Urteile zur Bildung des Grades der Behinderung (Gesamt-GdB)

Leitsatz / Urteilsbegründung Stichpunkte
Landessozialgericht Baden-Württemberg 3. Senat Entscheidungsdatum: 24.10.2018 Aktenzeichen: L 3 SB 5/17


JURIS

LS: Zur Bildung des Gesamt-GdB bei 2 Einzel-GdB-Werten von jeweils 30: Eine schematische Bewertung dahingehend, dass bei einem Einzel-GdB von 30 ein weiterer Einzel-GdB von 30 regelmäßig nur zu einer Erhöhung um 10 Punkte und nur ausnahmsweise zu einer Erhöhung um 20 Punkte führt, steht mit den in den VG, Teil A, Nr. 3 aufgestellten und vom BSG in ständiger Rechtsprechung gebilligten Grundsätze zur Bildung des Gesamt-GdB nicht in Einklang.

Gründe: Unter Berücksichtigung des Vorstehenden ist der Senat, ebenso wie bereits das SG, überzeugt, dass die beim Kläger vorliegenden Behinderungen mit einem Gesamt-GdB von 40 weiterhin zutreffend bewertet sind. Dabei liegen beim Kläger an relevanten Gesundheitsstörungen ein chronisches Schmerzsyndrom mit depressiver Komponente sowie eine Erkrankung der Wirbelsäule vor.

Im Vordergrund stehen beim Kläger eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sowie eine Dysthymie. Dies entnimmt der Senat dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Prof. Dr. Dr. H., ferner dem vom SG veranlassten Gutachten auf orthopädischem Gebiet von Dr. F.. Dagegen kann dem Gutachten des Prof. Dr. I., in welchem eine depressive Episode mit somatischem Syndrom bei rezidivierender depressiver Störung diagnostiziert worden ist, und die vermehrten Schmerzen lediglich als Ausdruck dieser depressiven Episode gesehen worden sind, nicht gefolgt werden. So war zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung durch Prof. Dr. Dr. H. die Stimmung des Klägers psychopathologisch nicht belangvoll zum depressiven Pol hin verschoben. Der Sachverständige konnte mehrfach positive Emotionen auslösen. Eine Beeinträchtigung der affektiven Schwingungsfähigkeit lag nicht vor. Weder war das Auffassungsvermögen erschwert, noch sind im Rahmen der Begutachtung Störungen der Merkfähigkeit oder des Konzentrationsvermögens deutlich geworden. Auch war der Antrieb in der Untersuchungssituation intakt. Im Widerspruch zu diesem klinisch weitgehend unauffälligen Befund hat sich der Kläger in den Selbsteinschätzungsskalen als schwer depressiv beschrieben. Zu Recht hat Prof. Dr. Dr. H. indes darauf verwiesen, dass sich eine unkritische Übernahme der vom Kläger gemachten Angaben verbietet, weil diese Angaben ebenso wie die Beschwerdeschilderung der subjektiven Einschätzung des jeweiligen Betroffenen unterliegen. Bemerkenswert, so Prof. Dr. Dr. H., war in diesem Zusammenhang insbesondere, dass Probanden mit einem schweren depressiven Syndrom im Depressionsinventar nach Beck normalerweise einen Punktwert um 34 erreichen, der Kläger dagegen auf eine Gesamtpunktzahl von 41 gekommen ist. Auf der allgemeinen Depressionsskala erzielen Probanden mit einer schweren Depression durchschnittlich 39 Punkte, während der Kläger sogar auf 47 Punkte gekommen ist. Extrem hohe Scores auf derartigen Skalen ohne gleichzeitiges Vorliegen des klinischen Bildes einer schwerwiegenden depressiven Episode stellen indes einen Hinweis auf Verdeutlichungstendenzen dar, so Prof. Dr. Dr. H.. Bemerkenswerterweise entsprach auch die Selbstbeschreibung in den übrigen Persönlichkeitstests durch den Kläger nicht der Verhaltensbeobachtung und dem psychopathologischen Befund, den Prof. Dr. Dr. H. festgestellt hat. Zu Recht hat Prof. Dr. Dr. H. gegen eine belangvolle depressive Erkrankung beim Kläger auch die fehlende psychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung ins Feld geführt. So hat sich der Kläger zu keiner Zeit einer psychiatrischen Behandlung unterzogen; die Spiegelbestimmung des vom Hausarzt verschriebenen stimmungsaufhellenden Medikaments Escitalopram hat lediglich einen Spiegelwert im untersten therapeutischen Bereich ergeben. Korrelierend hiermit, so Prof. Dr. Dr. H., fehlt es auch für die Vergangenheit an eindeutigen Befunden für eine relevante depressive Erkrankung. So ist während eines Aufenthalts in der Reha-Klinik am Kurpark 2005 lediglich auf eine subdepressive Herabgestimmtheit Bezug genommen worden, wobei eine chronische Überforderungssituation mit chronifiziertem Schmerz bestanden habe. In einem Befundbericht des Rheuma-Zentrums Baden-Baden vom November 2008 ist lediglich über ausgeprägte Schlafstörungen auf Grund der Schmerzsymptomatik berichtet worden, nicht jedoch über eine depressive Verstimmung. Im Entlassungsbericht der Rehaklinik H. vom Februar 2015 ist mitgeteilt worden, dass rezidivierende depressive Episoden vorbeschrieben seien, in der Aufnahmesituation indes „doch mehr als überdeutlich werdende Schmerzchronifizierungsaspekte“ vorgelegen hätten und der Kläger nicht weitergehend depressiv gestimmt gewesen sei. Schlüssig und nachvollziehbar hat der Sachverständige deshalb, gestützt auf die Aktenlage sowie auf die von ihm erhobenen Untersuchungsbefunde, insbesondere das von ihm in der Begutachtung erhobene klinische Bild, eine Dysthymie diagnostiziert und eine darüberhinausgehende depressive Erkrankung verneint.

Der Senat folgt Prof. Dr. Dr. H. auch insoweit, als dieser die chronische Schmerzstörung und die Dysthymie mit einem GdB von 30 bewertet hat. Zunächst ist sowohl Prof. Dr. Dr. H. wie auch dem Versorgungsarzt Dr. G. beizupflichten, soweit sie für die Bewertung der aus der chronischen Schmerzstörung und der Dysthmie folgenden Funktionsbeeinträchtigungen die VG, Teil B, Nr. 3.7 (Neurosen, Persönlichkeitsstörung, Folgen psychischer Traumen) zugrunde legen und nicht, wie von Prof. Dr. I. favorisiert, die Nr. 3.6 (schizophrene und affektive Psychosen). Die VG, Teil B, Nr. 3.6 sind schizophrenen Psychosen oder bipolaren Störungen vorbehalten. Für die Subsumtion unter die VG, Teil B, Nr. 3.7 spricht bereits der dortige, insoweit eindeutige Wortlaut („z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen“). Unter Zugrundelegung der dortigen Beurteilungskriterien sind die Störungen des Klägers auf nervenärztlichem Gebiet mit einem Einzel-GdB von 30, was bereits dem unteren Rahmenwert einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit entspricht, wohlwollend bewertet. Ein höherer Einzel-GdB lässt sich nicht rechtfertigen.

Im Hinblick auf das Wirbelsäulenleiden erachtet der Senat, dem Versorgungsarzt Dr. G. folgend, einen Einzel-GdB von 20 als angemessen. Denn schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt bzw. wenigstens mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten, welche gemäß der hier einschlägigen Nr. 18.9 der VG, Teil B einen Einzel-GdB von wenigstens 30 rechtfertigen könnten, sind beim Kläger nicht nachgewiesen. Anhand der objektiv fassbaren Funktionseinschränkungen nach dem Gutachten des Dr. F. liegen im Bereich der HWS mittelgradige Funktionseinschränkungen vor. Dagegen ist, so zutreffend Dr. G., die Funktion der Rumpfwirbelsäule bei einer noch möglichen Seitneigung bis 45 Grad und einer Rotation von je 45 Grad in der aktiven Gesamtbeweglichkeit noch nicht wesentlich eingeschränkt und die Annahme von wenigstens mittelgradigen Auswirkungen in diesem Wirbelsäulenabschnitt nicht gerechtfertigt. Soweit Dr. F. zur Begründung seiner Einschätzung von mittelschweren Funktionseinschränkungen auch im Bereich der LWS auf eine Verstärkung der Funktionseinbuße durch die Arthrose der Hüft- und Kniegelenke hingewiesen hat, leuchtet dies nicht ein, zumal Dr. F. selbst die Funktionseinbußen seitens der Hüft- und Kniegelenke als so geringfügig erachtet hat, dass sie für sich genommen noch nicht einmal einen Einzel-GdB von 10 rechtfertigen könnten. Nicht nachvollziehbar ist weiterhin seine Bewertung der Funktionsstörungen im Bereich der HWS als intermittierend schwer, obgleich der Sachverständige Nervenwurzelausfälle oder radikuläre Symptome verneint hat. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass Prof. Dr. Dr. H. im Rahmen seiner gutachterlichen Untersuchung, wie bereits dargelegt, einen regelrechten neurologischen Befund erhoben und keinerlei Hinweise für das Vorliegen einer radikulären Schmerzausstrahlung im Bereich der oberen oder unteren Extremitäten festgestellt hat und, wie im übrigen auch Dr. F., insbesondere im Einzugsbereich der LWS keine neurologischen Auffälligkeiten und auch keine belangvolle Bewegungseinschränkung gefunden hat.

Ausgangspunkt für die Bewertung des Gesamt-GdB ist der führende Einzel-GdB von 30 für die somatoforme Schmerzstörung und Dysthymie, der sich durch das Hinzutreten der mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertenden Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule auf 40 erhöht. Zu demselben Ergebnis würde man im Übrigen auch gelangen, wenn man Dr. F. folgend von einem Einzel-GdB von 30 auch für das Wirbelsäulenleiden ausgehen würde. Auch in diesem Fall würde der Gesamt-GdB nur 40 betragen.

Dieses Ergebnis ergibt sich indes gleichfalls auf Grund einer konkreten, auf den Einzelfall bezogenen Würdigung anhand der VG, Teil A, Nr. 3 und nicht etwa aufgrund eines Grundsatzes, wonach 2 Einzel-GdB von 30 regelmäßig nur einen Gesamt-GdB von 40 rechtfertigen könnten. Der Senat nutzt die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass dem vom SG im angefochtenen Urteil zitierten und auch regelmäßig vom Beklagten angeführten Urteil des erkennenden Senats vom 18.08.2015 (L 3 SB 1182/14) keine hiervon abweichende Beurteilung entnommen werden kann. Dort heißt es wörtlich, dass ein weiterer GdB von 30 zu einer Erhöhung um 20 und nicht nur um 10 Punkte nur dann führen kann, wenn eine wesentliche Zunahme der Behinderung vorliegt. Unter Hinweis auf die starke Überschneidung der Behinderungen wurde in der zitierten Entscheidung eine solche Zunahme dann auch verneint. Diesen Ausführungen lässt sich weder ein Grundsatz für die Bildung des Gesamt-GdB dahingehend, dass ein weiterer Einzel-GdB von 30 grundsätzlich nur zu einer Erhöhung um 10 Punkte und nur ausnahmsweise zu einer solchen um 20 Punkte führe, entnehmen, noch sollte mit dieser Entscheidung ein solcher Grundsatz aufgestellt werden, noch entspricht ein solcher Grundsatz der Rechtsprechung des Senats. Im Übrigen würde ein solcher Grundsatz den zuvor dargelegten, in den VG, Teil A, Nr. 3 aufgestellten und vom BSG in ständiger Rechtsprechung gebilligten (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013, a.a.O.) Grundsätzen zur Bildung des Gesamt-GdB widersprechen, wonach ausschließlich die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander im konkreten Einzelfall maßgebend sind (VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. a) und zur Beurteilung der Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit im konkreten Fall aus der ärztlichen Gesamtschau heraus betrachtet werden muss, ob die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen voneinander unabhängig sind und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder sich auf andere besonders nachteilig auswirken, sich überschneiden oder durch ein Hinzutreten der Gesundheitsstörungen nicht verstärkt werden (vgl. VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. d dd). Mit diesen Vorgaben stünde eine schematische, regelhafte Bewertung dahingehend, dass bei einem Einzel-GdB von 30 ein weiterer Einzel-GdB von 30 regelmäßig nur zu einer Erhöhung um 10 Punkte und nur ausnahmsweise zu einer Erhöhung um 20 Punkte führt, nicht im Einklang.

In Anwendung dieser Grundsätze würde im konkreten Fall ein angenommener Einzel-GdB von 30 auch für die Wirbelsäulenerkrankung in Anwendung der vorgenannten Bestimmungen der VG zur Bildung des Gesamt-GdB nur zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB um 10 Punkte führen. Denn zwischen dem chronischen Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren und dem Wirbelsäulenleiden liegen erhebliche Überschneidungen vor (vgl. hierzu VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. d cc), so Dr. G. und Prof. Dr. Dr. H.. In der Wirbelsäulenkrankheit liegt die Ursache und der Ausgangspunkt für das Schmerzsyndrom. Sowohl im Hinblick auf die Wirbelsäulenerkrankung wie auch (naturgemäß) im Hinblick auf die chronische Schmerzstörung sind die maßgeblichen Symptome die mit den beiden Erkrankungen einhergehenden Schmerzen. Dies hat letztlich auch Dr. F. eingeräumt, wenn er zumindest von einer teilweisen Überschneidung zwischen dem chronischen Schmerzsyndrom und dem Wirbelsäulensyndrom ausgegangen ist. Soweit er indes von einer teilweisen wechselseitigen Verstärkung der beiden Funktionsstörungen ausgegangen ist, erschließt sich dies nicht. Anhaltspunkte hierfür bestehen nicht.

Der angestrebte Gesamt-GdB von 50 ist damit auch unter der - vom Senat indes verneinten - Annahme eines Einzel-GdB von 30 für das Wirbelsäulenleiden nicht begründet.

chronische Schmerzstörung und Dysthymie (GdB 30)
+
Wirbelsäule (GdB 20)
--> Gesamt-GdB 40
BSG 9. Senat Entscheidungsdatum: 17.04.2013 Aktenzeichen: B 9 SB 3/12 R


JURIS

Gründe: Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 69 Abs 3 S 1 SGB IX (beider genannten Fassungen) nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen (s § 2 Abs 1 SGB IX) und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den AHP/der AnlVersMedV genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann - in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB (vgl Nr 19 Abs 1 AHP und Teil A Nr 3 Buchst a AnlVersMedV) - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der AHP/AnlVersMedV feste Grade angegeben sind (vgl Nr 19 Abs 2 AHP und Teil A Nr 3 Buchst b AnlVersMedV; vgl auch BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - aaO RdNr 18).

Die Bemessung des GdB ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (vgl Urteil vom 29.11.1956 - 2 RU 121/56 - BSGE 4, 147, 149 f; Urteil vom 9.10. 1987 - 9a RVs 5/86 - BSGE 62, 209, 212 f = SozR 3870 § 3 Nr 26 S 83 f; Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - aaO RdNr 23 mwN). Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Darüber hinaus sind vom Tatsachengericht die rechtlichen Vorgaben zu beachten. Rechtlicher Ausgangspunkt sind stets § 2 Abs 1, § 69 Abs 1 und 3 SGB IX (vgl BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - aaO RdNr 16 bis 21 mwN); danach sind insbesondere die Auswirkungen nicht nur vorübergehender Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft maßgebend.

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Landessozialgericht Baden-Württemberg 6. Senat
Entscheidungsdatum: 13.12.2012
Aktenzeichen:
L 6 SB 2969/14

JURIS

LS: Im Schwerbehindertenrecht ist es ausgeschlossen, einen "Gesamt-Teil-GdB" in einem Funktionssystem zu bilden, vielmehr sind die Funktionseinschränkungen in einem zweiten Schritt bei dem Gesamt-GdB unter Berücksichtigung ihrer Wechselwirkungen zu bewerten.

Gründe: Die bestehende rezidivierende depressive Störung hat in der Vergangenheit zwar zu depressiven Dekompensationen geführt. Sie manifestiert sich aktuell aber nur noch in dezenten Restbeschwerden, wenn auch weiterhin eine Disposition des Klägers zur Entwicklung krankheitswerter depressiver Verstimmungen besteht. Die damit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen sind auf der Grundlage der überzeugenden Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. S. als leicht und damit in die Kategorie der leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen einzuordnen, wofür insbesondere die ausgeglichene Stimmungslage und das vom Kläger geschilderte Alltags- und Freizeitverhalten, das keinerlei Einschränkungen aufweist, spricht. Im Arztbericht von Prof. Dr. B. vom 30. Juli 2012 wird eine affektive Niedergestimmtheit, eine eingeschränkten Schwingungsfähigkeit sowie eine Antriebs- und Freudlosigkeit beschrieben, weitere Funktionseinschränkungen haben jedoch auch von ihm nicht gefunden werden können. Der Kläger ist bewusstseinsklar und in allen Qualitäten orientiert gewesen. Auffassung, Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit sind nicht beeinträchtigt gewesen. Gedächtnisstörungen haben nicht festgestellt werden können. Weder formale noch inhaltliche Denkstörungen oder Sinnestäuschungen haben festgestellt werden können. Eine Ich-Störung hat ebenfalls nicht vorgelegen. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, insbesondere eine ausgeprägtere Depression, sind damit nicht nachgewiesen; zumal der voll berufstätige Kläger auch aktuell noch eine Beziehung zu einer Lebenspartnerin mit ungestörtem Sexualleben unterhält, enge familiäre Kontakte insbesondere zu seiner Schwester pflegt, in der örtlichen Gemeinschaft sich aktiv einbringen kann und mit der Freiwilligen Feuerwehr einem Hobby nachgehen kann, was der Senat dem Gutachten von Prof. Dr. S. entnimmt. Die beschriebenen Funktionsstörungen wegen der kombinierten Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, selbstunsicheren und negativistischen Anteilen sind nach der Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. S. als leicht einzuordnen und wegen der ausschließlichen Beeinträchtigung der Affekt- und Selbstwertregulation sowie der bloßen Disposition zu depressiven Verstimmungen dem mittleren Bereich des insoweit eröffneten GdB-Rahmens von 0 bis 20 zuzuordnen. Soweit der Sachverständige Prof. Dr. S. die psychischen Störungen mit einem Teil-GdB bewertet und daraus einen „Teil-Gesamt-GdB“ auf psychischem Gebiet gebildet hat, ist der Senat dem nicht gefolgt. Denn ein Gesamt-GdB ist nicht in Funktionssystemen festzustellen, sondern das Funktionsgebiet insgesamt zu bewerten und hieraus dann in einem zweiten Schritt der Gesamt-GdB zu bilden (im Ergebnis ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. September 2003 - L 7 SB 104/02 -, juris). Der danach festzustellende Teil-GdB von 20 für das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ ist dann zwar angemessen, aber auch ausreichend.

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Landessozialgericht Sachsen-Anhalt 7. Senat
Entscheidungsdatum: 24.09.2015
Aktenzeichen: L 7 SB 72/14


JURIS

LS: Sofern im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche die aufgrund einer somatoformen Schmerzstörung bestehenden Bewegungseinschränkungen berücksichtigt werden, können diese nicht noch einmal im Funktionssystem Rumpf bewertet werden. Eine mehrfache Berücksichtigung derselben Teilhabebeeinträchtigungen in mehreren Funktionssystemen ist unzulässig.

Gründe: Unter Anwendung dieses Bewertungsmaßstabs lassen sich über den gesamten Zeitraum seit dem Neufeststellungsantrag im Mai 2011 bis zur Entscheidung des Senats mittelgradige Funktionseinschränkungen im Bereich der BWS und maximal geringe Funktionseinschränkungen im Bereich von HWS/LWS feststellen. Sofern Dr. L. allgemein über mittelgradige funktionelle Auswirkungen im Bereich der Wirbelsäule berichtet hat, lässt sich dies mit einem organischen Korrelat nur in Bezug auf die BWS, nicht aber die HWS und LWS nachvollziehen. Dr. L. hat selbst mitgeteilt, dass zwar die BWS eine Kyphose mit BWK-Frakturen aufweise, die HWS und LWS aber lediglich gering degenerativ verändert seien. Damit stehen im Bereich der HWS und LWS die Schmerzen aufgrund der somatoformen Störung im Vordergrund. Darauf hat die Versorgungsärztin S.-S. am 24. Juli 2014 zutreffend hingewiesen. Auch die Hausärztin Q. hat degenerative Wirbelsäulenveränderungen angegeben, ohne damit verbundene Funktionseinschränkungen festzustellen. Schließlich finden sich auch im Reha-Bericht B. und in den Epikrisen von V.-G. keine Hinweise auf zumindest mittelgradige degenerative Veränderungen im HWS- und LWS-Bereich. Soweit die in V.-G. im April 2011 erhobenen Befunde schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der HWS und LWS gezeigt haben, sind diese nach dortiger Einschätzung im Zusammenhang mit der somatoformen Schmerzstörung zu sehen und im Rahmen dieser vom Senat auch schon bewertet worden. Während des Aufenthalts in V.-G. im Jahre 2013 wurde überdies eine Aggravation festgestellt, sodass die dort mitgeteilten Bewegungseinschränkungen ebenfalls ohne objektives Korrelat dokumentiert wurden. Einzig die funktionelle Einschränkung im Bereich der BWS (Ott 30/31cm) findet ihre objektive Erklärung in der vorhandenen Kyphose, sodass von einem Einzel-GdB von 20 für die mittelgradigen Einschränkungen im Bereich der BWS auszugehen ist.

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Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen 21. Senat
Entscheidungsdatum: 15.09.2017
Aktenzeichen: L 21 SB 247/15
JURIS

Aus einem Teil-GdB-Wert von 30 für ein Wirbelsäulenleiden, einem solchen von 20 für Ohrengeräusche und einem von gleichfalls 20 für psychische Störungen ist im Schwerbehindertenrecht ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden.

Soweit der Kläger meint, dass das Funktionssystem Psyche, insbesondere die Dysthymie und Somatisierungsstörung mit einem GdB von 30 zu bewerten sei, stimmt der Senat dem nicht zu. Nach den VmG Teil B Nr. 3.7 sind stärker behindernde psychische Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten. Bei den festgestellten psychischen Störungen handelt es sich nach Dr. med. L hingegen um eine leichtgradige Erkrankung, die zu einer schwerwiegenden Einschränkung der Erlebnis und Gestaltungsfähigkeit gerade nicht führt. Der Kläger übt seinen Beruf weiterhin vollschichtig aus; eine wesentliche Einschränkung seiner Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ist nicht zu erkennen. Mithin erscheint die Bewertung der Psyche mit einem Einzel-GdB von 20 als angemessen.

Der Gesamt-GdB-Bildung von 40 durch Dr. med. T1 ist ebenfalls zu folgen. Das Wirbelsäulenleiden, das von allen Ärzten als Hauptleiden und mit einem GdB von 30 bewertet wurde, wird nicht durch den Einzel-GdB von 20 für die psychischen Leiden in Form der Somatisierungsstörung und Dysthymie erhöht. Zum einen kommt dem Einzel-GdB von 20 in der Regel ohnehin nicht bzw. nur ausnahmsweise bei einer Verstärkung der Auswirkungen eine erhöhende Wirkung zu. Zum anderen hat Dr. med. T1 vorliegend nachvollziehbar sogar eine Überschneidung des Wirbelsäulenleidens und der psychischen Leiden festgestellt, so dass eine Erhöhung schon aus diesem Grund ausscheidet.

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SG Aachen 12. Kammer
Entscheidungsdatum: 29.07.2014 Aktenzeichen: S 12 SB 894/13


JURIS

Gründe: § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).

Im vorliegenden Fall sind zum einen die Beeinträchtigungen der Psyche sowie der der Wirbelsäule, die beide einen GdB von soeben 40 bedingen, zu berücksichtigen. Die hier bestehenden Beeinträchtigungen haben erhebliche Überschneidungen, wurde doch schon der GdB von 40 für die Wirbelsäule nur deshalb in Vorschlag gebracht, weil sich auch dort bereits die Schmerzstörung, sowie das "Fokussiert-sein" der Klägerin auf ihren Gesundheitszustand, berücksichtigt wurde. Auch hinsichtlich der übrigen Beeinträchtigungen bestehen insoweit erhebliche Überschneidungen mit den Beeinträchtigungen der Psyche. Hier ist es nach Auffassung der Kammer gerechtfertigt, den GdB insgesamt mit 60 zu bewerten. Die Feststellung eines höheren GdB, etwa der von der Klägerin begehrte GdB von 70, kommt nach Auffassung der Kammer - die sich insofern auch durch die Einschätzung des erfahrenen Gutachters L. bestätigt, sieht, nicht in Betracht.

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 13. Senat Entscheidungsdatum: 07.12.2017 Aktenzeichen: L 13 SB 22/17


JURIS

Gründe: Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.

Bei der Klägerin ist der Gesamt-GdB danach mit 50 festzusetzen. Der Einzel-GdB von 30 für das psychische Leiden ist in Übereinstimmung mit der Bewertung durch die Beklagte im Hinblick auf die ab Antragstellung mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertende Darmerkrankung um einen Zehnergrad heraufzusetzen. Eine Anhebung um einen weiteren Zehnergrad auf einen GdB von 50 ist nach Überzeugung des Senats im Hinblick auf die im gerichtlichen Verfahren ermittelten Behinderungen der Klägerin im Funktionssystem der unteren Extremitäten geboten. Denn die Auswirkungen der bei der Klägerin vorliegenden einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen sind voneinander unabhängig und damit betreffen ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens. Die weiteren Behinderungen der Klägerin, die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind, rechtfertigen keine Erhöhung des GdB, da – von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen – zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen.

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Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Entscheidungsdatum: 07.12.2017 Aktenzeichen: L 13 SB 90/15


JURIS

Gründe: Zwischen den Beteiligten ist in Auswertung der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21. August 2017 unterdessen ganz offenbar und auch nach Überzeugung des Senates zu Recht unstreitig, dass sich das bereits zuvor bei der Klägerin diagnostizierte psychische Leiden gegenwärtig als eine rezidivierende Depression mit chronischer Schmerzstörung darstellt, die nach den VMG Teil B 3.7 als stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einzuordnen ist. Ob der dafür angemessene GdB am oberen Rand der vorgesehenen Spanne von 20 bis 40 liegt, oder aber die Störung – wie versorgungsärztlich angenommen – mit einem GdB von 30 zu bewerten ist, kann dahinstehen, da die auf Zuerkennung eines GdB von 50 gerichtete Berufung in beiden Fällen begründet ist. Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Selbst bei Annahme eines GdB von „nur“ 30 für das seelische Leiden erführe dieses wegen des Verlustes der Brust mir einem GdB von ebenfalls 30 eine Anhebung auf einen Wert von 40. Zusätzlich hat der Sachverständige Dr. K bei der Klägerin – wie auch die zuvor bestellten Sachverständigen - eine durch die Chemotherapie ausgelöste Polyneuropathie diagnostiziert, deren Auswirkungen die Klägerin selbst als „gravierende Sensibilitätsstörungen“ beschreibt und die durch ihn als „deutliche Sensibilitätsstörungen und Reizerscheinungen mit ataktischen Symptomen“ bezeichnet werden. Die VMG sehen in ihrem Teil B 3.11 hierfür keine feste GdB-Spanne vor, gehen aber darauf ein, dass bereits leichte sensible Störungen zu Beeinträchtigungen führen können. Bei dieser Ausgangslage folgt der Senat der Einordnung des Sachverständigen, wodurch insoweit ein GdB von 20 bedingt wird. Dieser führt nach den o.a. Grundsätzen zu einer weiteren Anhebung des Gesamt-GdB auf den Wert von 50.

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Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Entscheidungsdatum: 07.12.2017 Aktenzeichen: L 13 SB 148/16


JURIS

Gründe: Der höchste Einzel-GdB von 40 für das psychische Leiden ist im Hinblick auf die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sind, um einen Zehnergrad auf 50 zu erhöhen, da die Behinderungen unterschiedliche und voneinander unabhängige Funktionskreise betreffen. Eine weitere Anhebung des GdB im Hinblick auf die Gleichgewichtsstörungen ist weder beantragt worden noch zu rechtfertigen. Die weiteren Behinderungen des Klägers, die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind, führen zu keiner Erhöhung des GdB, da – von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen – zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen.

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Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Entscheidungsdatum: 30.08.2017 Aktenzeichen: L 7 SB 19/16


JURIS

LS: Bei der Kombination einer leichtgradigen Behinderung im Funktionssystem Gehirn und Psyche (Einzel-GdB 20) aufgrund einer depressiven Störung mit einer somatoformen Schmerzstörung und einer ebenfalls leichtgradigen Behinderung im Funktionssystem Wirbelsäule (Einzel-GdB 20) drängt sich eine Erhöhung auf einen Gesamt-GdB von 30 mangels fehlender Wechselwirkungen beider Funktionssysteme grundsätzlich nicht auf.

Gründe: Für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche sowie Rumpf ist daher von einem Einzel-GdB von jeweils 20 auszugehen. Dabei ist zu beachten, dass nach Teil A, Nr. 3 ee, VMG auch Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 als leichte Funktionsstörungen angesehen werden, die es vielfach nicht rechtfertigen, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Vor diesem Hintergrund ist es daher vom Beklagten durchaus wohlwollend, wenn auch vertretbar, eine Erhöhung des Gesamt-GdB auf 30 vorzunehmen, obwohl sich eine Wechselwirkung beider Behinderungen bei den betroffenen Funktionssystemen nicht unbedingt aufdrängt. Die mit einem Einzel-GdB von 10 bewertete Polyneuropathie der Hände lässt, da ein Ausnahmefall nicht erkennbar ist, keine weitere Erhöhung des Gesamt-GdB zu (vgl. Teil A, Nr. 3 ee, VMG). Die Schmerzbelastung des Klägers ist in den vorgenommenen GdB-Bewertungen hinreichend berücksichtigt (vgl. Teil A, Nr. 2 j, VMG)

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 10. Senat Entscheidungsdatum: 26.01.2017 Aktenzeichen: L 10 SB 39/16


JURIS

LS: Auch ein Teil-GdB von 20 kann sich in Anwendung von Teil A Nr 3 d) aa) und bb) der VMG erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirken. Hier: Auswirkungen einer kardialen sowie einer pulmonalen Erkrankung auf die psychosoziale Belastbarkeit eines behinderten Menschen.

Gründe: Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. J. besteht bei dem Kläger ein seelisches Leiden in Form einer rezidivierend depressiven Störung, derzeit mittelgradige Episode, einer generalisierten Angststörung und einer Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen Anteilen. Es handelt sich dabei um eine stärker behindernde Störung, die gemäß Teil B Nr. 3.7 der VMG mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten ist. Diese Bewertung schlägt Dr. J. überzeugend ab dem Zeitpunkt der letzten Konsultation des Psychiaters Dr. K. am 13. Januar 2014 und dem zu diesem Zeitpunkt beschriebenen Arbeitsplatzverlust vor (vgl. Seite 21 und 25 ihres Gutachtens vom 3. September 2015). Dies erscheint schlüssig. Die von dem Psychiater Dr. K. in seinem Befundbericht vom 4. Februar 2014 bezogen auf den Zeitpunkt seiner letzten Konsultation am 13. Januar 2014 beschriebenen Diagnosen und Beschwerden des Klägers stimmen mit den Feststellungen der Sachverständigen Dr. J. in ihrem Gutachten vom 3. September 2015 überein. Der Kläger klagte über allgemeine Ängste, herzbezogene Ängste, Grübeln über verlorene Arbeit und Zukunft mit Aufgeregtheit sowie über Schlafstörungen, Ohnmachtsgefühle und Konzentrationsprobleme. Anlässlich der im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung durchgeführten Begutachtung durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. im November 2013 war das seelische Leiden noch nicht so stark ausgeprägt. So konnte zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. L. eine depressiv ausgerichtete Psychopathologie nicht beschrieben werden. Auch schilderte der Kläger einen strukturierten Alltag sowie in geringen Umfang das Bestehen sozialer Kontakte über die Bekanntschaften seiner Partnerin. Anlässlich der Begutachtung durch die Sachverständige Dr. J. gab der Kläger an, über keine Hobbys und keinen Freundeskreis mehr zu verfügen. Es wurde ein sozialer Rückzug beschrieben. Es bestünden keine sozialen Kontakte mehr außer zur Lebensgefährtin. Weiterhin beschrieb der Kläger eine Einengung seiner Gedanken auf die Herzerkrankung. Die Stimmung wurde von Dr. J. als äußerst labil angegeben sowie geprägt von innerer Unruhe, Angst, Niedergeschlagenheit und dem Gefühl der eigenen Wertlosigkeit. Der Schlaf sei in Form von Ein- und Durchschlafstörungen gestört. Entsprechend wurde die Problematik bereits im Befundbericht des Psychiaters Dr. K. vom 4. Februar 2014 bezogen auf den Zeitpunkt seiner letzten Konsultation am 13. Januar 2014 beschrieben, so dass ab diesem Zeitpunkt ein Einzel-GdB von 30 für das seelische Leiden angemessen erscheint. Für die Zeit davor ist dagegen noch von einem Einzel-GdB von 20 entsprechend einer leichteren psychischen Störung gemäß Teil B Ziffer 3.7 der VMG in Übereinstimmung mit der versorgungsärztlichen Einschätzung des Beklagten auszugehen.

Darüber hinaus liegt bei dem Kläger nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. I. eine verminderte kardiopulmonale Belastbarkeit bei koronarer Zweigefäßerkrankung mit einem Zustand nach Stentimplantation bei Herzinfarkt im August 2012 mit Belastungsdyspnoe vor. Diese Erkrankung hat Dr. I. gemäß Teil B Ziffer 9.1.1 der VMG überzeugend mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet. Daneben bestehen seit dem 11. Dezember 2012 ein persistierendes Vorhofflimmern, das der Sachverständige gemäß Teil B Nr. 9.1.6 der VMG ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet hat sowie ein arterieller Hypertonus mit Herzschädigung, der nach seiner Ansicht gemäß Teil B Ziffer 9.3 auch einen Einzel-GdB von 20 bedingt. Der Sachverständige Dr. I. geht davon aus, dass sich diese drei Funktionsbeeinträchtigungen gegenseitig funktionsmindernd verstärken und schlägt deshalb für die Funktionsbeeinträchtigungen des Herzens einschließlich des Bluthochdrucks insgesamt einen Einzel-GdB von 30 vor. Selbst wenn in Übereinstimmung mit der versorgungsärztlichen Einschätzung des Beklagten hinsichtlich der Funktionsbeeinträchtigungen des Herzens einschließlich des Bluthochdrucks lediglich ein Einzel-GdB von 20 angenommen werden sollte, wofür vorliegend die relativ gute fahrradergometrische Belastbarkeit des Klägers bis 125 Watt spricht, wirkt sich dieser Einzel-GdB vorliegend gleichwohl erhöhend auf den Gesamt-GdB aus. Dies hat die Sachverständige Dr. J. in ihrem Gutachten vom 3. September 2015 überzeugend dargelegt. Danach wirke sich die kardiale Erkrankung negativ verstärkend auf die psychosoziale Belastbarkeit des Klägers aus. Dies erscheint überzeugend vor dem Hintergrund der geschilderten herzbezogenen Ängste sowie der Einengung der Gedanken auf die Herzerkrankung.

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Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
11. Senat Entscheidungsdatum: 19.01.2017 Aktenzeichen: L 11 SB 144/14


JURIS

Gründe: Der Gesamt-GdB beträgt im Fall der Klägerin nach Maßgabe der sich aus Teil A Nr. 3 der Anlage zu § 2 VersMedV ergebenden Grundsätze zur Bildung des Gesamt-GdB maximal 50. Insoweit ist von dem Einzel-GdB von maximal 40 für die psychischen Störungen auszugehen. Er ist wegen des Einzel-GdB von maximal 20 für das Bronchialasthma um allenfalls 10 Punkte zu erhöhen, weil das Ausmaß der Behinderung hierdurch zwar größer wird, beide Leiden jedoch bereits eine maximale Bewertung erfahren haben. Die übrigen Leiden haben auf das Ausmaß der Behinderung keinen Einfluss. Denn sie sind mit Einzel-GdB von jeweils allenfalls 10 zu bemessen und rechtfertigen im Rahmen der Bildung des Gesamt-GdB keine besondere Behandlung. Wie insbesondere die Sachverständige Dr. K. überzeugend dargelegt hat, beansprucht der Gesamt-GdB von maximal 50 Geltung für den gesamten Zeitraum ab dem 13. Mai 2011.

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Versorungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung