Urteile Adrenogenitalsyndrom

Leitsatz / Urteilsbegründung Stichpunkte
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 9. Senat
Entscheidungsdatum: 03.05.2006
Aktenzeichen: L 9 SB 45/03


JURIS

Das adrenogenitale Syndrom - AGS - wird in seiner Verlaufsform als AGS mit Salzverlustsyndrom von geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Funktionseinschränkungen begleitet, die bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres bei männlichen Kindern und Jugendlichen in der Regel die Feststellung eines Grades der Behinderung - GdB - nach dem SGB 9 von 60, bei weiblichen Kindern und Jugendlichen eines solchen von 70 und bei Hinzutreten von Fehlbildungen der äußeren weiblichen Genitalien von 80 erfordern.

Daneben haben Kinder und Jugendliche bei AGS mit Salzverlustsyndrom bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens H.

Die schwerbehindertenrechtlich gebotenen Feststellungen bei AGS mit Salzverlustsyndrom ergeben sich aus der Anwendung des Gleichbehandlungs- sowie des Differenzierungsgebotes aus Art 3 Abs 1 GG auf die nach Ziffern 26.15 und 22 Abs 4 Buchst k der Anhaltspunkte für jugendliche Diabetiker anzuwendenden Bestimmungen. Darauf, ob Ziff 22 Abs 4 Buchst k der Anhaltspunkte geringere Anforderungen an die Zuerkennung des Merkzeichens H stellt als § 33b EStG, kommt es hierbei nicht an, solange die Anhaltspunkte die Verwaltungspraxis bestimmen und auf der Grundlage von Ziff 2 Abs 4 Buchst k der Anhaltspunkte erfolgte Feststellungen des Merkzeichens H bei Diabetikern nicht als rechtswidrig gelten (Anschluss an BSG vom 29.8.1990 - 9a/9 RVs 7/89 = BSGE 67, 204 = SozR 3-3870 § 4 Nr 1)

Gründe: Die bestehende rezidivierende depressive Störung hat in der Vergangenheit zwar zu depressiven Dekompensationen geführt. Sie manifestiert sich aktuell aber nur noch in dezenten Restbeschwerden, wenn auch weiterhin eine Disposition des Klägers zur Entwicklung krankheitswerter depressiver Verstimmungen besteht. Die damit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen sind auf der Grundlage der überzeugenden Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. S. als leicht und damit in die Kategorie der leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen einzuordnen, wofür insbesondere die ausgeglichene Stimmungslage und das vom Kläger geschilderte Alltags- und Freizeitverhalten, das keinerlei Einschränkungen aufweist, spricht. Im Arztbericht von Prof. Dr. B. vom 30. Juli 2012 wird eine affektive Niedergestimmtheit, eine eingeschränkten Schwingungsfähigkeit sowie eine Antriebs- und Freudlosigkeit beschrieben, weitere Funktionseinschränkungen haben jedoch auch von ihm nicht gefunden werden können. Der Kläger ist bewusstseinsklar und in allen Qualitäten orientiert gewesen. Auffassung, Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit sind nicht beeinträchtigt gewesen. Gedächtnisstörungen haben nicht festgestellt werden können. Weder formale noch inhaltliche Denkstörungen oder Sinnestäuschungen haben festgestellt werden können. Eine Ich-Störung hat ebenfalls nicht vorgelegen. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, insbesondere eine ausgeprägtere Depression, sind damit nicht nachgewiesen; zumal der voll berufstätige Kläger auch aktuell noch eine Beziehung zu einer Lebenspartnerin mit ungestörtem Sexualleben unterhält, enge familiäre Kontakte insbesondere zu seiner Schwester pflegt, in der örtlichen Gemeinschaft sich aktiv einbringen kann und mit der Freiwilligen Feuerwehr einem Hobby nachgehen kann, was der Senat dem Gutachten von Prof. Dr. S. entnimmt. Die beschriebenen Funktionsstörungen wegen der kombinierten Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, selbstunsicheren und negativistischen Anteilen sind nach der Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. S. als leicht einzuordnen und wegen der ausschließlichen Beeinträchtigung der Affekt- und Selbstwertregulation sowie der bloßen Disposition zu depressiven Verstimmungen dem mittleren Bereich des insoweit eröffneten GdB-Rahmens von 0 bis 20 zuzuordnen. Soweit der Sachverständige Prof. Dr. S. die psychischen Störungen mit einem Teil-GdB bewertet und daraus einen „Teil-Gesamt-GdB“ auf psychischem Gebiet gebildet hat, ist der Senat dem nicht gefolgt. Denn ein Gesamt-GdB ist nicht in Funktionssystemen festzustellen, sondern das Funktionsgebiet insgesamt zu bewerten und hieraus dann in einem zweiten Schritt der Gesamt-GdB zu bilden (im Ergebnis ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. September 2003 - L 7 SB 104/02 -, juris). Der danach festzustellende Teil-GdB von 20 für das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ ist dann zwar angemessen, aber auch ausreichend.

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Versorungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung