Urteile zur Zystitis
(chronische Blasenentzündung)

Leitsatz / Urteilsbegründung
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt 7. Senat Entscheidungsdatum: 19.02.2014 Aktenzeichen: L 7 SB 31/10

JURIS

Gründe: Die beim Kläger diagnostizierte chronische Zystitis bezieht sich auf das Funktionssystem der Harnorgane und wird vom Senat mit einem Einzel-GdB von 40 seit dem 23. November 1998 bewertet. In den Anhaltspunkten 1996, 2004, 2005 und 2008 sowie in der Versorgungsmedizin-Verordnung wird die Zystitis nicht gesondert erwähnt. Anknüpfungspunkt für die Bewertung dieser Erkrankung sind daher Schäden der Harnwege, da nach Teil B, Nr. 1b bei Gesundheitsstörungen, die nicht in der Tabelle aufgeführt sind, der GdB in Analogie zu vergleichbaren Gesundheitsstörungen zu beurteilen ist.

Hiernach gilt für die chronische Harnwegsentzündung folgender Bewertungsrahmen:
leichten Grades (ohne wesentliche Miktionsstörungen) .. 0 – 10
stärkeren Grades (mit erheblichen und häufigen Miktionsstörungen) .. 20 – 40
chronische Harnblasenentzündung mit Schrumpfblase(Fassungsvermögen unter 100 ml, Blasentenesmen) .. 50 – 70
Bei Entleerungsstörungen der Blase (auch durch Harnröhrenverengung) ergeben sich folgende GdB-Wertungen:
leichten Grades
(z. B. geringe Restharnbildung, längeres Nachträufeln) .. 10
stärkeren Grades
(z. B. Notwendigkeit manueller Entleerung, Anwendung eines Blasenschrittmachers, erhebliche Restharnbildung, schmerzhaftes Harnlassen) .. 20 – 40
mit Notwendigkeit regelmäßigen Katheterisierens, eines Dauerkatheters, eines suprapubischen Blasenfistelkatheters oder Notwendigkeit eines Urinals, ohne wesentliche Begleiterscheinungen ..50

Geht man von diesen Bewertungsrahmen aus, greift die Annahme des Sachverständigen von Prof. Dr. R. und Dr. M., für die Zystitis des Klägers einen Einzel-GdB von 60 zu vergeben, deutlich zu hoch. Der häufige und auch für den Kläger schmerzhafte Harndrang erreicht nicht den Behinderungsgrad einer chronischen Harnblasenentzündung mit Schrumpfblase unter 100 ml bzw. die Situation eines Behinderten, der wegen einer Entleerungsstörung mittels Dauerkatheter versorgt werden muss. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass das Leidensbild des Klägers offenkundig psychisch überlagert ist und die tatsächlichen, objektivierbaren Auswirkungen geringer sind, als vom Kläger vorgetragen. Dies räumt auch der Sachverständige Dr. M. ein, der die Bewertung der psychischen Erkrankung und der Zystitis als schwierig ansieht. Der Senat hält die Annahme von Dr. M., für die Zystitis einen Einzel-GdB zu vergeben, der bereits deutlich über der Schwerbehinderung liegt, für nicht vertretbar, da hierbei die psychische Überlagerung in der Symptomatik nicht hinreichend beachtet wird. Dies bestätigt bereits der Arztbrief von Prof. Dr. H. vom 6. Dezember 1999 (Klinik und Poliklinik für Urologie, M.) über eine ambulante Behandlung seit dem 8. Juni 1999. Danach hat der Kläger bereits im Jahr 1999 über Beschwerden im Darm- bzw. Prostatabereich sowie über häufigen Harndrang, Nykturie und Libidostörungen berichtet und der behandelnde Arzt dabei eine klare psychische Überlagerung festgestellt. Diese psychische Überlagerung beim Beschwerdebild der Zystitis wird auch von Dr. M. eingeräumt, dann jedoch nicht klar dem Funktionssystem Psyche und Gehirn zugeordnet. So berichtete der Sachverständige Dr. M. anlässlich der zweitägigen Untersuchung über kein besonders ausgeprägtes Toilettenverhalten des Klägers. Dies hat sich auch während der über eine Stunde andauernden mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt. Der Kläger benötigte in der mündlichen Verhandlung trotz erkennbarer innerer Anspannung keine Unterbrechung und gab nicht zu verstehen, unbedingt die Toilette aufsuchen zu müssen. Die Behauptung des Klägers, er müsse in 24 Stunden ca. 12 Mal die Toilette oder nach seiner späteren Bewertung ggf. noch viel häufiger aufsuchen, unterliegt daher deutlichen Zweifeln. Wäre der Harndrang tatsächlich noch intensiver, wären weitere Einschränkungen des Klägers in der gutachterlichen Untersuchung oder auch der mündlichen Verhandlung bzw. im Urlaub und im Freizeitverhalten zu erwarten gewesen. Bei einer gravierenden psychischen Störung, die bereits für sich genommen die Schwerbehinderung rechtfertigt, lassen sich die Auswirkungen nicht allein mit somatischen Erkrankungsbildern erklären (so auch Dr. M.). Von daher ist es notwendig, um nicht zu unzulässigen Doppelbewertungen zu Gunsten des Klägers zu gelangen, die somatischen Erkrankungsbilder auf ihren objektivierbaren Kerngehalt zurückzuführen. Dies rechtfertigt es, wegen der psychischen Überlagerung, die chronische Zystitis nur einen Einzel-GdB von 40 zu bewerten. Der Senat schließt sich insoweit der zutreffenden Einschätzung der Versorgungsärztin Sch. vom 17. Juni 2009 an.




Versorungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung