 AHP, Seite 75; B Nr. 9.3 VG) als Funktionsbeeinträchtigung des Herz-Kreislaufsystems mit einem Teil-GdB von 20 angemessen bewertet (B Nr. 9.16 VG).

Die Refluxkrankheit der Speiseröhre mit Speiseröhrengleitbruch sowie die Schwerhörigkeit beidseits sind nach Überzeugung des Senats im Hinblick auf die vorliegenden Unterlagen auch im Bezug auf das angegebene sauere Aufstoßen mit Teil-GdB-Werten von jeweils 10 zutreffend bewertet; im Übrigen wendet sich der Kläger auch nicht gegen diese Teil-GdB-Bemessung.

Soweit Dr. S. einer Adipositas einen Teil-GdB von 20 zuerkennen will, folgt ihm der Senat nicht. Eine Adipositas als solche bedingt keinen eigenständigen GdB (26.15 AHP, Seite 99; B Nr. 15.3 VG), lediglich die Folgeerkrankungen sind mit Teil-GdB-Werten zu bemessen. Dies ist vorstehend bereits geschehen. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen, die einen Teil-GdB von mindestens 10 bedingen, liegen bei der Klägerin nicht vor.

Auch die Feststellung des Gesamt-GdB von 40 ist - jedenfalls bis zum 08.06.2009 - zutreffend. Denn nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt. Das ist beim Kläger - jedenfalls bis zum 08.06.2009 - nicht der Fall.

Unter Beachtung der gegenseitigen Auswirkungen ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Gesamt-GdB bis 08.06.2009, gebildet aus Teil-GdB-Werten von

- 20 (für die Wirbelsäulen-Funktionsbeeinträchtigungen), - 20 (für die Funktionsbeeinträchtigungen infolge des Schnarchens), - 20 (für die Funktionsbeeinträchtigungen des Herz-/Kreislaufsystems), - 10 ( für die Funktionsbeeinträchtigungen an den unteren Gliedmaßen) - 10 (für die Funktionsbeeinträchtigungen in Folge der seelischen Störung), - 10 (für die Funktionsbeeinträchtigungen in Folge der Refluxkrankheit der Speiseröhre mit Speiseröhrengleitbruch), - 10 (für die Funktionsbeeinträchtigungen in Folge der Schwerhörigkeit beidseits), - 10 (für die Funktionsbeeinträchtigungen der Schulter),

mit 40 ausreichend bemessen ist.

Damit ist bis zum 08.06.2009 im Verhältnis zu dem bis dahin maßgeblichen (Teilabhilfe-)Bescheid vom 20.08.2002 eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X nicht eingetreten. Erst mit Feststellung der Voraussetzungen für einen Teil-GdB von 30 für die Wirbelsäulenerkrankung am 09.06.2009, konnte eine wesentliche Änderung angenommen werden; dieser hat der Beklagte aber mit dem in der mündlichen Verhandlung angenommenen Teilanerkenntnis Rechnung getragen.

Der angefochtene Bescheid vom 16.04.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.10.2007 in der Fassung des vor dem Senat angenommenen Teilanerkenntnisses vom 24.01.2014, wonach bereits ab dem 09.06.2009 ein GdB von 50 festgestellt ist und ein früherer Zeitpunkt abgelehnt wird, ist insoweit nicht rechtswidrig.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Nachdem im Berufungsverfahren ein Zeitraum von ca. drei Jahren (Februar 2007 bis Januar 2010) streitig war, der Kläger aber nur hinsichtlich der Vorverlegung des GdB von 50 um ein halbes Jahr (Juni 2009) erfolgreich war, im Übrigen die wesentliche Änderung erst während des laufenden Klageverfahrens eingetreten ist, der Beklagte aber auf die wesentliche Änderung mit einem Vergleichsangebot, nach dessen Ablehnung mit einem Teilanerkenntnis, reagiert hat (Gutachten Prof. Dr. W. vom 29.01.2010; Vergleichsangebot vom 20.04.2010; Teilanerkenntnis vom 14.06.2010, 12.08.2010), hat der Senat im Wege seines Ermessens (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. § 193 Rdz. 12) eine Kostenauferlegung lediglich an den Kosten des Berufungsverfahrens für geboten und im Umfang von 1/6 für gerechtfertigt erachtet.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.



Versorungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung