Für eine Karzinoiderkrankung der Atmungsorgane ist vorübergehend ein GdB von 80 anzuerkennen, auch wenn hierfür die Bezeichnung „semimaligner Tumor“ verwendet wird, das Streuungsrisiko geringer und eine Chemotherapie häufig nicht erforderlich ist.


Landessozialgericht Baden-Württemberg 8. Senat
18.06.2021
L 8 SB 2649/20
Juris



Leitsatz

Für eine Karzinoiderkrankung der Atmungsorgane ist vorübergehend ein GdB von 80 anzuerkennen, auch wenn hierfür die Bezeichnung „semimaligner Tumor“ verwendet wird, das Streuungsrisiko geringer und eine Chemotherapie häufig nicht erforderlich ist.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) über die Höherbewertung des Grades der Behinderung (GdB) im Sinne des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Der Beklagte stellte bei dem im Jahr 1959 geborenen Kläger zuletzt mit Bescheid vom 10.04.2017 einen GdB von 30 in Ausführung des gerichtlichen Vergleichs vom 16.03.2017 (Klageverfahren S 8 SB 1695/16 vor dem Sozialgericht Karlsruhe auf höhere Feststellung eines GdB) unter Berücksichtigung folgender Gesundheitsstörungen:

Colitis ulcerosa, Verlust des Dickdarms Einzel-GdB 20
Lungenfunktionseinschränkung, Schlafapnoesyndrom Einzel-GdB 20

Am 16.02.2018 beantragte der Kläger beim Beklagten die Höherbewertung des GdB und verwies auf den vorläufigen Entlassbrief der S-Kliniken K vom 09.01.2018, wonach bei ihm am 10.01.2018 ein nichtkleinzelliges Bronchialkarzinoid (pT1, pN0, L0, V0) im rechten Oberlappen entfernt wurde.

H nahm daraufhin in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 16.03.2018 einen GdB von 80 seit 16.02.2018 aufgrund folgender Gesundheitsstörungen an:

Colitis ulcerosa, Verlust des Dickdarms, Lungenerkrankung in Heilungsbewährung, Teilverlust der rechten Lunge Einzel-GdB 80
Lungenfunktionseinschränkung, Schlafapnoe Einzel-GdB 20

In einer unmittelbar nachfolgenden weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 29.03.2018 nahm B hingegen einen GdB von nur noch 50 aufgrund folgender Gesundheitsstörungen an:

Colitis ulcerosa, Verlust des Dickdarms Einzel-GdB 20
Einschränkung der Lungenfunktion, Schlafapnoe Einzel-GdB 20
Lungenerkrankung in Heilungsbewährung, Teilverlust der rechten Lunge Einzel-GdB 50

B führte aus, bei dem Lungenkarzinoid handle es sich lediglich um einen semimalignen Tumor, der nach der operativen Entfernung in der Regel keine Folgemaßnahmen wie eine Chemotherapie nach sich ziehe und nur ein geringes Streuungsrisiko aufweise. Auf ihn entfalle daher lediglich ein Einzel-GdB von 50.

Mit Bescheid vom 04.04.2018 stellte der Beklagte daraufhin einen GdB von 50 seit dem 16.02.2018 fest. Denn bei dem Lungenkarzinoid handle es sich nur um einen semimalignen Tumor, der nach der operativen Entfernung regelmäßig keine Folgemaßnahmen (wie z.B. eine Chemotherapie) nach sich ziehe und nur ein geringes Streuungsrisiko beinhalte.

Am 17.05.2018 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheids vom 04.04.2018. Zur Begründung trug er vor, nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen betrage der Einzel-GdB für die Karzinoiderkrankung 80 und nicht 50.

B führte daraufhin am 11.06.2018 in einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme aus, nach Punkt 1.1.1 des Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (SVB) vom 29./30.03.2000 sei das Lungenkarzinoid analog wie ein Darmkarzinoid zu bewerten. Der Einzel-GdB betrage daher nur 50.

Mit Bescheid vom 15.06.2018 lehnte der Beklagte daraufhin den Überprüfungsantrag ab, weil auch unter Berücksichtigung der Karzinoiderkrankung des Klägers der Gesamt-GdB weiterhin 50 betrage.

Am 09.07.2018 erhob der Kläger hiergegen Widerspruch, mit dem er die Abänderung des Bescheids vom 04.04.2018 und die Feststellung eines GdB von mindestens 80 begehrte. Er trug vor, der Beiratsbeschluss sei überholt; er stamme noch aus der Geltungszeit der früheren Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP). Weiterhin sei für das Schlafapnoeleiden ein Einzel-GdB von 50 zugrunde zu legen, da eine Maskenbeatmung mittlerweile nicht mehr durchführbar sei. Das Colitis-Ulcerosa-Leiden bedinge einen Einzel-GdB von 30.

G führte in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 16.11.2018 aus, die fehlende Sanierbarkeit des Apnoeleidens durch eine CPAP-Beatmung sei nicht belegt. Auch zu der Ausprägung des Colitis-Ulcerosa-Leidens lägen keine neuen Befundberichte vor.

Nach Einholung eines Befundberichtes beim T vom 09.04.2019, wonach eine deutliche Einschränkung der Lungenfunktion auf 72 % bestehe, führte G in einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 23.04.2019 aus, der Befundbericht des Hausarztes sei wegen Fehlinterpretation der Lungenfunktion Befunde nur sehr bedingt verwertbar; bei einem FV1-Wert von 77% des Soll liege nur eine leichtgradige Obstruktion vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2019 wies der Beklagte daraufhin den Widerspruch zurück, weil unter Auswertung der eingeholten Befundberichte und der versorgungsmedizinischen Stellungnahmen der Gesamt-GdB weiterhin 50 betrage.

Deswegen hat der Kläger am 21.06.2019 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, mit dem er sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen seine Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.

Das SG hat im Rahmen der Beweiserhebung die den Kläger behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt.

Die F hat am 08.10.2019 mitgeteilt, die CPAP-Beatmung sei im Juni 2019 wieder mit Erfolg eingeleitet worden, nachdem der Kläger sie im Jahr 2015 abgebrochen habe, weil er den Beatmungsdruck nach einer Kolektomie nicht mehr toleriert habe.

Der H1 hat am 21.10.2019 angegeben, der Kläger leide an einer von ihm als mittelschwer eingeschätzten restriktiven Ventilationsstörung. Die Lungenfunktion habe sich nach der Karzinoidoperation und einer kurz darauf erlittenen Rippenfraktur gegenüber dem Vorzustand verschlechtert. Über einen unmittelbar nach der Operation erhobenen Lungenfunktionsbefund verfüge er allerdings nicht.

Der T hat am 27.11.2019 bekundet, nach der operativen Entfernung eines Karzinoids habe sich ab Januar 2018 die Lungenfunktion des Klägers verschlechtert.

Der Beklagte hat eine versorgungsärztliche Stellungnahme von H2 vom 20.02.2020 vorgelegt, wonach sich eine Höherbewertung nicht begründen lasse. Im lungenärztlichen Befundbericht vom 21.10.2019 werde zwar eine mittelschwere restriktive Ventilationsstörung bei Teilverlust der Lunge bei Karzinoid attestiert, in der Lungenfunktion aber keine Obstruktion befundet, vielmehr eine „ordentliche" Belastbarkeit attestiert. Nach Befundlage werde vorgeschlagen, 1. Colitis ulcerosa, Verlust des Dickdarms mit einem Teil- GdB 20 und 2. Lungenfunktionseinschränkung, Schlafapnoe- Syndrom, Teilverlust der Lunge mit einem Teil-GdB 30 zu bewerten. Der Gesamt-GdB betrage weiterhin 40.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 31.07.2020 den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 15.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2019 verpflichtet, den Bescheid vom 04.04.2018 abzuändern und beim Kläger einen GdB von 80 seit dem 17.05.2018 festzustellen sowie über den Antrag des Klägers auf Abänderung des Bescheids vom 04.04.2018 und Feststellung eines höheren GdB für die Zeit vom 16.02.2018 bis zum 16.05.2018 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, soweit der Kläger die Zuerkennung eines GdB von 80 anstelle eines GdB von 50 begehrt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe einen strikten Rechtsanspruch auf Abänderung des Bescheids vom 04.04.2018 und Feststellung eines GdB von 80 seit dem 17.05.2018. Denn der Bescheid vom 04.04.2018 sei rechtswidrig, soweit er einen GdB von weniger als 80 feststelle. Im Gesundheitszustand des Klägers habe sich bei Stellung des Neufeststellungsantrags eine Verschlechterung ergeben, in deren Folge der GdB 80 betrug. Im Funktionssystem „Atmungsorgane“ sei zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids vom 04.04.2018 ein Einzel-GdB von 80 zugrunde zu legen. Denn bei dem Kläger sei im Januar 2018 die Entfernung eines nicht kleinzelligen, typischen Bronchialkarzinoids (pT1, pN0, L0, V0) erfolgt. Zugleich habe sich gegenüber April 2017 die Lungenfunktion verschlechtert, wobei eine Einschränkung der relativen Einsekundenkapazität (FV1) im Vordergrund stehe, die angebe, welchen Anteil des Lungenvolumens ein Patient binnen einer Sekunde ausatmen kann. Unmittelbar vor der Karzinoidoperation habe der FV1-Wert 77% des Soll (Bericht des Vincentius-Klinikums Karlsruhe vom 09.01.2018) betragen. Die nach der Resektion des Karzinoids erhobenen Befunde wiesen durchgehend deutlich schlechtere FV1-Werte auf, nämlich von 44 % des Soll im April 2018 (Befundbericht H1 vom 04.04.2018), von 50 % des Soll im Oktober 2018 (Befundbericht H1 vom 17.10.2018) und im März 2019 (Befundbericht H1 vom 26.03.2019) sowie von 60 % des Soll im August 2019 (Zeugenaussage H1) und von 62 % des Soll im September 2019 (Reha-Abschlussbericht der Knappschafts-Klinik Borkum vom 10.10.2019). Funktionell bedinge die Verschlechterung der Lungenfunktion Atembeschwerden, wenn der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit als Rettungssanitäter mehr als zwei Stockwerke unter Mitführung von Rettungsgerät ersteigen müsse; ohne Traglast könne er jedoch entsprechend dem Reha-Abschlussbericht der Knappschafts-Klinik B vom 10.10.2019 noch drei bis vier Stockwerke ohne Pause zu Fuß ersteigen. Die Karzinoiderkrankung bedinge einen Einzel-GdB von 80 im Funktionssystem „Atmungsorgane“. Gemäß Teil B Nr. 8.4 VG sei nach Entfernung eines malignen Lungentumors oder eines Bronchialtumors in den ersten fünf Jahren eine Heilungsbewährung abzuwarten. Der GdB betrage während dieser Zeit mindestens 80, bei Einschränkung der Lungenfunktion mittleren bis schweren Grades 90-100. Diese Vorschrift sei vorliegend anwendbar. Bei dem Lungenkarzinoid handele es sich um einen malignen Tumor im Sinne dieser Vorschrift. Vom Wortlaut des Teil B Nr. 8.4 VG sei die Karzinoiderkrankung damit erfasst. Unerheblich sei, dass in der medizinischen Fachwelt für Lungenkarzinoide die Bezeichnung als „semimaligner“ Tumor wohl nicht unüblich sei, weil (jedenfalls sog. typische) Lungenkarzinoide ein geringeres Streuungsrisiko als andere Lungenkrebsarten aufwiesen und oft keine Folgebehandlungen wie eine Chemotherapie erforderten. Denn im hier alleine maßgeblichen Sprachgebrauch der VG seien auch Karzinoide als maligne Tumore anzusehen (unter Verweis auf SG Gießen, Urt. v. 31.03.2014 – S 21 SB 821/12). Dies ergebe sich in systematischer Sicht aus Teil B Nr. 10.2.2 VG. Dort habe das lokalisierte Darmkarzinoid eine Regelung unter der einleitenden Überschrift „Nach Entfernung maligner Darmtumoren ist eine Heilungsbewährung abzuwarten“ erfahren.

Die Entstehungsgeschichte spreche nicht gegen die Subsumtion von Karzinoiden unter den Begriff des malignen Lungentumors iSv. Teil B Nr. 8.4 VG. Zwar habe der SVB bereits im Jahr 2000 in seinem Beschluss vom 29./30.03.2000 zu der wortlautgleichen Bestimmung in Teil A Nr. 26.8 AHP (Fassung vom 12.12.1996) die Auffassung vertreten, ein Lungenkarzinoid sei wegen seiner guten Heilungsprognose nicht wie die sonstigen malignen Lungentumoren mit einem Einzel-GdB von mindestens 80 zu bewerten, sondern es sei eine Analogie zu den Darmkarzinoiden zu bilden, für die der Einzel-GdB 50 betrage (Teil A Nr. 26.10 AHP; gegenwärtig: Teil B Nr. 10.2.2 VG). Jedoch bestünden keine greifbaren Anhaltspunkte, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales beim Erlass der VMedV am 10.12.2008 den Begriff der malignen Lungenerkrankung im Sinne von Teil B Nr. 8.4 VG mit Rücksicht auf diesen Beiratsbeschluss einengend und unter Ausschluss von Karzinoid-Erkrankungen habe fassen wollen. In der Verordnungsbegründung heiße es lediglich, die Anlage zur VMedV entspreche weitgehend den AHP Ausgabe 2008. Sie setze die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für die demokratische Legitimation entschädigungsrechtlicher Maßstabsbildung um, ohne dass die in den AHP niedergelegten Grundsätze und Kriterien inhaltlich geändert würden (mit Hinweis auf BR-Drs. 767/08, S. 3). In den AHP Ausgabe 2008 ihrerseits fänden sich ebenfalls keine Anhaltspunkte, dass diese den Inhalt des Beiratsbeschlusses vom 29./30.03.2000 umsetzen sollten. Der Wortlaut der Bestimmung Teil A Nr. 26.8 AHP in der Fassung des Jahres 2008 sei inhaltlich mit der bis dahin geltenden Fassung des Jahres 1996 identisch; die Vorschrift sei nach Erlass des Beiratsbeschlusses von März 2000 nicht geändert worden. Weiterhin komme eine teleologische Reduktion von Teil B Nr. 8.4 VG nicht in Betracht. Eine teleologische Reduktion setze voraus, dass der Wortlaut einer Vorschrift einen Sachverhalt zwar umfasse, sich dies aber gemessen am Regelungszweck der Vorschrift als zu weit darstelle. Konkret in Bezug auf die Versorgungsmedizin-Verordnung (VMedV) bestehe insoweit die Pflicht des anwendenden Gerichts, sie auf Lücken in Sonderfällen zu prüfen, die wegen ihrer individuellen Verhältnisse abweichend zu beurteilen seien (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 24.04.2008 – B 9/9a SB 10/06 R, in juris Rn. 25). Eine solche Lücke sei vorliegend nicht festzustellen. Eine teleologische Reduktion von Teil B Nr. 8.4 VG ist insbesondere nicht deshalb geboten, weil ein (jedenfalls sog. typisches) Lungenkarzinoid wohl im Regelfall ein deutlich geringeres Rezidiv- und Metastasierungsrisiko aufweise als andere bösartige Erkrankungen der Lunge und weniger schwerwiegende Therapien nach sich zieht (unter Hinweis auf Kaifi/Kayer/Ruf/Passlick, DÄ 2015, 749 ff., die im Durchschnitt von einem 5-Jahres-Überleben von 80 % nach chirurgischer Resektion ausgingen). Gegen eine teleologische Reduktion spreche zum einen, dass aufgrund der Seltenheit von Lungenkarzinoiden nur wenige – insbesondere randomisierte – Studien existierten (unter Verweis auf Kaifi/Kayer/Ruf/Passlick, DÄ 2015, 749 ff.) und in den vorhandenen Studien die Angaben zum Langzeitüberleben zwar tendenziell gut seien, aber auch schwankten. Während eine an 1.109 Patienten mit einem typischen Lungenkarzinoid durchgeführte Studie ein 5-Jahres-Überleben von 94 % ergeben habe, sei aus einer Datenbankanalyse mit 441 Patienten lediglich ein 3-Jahres-Überleben von 67 % gefolgt. Eine weitere Analyse mit über 5.500 Patienten sei für bronchopulmonale Karzinoide (allerdings ohne nähere Differenzierung nach atypisch/typisch und nach Vorhandensein von Lymphkontenmetastasen) zu einem 5-Jahres-Überleben von ebenfalls nur 61 % (Nachweise bei Kaifi/Kayer/Ruf/Passlick, DÄ 2015, 749 ff.) gekommen. Hinzu komme, dass bezüglich der Therapieoptionen, die zu ergreifen seien, wenn eine Resektion alleine nicht ausreiche, bislang kaum gesicherte Erkenntnisse existierten (unter Verweis auf Kaifi/Kayer/Ruf/Passlick, DÄ 2015, 749 ff.).

Gegen eine teleologische Reduktion spreche daneben das Wesen der Heilungsbewährung. Denn der GdB für eine Erkrankung in Heilungsbewährung solle in ganzheitlicher und zugleich typisierender Weise der Sondersituation Rechnung tragen, in der sich ein Betroffener nach Entfernung einer bösartigen Geschwulst befinde. Er erfasse den tatsächlichen Organschaden und die Rezidivwahrscheinlichkeit, bilde darüber hinaus aber auch die oft nur schwer einschätzbare psychische Entwicklung aufgrund der Rezidivangst ab (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 30.09.2009 – B 9 SB 4/08 R, in juris Rn. 33). Bei Geschwulsterkrankungen der Lunge im Besonderen sei zu berücksichtigen, dass deren operative Entfernung bereits typischerweise einen beträchtlichen Organschaden bedinge. Dies spiegele sich in Teil B Nr. 8.4 VG wieder, indem die Vorschrift eine weitere Erhöhung des GdB auf 90-100 bei zusätzlichem Vorliegen mittelschwerer oder schwerer Lungenfunktionseinschränkungen vorsieht. Im Umkehrschluss ergebe sich hieraus, dass der Verordnungsgeber typisierend annehme, dass jedenfalls Lungenfunktionseinschränkungen geringen Grades im Sinne von Teil B Nr. 8.3 VG die regelhafte Folge einer malignen Lungenerkrankung nach Teil B Nr. 8.4 VG seien. Lungenfunktionseinschränkungen geringen Grades am oberen Ende des von Teil B Nr. 8.3 VG eröffneten, bis 40 reichenden Bewertungsrahmens könnten sich im Alltag jedoch bereits erheblich auswirken, indem sie mittelschweren körperlichen Tätigkeiten weitestgehend entgegenstünden. Das Risiko solcher Organschäden bestehe auch bei der operativen Entfernung von Karzinoiden. Je nach Lage des Karzinoids könne ein massiver chirurgischer Eingriff in das Lungen- und Bronchialgewebe erforderlich sein (mit Verweis auf Kaifi/Kayer/Ruf/Passlick, DÄ 2015, 749 ff.).

Die Bewertung des typischen, nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoids mit einem Einzel-GdB von mindestens 80 sei auch mit höherrangigen Maßstäben und Vorgaben vereinbar. Angesichts der noch immer verhältnismäßig dünnen Studienlage und unter gleichzeitiger Berücksichtigung des Wesens der Heilungsbewährung könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Bewertung eines (typischen) Lungenkarzinoids mit einem Einzel-GdB von 80 dem herrschenden Stand der sozialmedizinischen Wissenschaft widerspreche. Die Bewertung des Lungenkarzinoids mit einem Einzel-GdB von 80 begründe auch keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz). Weder liege eine gleichheitswidrige Gleichbehandlung von Ungleichem in Bezug auf Personen vor, die an schwergradigeren bösartigen Lungenerkrankungen leiden, noch eine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung in Bezug auf Personen vor, die an einem lokalisierten Darmkarzinoid leiden, das nach Teil B Nr. 10.2.2 VG lediglich einen Einzel-GdB von 50 bedinge. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass es sich bei den Regelungen über den GdB in Heilungsbewährung um typisierende Regelungen handele (s.o.). Bei typisierenden Regelungen verfüge der Normgeber über einen großen Regelungsspielraum, der erst überschritten sei, wenn sich die Regelung nicht mehr als sach- und realitätsgerecht darstelle (mit Verweis auf BVerfG, Urteil vom 26.03.2019 – 1 BvR 673/17). Diesen Anforderungen genüge Teil B Nr. 8.4 VG. Gerade wegen der besonderen psychischen Beeinträchtigung, die auch von der Entfernung von Karzinoiden aufgrund bleibender Lungenfunktionseinschränkungen ausgehen könne, sei es nicht zu beanstanden, dass der Verordnungsgeber das Lungenkarzinoid in derselben Weise wie andere bösartige Erkrankungen der Lunge und im Gegensatz zu Darmkarzinoiden mit einem Einzel-GdB von mindestens 80 bewertet habe. Hinzu komme, dass die Studienlage zu Lungenkarzinoiden immer noch verhältnismäßig dünn sei. Dies eröffne dem Verordnungsgeber einen zusätzlichen Regelungsspielraum. Zugrunde zu legen sei im vorliegenden Fall allerdings nur der Mindest-GdB von 80, da bei dem Kläger noch keine mittelgradigen Lungenfunktionseinschränkungen vorlägen. Diese seien in Teil B Nr. 8.3 VG definiert als das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bereits bei alltäglicher leichter Belastung (u.a. Treppensteigen bis zu einem Stockwerk) und eine Erniedrigung der Werte der Lungenfunktion auf weniger als 2/3 und bis zu 1/3 des Soll, wobei dem klinischen Bild Vorrang für die Beurteilung des GdB zukomme. Danach lägen bei dem Kläger noch keine mittelgradigen Lungenfunktionseinschränkungen vor, der jedenfalls ohne Traglast noch drei bis vier Stockwerke ohne Pause zu Fuß gehen könne. Das Apnoeleiden wirke sich nicht erhöhend auf den Einzel-GdB aus. Dabei könne offenbleiben, ob das Apnoeleiden im April 2018 einer CPAP-Beatmung objektiv unzugänglich gewesen sei. Anhand der aktenkundigen Befunde sei dies nicht abschließend feststellbar, da aus ihnen nur hervorgehe, dass zumindest ab Juni 2019 wieder eine CPAP-Beatmung habe erfolgen können. Sollte das Apnoe-Leiden im April 2018 einer CPAP-Beatmung – sei es auch nach einer vorausgegangenen Phase der Unverträglichkeit – zugänglich gewesen sein, hätte es nach Teil B Nr. 8.4 isoliert betrachtet einen Einzel-GdB von 20 bedingt und sich aufgrund seines verhältnismäßig geringen teilhaberelevanten Gewichts auf die Höhe des Einzel-GdB nicht weiter ausgewirkt. Das Apnoe-Leiden hätte aber auch dann keinen Einfluss auf die Höhe des Einzel-GdB gehabt, wenn im April 2018 eine CPAP-Beatmung objektiv noch nicht durchführbar gewesen sein sollte und das Apnoeleiden daher gemäß Teil B Nr. 8.4 VG an sich einen Einzel-GdB von 50 bedingt hätte. Sollte die CPAP-Beatmung im April 2018 objektiv undurchführbar gewesen sein, hätte diese Undurchführbarkeit der CPAP-Beatmung zugleich schon bei Bekanntgabe des letzten maßgeblichen Bescheids vom 10.04.2017 vorgelegen. Dies sei der schriftlichen Bekundung des sachverständigen Zeugen P (richtig: F) zu entnehmen, die angegebene Intoleranz des Klägers gegenüber einer CPAP-Beatmung habe sich im Jahr 2015 infolge einer Darmoperation herausgebildet und der Kläger daraufhin die Durchführung der CPAP-Beatmung eingestellt; denn bei dieser stattgehabten Darmoperation handele es sich um den einzigen aktenkundigen Anknüpfungspunkt für eine Nicht-Durchführbarkeit einer CPAP-Beatmung. In diesem Fall hätte der bestandskräftige Bescheid vom 10.04.2017 einem nicht CPAP-beatmungsfähigen Apnoeleiden in Verbindung mit einer seinerzeit leichtgradigen Lungenfunktionseinschränkung und einer Colitis-Ulcerosa-Erkrankung insgesamt lediglich eine Teilhabebeeinträchtigung in Höhe eines GdB von 30 beigemessen. Im Funktionssystem „Verdauung“ betrage der Einzel-GdB allenfalls 30 aufgrund einer Colitis-Ulcerosa-Erkrankung, wobei dieser Einzel-GdB nicht vollständig ausgefüllt wäre. Nach Teil B Nr. 10.2.2 VG bedinge eine Colitis-Ulcerosa-Erkrankung mit geringer Auswirkung (geringe Beschwerden, keine oder geringe Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, selten Durchfälle) einen Einzel-GdB von 10-20. Eine Colitis-Ulcerosa-Erkrankung mit mittelschwerer Auswirkung (häufig rezidivierende oder länger anhaltende Beschwerden, geringe bis mittelschwere Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufiger Durchfälle) bedinge einen Einzel-GdB von 30-40. Bei dem Kläger bestünden unter Zugrundelegung des Abschlussberichts der Knappschafts-Klinik B. vom 11.10.2019 seit einer aufgrund der Colitis-Ulcerosa-Erkrankung durchgeführten Kolektomie breiige bis flüssige Stuhlgänge, die unmittelbar nach der Nahrungsaufnahme vermehrt auftreten, doch sei sein Allgemeinzustand gut und sein Ernährungszustand leicht adipös. Mithin könne aufgrund der häufigen flüssiger Stuhlgänge allenfalls ein Einzel-GdB von 30 angenommen werden, der jedoch nicht voll ausgefüllt wäre, da der Ernährungszustand des Klägers gut sei und er als Rettungssanitäter berufstätig sein könne. Insgesamt betrage der GdB 80. Der allenfalls schwach ausgefüllte Einzel-GdB von 30 im Funktionssystem „Verdauung“ erhöhe den Einzel-GdB von 80 im Funktionssystem „Atmungsorgane“ danach nicht, da sich die verschiedenen Gesundheitsstörungen nicht gegenseitig verstärkten und die Darmerkrankung des Klägers das Ausmaß der von der Lungenerkrankung ausgehenden Behinderungen, die im Vordergrund stehen, nicht erhöhe. Für die vor der Stellung des Überprüfungsantrags liegende Zeit zwischen dem 16.02.2018 und dem 16.05.018 könne der Kläger gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X nur einen Anspruch auf ermessensfehlerhafte Entscheidung über die Abänderung des Bescheids vom 04.04.2018 geltend machen, soweit dort kein GdB von 80 (zur Höhe des GdB s. soeben oben), sondern nur von 50 festgestellt sei. Einen gebundenen Anspruch auf Abänderung des Bescheids vom 04.04.2018 für diesen Zeitraum habe er nicht, denn für eine Ermessensreduktion auf Null sei nichts ersichtlich. Den Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung habe der Beklagte allerdings verletzt. Es liege ein Ermessensausfall vor. Denn indem der Beklagte weiterhin von der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 04.04.2018 ausgehe, habe er denknotwendig sein Rücknahmeermessen noch nicht ausgeübt.

Gegen den ihm am 05.08.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg am 21.08.2020 Berufung eingelegt. Er trägt vor, bei der Bewertung von Karzinoiden komme nicht Teil B Ziffer 8.4 der VG zur Anwendung, sondern das Beiratsprotokoll vom 29. und 30.03.2000 Nr. 1.1.1. Danach komme bei Karzinoiden außerhalb des Magen-Darmtraktes eine Analogiebewertung zu den Darmkarzinoiden in Betracht. Somit sei nach Teil B Ziffer 10.2.2 der VG ein GdB von 50 mit einer Heilungsbewährungszeit von 2 Jahren festzustellen. Eine Karzinoiderkrankung (hier: Lungenkarzinoid) sei analog zu einer Darmkarzinoiderkrankung zu bewerten und nicht nach einer Tumorerkrankung. Eine Unterscheidung nehme auch der Verordnungsgeber vor, in dem er im Wortlaut unter 10.2.2. zwischen Darmtumor und Darmkarzinoide unterscheide. Der Verordnungsgeber habe diese Unterscheidung lediglich im Verdauungssystem vorgenommen, da diese Erkrankung dort am häufigsten auftrete.

Der Beklagte verweist auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme von W vom 18.08.2020: Laut Beiratsprotokoll vom 29. und 30.03.2000 komme bei der GdB-Bewertung von Karzinoiden außerhalb des Magen-Darm-Traktes eine Analogiebewertung zu den Darmkarzinoiden (Nr. 10.2.3 der VersMedV) in Betracht.

Der Beklagte legt eine weitere versorgungsärztliche Stellungnahme von F vom 17.12.2020 vor: Strittig sei, ob die Bewertung des klägerischen Tumorleidens nach den VG Teil B Punkt 8.4 (nach Entfernung eines malignen Lungentumors oder eines Bronchialtumors) mit fünf Jahren Heilungsbewährung und GdB wenigstens 80 oder ob die Bewertung analog der Bewertung eines Karzinoids des Verdauungstraktes gemäß 10.2.2 VG - wie es im Beiratsprotokoll vom März 2000 dargelegt ist, und wie die Arbeitsgemeinschaft der versorgungsmedizinisch tätigen Leitenden Ärztinnen und Ärzte der Länder und der Bundeswehr im März 2011 nochmals bestätigt habe – mit einem GdB 50 und zwei Jahre Heilungsbewährung erfolgen müsse. Bei einem Lungentumor im eigentlichen Sinne handele es sich um Wucherungen organeigener, also lungeneigener Zellen. Eine Differenzierung unterschiedlicher Heilungsbewährungen und GdB-Bemessungen erfolge aufgrund unterschiedlicher Lokalisationen innerhalb des Organes und der damit verbundenen Prognose. Karzinoide seien sehr seltene Tumore des neuroendokrinen Systems. 80% dieser Tumore träten im terminalen Ileum oder in der Appendix auf. Aufgrund des häufigsten Auftretens im Verdauungssystem werde das Karzinoid vom Verordnungsgeber in den VG unter Teil B 10.2.2 erwähnt. Eine Manifestation in der Lunge sei extrem selten (unter 1% aller Lungentumore). Karzinoide seien - unabhängig vom Ort des Auftretens - durch niedrige Malignität und langsames Wachstum gekennzeichnet. Darum unterschieden sich Prognose und Therapie von den lungeneigenen Karzinomen; ein GdB von 50 mit zweijähriger Heilungsbewährung sei daher aus versorgungsärztlicher Sicht zutreffend.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 31.07.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger erwidert, bis auf die bloße Behauptung, Karzinoide außerhalb des Magen-Darm-Trakts seien analog Nr. 10.2.2 der VG zu bewerten, fehle es hier jedoch an einer Auseinandersetzung der sehr ausführlichen und juristisch fundierten Subsumtion des Sachverhalts durch das erstinstanzliche Gericht. Im Hinblick auf die seitens des Beklagten in Bezug genommenen Beiratsprotokolle aus dem Jahre 2000 habe das SG ausgeführt, dass es keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gebe, dass bei Erlass der VG am 10.12.2008 der Begriff der malignen Lungenerkrankung im Sinne von deren Teil B Nr. 8.4 einen Ausschluss von Karzinoiderkrankungen habe beinhalten sollen, was jedoch möglich gewesen wäre, wäre es die Auffassung des Gesetzgebers gewesen, die Rechtsmeinung des Beklagten umzusetzen.

Der Kläger hat sich am 18.05.2021 und der Beklagte hat sich am 25.05.2021 mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Senatsakten sowie auf die beigezogenen SG-Akten und den der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die nach § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über welche der Senat im Einverständnis der Beteiligten gem. § 153 Abs. 1, § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne Verhandlung entscheidet, ist gemäß §§ 143, 144 SGG auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 31.07.2020 ist nicht zu beanstanden. Zurecht hat den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 15.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2019 verpflichtet, den Bescheid vom 04.04.2018 abzuändern und beim Kläger einen GdB von 80 seit dem 17.05.2018 festzustellen sowie über den Antrag des Klägers auf Abänderung des Bescheids vom 04.04.2018 und Feststellung eines höheren GdB für die Zeit vom 16.02.2018 bis zum 16.05.2018 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, soweit der Kläger die Zuerkennung eines GdB von 80 anstelle eines GdB von 50 begehrt.

Hinsichtlich der Rechtsgrundlagen und der rechtlichen Ausführungen nimmt der Senat vollumfänglich auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen des Beklagten, das sich allein auf die Bewertung des (sich in Heilungsbewährung befindenden) Lungenkarzinoids des Klägers mit einem GdB von 80 seitens des SG stützt, ist ergänzend auszuführen:

Der Wortlaut von Teil B 8.4 VG („Nach Entfernung eines malignen Lungentumors oder eines Bronchialtumors ist den ersten 5 Jahren eine Heilungsbewährung abzuwarten. GdS während dieser Zeit wenigstens 80, bei Einschränkung der Lungenfunktion mittleren bis schweren Grades 90 bis 100“) ist eindeutig und hier einschlägig. Für eine analoge Anwendung von Teil B 10.2.2 VG („Chronische Darmstörungen“) ist hier kein Raum. Die vom Beklagten gewünschte anderweitige Auslegung hat keinen Niederschlag in den VG gefunden. Eine Differenzierung nach der Art des Lungentumors nimmt der Verordnungsgeber gerade nicht vor. Soweit der Beklagte anführt, dass die Festsetzung des GdB bei Lungenkarzinoiden analog Nr. 10.2.2 der VG zu erfolgen hat, verkennt er insoweit die Systematik der VersMedV. So führt der Verordnungsgeber in Teil B Nr. 1a der GdS-Tabelle aus, dass es sich bei den in der Verordnung genannten GdS um Anhaltswerte handelt („Es ist unerlässlich, alle die Teilhabe beeinträchtigenden körperlichen, geistigen und seelischen Störungen im Einzelfall zu berücksichtigen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung.“, s. Teil B, Allgemeine Hinweise zur GdS-Tabelle, Nr. 1a VG). Des Weiteren führt der Verordnungsgeber im Teil B der VG, Allgemeine Hinweise zur GdS-Tabelle, Nr. 1b aus: „Bei Gesundheitsstörungen, die in der Tabelle nicht aufgeführt sind, ist der GdS in Analogie zu vergleichbaren Gesundheitsstörungen zu beurteilen.“ Daraus folgt, dass ein Vergleich zu anderen Erkrankungen nur dann zu ziehen ist, wenn die Gesundheitsstörung nicht in der Tabelle aufgeführt ist. Da es sich bei dem Lungenkarzinoid um einen Lungentumor handelt, wovon im Übrigen auch ausdrücklich die versorgungsärztliche Stellungnahme von F vom 17.12.2020 ausgeht, und diese Erkrankung in der GdS-Tabelle aufgeführt ist, ist der analoge Vergleich mit einer anderen Erkrankung ausgeschlossen. Es ist lediglich möglich, der Besonderheit des Einzelfalles im Rahmen der Beurteilungsspanne Rechnung zu tragen. Aufgrund der vom SG zutreffend bewerteten guten Heilungschancen des Klägers ist hierbei der Einzel-GdB von 80 als Mindest-GdB anzusetzen. Demnach ist entgegen der Ansicht des Beklagten das Lungenkarzinoid unter Zugrundelegung von 8.4 VG hier mit einem Einzel-GdB von 80 zu bewerten (so im Ergebnis auch SG Gießen, Urteil vom 31.03.2014, Az.: S 21 SB 281/12, juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.



Versorungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung