Eine posttraumatische Belastungsstörung (F43.1 nach der ICD-10 GM) führt nicht zwingend (mindestens) zu einem Grad der Schädigungsfolgen von 30. Der GdS ist auch hier nach den rechtlich bindenden Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu bestimmen. Der Beschluss des Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 6./7. November 2008 entfaltet keine rechtliche Bindungswirkung.


Landessozialgericht Baden-Württemberg 6. Senat
12.01.2017
L 6 VH 2746/15
Juris



Leitsatz

1. Sofern ein Kläger auf Grund einer anerkannten Schädigung nach dem OEG im Gerichtsverfahren lediglich Leistungen, aber nicht die Feststellung einer bestimmten gesundheitlichen Schädigung geltend macht, muss das Gericht nicht entscheiden, welche genaue diagnostische Bezeichnung die Schädigung hat. Dies gilt auch dann, wenn der Anerkennungsbescheid der Versorgungsverwaltung die Schädigung in allgemein gehaltener Weise beschreibt (hier: "psychovegetatives Syndrom"), die keiner nach der ICD-10 (juris: ICD-10-GM) oder dem DSM-IV TR (DSM 5) anerkannten Diagnose entspricht.

2. Eine posttraumatische Belastungsstörung (F43.1 nach der ICD-10 GM) führt nicht zwingend (mindestens) zu einem Grad der Schädigungsfolgen von 30. Der GdS ist auch hier nach den rechtlich bindenden Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu bestimmen. Der Beschluss des Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 6./7. November 2008 entfaltet keine rechtliche Bindungswirkung.

3. Ein Verfolgter des DDR-Regimes, dem nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik die Bescheinigung nach § 10 Abs 4 HHG erteilt worden ist und der außerdem wegen seiner Inhaftierung in der DDR noch nach dem RehabG-DDR (juris: RehabG) vom 6. September 1990 (GBl der DDR, S 1459) rehabilitiert worden ist, kann Versorgung nur nach dem HHG verlangen, nicht aber nach dem StrRehaG.


Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Beschädigtenrente auf Grund einer - als Schädigung anerkannten - Inhaftierung in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR).

Der Kläger ist 1948 in R. in Thüringen (zwischenzeitlich Bezirk G.) geboren und in der DDR aufgewachsen. Er wohnte später in Bad B.. Nach seinen späteren Angaben wurde sein Vater, der als selbstständiger Unternehmer tätig war, in den 1950-er Jahren enteignet und von den Behörden der DDR verfolgt. Der Kläger hat Ausbildungen zum Mechaniker und Werkzeugmacher und ein Studium zum Ingenieur, Fachrichtung wissenschaftlicher Gerätebau, absolviert. Aus seiner Berufstätigkeit als Ingenieur im VEB (Volkseigener Betrieb) Elektrogeräte B. ist der Kläger - nach eigenen Angaben aus politischen Gründen - 1975 entlassen worden. Danach war er als Schlosser tätig. Zuletzt arbeitete er als Betriebsingenieur im VEB Transportgummi B.. Er hatte mit 21 Jahren geheiratet und hat zwei – 1970 und 1977 geborene – Töchter.

Am 16. November 1988 verhafteten ihn die Behörden der DDR. Er verbrachte zunächst zweieinhalb Monate in Untersuchungshaft in einem Gefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit in G.. Am 6. Februar 1989 verurteilte ihn das Kreisgericht (KrG) G.-Stadt (Az. S 23/89) wegen „ungesetzlicher Verbindungsaufnahme“ zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten. Seine Ehefrau war ebenfalls verhaftet worden und wurde gleichermaßen verurteilt. Der Kläger und seine Ehefrau waren danach in der Justizvollzugsanstalt (JVA) B.-G. inhaftiert. Nach den späteren Angaben des Klägers beruhte die Verurteilung auf einem Ausreiseantrag der Familie und der Ankündigung, gegen die Ablehnung dieses Antrags demonstrieren zu wollen; vor allem darauf, dass in einer Zeitung in der damaligen Bundesrepublik ein Artikel über den Fall erschienen war.

Am 27. Juli 1989 wurden der Kläger und seine Ehefrau nach ihrem Freikauf durch die Bundesrepublik aus der Haft entlassen. Sie reisten noch am selben Tag in das Bundesgebiet ein und in der Aufnahmestelle Gießen untergebracht. Sie wurden dem Land Baden-Württemberg zugewiesen und nahmen im August 1989 Wohnung im Rhein-Neckar-Kreis.

Auf den Antrag des Klägers vom 23. August 1989 hin erteilte das Landratsamt (LRA) des Rhein-Neckar-Kreises am 13. September 1990 die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 Häftlingshilfegesetz (HHG), wonach der Kläger Opfer einer rechtsstaatswidrigen Inhaftierung in der DDR war und Ausschlussgründe nach § 2 HHG nicht vorlagen.

Der Kläger beantragte am 12. September 1989 Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Er machte „psychosomatische Beschwerden“ geltend. Er legte die Bescheinigung des Internisten Dr. Sch. vom 29. August 1989 vor, wonach bei ihm Oberbauchbeschwerden, Völlegefühl und Schlafstörungen vorlägen. Ferner reichte er unter anderem seinen Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung zur Akte, in dem auch die Heilbehandlungen seit 1965 verzeichnet waren.

Der Kläger war an seinem neuen Wohnort ab dem 1. Dezember 1989 als Instandhaltungs- bzw. Sicherheitsingenieur vollschichtig berufstätig.

Im Auftrag des Beklagten erstattete der Neurologe und Psychiater Dr. G. das Gutachten vom 2. Juli 1990. Dort berichtete der Kläger, in der JVA B. hätten die „üblichen menschenunwürdigen Zustände“ geherrscht. Er sei in eine Zehn-Mann-Zelle mit Kriminellen eingesperrt worden. Z.T. habe er schlecht geschlafen, einmal habe er eine Schlaftablette genommen. Einmal sei in seinem rechten Auge eine Ader geplatzt, diese Verletzung sei behandelt worden, Folgen seien nicht zurückgeblieben. Die Arbeitsbelastung durch Instandhaltungsarbeiten an Bahnwaggons sei auszuhalten gewesen. Belastet hätten ihn im Wesentlichen die Verhöre; dort habe man versucht, seine Schuldgefühle auszunutzen und die Ehefrau gegen ihn auszuspielen. Dr. G. führte aus, nach der Übersiedlung hätten leichtere psychovegetative Störungen bestanden, die sich inzwischen, auch nach der Arbeitsaufnahme, verloren hätten. Ärztliche Behandlungen oder Medikationen seien nicht notwendig. Jetzt wirke der Kläger nicht durch die Haft belastet, sondern eher durch Schuldgefühle auch gegenüber seiner Ehefrau, die sich darauf bezögen, dass nach dem Fall der Mauer die Gründe für die Flucht weggefallen seien. Die MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) betrage unter 25 v.H.

Der Beklagte erließ den Erstanerkennungsbescheid vom 5. März 1991. Darin führte er aus, als Folge der Inhaftierung sei „für die Zeit vom 27. Juli 1989 bis zum 2. Juli 1990 (...) ein psychovegetatives Syndrom“ hervorgerufen worden, eine MdE von 25 v.H. werde nicht erreicht, sodass eine Rente nicht begehrt werden könne, allerdings bestehe für den anerkannten Zeitraum Anspruch auf Heilbehandlung. Der Kläger erhob, beschränkt auf die Befristung insbesondere des Heilbehandlungsanspruchs, Widerspruch. Diesen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 1991 zurück.

Bereits am 15. Juni 1990 hatte der Kläger - noch bei den Gerichten der DDR - Rehabilitierung beantragt. Mit Beschluss vom 13. Mai 1991 hob das Bezirksgericht (BezG) G. (Az. X.) das Urteil des KrG G.-Stadt vom 6. Februar 1989 auf, stellte fest, dass der Kläger im Umfang der Urteilsaufhebung rehabilitiert war und sprach ihm „dem Grunde nach Ansprüche nach Maßgabe des Rehabilitierungsgesetzes“ zu. Die rechtliche Grundlage dieser Rehabilitierungsentscheidung des BezG G. waren §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, Abs. 2 Nrn. 3 und 4 des Rehabilitierungsgesetzes der DDR (RehabG-DDR) vom 6. September 1990 (GBl. der DDR vom 18. September 1990, S. 1459). Dieses Gesetz war noch von der letzten, frei gewählten Volkskammer der DDR verabschiedet worden. Die Regelungen dieses Gesetzes über die strafrechtliche Rehabilitierung, darunter auch §§ 1 und 3, galten nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Beitrittsgebiet fort. Diese Fortgeltung von Teilen des RehabG-DDR hatten die Regierungen beider deutscher Staaten gemäß Art. 9 Abs. 3 des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag - EV) vom 31. August 1990 (BGBl II S. 889) in Art. 3 Nr. 6 der Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages (EinigVtrVbg) vom 18. September 1990 (BGBl. II 1990, 885, 1239) vereinbart. Ebenso galten die Regelungen in § 7 Abs. 1 und 2 RehabG-DDR fort, wonach die Rehabilitierung einen Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen begründete, der sich in Art und Umfang nach den Vorgaben des (bundesdeutschen) HHG richten sollte. Diese fortgeltenden Teile des RehabG-DDR wurden durch § 27 Nr. 2 des Gesetzes über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehG), verkündet als Art. 1 des Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht (1. SED-UnrechtsberG) vom 29. Oktober 1992 (BGBl I S. 1814), mit Wirkung ab dem 4. November 1992 aufgehoben. In § 26 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG ist bestimmt, dass für die Folgeansprüche aus einem bis zum In-Kraft-Treten des StrRehaG abgeschlossenen Rehabilitierungsverfahrens die Vorschriften des StrRehaG gelten.

Mit Bescheid vom 10. Juli 2001 hatte der Beklagte bei dem Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 wegen degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom, Fingerpolyarthrose, Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks und Leberschaden, Bluterkrankung anerkannt. Nachdem bei dem Kläger Ende 2004 ein Rektum-Karzinom diagnostiziert worden war, das später operiert wurde, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 7. April 2005 den GdB mit 60 fest, wobei er zusätzlich die Enddarmerkrankung in Heilungsbewährung berücksichtigte. Nachdem festgestellt worden war, welches Stadium der Tumor erreicht hatte, stellte der Beklagte mit Teil-Abhilfe-Bescheid vom 26. August 2005 den GdB mit 90 fest.

Am 21. November 2008 beantragte der Kläger - erneut - Beschädigtenversorgung wegen seiner Inhaftierung in der DDR. Er trug vor, das Schulter-Arm-Syndrom und der Bandscheibenschaden seien Folge der Inhaftierung. Er leide ferner unter psychischen Beeinträchtigungen in Form von Wiedererleben der Verfolgung, Ein- und Durchschlafstörungen im Sinne einer Schlaf-Apnoe, innerer Unruhe, fehlender Belastbarkeit, übersteigertem Misstrauen und Konzentrationsschwierigkeiten. Er gab an, er habe in der JVA B. unter unwürdigen Bedingungen im Drei-Schicht-System Kohlewaggons in Stand halten müssen. Die Ernährung sei unzureichend gewesen, die Matratzen durchgelegen. Zu der ungewohnten Arbeit seien die psychischen Belastungen wie die Ungewissheit über das Schicksal von Frau und Kindern, das Gefühl der unrechtmäßigen Inhaftierung, das Fehlen von Privatsphäre und die Unterbringung mit Schwerverbrechern auf engstem Raum gekommen.

Der Beklagte zog Befundberichte der behandelnden Ärzte bei. Der Allgemeinmediziner Dr. B. berichtete über einen Zustand nach (Z.n.) Rektum-Karzinom im Jahre 2005 mit anhaltenden Durchfällen und Oberbauchbeschwerden und einer Minderverfettung der Leber, eine allgemeine Leistungsminderung mit Antriebslosigkeit und Nachtschweiß, knöcherne Beschwerden an der linken Schulter, an der LWS und im Nackenbereich im Sinne eines zervikalen Bandscheibenschadens sowie über ein Schlaf-Apnoe-Syndrom. Er legte weitere Berichte vor, darunter den Brief von HNO-Arzt Dr. E. (benigner Lagerungsschwindel) und die Entlassungsberichte der Odenwaldklinik vom 15. März 2005 (Z.n. Rektumkarzinom, Anpassungsstörung und degenerativem Zervikalsyndrom) und des Reha-Zentrums Bad H. vom 11. Juli 2006 (Folgen des operierten Karzinoms). Der Dipl.-Psychologe K. berichtete, der Kläger leide gesichert an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die Therapie werde alsbald beginnen, die Beeinträchtigungen beruhten mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf Traumatisierungen während der Haft in der DDR. Dieser Behandler legte den Entlassungsbericht der Kurpark-Klinik Bad Sch. über eine stationäre Rehabilitation des Klägers im November 2000 vor (Impingementsyndrom beider Schultern, Cervicobrachialgie bds., Arthralgie Grundgelenk D V [Kleinfinger] links, Steatosis hepatis I-II bei Eisenspeicherkrankheit).

Der Beklagte ließ den Kläger zunächst orthopädisch bei Dr. Sch. begutachten. Diese Gutachterin führte unter dem 4. Januar 2010 aus, bei dem Kläger bestehe eine Bandscheibenschädigung im Bereich C6/7 mit Beteiligung der Nervenwurzel und folgendem Schulter-Arm-Syndrom. Diese Beschwerden habe die Mehrheit der Bevölkerung. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule seien typisch auf Grund der einseitigen Belastung und der mangelnden sportlichen Betätigung. Bei dem Kläger gebe es keinen Anhaltspunkt für einen Zusammenhang mit der schweren Arbeit während der Inhaftierung.

Ferner erstattete der Psychiater und Psychotherapeut Dr. L. im Auftrag des Beklagten das Gutachten vom 21. März 2010. Er führte aus, durch die Inhaftierung sei bei dem Kläger durchaus eine posttraumatische Symptomatik aufgetreten, die sich in der Folgezeit durch ein erhöhtes Misstrauen, ein gelegentliches Wiedererinnern, gelegentliche Alpträume, leichtere Stimmungsschwankungen, gelegentliches Grübeln und eine leicht erhöhte affektive Durchlässigkeit ausgezeichnet habe. Diese Störung sei unterschiedlich stark ausgeprägt gewesen. Nachhaltige und schwerwiegende Beeinträchtigungen der Lebens- und Gestaltungsmöglichkeiten hätten sich nicht ausgeprägt. Dem Kläger sei im Westen eine sehr gute berufliche und soziale Integration gelungen. Er unterhalte zahlreiche soziale Kontakte. Ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten könne auch bei mehreren Besuchen an den Orten der Inhaftierung nicht festgestellt werden. Die Symptome des Klägers erfüllten nicht die Voraussetzungen einer PTBS nach F43.1 der ICD-10 GM. Vielmehr liege eine sonstige Reaktion auf schwere Belastung (F43.8 ICD-10 GM) vor. Diese bestehe seit 1989. Ob zumindest zwischenzeitlich (auch) andere, schädigungsunabhängige Ereignisse wie die Karzinom-Erkrankung auf die psychische Erkrankung eingewirkt hätten, könne nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Der Grad der Schädigungsfolgen (GdS), gemessen am Gesamtbild der psychischen Beeinträchtigungen, betrage 15 bis 20.

Der Beklagte ließ die Gutachten versorgungsärztlich auswerten. Hierbei schlug Dr. L. zunächst vor, den von Dr. L. genannten GdS von 20 zu übernehmen. Auf Nachfrage des Beklagten teilte sie unter dem 3. August 2010 mit, es sei in der Tat davon auszugehen, dass ein Teil der psychischen Beeinträchtigung auf schädigungsunabhängige Einflüsse wie die internistischen und orthopädischen Erkrankungen, die tiefe Enttäuschung und Kränkung in Bezug auf den Umgang mit DDR-Unrecht und den ausgeprägten Wunsch nach Wiedergutmachung zurückzuführen sei. Es sei darauf hinzuweisen, dass die Wiedererinnerungen an die Haft erst 2005 aufgetreten seien. Der GdS betrage daher nur 10.

Mit Bescheid vom 16. August 2010 erkannte der Beklagte „im Anschluss an den Bescheid vom 28. Februar 1991 (...) nunmehr (...) eine sonstige Reaktion auf Inhaftierung“ als Folgen einer Schädigung „nach § 21 StrRehaG“ an. Der GdS betrage 10. Ein Anspruch auf Grundrente bestehe nicht, allerdings könne Heilbehandlung begehrt werden. Die geltend gemachten Beeinträchtigungen auf körperlichem Gebiet seien nicht schädigungsbedingt. Eine besondere berufliche Betroffenheit komme nicht in Betracht. Hinsichtlich des früheren Bescheids führte der Beklagte aus, dem Antrag des Klägers auf Neufeststellung nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei ab dem 1. November 2008 stattzugeben.

Der Kläger erhob Widerspruch. Er könne dem Argument von Dr. L. nicht folgen, die Karzinom-Erkrankung sei nicht Ursache der psychischen Beeinträchtigungen. Diese hätten schon vor 2005 vorgelegen. Vor der Inhaftierung habe er auch keine Beschwerden am Rücken oder im Schulter-Arm-Bereich gehabt.

Nach Einholung eines weiteren Befundscheins bei Dr. B. und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme bei Dr. S. erließ der Beklagte den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 8. März 2011.

Zwischenzeitlich hatte der Beklagte mit Bescheid vom 16. November 2011, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2011, den GdB wegen Ablaufs der Heilungsbewährung auf 50 herabgesetzt.

Am 30. März 2011 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben und beantragt, den Beklagten zur Anerkennung eines GdS von (genau) 25 und zu einer entsprechenden Entschädigung zu verurteilen. Er hat dort einen Zeitungsartikel („In Kopfhöhe ausgerichtet“, DER SPIEGEL 20/1999, S. 42 ) über die Bestrahlung von Häftlingen in der DDR mit Röntgenstrahlen, die später gehäuft zu Karzinom-Erkrankungen führten, vorgelegt. Er hat dazu ausgeführt, gegebenenfalls sei auch seine Krebserkrankung so verursacht worden.

Nachdem der Beklagte der Klage entgegengetreten war, hat das SG zunächst Dipl.-Psych. K. als sachverständigen Zeugen vernommen. Dieser hat bekundet, der Kläger habe ihm gegenüber angeben, er habe ab 2004 nicht mehr ein- und durchschlafen können, nachdem er bei einem Besuch in den neuen Ländern seinen damaligen Richter, der nun als Anwalt arbeite, aufgesucht und mit der damaligen Verurteilung konfrontiert habe, und sich dieser an nichts mehr erinnert hätten, er sich durch das Rektum-Karzinom tödlich bedroht gefühlt habe und nachdem sein Antrag auf Rückübertragung des Unternehmens, das in den 1950-er Jahren seinem Vater entzogen worden sei, abgelehnt worden sei. Die Alpträume seien immer schlimmer geworden. Der Kläger wache fast jede Nacht schreiend und schweißgebadet auf. Vor Beginn der Behandlung 2010 hätten Suizidgedanken vorgelegen. Es liege eine komplexe Traumafolgestörung im Sinne einer PTBS (F43.1 ICD-10 GM) vor. Die nachhaltig traumatisierenden Erlebnisse während der Inhaftierung seien ursächlich für diese Erkrankung. Sie sei durch die - anderen - genannten Erfahrungen reaktualisiert worden. Es finde eine langsame Bearbeitung in einer 4-wöchentlichen tiefenpsychologisch fundierten Therapie seit Juni 2009 statt, die noch für einen längeren Zeitraum notwendig sei.

Sodann hat das SG von Amts wegen den Chefarzt der Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Klinikum W., Prof. Dr. Sch., mit einer Begutachtung des Klägers beauftragt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 25. Februar 2013 ausgeführt, die Kriterien einer PTBS nach F43.1 ICD-10 könnten nicht im Vollbild festgestellt werden. Dies gelte zunächst für das B-Kriterium. Es sei fraglich, ob die vom Kläger benannten Auslöser für Wiedererinnerungen (Klinkerbauten und geklinkerte Wände, Kläffen von Hunden, Gerüche öffentlicher WCs) psychopathologische Relevanz in Form besonderer Lebhaftigkeit oder gar Flash-back-Charakter hätten. In den ersten Jahren nach der Inhaftierung seien solche Symptome nur selten und nur unter besonderen Umständen aufgetreten. Ferner sei das D-Kriterium (Hypersensitivität) nicht mit hinreichender Sicherheit erfüllt. Es lägen allenfalls zwei Unterkriterien vor, wobei die vom Kläger angegebenen Konzentrationsdefizite bei der Begutachtung mit mehreren Testungen nicht nachweisbar gewesen seien und der Kläger seine Schlafstörungen wenig dramatisch schildere. Nervosität im Sinne von Reizbarkeit, Wutausbrüchen oder Schreckhaftigkeit sowie eine Hypervigilanz hätten nicht vorgelegen. Das E-Kriterium (Auftreten der anderen Symptome binnen sechs Monaten) sei ebenfalls nicht erfüllt. Insgesamt zeige sich daher keine PTBS, sondern eine sonstige Reaktion auf schwere Belastung (F43.8 ICD-10). Andere psychische Erkrankungen, etwa eine depressive Episode, lägen nicht vor. Zur Kausalität hat Prof. Dr. Sch. ausgeführt, nach fachwissenschaftlichem Kenntnisstand beruhe auch eine „subsyndromale PTBS“ wie hier auf einem multifaktoriellen Bedingungsgeflecht. Bei dem Kläger hätten sich keine Hinweise auf eine Vorerkrankung ergeben, allenfalls habe es eine Sensibilisierung wegen der Verfolgung des Vaters in den 1950-er Jahren gegeben. Vor diesem Hintergrund stelle die Inhaftierung den wesentlichen Grund für die psychischen Beeinträchtigungen dar. Dass die Symptome erst 2004/2005 bei anderen Belastungen zu Tage getreten seien, sei eine klinisch nicht selten anzutreffende Konstellation. Dies ändere nichts an der wesentlichen Bedeutung des Schädigungsereignisses. Die aus der Erkrankung des Klägers folgenden Funktionsbeeinträchtigungen seien vergleichsweise blande und beständen - nur - in durch bestimmte Trigger ausgelösten Erinnerungen, Schlafstörungen und einem gewissen Vermeidungsverhalten in Bezug auf spezifische Raumsituationen. Vor diesem Hintergrund sei der GdS ab Anfang 2005 auf 10, ab Anfang 2015 auf 15 zu schätzen. Sicher liege keine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungfähigkeit vor.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat das SG sodann die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie E. mit einer Begutachtung des Klägers beauftragt. Die Sachverständige hat in ihrem schriftlichen Gutachten vom 15. Januar 2014 ausgeführt, es liege das Vollbild einer PTBS vor, andere psychische Störungen könnten ausgeschlossen werden. Auch die Kriterien, die Prof. Dr. Sch. verneint habe, seien erfüllt. Dies gelte zunächst für das B-Kriterium. Es lägen deutliche Intrusionen vor. Der Kläger reagiere mit Herzklopfen und Schweißausbrüchen z.B. auf tätowierte Menschen und auf Hundegebell. Er fühle sich dann zurückversetzt in ohnmächtige und hoffnungslose Lagen. Diese Symptome habe der Kläger glaubhaft geschildert. Dass sie in den Aktenunterlagen so nicht dokumentiert worden seien, beruhe darauf, dass die stationären Behandlungen des Klägers nicht auf psychische Erkrankungen ausgerichtet gewesen seien. Unabhängig hiervon sei die psychische Belastung durch die Haft während der stationären Behandlung in der Odenwaldklinik notiert worden. Das D-Kriterium sei bereits durch die zwei Unterkriterien Schlafstörungen und Alpträume erfüllt, darüber hinaus berichte der Kläger glaubhaft über eine teils vermehrte Reizbarkeit bei den Themen „ungerechte Behandlung“, „Stasi“ und „autoritärer Umgangston“. Auch der zeitliche Abstand des Auftretens der Symptome zur Haft sei erklärlich, nach einer klinischen Studie aus Dresden trete bei immerhin 10 % aller Haftopfer das Vollbild einer PTBS noch nach Jahrzehnten auf. Es seien auch die massiven Schuldgefühle des Klägers unberücksichtigt geblieben. Zur Höhe des GdS hat Frau E. ausgeführt, für das Vollbild einer PTBS sei ein GdS von 30 anzulegen. Bei dem Kläger habe sich die PTBS seit der Berentung im März 2010 klinisch manifestiert. Seitdem sei der Kläger in seiner Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit deutlich eingeschränkt. Daher seit ab diesem Zeitpunkt eine GdS von 30 anzusetzen. Eine besondere berufliche Betroffenheit habe nicht vorgelegen, da der Kläger immer in der Lage gewesen sei, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen und durch seine Familie eine gute soziale Unterstützung erfahren habe.

Hierzu hat Prof. Dr. Sch. am 16. Oktober 2014 ergänzend Stellung genommen. Er hat ausgeführt, der Unterschied in der Beurteilung durch Frau E. und ihn sei ein methodischer. Frau E. übernehme die Beschwerdeangaben des Klägers eins zu eins, wodurch Beschwerdeschilderung und Befund vermischt würden. Er habe die Beschwerdeangaben mit aktuellen Befunden und aktenkundigen Vorbefunden und Angaben abgeglichen. Dies sei für ein Gutachten von zentraler Bedeutung. So sei der Kläger während der Begutachtung mit Klinkerwänden konfrontiert gewesen, habe aber keine pathologische Reaktion gezeigt. Auch kognitive Dysfunktionen seien nicht festzustellen gewesen. Dies spreche gegen aktuelle Wiedererinnerungen. Zur Höhe des GdS hat Prof. Dr. Sch. ausgeführt, Frau E. habe nicht erklärt, warum der GdS von 30 erst ab 2010 vorliegen solle, wenn nach ihren Ausführungen auch zuvor eine PTBS vorgelegen habe und diese Erkrankung immer einen GdS von 30 bedingen solle.

Einen Antrag auf ergänzende Anhörung von Frau E. hat der Kläger nicht gestellt.

Mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 7. Mai 2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Ob eine PTBS oder eine andere psychische Erkrankung als Folge der Inhaftierung vorliege, könne offen bleiben. Der allein geltend gemachte Anspruch auf eine Beschädigtengrundrente nach einem GdS um 25 bestehe nicht. Der GdS liege nicht über 20. Es sei den Einschätzungen von Prof. Dr. Sch. zu folgen. Eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit könne nicht gesehen werden. Der Kläger habe im Westen sofort Fuß gefasst und lange gearbeitet. Schon bei Dr. L. habe er im Einzelnen eine gute soziale Integration beschrieben. Die Familie sei intakt, es bestünden enge Kontakte zu den Kindern. Der Kläger habe Freunde und Kontakte zu Nachbarn, sei im Schützenverein und verrichte gern handwerkliche Tätigkeiten. Zwar hätten sich - wie vom Kläger befürchtet - die Erinnerungen an die Haft bei Beginn der Rente verstärkt. Aber weitergehende Einschränkungen bei der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft seien hieraus nicht entstanden. Der Kläger fülle den Vormittag mit Gartenarbeit, Einkaufen und Handwerken in der eigenen Werkstatt. Er helfe beim Kochen und im Haushalt. Nachmittags arbeite er ebenso, einen Teil des Tages arbeite er am Computer mit Fotos und Videos. Er unterhalte weiterhin soziale Kontakte in die neuen Länder. Soweit Frau E. stärkere Einschränkungen in den sozialen Aktivitäten angenommen habe, entspreche dies nicht den früheren Angaben des Klägers wie z.B. bei Prof. Dr. Sch.. Unzutreffend sei auch die Annahme von Frau E., eine PTBS führe immer zu einem „Mindest-GdS“ von 30. Ein solcher GdS setze eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit voraus, die Frau E. nicht nachvollziehbar begründet habe.

Gegen dieses Urteil, das seinem Prozessbevollmächtigten am 22. Juni 2015 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 30. Juni 2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er trägt vor, er habe sich in sein neues Umfeld im Westen nie richtig integriert. Nach der Haftzeit habe er wegen Misstrauens keine neuen Freunde gefunden. Er habe nur zu einem Nachbarn Kontakte entwickelt. Er nehme an Feierlichkeiten wie Tanzen oder Fasching nicht teil. Er könne sich nicht mehr freuen und keine positiven Gefühle mehr entwickeln. Die auch von Frau E. ermittelten Hinweisreize, die Wiedererinnerungen auslösten, vermeide er konsequent. Soweit Prof. Dr. Sch. darauf hingewiesen habe, er habe auf die Klinkerwände im Klinikum W. nicht reagiert, sei darauf hinzuweisen, dass es auf die Art der Klinkergebäude ankomme, er reagiere nur auf Architektur aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Frau E.‘ Einschätzung, eine PTBS bedinge eine Mindest-GdS von 30, treffe nach dem Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin bei Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 6./7. November 2008 zu. Auf die in erster Instanz in den Vordergrund gerückten Diagnosen komme es im Rahmen des Rentenbegehrens aber nicht an.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 7. Mai 2015 aufzuheben, den Bescheid vom 16. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. März 2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm eine Beschädigtengrundrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 25 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist darauf, dass sich insbesondere aus dem Gutachten von Prof. Dr. Sch. Inkongruenzen zwischen den Befindlichkeitsangeben und den Befunden ergäben.

Am 9. Oktober 2015 beantragte der Kläger bei dem Beklagten eine Badekur und erklärte sich damit einverstanden, das Gerichtsverfahren bis zu ihrem Ende zu unterbrechen. Er legte einen Befundschein des Allgemeinmediziners Dr. W. (Diagnosen Prostatahyperplasie, Spondylarthrose und Angststörung) und den Medikamentenplan vom 24. November 2015 (drei Blutdrucksenker) vor. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 13. Januar 2016 eine Badekur ab, da die schädigungsbedingten Erkrankungen keine solche Kur erforderten.

In dem Berufungsverfahren hat der Kläger eine Stellungnahme von Dipl.-Psych. K., Beratungsstelle für politisch Traumatisierte der SED-Diktatur, vom 25. September 2015 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, Prof. Dr. Sch. habe die Ergebnisse eines selbst durchgeführten Tests, die auf eine PTBS hindeuteten, nicht gewürdigt. Sein Vorwurf gegenüber Frau E., nur die Angaben des Klägers zu Grunde gelegt zu haben, treffe nicht zu, vielmehr habe Frau E. mit dem SCID-PTSD eines der bestvalidierten diagnostischen Interviews mit Screening-Fragen zu allen Symptomkomplexen der PTBS durchgeführt. Soweit Prof. Dr. Sch. auf die fehlende Reaktion des Klägers auf Klinkerwände hingewiesen habe, sei darauf hinzuweisen, dass klinisch hohe psychische Erregungszustände bekannt seien, bei denen die Betroffenen äußerlich ungerührt wirkten und dass emotionslose Schilderungen traumatypische Abspaltungen sein könnten. Hierauf deute auch das hohe soziale Anpassungsniveau des Klägers hin, das beide Sachverständige festgestellt hätten.

Ferner hat der Kläger den genannten Beschluss des Sachverständigenbeirats beim BMAS vorgelegt.

Zu diesen Angaben und Unterlagen hat Prof. Dr. Sch. am 7. April 2016 ergänzend Stellung genommen. Er hat ausgeführt, auch nach dem Beiratsbeschluss könne er keinen GdS von 30 vorschlagen, da er nicht das Vollbild einer PTBS diagnostiziert habe. Die Ergebnisse des genannten Tests (PTSS-10, IES-R) habe er gewürdigt, solche Symptomfragebögen seien als Screeninginstrument hilfreich, um Verdachtsdiagnosen zu generieren, eine abschließende Diagnose könne jedoch erst nach einer gezielten und kritischen (klinischen) Prüfung der notwendigen Symptome gestellt werden. Dies gelte im Übrigen auch für den von Frau E. verwandten PTSS-10, den Frau K. als „Goldstandard“ bezeichnet habe. An der Einschätzung, dass zwei der vier notwendigen Kriterien einer PTBS nicht nachweisbar erfüllt seien, müsse festgehalten werden. Soweit Frau K. dies auf ein hohes soziales Anpassungsniveau des Klägers zurückführe, beruhe dies auf bloßen Mutmaßungen. Im Weiteren hat Prof. Dr. Sch. noch eine Nachfrage zur Differenzierung zwischen Beschwerdeschilderungen und Befunderhebungen vor der Stellung einer psychiatrischen Diagnose beantwortet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten (B-Akten und Akte der schwerbehindertenrechtlichen Verfahren) und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist statthaft (§ 143 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, weil der Kläger Sozialleistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) begehrt. Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere im Sinne von § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht erhoben.

Sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG) abgewiesen.

Vorab ist allerdings darauf hinzuweisen, dass der Beklagte das Begehren des Klägers zu Unrecht auf der Grundlage des StrRehaG und nicht nach dem HHG geprüft hat (vgl. zum Folgenden im Einzelnen Urteil des Senats vom 23. Februar 2012 – L 6 VU 6118/09 –, juris, Rz. 32).

Zwar können nach § 25 Abs. 2 Nr. 1 StrRehaG auch Personen, die - wie der Kläger - eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG bereits vor dem Inkrafttreten des StrRehaG am 4. November 1992 beantragt und erhalten haben, Ansprüche nach dem StrRehaG geltend machen, da ihnen die Durchführung eines weiteren Verfahrens nach dem StrRehaG nicht mehr zugemutet werden soll (BT-Drucks. 12/1608, S. 24). Dies beschränkt sich jedoch auf die Ansprüche nach den §§ 17 bis 19 StrRehaG unter Anrechnung der Leistungen nach dem HHG. Den Inhabern einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG stehen dagegen keine Ansprüche auf Versorgung nach den §§ 21 bis 24 StrRehaG zu. Treffen nämlich wie im Falle des Klägers wegen ein und desselben Ereignisses gleichartige Ansprüche - auf Beschädigtenversorgung - aus § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG und aus § 4 Abs. 1 HHG zusammen, so sind nach § 21 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG Leistungen nach § 21 StrRehaG nachrangig (vgl. Rademacher, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, vor § 21 StrRehaG Rz. 11, § 21 StrRehaG, Rz. 13). Zwar ist diese Norm - vordergründig - eng formuliert, wenn sie nach ihrem Wortlaut den Weg in das StrRehaG nur versperrt, wenn auf Grund des anderen Gesetzes „bereits Versorgung bezogen wird“. Es kommt aber gleichwohl nicht darauf an, ob schon Leistungen bewilligt sind und gewährt werden. Der Gesetzgeber hat in seiner Gesetzesbegründung deutlich gemacht, dass er einen Vorrang des anderen Gesetzes schon dann begründen wollte, wenn „wegen desselben schädigenden Ereignisses ein Anspruch auf Versorgung unmittelbar aufgrund des BVG oder aufgrund von Gesetzen, die das BVG für anwendbar erklären, besteht“ (BT-Drs., a.a.O., S. 27). An diesem Nachrang des StrRehaG ändert auch § 23 Abs. 1 StrRehaG nichts. Zwar wird nach dieser Vorschrift allein nach dem StrRehaG entschädigt, wenn Ansprüche nach § 21 StrRehaG mit anderen Ansprüchen nach dem BVG oder Gesetzen, die auf das BVG verweisen, bestehen. Diese Norm erfasst jedoch nur Schädigungen auf Grund mehrerer, verschiedener schädigender Ereignisse (Knickrehm, a.a.O., § 23 StrRehaG, Rz. 2), während § 21 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG konkurrierende Ansprüche erfasst, die - wie im Falle des Klägers - auf dieselbe Schädigung zurückzuführen sind.

In diesem Punkt unterscheidet sich die Rechtslage von der Konstellation, über die der Senat in seinem Urteil vom 23. Juni 2016 (L 6 VH 4633/14, juris, Rz. 53) zu entscheiden hatte, denn der Klägerin in jenem Verfahren war eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG versagt worden.

Vor diesem Hintergrund ist die Klage - gleichwohl - zulässig.

Auch wenn der Kläger sein Begehren in der Sache allein auf § 4 Abs. 1 HHG stützen kann, ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nach § 10 Abs. 3 Satz 1 HHG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 6 SGG eröffnet (vgl. § 25 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG). Der Kläger macht keine Eingliederungshilfen nach §§ 9a ff. HHG geltend, über die nach § 10 Abs. 3 Satz 4 HHG die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit entscheiden müssten.

Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Insbesondere ist eine angreifbare Verwaltungsentscheidung ergangen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) und auch das durchgeführte Vorverfahren betraf den streitigen Rentenanspruch. Der Kläger hat sich von Anfang des Verfahrens an auf diesen Rentenanspruch beschränkt und nicht etwa die Anerkennung einer bestimmten Schädigungsfolge begehrt (vgl. zu einem solchen Anspruch das Urteil des Senats vom 23. Juni 2016 – L 6 VH 4633/14 –, juris, Rz. 52). Dass der Beklagte seine Entscheidung nicht auf die materiell allein in Betracht kommenden Grundlagen aus dem HHG gestützt hat, ist allenfalls eine Frage der formellen oder materiellen Rechtmäßigkeit der Bescheide, nicht aber der Zulässigkeit der Klage.

Die Klage ist nicht begründet. Dies gilt sowohl für das Anfechtungsbegehren, die angegriffenen Bescheide teilweise aufzuheben, als auch für den Leistungsantrag auf Gewährung einer Beschädigtengrundrente (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG).

Die Bescheide des Beklagten leiden nicht an verfahrensrechtlichen Mängeln. Zwar hat der Beklagte zur Begründung jeweils auf das StrRehaG verwiesen und nicht auf das HHG, aber dies führt nicht zum - vollständigen - Fehlen einer Begründung im Sinne von § 35 Abs. 1 SGB X. Ferner hat der Beklagte in den angegriffenen Bescheiden sogar den nach dem HHG ergangenen Bescheid vom 28. Februar 1991 in Bezug genommen und ausgeführt, dieser sei nach § 48 Abs. 1 SGB X abzuändern, weil sich der Gesundheitszustand des Klägers wesentlich verschlimmert habe. Nicht etwa hat der Beklagte auf der nunmehr angenommenen neuen Rechtsgrundlage einen weiteren Erstanerkennungsbescheid erlassen. Hieraus wird deutlich, dass auch dem Beklagten bewusst war, dass dem Kläger - auch - Ansprüche nach dem HHG zustehen können.

Der Beklagte hat den Bescheid auch als zuständiger Träger erlassen. Er ist für den geltend gemachten Anspruch des Klägers aus § 4 Abs. 1 HHG passivlegitimiert, weil der Kläger seinen Wohnsitz im Gebiet des Beklagten hat. Dies ergibt sich aus § 10 Abs. 1 Satz 1 HHG i.V.m. § 3 Abs. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG). Sonderzuständigkeiten - wie z.B. die Regelung in § 25 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG, die hier zur Zuständigkeit des Freistaats Thüringen führen würde - sieht das HHG nicht vor.

Der Kläger ist - wie ausgeführt - nach § 4 Abs. 1 HHG als Geschädigter anerkannt. Er kann daher dem Grunde nach Versorgung verlangen (die Bescheinigung allein begründet keinen solchen Anspruch, vgl. BSG, Urteil vom 2. März 1983 - RVh 1/82 - juris, Rz. 10). Da ihm ohnehin keine Versorgung nach dem StrRehaG zustehen kann, ist es für sein Begehren nicht relevant, dass er nicht nach den Vorschriften des StrRehaG, sondern bereits vor In-Kraft-Treten dieses Gesetzes nach den fortgeltenden Vorschriften des RehabG-DDR rehabilitiert worden war. Es ist daher nicht zu entscheiden, wie weit die rückwirkende Erstreckung von Ansprüchen nach dem StrRehaG auf nach DDR-Recht abgeschlossene Rehabilitierungsverfahren in § 26 Abs. 3 StrRehaG reicht (vgl. BT-Drs., a.a.O., S. 30).

Nach § 4 Abs. 1 HHG erhalten Geschädigte, die in Folge des Gewahrsams eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG.

Die Tatbestandsmerkmale, die den geltend gemachten Ansprüchen zu Grunde liegen – eine in Folge des rechtsstaatswidrigen Gewahrsams erlittene gesundheitliche Schädigung (Erstschaden) und die gesundheitlichen Folgen dieser Schädigung – müssen nach den im sozialgerichtlichen Verfahren an die richterliche Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen voll bewiesen sein. Dagegen genügt nicht nur zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung, also für die haftungsausfüllende Kausalität (§ 4 Abs. 5 Satz 1 HHG), sondern auch bereits für die haftungsbegründende Kausalität zwischen der rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehung und der gesundheitlichen (Erst-)Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VU 4119/14 –, juris, Rz. 34). Dies ist für alle Bereiche des Entschädigungsrechts anerkannt, seitdem das BSG in seinem Urteil vom 15. Dezember 1999 (B 9 VS 2/98 R, juris, Rz. 19) eine anders lautende frühere Rechtsprechung aufgegeben hat.

Die in § 4 Abs. 1 HHG genannte Versorgung ist im Einzelnen in den §§ 30 ff. BVG geregelt. Der hier streitige Anspruch auf eine Grundrente beruht auf § 31 Abs. 1 BVG. Nach dieser Vorschrift ist für diesen Anspruch ein GdS von wenigstens 30 notwendig. Allerdings ist nach § 30 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BVG ein bis zu fünf Grad geringerer GdS vom höheren Zehnergrad umfasst. Letztlich kann daher ein GdS von 25, wie ihn der Kläger geltend macht, zu einem Rentenanspruch führen. Die einzelnen Regelungen über die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des GdS sind in der nach § 30 Abs. 16 BVG vom BMAS erlassenen Rechtsverordnung, der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), enthalten. Die Anlage zu § 2 VersMedV, die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ (VG), sind seit dem 1. Januar 2009 an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) angewandten „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht“ (AHP) getreten (Urteil des Senats vom 27. August 2015 – L 6 VG 2141/13 –, juris, Rz. 48). Auf das Begehren des Klägers, der seinen Antrag am 21. November 2008 gestellt hat, sind daher weitgehend bereits die VG anzuwenden. Soweit für die Zeit zwischen Antragstellung und In-Kraft-Treten der VG noch die AHP anzuwenden waren, ergeben sich hieraus keine anderen Voraussetzungen.

Der Senat lässt offen, welche psychische Erkrankung bei dem Kläger im Einzelnen vorliegt, ob insbesondere eine PTBS (F43.1 ICD-10 GM), eine sonstige Reaktion auf schwere Belastung (F43.8 ICD-10 GM) oder eine noch andere Erkrankung des psychiatrischen Formenkreises zu diagnostizieren ist. Insbesondere lässt der Senat offen, ob die - geschilderten - Hafterfahrungen ohne weitergehende lebensgefährliche Bedrohung das A-Kriterium einer PTBS erfüllen (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 23. Juni 2016 - L 6 VH 4633/14, juris, Rz. 65), was alle gehörten Sachverständigen, auch der Amtsgutachter Prof. Dr. Sch., angenommen haben. Eine Entscheidung über die genaue diagnostische Einordnung der Erkrankung des Klägers ist in diesem Verfahren im Hinblick auf die folgenden beiden Erwägungen nicht erforderlich.

Zwar ist es für die Feststellung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung notwendig bzw. angezeigt, dass die fragliche Erkrankung oder Behinderung auf Grund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel bezeichnet wird, damit die Feststellung nachvollziehbar ist. Dies hat das BSG für das Unfallversicherungsrecht entschieden (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R –, juris, Rz. 22), es ist aber gleichermaßen für das Versorgungsrecht zu fordern (Urteil des Senats vom 17. Dezember 2015 - L 6 VS 2234/15 -, juris, Rz. 33 m. w. N.; in diese Richtung auch BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 6/13 R –, juris Rz. 15). Dies gilt jedoch innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens nur, wenn entsprechende Anträge (auf Feststellung) gestellt sind. Auch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit dürfen nichts zusprechen, auch nicht in feststellender Weise, was nicht beantragt ist (§ 123 SGG). In diesem Verfahren hat der Kläger nicht die Feststellung einer bestimmten Erkrankung als Schädigungsfolge beantragt. Bei ihm ist die Schädigung in Form der Inhaftierung in der DDR und eines – als daraus folgenden Gesundheits(erst)schadens – „psychovegetativen Syndroms“ anerkannt. Diese Anerkennung ist auch offen genug formuliert, um die in diesem Verfahren erwogenen Erkrankungen zu umfassen (so auch Urteil des Senats vom 22. September 2016 - L 6 VG 381/15, juris, Rz. 30). Ob diese offene Formulierung rechtmäßig ist, kann offen bleiben, denn da sie der Kläger nicht angegriffen hat, ist sie bindend (§ 77 SGG).

Zum anderen ist aus der Sicht des Senats auch für die Feststellung des GdS nicht (inzident) zwingend zu entscheiden, welche Erkrankung vorliegt. Die VG - und in genau der gleichen Weise auch schon die AHP - gehen bei der Feststellung des GdS von den Funktionseinbußen aus, die aus einer Erkrankung (Behinderung) folgen. Die genaue medizinische Diagnose ist dagegen in vielen in den VG geregelten Fällen kein Anknüpfungspunkt. Dies gilt insbesondere für Teil B Nr. 3.7 VG, wo die GdS-Werte für Funktionseinbußen auf Grund psychischer Erkrankungen festgesetzt werden. Dort wird nicht auf die Art der Erkrankung abgestellt, z.B. nicht zwischen (endogenen) depressiven Erkrankungen (F32.-, F33.- ICD-10 GM) oder Traumfolgestörungen (F43.- ICD-10 GM) unterschieden. Die VG stellen hier allein auf das Ausmaß der Einschränkungen in der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit oder der sozialen Anpassungsschwierigkeiten des Betroffenen ab. Anders als der Kläger meint, folgt auch aus dem Beschluss des Sachverständigenbeirats beim BMAS vom 6./7. November 2008 nicht, dass sich die GdS-Bewertung nach der medizinischen Diagnose (einer PTBS) richtet (so auch schon Urteil des Senats vom 23. Juni 2016 – L 6 VH 4633/14 –, juris, Rz. 96). Zwar hat der Beirat in dem Beschluss ausgeführt, es sei ein GdS von „wenigstens 30 gerechtfertigt“, wenn alle - im Einzelnen dort genannten - Kriterien der PTBS erfüllt seien. Jedoch hat dieser Beirat nach § 3 Abs. 1 VersMedV nur die Aufgabe, das BMAS zu beraten und „die Fortentwicklung der Anlage“, also der VG, „vorzubereiten“. Vor diesem Hintergrund gibt er nur Vorschläge ab. Solange nicht das BMAS, ggfs. auf der Grundlage dieser Vorschläge, die VG, denen Rechtsnormqualität zukommt, ändert, verbleibt es bei den Vorgaben der VG. Der Senat kann dem Vorschlag des Beirats auch nicht in der Weise folgen, dass im Rahmen einer Auslegung und Anwendung der VG bei einer PTBS immer ein GdS von 30 anzuerkennen ist. Der Beirat weist selbst darauf hin, dass eine PTBS nur diagnostiziert werden kann, wenn die dafür medizinisch notwendigen Kriterien (der Beirat spricht gar von sechs Kriterien [A bis F]) in der gebotenen Schwere erfüllt sind. G.de eine Erkrankung wie die PTBS kann vielfältige und auch unterschiedlich starke Auswirkungen auf die Teilhabe des Betroffenen am Leben in der Gemeinschaft haben. Für die Erfassung dieser Beeinträchtigungen ist, wie ausgeführt, nicht eine Diagnose geeignet, sondern die Vorgaben der VG. Für diese Verfahrensweise spricht auch ein Vergleich mit anderen Bereichen des Sozialrechts. Auch dort werden die Auswirkungen einer PTBS nicht schematisch bewertet. So gehen die medizinischen Erfahrungswerte aus dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung davon aus, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), die aus einer PTBS folgt, bei einer im Vollbild ausgeprägten Erkrankung lediglich „bis zu 30“ (also in der Regel unter 30) beträgt und nur besonders schwere Formen höher bewertet werden können (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 170; vgl. hierzu auch Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen – AWMF - Stand 31. März 2012, gültig bis 31. März 2017, S. 82). Zwar folgt die Bewertung der MdE anderen Kriterien, nämlich den Einbußen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, als der GdS, der die Teilhabe am gesamten sozialen Leben ins Blickfeld nimmt. Aber G.de vor diesem Hintergrund ist es kaum vorstellbar, dass eine psychische Erkrankung im allgemeinen Leben eine höhere Bewertung erfährt als allein in Bezug auf das Erwerbsleben, zumindest wenn sie nicht zu einer schweren spezifischen Leistungsbeeinträchtigung in einem besonderen Segment des Arbeitsmarktes führt.

Die bei dem Kläger aus der als Schädigungsfolge anerkannten psychischen Erkrankung folgenden funktionellen Einbußen haben in der hier relevanten Zeit nach der Antragstellung Ende 2008 keinen GdS von 25, wie ihn der Kläger allein geltend macht, oder mehr, begründet. Daher besteht kein Anspruch auf eine Rente.

Nach Nr. 3.7 VG ist für Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen im Falle leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen ein GdS von 0 bis 20 anzunehmen. Bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) beträgt der GdS 30 bis 40. Bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 50 bis 70, mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 80 bis 100.

Der Sachverständigenbeirat beim BMAS hat in seinem Beschluss vom 18./19. März 1998 Abgrenzungskriterien für die gutachtliche Beurteilung sozialer Anpassungsschwierigkeiten definiert. Dieser Beschluss betraf zwar noch die AHP, die aber insoweit mit den jetzt geltenden VG gleichlautend waren. Hiernach liegen leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten vor, wenn die Berufstätigkeit trotz Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich ist. Eine wesentliche Beeinträchtigung der familiären Situation oder bei Freundschaften ist nicht erforderlich. Eine mittelgradige Anpassungsschwierigkeit ist dann gegeben, wenn in den meisten Berufen auswirkende psychische Veränderungen vorliegen, die zwar weitere Tätigkeiten grundsätzlich noch erlauben, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingen und eine Gefährdung der beruflichen Tätigkeit einschließen. Außerdem liegt eine mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeit vor, wenn erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung bestehen. Erforderlich ist aber noch keine Isolierung und noch kein sozialer Rückzug in einem solchen Umfang, der z.B. eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte. Eine schwere soziale Anpassungsschwierigkeit ist dann anzunehmen, wenn eine weitere berufliche Tätigkeit stark gefährdet oder ausgeschlossen ist, außerdem bei schwerwiegenden Problemen in der Familie oder im Freundes- bzw. Bekanntenkreis bis zur Trennung von der Familie, vom Partner oder Bekanntenkreis (vgl. im Einzelnen auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21. April 2015 – L 7 VE 5/11 –, juris, Rz. 49). Diese Anforderungen legt auch der Senat zu Grunde.

Bei dem Kläger liegen weiterhin leichtere psychische und psychovegetative Störungen vor. Dies gilt nicht nur für die Jahre nach dem Freikauf und der Übersiedlung in die Bundesrepublik, in denen der Kläger beruflich sofort Fuß gefasst und sich sozial gut mit aktiver Freizeit - und Lebensgestaltung integriert hat. Auch die Erkrankung an einem Darmkarzinom 2004 mit nachfolgenden Operationen 2005 hat er bei guter Prognose relativ gut bewältigt. In dem hier streitgegenständlichen Zeitraum seit der Antragstellung Ende 2008 liegt bei dem Kläger keine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor.

Insbesondere in dem wichtigsten Bereich möglicher Funktionseinbußen auf Grund psychischer Erkrankungen, der sozial-kommunikativen Leidensebene, ist der Kläger wenig betroffen. Er war auch nach 2008 voll berufstätig, ohne dass von Schwierigkeiten, z.B. im Umgang mit Vorgesetzen und Kollegen berichtet wurde. Aus dem Erwerbsleben ist er ohne besondere Vorkommnisse ausgeschieden, Anfang 2010 begann die bereits geplante Freistellungsphase der Altersteilzeit. Diese Angaben hat der Kläger bei der Begutachtung durch Dr. L. gemacht. Ebenso hat er dort von einer „guten sozialen Integration“ berichtet. Kontakte bestehen zu den Töchtern, zu „Kollegen und Nachbarn“, aber auch zu seinen beiden noch lebenden Geschwistern, die er regelmäßig sieht, was der Senat dem Gutachten des Prof. Dr. Sch. entnimmt. Der Kläger hat bei Dr. L. auch angegeben, er sei Mitglied im Schützenverein und verrichte gern handwerkliche Tätigkeiten. Der Senat geht von diesen frühen Angaben des Klägers aus, auch wenn er im weiteren Verlauf des Verfahrens seine soziale Integration zum Teil schlechter geschildert hat. So hat er bereits bei der Begutachtung bei Prof. Dr. Sch. im Februar 2013 angegeben, er sei nur „passives“ Mitglied im Schützenverein gewesen, und Kontakte unterhalte er im Wesentlichen in die neuen Länder. Und bei der letzten Untersuchung bei Frau E. Anfang 2014 hat er dann behauptet, er habe außerhalb des Opferverbandes keine Freunde gewonnen und im Westen keine Kontakte gehabt. Zwar gibt es weder nach dem SGG noch nach der ZPO eine Beweisregel in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere; im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben und sonstigen Einlassungen zu würdigen. Gleichwohl kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund der Gesichtspunkte, dass die Erinnerung hierbei noch frischer war und sie von irgendwelchen Überlegungen, die darauf abzielen, das Klagebegehren zu begünstigen, noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren zumessen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R -, juris, Rz. 12; Urteile des Senats vom 12. August 2014 - L 6 VH 5821/10 ZVW - juris, Rz. 144 und vom 23. Juni 2016 – L 6 VH 4633/14 –, juris, Rz. 66). Zu Recht hat in diesem Zusammenhang Prof. Dr. Sch. darauf verwiesen, dass es typischerweise während traumatologischer Behandlung zu einer im Laufe der Therapiejahre „immer prägnanteren Beschwerdeschilderung“ kommt (vgl. zu den Auswirkungen einer Traumatherapie auf die Erinnerungen und Angaben des Patienten im Einzelnen auch Urteil des Senats vom 22. September 2016 – L 6 VG 1927/15 –, juris, Rz. 90).

Auf der weiteren relevanten Ebene, der physischen Leidensdimension, sind so gut wie keine Funktionseinbußen vorhanden. Insbesondere liegt kein signifikantes Schmerzerleben vor. Dr. L. hat bei seiner Begutachtung überhaupt keine derartigen physischen Beeinträchtigungen festgestellt (S. 14 f. Gutachten). Bei Prof. Dr. Sch. hat der Kläger darüber hinaus - auf körperlichem Gebiet - von Kopfschmerzen berichtet, die er „gelegentlich“ habe und dann mit 1 Tablette Aspirin behandle. In den körperlichen Bereich gehören zum Teil auch die Durchschlafstörungen, die der Kläger angegeben und zeitweise in den Vordergrund der Beschwerdeschilderungen gerückt hat. Allerdings haben diese nicht zu Tagesmüdigkeit geführt und weder die soziale Integration noch die Berufstätigkeit des Klägers beeinträchtigt. Auch bei Prof. Dr. Sch. war die Konzentrations- und Merkfähigkeit nicht merklich eingeschränkt. Hinzu kommt, dass diese Schlafstörungen des Klägers in den ersten Jahren nach ihrem Auftreten - erfolgreich - als Schlaf-Apnoe-Syndrom behandelt worden sind, was dagegen spricht, dass sie ggfs. psychisch verursacht worden sind, und dass der Kläger diesbezüglich nur bedarfsweise die seiner Ehefrau verschriebenen Schlafmittel einnimmt, sodass nicht von einer systematischen Therapie auszugehen ist.

Letztlich führen auch die Einbußen auf psychisch-emotionaler Ebene nicht dazu, dass hier eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit angenommen werden kann.

Zwar liegen solche Einbußen durchaus vor. Der Kläger hat durchgängig, so auch bei Dr. L., berichtet, er sei dünnhäutig geworden und in emotionaler Hinsicht wenig belastbar. In diesen Bereich gehören zu einem Teil auch die bereits erwähnten Schlafprobleme, soweit sie mit Wiedererinnerungen und Erschrecken und nicht der Schlaf-Apnoe zusammenhängen. Der Kläger wacht nach seinen Angaben bei Prof. Dr. Sch. ein- bis zweimal pro Woche schweißgebadet auf, weil er von den schädigenden Ereignissen geträumt hat. Auch das Gefühl der Ohnmacht, das er angibt, rührt von der Schädigung her.

Dagegen sind andere belastende Gefühle nicht auf die Schädigung zurückzuführen, sondern haben andere Ursachen. Auf diesen Punkt hat insbesondere Dr. L. hingewiesen. Zwar hat - nach den Angaben des Klägers - die Krebserkrankung nicht zu psychischen Beeinträchtigungen geführt. Aber die leichte Kränkbarkeit und das besondere Gerechtigkeitsgefühl, in dem der Kläger dann später enttäuscht worden ist, waren schon vor der Inhaftierung vorhanden. Dies haben Dr. L. und auch Prof. Dr. Sch. aus der Biografie des Klägers herausgearbeitet. Der Kläger hat dazu insbesondere von der Enteignung seines Vaters in den 1950-er Jahren berichtet und auch selbst seine erste Auseinandersetzung mit der DDR in den 1970-er Jahren auf dieses Erlebnis zurückgeführt. Auch die Behandlung nach dem Freikauf im Westen und vor allem der aus seiner Sicht zu verzeichnende Wiederaufstieg von Tätern in den neuen Ländern hat der Kläger selbst als Auslöser für ein Gefühl von Ungerechtigkeit beschrieben.

Die hiernach schädigungsbedingten Einbußen auf psychischer Ebene haben, wie auch jene auf sozialer und physischer Ebene, nur schwächere Auswirkungen auf die Teilhabe des Klägers gehabt. Es ist vorstellbar, dass z.B. sein Misstrauen und die beschriebene Gereiztheit zu Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen geführt haben. Aber von nennenswerten schädlichen Auswirkungen auf das Familienleben, die soziale Integration und die Berufstätigkeit ist nichts ersichtlich. So sind in dem Rehabilitationsbericht aus Bad Sch. aus dem Jahre 2000, der also aus der Zeit vor der Karzinomerkrankung stammt, keinerlei psychische Auffälligkeiten vermerkt, obwohl dieser Punkt während des Aufenthalts angesprochen worden ist. Auch in den Entlassungsberichten aus der Zeit nach der Karzinomerkrankung sind zwar psychische Auffälligkeiten zu ersehen, die aber geringfügig waren und auch auf das Erlebnis der Erkrankung zurückgeführt wurden, also als nicht vorbestehend angesehen worden sind. Letztlich ist auch die seit Juli 2009 - also nach der Antragstellung - aufgenommene psychologische Behandlung mit Gesprächen im vierwöchigen Rhythmus als niederschwellig anzusehen. Gegen eine schwer wiegende funktionelle Beeinträchtigung auf psychischer Ebene spricht auch, dass der Kläger seine Auseinandersetzung mit dem „DDR-Unrecht“ sehr aktiv betreiben konnte, ohne dass es hierdurch zu Retraumatisierungen oder ähnlichen Einbrüchen gekommen ist. So engagiert sich der Kläger in Opferverbänden und war in der Lage, z.B. die Haftanstalt in B. aufzusuchen. Vor allem konnte er nach seinen Angaben den damaligen Richter mit seiner Verurteilung konfrontieren und diese Belastung, die im Hinblick auf das ihm widerfahrene Unrecht massiv ist (vgl. zur Konfrontation mit einem Täter Urteil des Senats vom 21. Februar 2013- L 6 VG 3324/12 -, juris, Rz. 53). Auch konnte der Kläger ein Verfahren wegen der Rückübertragung des seinem Vater entzogenen Vermögens betreiben. All dies zeigt, dass die Psyche des Klägers trotz der erheblichen Schädigung durch den unrechtmäßigen Gewahrsam in der DDR nicht so stark geschädigt war, dass sein Leben in der Gesellschaft nach der Übersiedlung wesentlich beeinträchtigt war. Zu Recht hat ihn Dr. L. darüber aufgeklärt, dass nur seine individuelle gesundheitliche Beeinträchtigung berücksichtigt werden kann, aber kein Ausgleich gesellschaftlicher Ungerechtigkeiten erfolgen wird.

An dieser Einschätzung des Senats, die sich vor allem auf die Feststellungen und Schlussfolgerungen von Dr. L. und Prof. Dr. Sch. stützt, ändern auch die Ausführungen von Frau E. nichts. Ihrer Einschätzung, es liege ein GdS von 30 vor (S. 36 Gutachten), ist nicht zu teilen. Zu Recht hat Prof. Dr. Sch. darauf hingewiesen, dass sich die Sachverständige im Ergebnis selbst widerspricht, indem sie das Vollbild einer PTBS immer mit einem GdS von 30 bewertet sehen möchte, dann aber den GdS mit 20 ab November 2008 einschätzt, ohne hierfür eine andere Gesundheitsstörung anzunehmen. Frau E. hat sich bei diesem Vorschlag nicht an den VG orientiert, sondern geht - auf Grund des genannten Beschlusses des Sachverständigenbeirats beim BMAS - davon aus, dass bei der Diagnose einer PTBS - die sie gestellt hat - zwingend ein solcher GdS zu vergeben sei. Dies ist aber, wie ausgeführt, nicht richtig. Nicht nachvollziehbar ist vor allem ihre Aussage, die Einbußen des Klägers hätten sich - erst - seit der Berentung im Jahre 2010 manifestiert. Es finden sich keine Ausführungen dazu, woran es festzumachen ist, dass bei dem Kläger G.de seit diesem Zeitpunkt eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vorliegt. Anscheinend nimmt Frau E. eine Veränderung der Symptome im Jahre 2010 - der Kläger hat ihr gegenüber von einer Zunahme der Schlafstörungen seitdem berichtet - als Grundlage für ihre Einschätzung. Krankheitssymptome, zumal Frau E. die Angaben des Klägers auch nicht verifiziert und hinterfragt hat, sind aber nicht mit funktionellen Einbußen im versorgungsmedizinischen Sinne gleichzusetzen. Immerhin führt auch Frau E. aus, dass bei dem Kläger nie eine berufliche Betroffenheit auf Grund der Schädigungsfolgen bestand und dass der Kläger durch seine Familie eine gute soziale Unterstützung erfahren hat.

Körperliche Dauerschäden hat der Gewahrsam in der DDR nicht verursacht. Insbesondere können das Schulter-Arm-Syndrom und eventuelle Bandscheibenschäden des Klägers nicht auf die Haft zurückgeführt werden. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten der Orthopädin Dr. Sch.. Ein Schulter-Arm-Syndrom konnte bei der Untersuchung bei ihr nicht festgestellt werden. Vielmehr waren beide Schultergelenke frei beweglich mit Abspreizweiten von 180°, wobei erst bei maximaler Abduktion und Elevation an der linken Schulter Schmerzen geklagt wurden. Die Bandscheibenschädigung bei dem Wirbelsäulensegment C6/7 mit Beteiligung der Nervenwurzel ist nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. Sch. ebenfalls nicht auf die Schädigung zurückzuführen. Sie ist erst Jahrzehnte nach der Haft aufgetreten und auch nicht traumatisch bedingt, sondern hat degenerative Ursachen. Die einmal geäußerte Vermutung des Klägers, die Karzinom-Erkrankung in den 2000er-Jahren sei „vielleicht“ auf eine Bestrahlung während der Haft in der DDR zurückzuführen, bewegt sich auf der Ebene bloßer Spekulation; der Kläger hat diesen Vortrag auch auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht aufrecht erhalten.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.



Versorungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung