Maßgeblich für die Beurteilung des GdB im Schwerbehindertenrecht ist vorrangig nicht die Diagnose einer Erkrankung. Zwar ist auch diese ärztliche Beurteilung der Gesundheits- und Funktionsstörungen sowie deren Auswirkungen in Beruf, Arbeit und Gesellschaft wichtige Grundlage für die richterliche Bewertung. Die Bezeichnung regelwidriger Zustände mit medizinischen Diagnosen dient jedoch nur der Begründung des den GdB festlegenden Verwaltungsakts, enthält allerdings keine Aussage über die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen. Der GdB ist deshalb im Kern ein "rechtlicher Begriff" (BSG Urteile vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R = BSGE 91, 205, m.w.N.; und vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 = BSGE 67, 204-211), die Bewertung des GdB damit vorrangig Aufgabe des Gerichtes (BSG Urteile vom 09.03.1988 - 9/9a RVs 14/86 = SozSich 1988, 381 und vom 05.05.1993 - 9/9a RVs 2/92 = SozR 3- 3870 § 4 SchwbG Nr. 5). Soweit Sachverständige eigene GdB-Werte angeben, handelt es sich um für das Gericht unverbindliche Vorschläge (Urteil des LSG-Rheinland-Pfalz vom 22.05.1996 - L 4 Vs 129/95, Behindertenrecht 1996, 167 ff.; ebenso Urteil des LSG NRW vom 26.02.1998 - L 7 Vs 164/97, mwN).


Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen 6. Senat
06.10.2011
L 6 SB 76/09
Juris



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) im Streit.

Auf Antrag des Klägers vom 28.11.2006 stellte der Rechtsvorgänger des Beklagten nach Auswertung von Befundberichten des Hausarztes Dr. C und des Neurologen Dr. L durch Bescheid vom 22.01.2007, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 19.03.2007 einen GdB von 20 fest wegen eines ängstlich-depressiven Syndroms, einer chronischen Magenschleimhautentzündung und Halswirbelsäulenbeschwerden (Cervico-cephales Syndrom).

Mit seiner hiergegen am 16.04.2007 bei dem Sozialgericht Köln erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen erforderten die Festsetzung des GdB mit 50. Es bestehe eine Beinlängenverkürzung um 1,5 cm und dadurch bedingte (Fehl-)Belastungen und Schäden an der Wirbelsäule. So lägen im Bereich C3 - C5 Veränderungen vor, die unfallbedingt oder degenerativer Natur sein könnten. Am 27.10.2000 habe er einen Wegeunfall erlitten, der zu Schäden der Wirbelsäule und zu Veränderungen des Ligamentum alare auf der Halswirbelsäule geführt habe. Im Jahre 1999 sei es zu einer vorübergehenden psychischen Erkrankung mit Panikattacken gekommen. Ergänzend verweist er auf ein unfallchirurgisch-orthopädisches Privatgutachten von Dr. A, U, vom 18.04.2001.

Das Sozialgericht hat die Gerichtsakte SG Köln - S 18 U 107/05 - zu den Folgen eines Arbeitsunfalls des Klägers im Jahr 2004 sowie einen Entlassungsbericht der Psychosomatischen Klinik C über eine von der gesetzlichen Rentenversicherung Anfang 2007 durchgeführten Reha - Maßnahme beigezogen. Es hat weiter Beweis erhoben durch Einholung jeweils zweier Gutachten auf neurologisch-psychiatrischen und orthopädischem Fachgebiet, das Dr. H unter dem 10.01.2008 mit ergänzender Stellungnahme vom 15.04.2008 und Dr. W unter dem 28.12.2008 sowie Dr. C1 unter dem 21.02.2008 mit ergänzender Stellungnahme vom 06.05.2008 und Dr. U unter dem 04.11.2008 erstellt haben. Die Sachverständigen sind zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Kläger ein statisches Wirbelsäulensyndrom bei Beinverkürzung rechts von 1,5 cm, muskuläre Verspannungen im Hals- und Lendenbereich (Einzel-GdB 10), eine Formstörung beider Hüftgelenke mit knöchernem Engpass-Phänomen, Zustand nach Knoch-Knorpelglättung (Einzel-GdB von 10), eine psychische Beeinträchtigung (Einzel-GdB 20) sowie eine chronische Gastritis (Einzel-GdB 10) bestünden. Der Gesamt-GdB sei mit 20 zu bemessen.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 17.02.2009 abgewiesen. In Anwendung der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) sei die Festsetzung eines höheren GdB als 20 nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht gerechtfertigt. Der Sachverständige Dr. U habe im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule lediglich minimale bzw geringe funktionelle Auswirkungen festgestellt. Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen nur ein Einzel-GdB von 10 zuzuordnen. Ähnliches gelte hinsichtlich der Bewegungsstörung beider Hüftgelenke. Zudem bestehe bei dem Kläger eine Angststörung geringen Ausmaßes auf dem Boden einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstruktur (Dr. H) bzw. eine übergenau-zwanghaft und übernachhaltig akzentuierte Persönlichkeit mit erhöhter Bereitschaft zu psychischen Fehlreaktionen (Dr. W). Beide Sachverständige ordneten der psychischen Beeinträchtigung in ihren Auswirkungen aber übereinstimmend einen Einzel-GdB von 20 zu. Diese Einschätzung entspreche der VersMedV, wonach leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen mit einem Einzel-GdB zwischen 0 und 20 Rechnung zu tragen sei. Lediglich stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit seien mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten (s. dort S. 27). Nach den Ausführungen beider Sachverständiger bestehe beim Kläger jedoch nur eine leichtere Störung. Weiterhin liege nach dem Gutachten des Dr. C1 bei dem Kläger eine chronische Gastritis vor, welcher ebenfalls in Übereinstimmung mit der VersMedV ein Einzel-GdB von 10 zuzuordnen sei. Der GdB insgesamt sei mit 20 anzusetzen. Von Ausnahmefällen abgesehen, führten zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen mit nur einem GdB von 10 nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung.

Gegen das ihm am 07.04.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.05.2009 Berufung eingelegt, mit der sein Begehren weiter verfolgt. Er beanstandet die sozialmedizinischen Beurteilungen der vom Sozialgericht gehörten Sachverständigen als unzutreffend. In seiner Auffassung sieht er sich durch den Inhalt des nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. C2 vom 05.08.2011 bestätigt und verweist ergänzend auf den Inhalt der Akten des gegen die Berufsgenossenschaft in zweiter Instanz geführten Verfahrens L 17 U 41/09. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat er einen MRT-Bericht der radiologischen Praxis Dres. A1 und C3 vom 30.09.2011 vorgelegt, aus dem sich eine Verschlechterung seiner orthopädischen Leiden ergebe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 17.02.2009 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 22.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2007 zu verurteilen, bei ihm mit Wirkung ab November 2006 einen GdB von 50 festzustellen,

hilfsweise: die Sachverständigen Dr. H, Dr. C1, Dr. U, Dr. W, Dr. L und Dr. C2 zur Ausübung des Fragerechts des Klägers persönlich zu hören. Dabei soll sich die Anhörung beziehen auf die Beweisfragen in der Beweisanordnung des Berichterstatters vom 29.03.2010 und auf den Inhalt sämtlicher klägerseitigen Schriftsätze im gerichtlichen Verfahren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Internisten Dr. L in L vom 12.05.2010 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 03.09.2010 und 22.12.2010. Der Sachverständige hat eine "psychische Beeinträchtigung, Anpassungsstörung, somatoforme Funktionsstörung" mit einem GdB von 20 bewertet und der "Funktionsbeeinträchtigung der linken Hüfte/Hüftregion, neurologische Reizsymptomatik der Hautnerven" ebenfalls (-"bei wohlwollender Betrachtung"-) einen GdB von 20 ab Ende 2008 zugeordnet. Der Gesamt-GdB könne vergleichsweise ab diesem Zeitpunkt mit 30 bemessen werden. Die Streit- und Verwaltungsakten aus dem Unfallstreitverfahren des Klägers mit dem auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG eingeholten Gutachten des Dr. C2 zu den Unfallfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet haben vorgelegen. Auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG hat das erkennende Gericht die Beweisaufnahme fortgeführt und ebenfalls von Dr. C2 ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten eingeholt, das dieser unter dem 05.08.2011 erstattet hat. Dieser hat bei dem Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert und dafür einen GdB von 50 vorgeschlagen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Diese ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Richtiger Beklagter ist im Klage- und nachfolgenden Berufungsverfahren seit dem 01.01.2008 der für den Kläger örtlich zuständige Rhein-Sieg-Kreis (vgl. zur Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung im Bereich des Schwerbehindertenrechts Urteile des erkennenden Senats vom 26.02.2008 - L 6 SB 35/05, bestätigt durch BSG Urteil vom 23.04.2009 - B 9 SB 3/08 R und vom 11.03.2008 - L 6 (10) VS 29/07, bestätigt durch BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R- ).

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 22.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 20. Dies hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend in Anwendung der maßgeblichen in den "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen" (im Folgenden: VMG) zu § 2 der VersMedV niedergelegten Kriterien und unter Berücksichtigung der von den Sachverständigen Dres. H, C1, U und W getroffenen Feststellungen im Einzelnen dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die Gründe des Urteils Bezug und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

An der Beurteilung des erhobenen Anspruchs ändern die im Berufungsverfahren durchgeführten weiteren Ermittlungen nichts; sie bestätigen das Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme.

Dies gilt entgegen der Auffassung des Klägers im Ergebnis auch für das Gutachten des auf seinen Antrag gehörten Sachverständigen Dr. C2. Soweit dieser bei dem Kläger in Abweichung von den übrigen Sachverständigen eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert hat, kann dahinstehen, ob diese Diagnose zutrifft. Maßgeblich für die Beurteilung des GdB im Schwerbehindertenrecht ist vorrangig nicht die Diagnose einer Erkrankung. Zwar ist auch diese ärztliche Beurteilung der Gesundheits- und Funktionsstörungen sowie deren Auswirkungen in Beruf, Arbeit und Gesellschaft wichtige Grundlage für die richterliche Bewertung. Die Bezeichnung regelwidriger Zustände mit medizinischen Diagnosen dient jedoch nur der Begründung des den GdB festlegenden Verwaltungsakts, enthält allerdings keine Aussage über die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen. Der GdB ist deshalb im Kern ein "rechtlicher Begriff" (BSG Urteile vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R = BSGE 91, 205, m.w.N.; und vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 = BSGE 67, 204-211), die Bewertung des GdB damit vorrangig Aufgabe des Gerichtes (BSG Urteile vom 09.03.1988 - 9/9a RVs 14/86 = SozSich 1988, 381 und vom 05.05.1993 - 9/9a RVs 2/92 = SozR 3- 3870 § 4 SchwbG Nr. 5). Soweit Sachverständige eigene GdB-Werte angeben, handelt es sich um für das Gericht unverbindliche Vorschläge (Urteil des LSG-Rheinland-Pfalz vom 22.05.1996 - L 4 Vs 129/95, Behindertenrecht 1996, 167 ff.; ebenso Urteil des LSG NRW vom 26.02.1998 - L 7 Vs 164/97, mwN).

Unabhängig von der Einordnung der psychischen Erkrankung des Klägers als PTBS oder als sonstige psychische Beeinträchtigung bemisst sich der GdB nach den aus der Erkrankung resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen. Nach Nr. 3.7 der VMG wird einer leichteren Störung mit einem GdB von 0-20 Rechnung getragen, im Falle einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit wird ihr ein GdB von 30-40, bei einer schweren Störung ein GdB von 50-100 zugeordnet. Die von Dr. C2 erhobenen Befunde ergeben in Einklang mit den Befunden der übrigen Sachverständigen lediglich eine leichtere Störung. Eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ist nicht erkennbar. Bei der umfänglichen Befragung anlässlich der gutachterlichen Untersuchung bei Dr. C2 hat der verheiratete Kläger, der mit seiner Ehefrau und seinen drei Töchtern zusammenwohnt, u.a. eine ausgesprochen gute familiäre Einbindung beschrieben. Die Beziehung zu seinem Vater sei "gut und harmonisch", von der Mutter habe er sich "in der Kindheit gut versorgt und liebevoll behandelt gefühlt", sie habe ihn, da er der jüngste Sohn gewesen sei, "oft sogar sehr verwöhnt und in den Arm genommen". Seine Geschwister hätten ihn immer beschützt. Das Verhältnis zum älteren Bruder sei respektvoll gewesen, zur älteren Schwester habe er ein "gutes und unauffälliges Verhältnis", zum anderen Bruder habe es im Kindesalter "großes Vertrauen gegeben". Die Beziehung zu seinen Töchtern im Alter von damals 15, 12 und 2 Jahren sei "sehr harmonisch und stressfrei, es gebe keine Spannungen". Die "mittlere Tochter komme oft und umarme ihn als Vater". Auch seine Beziehung zur Ehefrau sei "sehr gut und harmonisch". Insgesamt hat der Kläger sich selbst als "familiär glücklich" bewertet. Jenseits familiärer Bindungen hat er gute soziale Kontakte angegeben. So hat er gegenüber Dr. C2 erklärt, dass er "jede Menge Freunde" habe, "viele Freunde in der Moschee". Als Hobbys sind von ihm Billard spielen, gelegentliche Glücksspiele bzw. bei der Befragung durch Dr. L Fußballspiele anschauen angegeben worden. All diese Angaben belegen, dass die Antriebslage des Klägers nicht derart reduziert und die innere Einstellung nicht so durch das Leiden eingeengt sind, dass bereits eine stärker behindernde Störung anzunehmen wäre. Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass auch eine fortlaufende fachärztliche Behandlung bisher nicht stattgefunden hat. Die vom Kläger angegebenen Beschwerden, dass er extrem niedergeschlagen, nicht verständnisvoll und "mies drauf" sei und sich als kraftlos empfinde, zudem seine Fähigkeiten in Bezug auf Konzentration, Aufmerksamkeit und Gedächtnis als "schlecht" ansehe, stehen hierzu in einem gewissen Widerspruch und vermögen im Hinblick auf die geschilderte Gesamtsituation keine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit zu belegen.

Unter Berücksichtigung auch der beklagten Schlafstörungen mit "furchtbaren Albträumen", für die der Kläger allerdings trotz mehrmaliger Nachfrage bei der Untersuchung keine konkrete Angstsymptomatik angeben und eine frei flottierende oder zielgerichtete Angst (phobische Angst) nicht beschreiben konnte, ist diese leichtere psychische Störung in ihren Auswirkungen mit einem GdB von gerade 20 zu bewerten. Der sozialmedizinischen Beurteilung des Dr. C2, der hierfür einen GdB 50 vorgeschlagen hat, fehlt es an der entsprechenden tatsächlichen Grundlage; sie ist nicht schlüssig und nachvollziehbar. Der Auffassung des Sachverständigen zur Höhe des GdB kommt daher nur die Bedeutung eines rechtlich unbeachtlichen Vorschlags zu, dem das Gericht dann nicht folgen kann und darf, wenn - wie hier - die erhobenen Befunde nach den VMG eine andere Bewertung erfordern.

Ähnliche Bedenken bestehen mit Blick auf den Vorschlag des Sachverständigen Dr. L, der das Hüftleiden "wohlwollend" mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet wissen möchte, obwohl die hierzu erhobenen Befunde mit annähernden Normalwerten nach der Vorgabe in Teil A Nr. 18.14 VMG eher für einen GdB von 10 sprechen. Das Gericht kann diesen Einzelansatz aber offen lassen, denn auch bei einem Einzel-GdB von 20 erhöht sich der Gesamt-GdB nicht auf mehr als 20. Auszugehen ist bei der Bildung des Gesamt-GdB von der psychischen Erkrankung des Klägers als der schwerwiegendsten Gesundheitsstörung. Das Gesamtausmaß der Beeinträchtigung dieses Leidens wird durch das Hüftleiden nicht dergestalt vergrößert, dass der Gesamt-GdB von 20 auf 30 anzuheben wäre. Nach Teil A Nr. 3 d) ee) der VMG ist es bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Das Hüftleiden des Klägers aber ist in seinen funktionellen Auswirkungen so schwach ausgeprägt, dass es allenfalls mit einem GdB von gerade 20 zu bewerten ist und sich vor diesem Hintergrund eine Erhöhung des GdB im konkreten Fall nicht begründen lässt.

Soweit der Kläger hilfsweise beantragt hat, "die Sachverständigen Dres. H, C1, U, W, L und C2 persönlich zu den Beweisfragen in der Beweisanordnung des Berichterstatters vom 29.03.2010 und bezogen auf den Inhalt sämtlicher klägerseitigen Schriftsätze im gerichtlichen Verfahren anzuhören", folgt der Senat diesem nach § 118 Abs. 1 SGG iVm § 411 Abs. 3 ZPO zu beurteilenden Antrag nicht.

Bereits die Zulässigkeit des Antrages begegnet insofern Bedenken, als pauschal alle Sachverständigen zu allen Beweisfragen gehört werden sollen, die bereits Gegenstand der schriftlichen Befragung waren. Nicht erkennen lässt sich damit, welche konkreten Zweifel der Kläger an den sachverständigen Äußerungen durch eine persönliche Befragung beheben möchte; der Verweis auf alle klägerseitigen Schriftsätze im (Gerichts-) Verfahren reicht hierfür nicht aus, zumal auf bestimmte Einwände ja bereits ergänzende Stellungnahmen von Sachverständigen eingeholt wurden.

Eine Ladung der gerichtlichen Sachverständigen zur Erläuterung ihrer schriftlichen Gutachten hält das Gericht nicht für geboten. Diese steht nach den o.a. Vorschriften grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Der Ermessensspielraum verdichtet sich dann zu einer Verpflichtung des Gerichts zur Ladung des gerichtlichen Sachverständigen, wenn diese beantragt ist und noch Ermittlungsbedarf besteht, d.h. wenn sich das Gericht hätte gedrängt fühlen müssen, hinsichtlich des von dem Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten behandelten Beweisthemas noch weitere Sachaufklärung zu betreiben. Einen solchen Ermittlungsbedarf hat der Senat nicht zu erkennen vermocht. Insbesondere hatten bereits im erstinstanzlichen Verfahren herangezogene Sachverständige zu Einwänden des Klägers vielfach ergänzend Stellung genommen; danach ergaben sich für den Senat keine Anhaltspunkte (mehr) dafür, dass die Gutachten im Hinblick auf entscheidungserhebliche Fragen nicht schlüssig oder unvollständig sind (vgl. hierzu Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Auflage 2008, III. Kapitel Rn. 69). Denn nicht die von den Sachverständigen erhobenen Befunde, sondern deren Bewertung ist umstritten. Bezieht sich die Kritik des Klägers aber nicht auf die für die Beurteilung des Rechtsstreits von den Sachverständigen erhobenen maßgeblichen Befunde, sondern allein auf deren Bewertung bei der GdB-Bemessung, so ist ein weiterer Erkenntnisgewinn durch Befragung der Sachverständigen nicht zu erlangen. Dieser Streit als Rechtsfrage ist nicht durch Erläuterung der Sachverständigen zu klären.

Soweit der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung mit der Behauptung, er leide an einem dreifachen Bandscheibenvorfall, einen Arztbrief über eine am 28.09.2011 durchgeführte MRT der Halswirbelsäule und der Hüftgelenke vorgelegt hat, sieht sich der Senat hierdurch nicht zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts in medizinischer Hinsicht gedrängt. Der Inhalt des Arztbriefs stützt schon den Vortrag des Klägers nicht, da dort lediglich ein Bandscheibenprolaps C3/4 befundet wird. Im Übrigen sagt der Befund einer bildgebenden Untersuchung nichts aus über die Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung, die für die Bewertung des GdB entscheidend sind. Die in dem Arztbrief unter "Klinik" angegebenen Beschwerden sind bereits gegenüber den Sachverständigen geäußert worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.



Versorgungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung