Versorgungsmedizinische
Grundsätze

Versorgungsmedizinische Grundsätze Grundsätze REFERENTENENTWURF

Teil A Gemeinsame Grundsätze

1.1 Allgemeines

1.1.1 Die in der Verordnung verwendeten Bezeichnungen der Gesundheitsstörungen und die Kriterien von Definitionen richten sich in der Regel nach dem Systematischen Verzeichnis der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, German Modification (ICD-10-GM)1.

1.1.2 Der Grad der Behinderung gibt die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft unabhängig von der Ursache der Gesundheitsstörung wieder (finale Betrachtungsweise), der Grad der Schädigungsfolgen nur die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft durch schädigungsbedingte Gesundheitsstörungen (kausale Betrachtungsweise).

1.1.3 Die in Teil B als Maß für die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft genannten Werte2 sind verbindlich. Vorhandene Bewertungsspannen ermöglichen es, den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung zu tragen. Bei Gesundheitsstörungen, die in Teil B nicht genannt sind, ist die Teilhabebeeinträchtigung in Analogie zu vergleichbaren Gesundheitsstörungen zu bewerten.

1.1.4 Die versorgungsmedizinische Bewertung der Teilhabebeeinträchtigung erfolgt gemäß der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF)3 anhand des Beurteilungsmerkmals der Leistungsfähigkeit. Dies bedeutet, dass eine standardisierte Umwelt (sogenannte Standardumwelt) zu Grunde gelegt wird. Daher wird in den pauschalierenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen eine fiktive Umwelt angewendet. Die Beeinträchtigung der Teilhabe wird vor dem Hintergrund allgemein akzeptierter Bevölkerungsstandards beurteilt. Als Vergleich dient die Leistungsfähigkeit eines Menschen ohne vergleichbares Gesundheitsproblem (Bevölkerungsnorm).

1.1.5 Aus dem Grad der Behinderung und aus dem Grad der Schädigungsfolgen ist nicht auf das Ausmaß der beruflichen Leistungsfähigkeit zu schließen. Der Grad der Behinderung und der Grad der Schädigungsfolgen sind grundsätzlich unabhängig vom ausgeübten oder angestrebten Beruf. § 30 Absatz 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) bleibt unberührt.

1.2 Faktoren der Teilhabebeeinträchtigung

1.2.1 Entsprechend dem Konzept der funktionalen Gesundheit der ICF sind alle Faktoren, die die Teilhabe beeinträchtigen, bei der Ermittlung der Teilhabebeeinträchtigung zu berücksichtigen. Bezogen auf Gesundheitsstörungen sind diese Faktoren die Körperfunktionen, die Körperstrukturen und die Aktivitäten. Dazu zählen insbesondere folgende mit einer Gesundheitsstörung zusammenhängende Faktoren: Art und Ausprägung der Störung, Therapieaufwand und krankheitsbedingt gebotene Beschränkungen. Diese Faktoren sind im GdB für die jeweilige Gesundheitsstörung berücksichtigt

b) 1.2.2 Die Aktivitäten und Lebensbereiche, auf die in der Verordnung Bezug genommen wird, entsprechen der Klassifikation der Aktivitäten und Partizipation (Teilhabe) der ICF:

a) Lernen und Wissensanwendung: bewusste sinnliche Wahrnehmungen, elementares Lernen, Wissensanwendung;

b) Allgemeine Aufgaben und Anforderungen: eine Einzelaufgabe übernehmen, Mehrfachaufgaben übernehmen, die tägliche Routine durchführen,

mit Stress und anderen psychischen Anforderungen umgehen;

c) Kommunikation: Kommunizieren als Empfänger, Kommunizieren als Sender, Konversation und Gebrauch von Kommunikationsgeräten und -techniken;

d) Mobilität: die Körperposition ändern und aufrecht erhalten, Gegenstände tragen, bewegen und handhaben, Gehen und sich fortbewegen, sich mit Transportmitteln fortbewegen;

e) Selbstversorgung: sich waschen, seine Körperteile pflegen, die Toilette benutzen, sich kleiden, essen, trinken, auf seine Gesundheit achten;

f) Häusliches Leben: Beschaffung von Lebensnotwendigkeiten, Haushaltsaufgaben, Haushaltsgegenstände pflegen und anderen helfen;

g) Interpersonelle Interaktionen und Beziehungen: allgemeine interpersonelle Interaktionen, besondere interpersonelle Beziehungen;

h) Bedeutende Lebensbereiche: Erziehung/Bildung, Arbeit und Beschäftigung, wirtschaftliches Leben;

i) Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben: Gemeinschaftsleben, Erholung und Freizeit, Religion und Spiritualität, Menschenrechte, politisches Leben und Staatsbürgerschaft.

1.2.3 Das Ausmaß der Teilhabebeeinträchtigung ist sowohl von der Anzahl der betroffenen Aktivitäten und Lebensbereiche als auch von der Schwere der Beeinträchtigung der Aktivitäten abhängig. Sofern kein anderer Parameter angewendet werden kann, der das Ausmaß der Teilhabebeeinträchtigung wiedergibt, ist in dieser Verordnung die Beeinträchtigung von Aktivitäten angegeben und mit dem entsprechenden GdB belegt. Dafür wird folgende Skalierung mit ansteigender Schwere der Teilhabebeeinträchtigung angewendet: „mit Anstrengung durchführbar“, „leicht beeinträchtigt“, „stark beeinträchtigt“ „gerade noch möglich“ und „nicht mehr möglich“. Alle Skalierungsschritte nach dem ersten Schritt setzen Anstrengung für die Durchführbarkeit einer Aktivität voraus. Sätze 2 und 3 gelten entsprechend für Lebensbereiche, die „noch“ oder „nicht mehr“ aufrechterhalten werden können. Auch wenn Aktivitäten nicht in eindeutig identifizierbarer Weise beeinträchtigt sind, kann eine Reduktion des Aktivitätsniveaus zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Teilhabe führen. Dies ist dann der Fall, wenn krankheitsbedingt selbst einfache Alltagsaktivitäten nur mit Anstrengung ausgeführt werden können.

1.2.4 Korreliert ein gutachtlich gut zugänglicher Parameter oder deren Kombination mit dem Ausmaß der Teilhabebeeinträchtigung, so ist in dieser Verordnung der Parameter oder die Kombination verschiedener Parameter angegeben und mit dem entsprechenden GdB belegt. Solche Parameter sind insbesondere die Diagnose, das Stadium einer Gesundheitsstörung, das Ausmaß einer Funktionsstörung, sowie das Vorhandensein, die Art und das Ausmaß einer Behandlungsbedürftigkeit.

1.2.5 Falls sich die Teilhabebeeinträchtigung regelhaft mit dem Erreichen bestimmter Altersstufen oder definierter Stadien der Gesundheitsstörung ändert, ist in Teil B ein Grad der Behinderung für einen begrenzten Zeitraum angegeben.

1.2.6 Der Begriff der Behandlungsbedürftigkeit im Sinne dieser Verordnung wird bei einer Gesundheitsstörung verwendet, wenn entsprechend den Kriterien der evidenzbasierten Medizin eine Therapie notwendig ist.

1.2.7 Das Behandlungsergebnis beeinflusst die Teilhabebeeinträchtigung maßgeblich. Die in Teil B angegebenen GdB geben die Teilhabebeeinträchtigung bei bestmöglichem Behandlungsergebnis wieder. Das bestmögliche Behandlungsergebnis im Sinne dieser Verordnung ist das unter Anwendung der Kriterien der evidenzbasierten Medizin regelhaft erreichbare Behandlungsergebnis. Das bestmögliche Behandlungsergebnis schließt insbesondere das Ergebnis medikamentöser, operativer und rehabilitativer Therapiemaßnahmen sowie die Versorgung mit Hilfsmitteln ein.

1.2.8 Die in Teil B angegebenen GdB geben die Teilhabebeeinträchtigung wieder, die sich unter Einsatz von Hilfsmitteln und von allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens ergibt.

1.2.9 Die in Teil B angegebenen GdB berücksichtigen den üblicherweise notwendigen Therapieaufwand. Dieser schließt auch erfahrungsgemäß besonders aufwändige Therapien ein. Falls der übliche Therapieaufwand nicht definiert ist, ist dies in Teil B kenntlich gemacht; die durch den unterschiedlichen Therapieaufwand hervorgerufene Teilhabebeeinträchtigung ist in diesem Fall in Teil B angegeben.

1.2.10 Die in Teil B angegebenen GdB berücksichtigen die üblicherweise krankheitsbedingt gebotenen Beschränkungen. Eine gesunde Lebensführung führt zu keiner Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Dies gilt auch, wenn die gesunde Lebensführung aufwändig realisiert wird. Nur medizinisch notwendige Beschränkungen von Aktivitäten können als Einschnitte in der Lebensführung eine Teilhabebeeinträchtigung verursachen. Einschnitte in der Lebensführung können sich in allen Lebensbereichen zeigen.

1.2.11 Berücksichtigung von Störungen des psychischen Befindens

1.2.11.1 Störungen des psychischen Befindens und einzelne psychische Symptome können als Begleiterscheinungen von Gesundheitsstörungen auftreten. Die durch diese psychischen Begleiterscheinungen verursachte Teilhabebeeinträchtigung ist im Grad der Behinderung für die Gesundheitsstörung enthalten.

1.2.11.2 Psychische Begleiterscheinungen sind von psychischen Komorbiditäten zu unterscheiden. Eine psychische Komorbidität liegt vor, wenn der psychopathologische Befund eine Diagnose aus dem Kapitel V der ICD-10-GM begründet. Diese ist getrennt zu bewerten.

1.2.12 Berücksichtigung von Schmerzen

1.2.12.1 Die Einteilung von Schmerzen erfolgt aus gutachtlicher Sicht in drei Kategorien:

a) durch eine Gewebeschädigung bedingter Schmerz,

b) durch eine Gewebeschädigung bedingter Schmerz mit Verstärkung durch psychische Komorbidität und

c) Schmerz als Leitsymptom einer psychischen Störung.

1.2.12.2 Die durch übliche Schmerzen als Begleitsymptom einer Gewebeschädigung verursachte Teilhabebeeinträchtigung ist im Grad der Behinderung für die Gesundheitsstörung enthalten. Auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände sind berücksichtigt. Schmerzen, die über das für die Gesundheitsstörung typische Maß hinausgehen, sind getrennt zu bewerten.

1.2.12.3 Wenn der durch eine Gewebeschädigung bedingte Schmerz durch eine psychische Komorbidität verstärkt wird, ist die Teilhabebeeinträchtigung für beide Gesundheitsstörungen getrennt zu ermitteln und nach Nummer 3.2 zu bewerten.

1.2.12.4 Wenn der Schmerz Leitsymptom einer psychischen Störung ist, ist die durch den Schmerz verursachte Teilhabebeeinträchtigung im Grad der Behinderung für die psychische Störung enthalten.

1.2.13 Berücksichtigung einer Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes

1.2.13.1 Eine Gesundheitsstörung mit Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes kann zu einer Beeinträchtigung der Teilhabe führen, wenn sie regelhaft wesentliche Auswirkungen auf interpersonelle Interaktionen und Beziehungen hat. Diese Teilhabebeeinträchtigung ist unabhängig davon, ob in dem betroffenen Funktionssystem eine Funktionsstörung besteht oder nicht.

1.2.13.2 Ist die Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes regelhaft mit einer Funktionsstörung verbunden, ist die durch diese Beeinträchtigung verursachte Teilhabebeeinträchtigung im GdB für die Funktionsstörung enthalten.

1.2.13.3 Ist die Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes nicht regelhaft mit einer Funktionsstörung verbunden, ist bei der betreffenden Gesundheitsstörung angegeben, dass diese Beeinträchtigung getrennt zu bewerten ist.

1.2.13.4 Psychische Komorbiditäten, die auf Grund der Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes auftreten können, sind getrennt zu bewerten.

1.3 Grundsätze für die Begutachtung

1.3.1 In der versorgungsmedizinischen Begutachtung geht die Ermittlung der Teilhabebeeinträchtigung von den in Teil B aufgeführten Graden der Behinderung aus. Bei Analog-Bewertungen und bei der Ermittlung der Gesamt-Beeinträchtigung (Gesamt-GdB) sind alle unter 1.2 genannten Faktoren, die die Teilhabe beeinträchtigen, zu berücksichtigen.

1.3.2 Die Leitlinien und Empfehlungen der jeweiligen wissenschaftlichen Fachgesellschaften sollen bei der Begutachtung berücksichtigt werden, soweit sie dieser Verordnung nicht widersprechen.

1.3.3 Funktionsstörungen, die die Teilhabe beeinträchtigen, sind nach standardisierten wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden zu erfassen, soweit solche Standards existieren. In Ausnahmefällen kann hiervon abgewichen werden. Dies gilt insbesondere bei kompletter Immobilität oder Unfähigkeit zur erforderlichen Kooperation bei der Untersuchung. Solche Ausnahmefälle sind zu begründen.

1.3.4 Wenn im Einzelfall nachgewiesen ist, dass das bestmögliche Behandlungsergebnis nicht erreicht ist und deswegen eine wesentlich höhere Teilhabebeeinträchtigung vorliegt, ist der GdB bei der versorgungsmedizinischen Begutachtung zu erhöhen. Die Erhöhung ist zu begründen.

1.3.5 Wenn im Einzelfall ein notwendiger Therapieaufwand nachgewiesen ist, der über das in Teil A Nummer 1.2.9 genannte Ausmaß hinausgeht, und deswegen eine wesentlich höhere Teilhabebeeinträchtigung vorliegt, ist der GdB bei der versorgungsmedizinischen Begutachtung zu erhöhen. Die Erhöhung ist zu begründen.

1.3.6 Bei Gesundheitsstörungen, deren Ausmaß im Verlauf regelhaft abnimmt, ist die Teilhabebeeinträchtigung zu Grunde zu legen, die der voraussichtlich dauerhaft verbleibenden Teilhabebeeinträchtigung entspricht. Verursacht die Gesundheitsstörung eine im Verlauf regelhaft unterschiedlich stark ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung, so ist bei der Bewertung die durchschnittliche Teilhabebeeinträchtigung zu Grunde zu legen.

1.3.7 Zukünftig zu erwartende Gesundheitsstörungen sind nicht zu beachten.

1.3.8 Nur der Grad der Behinderung für die eigentliche Funktionsstörung ist für die Vergabe von Merkzeichen relevant.

2 Heilungsbewährung

2.1 Ziel und Voraussetzungen der Heilungsbewährung

2.1.1 Gesundheitsstörungen mit zeitlich begrenzter Beeinträchtigung der Teilhabe begründen unter den unter Nummer 2.1.2 genannten Voraussetzungen einen GdB für den Zeitraum einer Heilungsbewährung. Mit dem GdB der Heilungsbewährung erfolgt eine pauschale Bewertung der Teilhabebeeinträchtigung. Ziel ist, die Betroffenen von der Notwendigkeit zu entlasten, die zum Teil schwer einschätzbaren Beeinträchtigungen im physischen, psychischen und sozialen Bereich im Einzelnen nachweisen zu müssen.

2.1.2 Für Gesundheitsstörungen, die die folgenden Voraussetzungen erfüllen, kommt eine Heilungsbewährung in Betracht:

a) Die Gesundheitsstörung verläuft unbehandelt progredient oder remittierend und auch bei erfolgter Therapie potenziell tödlich,

b) das Ziel der bei diesen Gesundheitsstörungen durchgeführten Therapiemaßnahmen ist regelhaft kurativ, also das Erreichen eines definierbaren Gesundheitszustands (wie beispielsweise R0-Resektion bei soliden Tumoren oder Remission),

c) der Verlauf der Gesundheitsstörung ist aufgrund möglicher Rezidive auch bei erfolgender Rezidivprophylaxe ungewiss sowie

d) die Rezidivgefahr und die Ungewissheit über den Verlauf der Gesundheitsstörung nehmen in einem bestimmten Zeitraum ab.

2.1.3 Weder der Beginn des Zeitraums der Heilungsbewährung noch dessen Ende bedeuten, dass eine Heilung eingetreten ist.

2.2 Umfang der pauschalen Bewertung

2.2.1 Die pauschale Bewertung umfasst die Auswirkungen der Gesundheitsstörung, der Therapiemaßnahmen und der gebotenen Beschränkungen auf die Teilhabe, die im Einzelnen schwer nachweisbar sind und innerhalb des festgesetzten Zeitraums in ihrem Ausmaß regelhaft abnehmen.

2.2.2 Die Funktionsstörungen, die mit Beginn des Zeitraums der Heilungsbewährung eindeutig nachgewiesen sind und deren Auswirkungen auf die Teilhabe über den für die Heilungsbewährung festgesetzten Zeitraum hinaus dauerhaft verbleiben (dauerhaft verbleibende Funktionsstörungen), unterliegen nicht der pauschalen Bewertung. Die aus diesen folgende Teilhabebeeinträchtigung ist im jeweiligen Funktionssystem zu bewerten. Der GdB hierfür geht wie unter Teil A Nummer 3 vorgegeben in die Gesamtbewertung ein. Hierauf wird in Teil B bei der jeweiligen Gesundheitsstörung hingewiesen. Findet sich ein solcher Hinweis nicht, ist die Beeinträchtigung durch dauerhaft verbleibende Funktionsstörungen im Grad der Behinderung für die Heilungsbewährung enthalten.

2.2.3 Mit Ablauf des Zeitraums der Heilungsbewährung ist zu beachten, dass Auswirkungen der Gesundheitsstörung oder der Therapie auf die Teilhabe, die mit Beginn des Zeitraums der Heilungsbewährung nicht festzustellen waren, verbleiben können. Bei der Begutachtung ist insbesondere auf chronische Müdigkeit, Sterilität, Neuropathien, Beeinträchtigung der Entwicklung sowie Beeinträchtigung emotionaler, kognitiver und sozialer Funktionen zu achten. Die daraus folgende Teilhabebeeinträchtigung ist dann im jeweiligen Funktionssystem entsprechend dem individuellen Ausmaß im Einzelnen zu bewerten.

2.3 Heilungsbewährung bei Analog-Begutachtung

Für nicht in Teil B aufgeführte Gesundheitsstörungen, die die Voraussetzungen nach 2.1.2 erfüllen, ist Folgendes zu beachten:

a) Wenn eine sachgerechte Bewertung der Teilhabebeeinträchtigung auch ohne Heilungsbewährung möglich ist, so ist diese Bewertung vorzunehmen.

b) Ist dies nicht möglich, kommt eine Heilungsbewährung in Betracht. Dafür sind als Vergleichsmaßstab die in Teil B angegebenen GdB und Zeiträume für Heilungsbewährungen heranzuziehen, die die Teilhabebeeinträchtigung durch dauerhaft verbleibende Funktionsstörungen nicht enthalten.

3 Gesamt-GdB-Bildung

3.1 Betrachtung von Funktionssystemen

3.1.1 Die Beeinträchtigung der Teilhabe soll für die folgenden Funktionssysteme ermittelt werden:

  • Funktionen des zentralen Nervensystems einschließlich psychischer Funktionen;
  • Sehfunktionen;
  • Hör- und Vestibularfunktionen;
  • Stimm- und Sprechfunktionen;
  • Funktionen des Atmungssystems;
  • Funktionen des kardiovaskulären Systems;
  • Funktionen des Verdauungssystems;
  • Funktionen der Harnbildung und -ausscheidung;
  • Genital- und reproduktive Funktionen;
  • Funktionen des hämatologischen und des Immunsystems;
  • Funktionen des Stoffwechsels und des endokrinen Systems;
  • Funktionen der Haut und der Hautanhangsgebilde;
  • Funktionen der Arme;
  • Funktionen der Beine;
  • Funktionen des Rumpfes.
  • 3.1.2 Liegen mehrere Gesundheitsstörungen in einem Funktionssystem vor, ist der GdB für das Funktionssystem zusammenfassend zu ermitteln. Hierbei gelten die Vorgaben zur Bildung des Gesamt-GdB (Nummer 3.2) entsprechend.

    3.1.3 Liegen Beeinträchtigungen der Teilhabe aufgrund der Störung mehrerer Funktionssysteme vor, geht die im GdB für das Funktionssystem zusammengefasste Teilhabebeeinträchtigung nach Nummer 3.2 in den Gesamt-GdB ein.

    3.2 Bildung des Gesamt-GdB

    3.2.1 Zur Ermittlung des Gesamt-GdB ist die Beeinträchtigung der Teilhabe in ihrer Gesamtheit maßgebend. Dabei sind die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe in ihren wechselseitigen Beziehungen zueinander zu beachten. Berechnungsmethoden wie Addition, Mittelung oder Ähnliches dürfen bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht angewendet werden.

    3.2.2 Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Teilhabebeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt. Unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander ist zu prüfen, ob überhaupt und gegebenenfalls inwieweit die aus einer weiteren Gesundheitsstörung folgende Teilhabebeeinträchtigung das Ausmaß der Gesamtbeeinträchtigung wesentlich erhöht, also eine Erhöhung des Gesamt-GdB um mindestens 10 bewirkt.

    3.2.2.1 Um das Ausmaß der Gesamtbeeinträchtigung der Teilhabe beurteilen zu können, muss aus der ärztlichen Gesamtschau heraus beachtet werden, dass verschiedene Gesundheitsstörungen sich wechselseitig beeinflussen können. Bei Vorliegen mehrerer Gesundheitsstörungen ist zu prüfen, welchen Einfluss deren Auswirkungen zusätzlich zu den Auswirkungen der Gesundheitsstörung mit dem höchsten Einzel-GdB haben.

    3.2.2.2 Bei der Prüfung der Auswirkungen der Gesundheitsstörungen in ihren wechselseitigen Beziehungen zueinander ist zu beachten:

    a) Bei vollständiger Überdeckung der Auswirkungen auf die Teilhabe ist der Gesamt-GdB regelhaft nicht höher als der höchste Einzel-GdB.

    b) Bei Überschneidung der Auswirkungen auf die Teilhabe bedarf es einer eingehenden Prüfung der häufig komplexen Interaktionen, ob der Gesamt- GdB höher als der höchste Einzel-GdB festzustellen ist. Ist dies der Fall, bedarf es einer Begründung.

    c) Verstärken sich die Auswirkungen der verschiedenen Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe gegenseitig wesentlich, ist regelhaft ein höherer Gesamt- GdB als der höchste Einzel-GdB festzustellen. Dies liegt insbesondere vor, wenn durch die Auswirkung einer weiteren Gesundheitsstörung Kompensationsmöglichkeiten aufgehoben werden.

    d) Auch bei voneinander völlig unabhängigen Gesundheitsstörungen bedarf es einer eingehenden ärztlichen Prüfung, ob der Gesamt-GdB höher als der höchste Einzel-GdB festzustellen ist, da sich die Gesundheitsstörungen auf dieselben Aktivitäten auswirken können, ohne die Gesamtbeeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu verstärken.

    3.2.2.3 Bei der Prüfung, ob sich das Ausmaß der Gesamtbeeinträchtigung der Teilhabe durch eine weitere Gesundheitsstörung wesentlich erhöht, ist außerdem zu beachten:

    a) Weitere Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 10 führen in der Regel nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung.

    b) Weitere Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 20 führen in Ausnahmefällen zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Deren Berücksichtigung bedarf einer eingehenden Prüfung und Begründung.

    3.2.3 Die in Teil B angegebenen GdB, die die Teilhabebeeinträchtigung bei einzelnen Gesundheitsstörungen wiedergeben, sind bei der Ermittlung des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung der Teilhabe, also der Bildung des Gesamt-GdB, als Vergleich heranzuziehen.

    4. Hilflosigkeit

    a) Für die Gewährung einer Pflegezulage im sozialen Entschädigungsrecht ist Grundvoraussetzung, dass Beschädigte (infolge der Schädigung) „hilflos“ sind.

    b) Hilflos sind diejenigen, die infolge von Gesundheitsstörungen – nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und dem Einkommensteuergesetz „nicht nur vorübergehend“ – für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehren- den Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfen. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erfor- derlich ist.

    c) Häufig und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages sind insbesondere An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Verrichten der Notdurft. Außerdem sind notwendige körperliche Bewegung, geistige Anregung und Möglichkeiten zur Kommunikation zu berücksichtigen. Hilflosigkeit liegt im oben genannten Sinne auch dann vor, wenn ein psychisch oder geistig behinderter Mensch zwar bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens der Hilfe nicht unmittelbar bedarf, er diese Verrichtungen aber infolge einer Antriebsschwäche ohne ständige Überwachung nicht vornähme. Die ständige Bereitschaft ist z. B. anzunehmen, wenn Hilfe häufig und plötzlich wegen akuter Lebensgefahr notwendig ist.

    d) Der Umfang der notwendigen Hilfe bei den häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen muss erheblich sein. Dies ist der Fall, wenn die Hilfe dauernd für zahlreiche Verrichtungen, die häufig und regelmäßig wiederkehren, benötigt wird. Einzelne Verrichtungen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und im täglichen Lebensablauf wiederholt vorgenommen werden, genügen nicht (z. B. Hilfe beim Anziehen einzelner Bekleidungsstücke, notwendige Begleitung bei Reisen und Spaziergängen, Hilfe im Straßenverkehr, einfache Wund- oder Heilbehandlung, Hilfe bei Heimdialyse ohne Notwendigkeit weiterer Hilfeleistung). Verrich- tungen, die mit der Pflege der Person nicht unmittelbar zusammenhängen (z. B. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung) müssen außer Betracht bleiben.

    e) Bei einer Reihe schwerer Behinderungen, die aufgrund ihrer Art und besonderen Auswirkungen regelhaft Hilfeleistungen in erheblichem Umfang erfordern, kann im Allgemeinen ohne nähere Prüfung angenommen werden, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen von Hilflosigkeit erfüllt sind. Dies gilt stets

    aa) bei Blindheit und hochgradiger Sehbehinderung,

    bb) Querschnittslähmung und anderen Behinderungen, die auf Dauer und ständig – auch innerhalb des Wohnraums – die Benutzung eines Rollstuhls erfordern,

    f) in der Regel auch

    aa) bei Hirnschäden, Anfallsleiden, geistiger Behinderung und Psychosen, wenn diese Behinderungen allein einen GdS von 100 bedingen,

    bb) Verlust von zwei oder mehr Gliedmaßen, ausgenommen Unterschenkel- oder Fußamputation beiderseits. (Als Verlust einer Gliedmaße gilt der Verlust mindestens der ganzen Hand oder des ganzen Fußes).

    g) Führt eine Behinderung zu dauerndem Krankenlager, so sind stets auch die Voraussetzungen für die Annahme von Hilflosigkeit erfüllt. Dauerndes Krankenlager setzt nicht voraus, dass der behinderte Mensch das Bett überhaupt nicht verlas- sen kann.

    h) Stirbt ein behinderter Mensch innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt einer Gesundheitsstörung, so ist die Frage der Hilflosigkeit analog Nummer 2 Buchstabe g zu beurteilen.

    5. Besonderheiten der Beurteilung der Hilflosigkeit bei Kindern und Jugendlichen

    a) Bei der Beurteilung der Hilflosigkeit bei Kindern und Jugendlichen sind nicht nur die bei der Hilflosigkeit genannten „Verrichtungen“ zu beachten. Auch die Anleitung zu diesen „Verrichtungen“, die Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung (z. B. durch Anleitung im Gebrauch der Gliedmaßen oder durch Hilfen zum Erfassen der Umwelt und zum Erlernen der Sprache) sowie die notwendige Überwachung gehören zu den Hilfeleistungen, die für die Frage der Hilflo- sigkeit von Bedeutung sind.

    b) Stets ist nur der Teil der Hilfsbedürftigkeit zu berücksichtigen, der wegen der Be- hinderung den Umfang der Hilfsbedürftigkeit eines gesunden gleichaltrigen Kin- des überschreitet. Der Umfang der wegen der Behinderungen notwendigen zusätzlichen Hilfeleistungen muss erheblich sein. Bereits im ersten Lebensjahr können infolge der Behinderung Hilfeleistungen in solchem Umfang erforderlich sein, dass dadurch die Voraussetzungen für die Annahme von Hilflosigkeit erfüllt sind.

    c) Die Besonderheiten des Kindesalters führen dazu, dass zwischen dem Ausmaß der Behinderung und dem Umfang der wegen der Behinderung erforderlichen Hilfeleistungen nicht immer eine Korrelation besteht, so dass – anders als bei Erwachsenen – auch schon bei niedrigerem GdS Hilflosigkeit vorliegen kann.

    d) Bei angeborenen oder im Kindesalter aufgetretenen Behinderungen ist im Ein- zelnen folgendes zu beachten:

    aa) Bei geistiger Behinderung kommt häufig auch bei einem GdS unter 100 – und dann in der Regel bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres – Hilflosig- keit in Betracht, insbesondere wenn das Kind wegen gestörten Verhaltens ständiger Überwachung bedarf. Hilflosigkeit kann auch schon im Säuglingsalter angenommen werden, z. B. durch Nachweis eines schweren Hirnschadens.

    bb) Bei autistischen Syndromen sowie anderen emotionalen und psychosozialen Störungen mit langdauernden erheblichen Einordnungsschwierigkeiten ist in der Regel Hilflosigkeit bis zum 16. Lebensjahr – in manchen Fällen auch darüber hinaus – anzunehmen.

    cc) Bei hirnorganischen Anfallsleiden ist häufiger als bei Erwachsenen auch bei einem GdS unter 100 unter Berücksichtigung der Anfallsart, Anfallsfrequenz und eventueller Verhaltensauffälligkeiten die Annahme von Hilflosigkeit ge- rechtfertigt.

    dd) Bei sehbehinderten Kindern und Jugendlichen mit Einschränkungen des Sehvermögens, die für sich allein einen GdS von wenigstens 80 bedingen, ist bis zur Beendigung der speziellen Schulausbildung für Sehbehinderte Hilflosigkeit anzu- nehmen.

    ee) Bei Taubheit und an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit ist Hilflosigkeit ab Beginn der Frühförderung und dann – insbesondere wegen des in dieser Zeit erhöhten Kommunikationsbedarfs – in der Regel bis zur Beendigung der Ausbildung anzunehmen. Zur Ausbildung zählen in diesem Zusammenhang: der Schul-, Fachschul- und Hochschulbesuch, eine berufliche Erstausbildung und Weiterbildung sowie vergleichbare Maßnahmen der beruflichen Bildung.

    ff) Bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und kompletter Gaumensegelspalte ist bis zum Abschluss der Erstbehandlung (in der Regel ein Jahr nach der Operati- on) Hilflosigkeit anzunehmen. Die Kinder benötigen während dieser Zeit in hohem Maße Hilfeleistungen, die weit über diejenigen eines gesunden gleichaltrigen Kindes hinausgehen, vor allem bei der Nahrungsaufnahme (gestörte Atmung, Gefahr des Verschluckens), bei der Reinigung der Mund- höhle und des Nasen-Rachenraumes, beim Spracherwerb sowie bei der Überwachung beim Spielen.

    gg) Beim Bronchialasthma schweren Grades ist Hilflosigkeit in der Regel bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres anzunehmen.

    hh) Bei angeborenen oder in der Kindheit erworbenen Herzschäden ist bei einer schweren Leistungsbeeinträchtigung entsprechend den in Teil B Num- mer 9.1.1 angegebenen Gruppen 3 und 4 Hilflosigkeit anzunehmen, und zwar bis zu einer Besserung der Leistungsfähigkeit (z. B. durch Operation), längstens bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres.

    ii) Bei Behandlung mit künstlicher Niere ist Hilflosigkeit bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres anzunehmen. Bei einer Niereninsuffizienz, die für sich allein einen GdS von 100 bedingt, sind Hilfeleistungen in ähnlichem Umfang erforderlich, sodass auch hier bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres die Annahme von Hilflosigkeit begründet ist.

    jj) Beim Diabetes mellitus ist Hilflosigkeit bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres, bei fortbestehender instabiler Stoffwechsellage bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres anzunehmen.

    kk) Bei Phenylketonurie ist Hilflosigkeit ab Diagnosestellung – in der Regel bis zum 14. Lebensjahr – anzunehmen. Über das 14. Lebensjahr hinaus kommt Hilflosigkeit in der Regel nur noch dann in Betracht, wenn gleichzeitig eine relevante Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung vorliegt.

    ll) Bei der Mukoviszidose ist bei der Notwendigkeit umfangreicher Betreuungs- maßnahmen - im Allgemeinen bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres – Hilflosigkeit anzunehmen. Das ist immer der Fall bei Mukoviszidose, die für sich allein einen GdS von wenigstens 50 bedingt (siehe Teil B Num- mer 15.5). Nach Vollendung des 16. Lebensjahres kommt Hilflosigkeit bei schweren und schwersten Einschränkungen bis zur Vollendung des 18. Le- bensjahres in Betracht.

    mm) Bei malignen Erkrankungen ist Hilflosigkeit für die Dauer der zytostatischen Intensiv-Therapie anzunehmen.

    Bei malignen Bluterkrankungen bei Kindern bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres ist Hilflosigkeit stets ab Diagnose für ein Jahr anzunehmen.

    nn) Bei Funktionsstörungen des Immunsystems mit Immundefizienz trotz Therapie oder aufgrund einer therapeutischen Immunsuppression ist Hilflosigkeit bei chronischen Minor-Infektionen oder nur einer Major-Infektion pro Jahr stets bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres anzunehmen.

    oo) Bei Störungen der Gerinnungsfunktion mit Blutungsneigung ist Hilflosigkeit bei dauerhafter Behandlungsbedürftigkeit stets bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres, bei dauerhafter Behandlungsbedürftigkeit und dokumentierter kontinuierlicher prophylaktischer Faktorsubstitution stets bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres anzunehmen.

    pp) Bei der juvenilen chronischen Polyarthritis ist Hilflosigkeit anzunehmen, solange die Gelenksituation eine ständige Überwachung oder andauernd Hilfe- stellungen beim Gebrauch der betroffenen Gliedmaßen sowie Anleitungen zu Bewegungsübungen erfordert, in der Regel bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres. Bei der systemischen Verlaufsform (Still-Syndrom) und anderen systemischen Bindegewebskrankheiten (z.B. Lupus erythematodes, Sharp-Syndrom, Dermatomyositis) ist für die Dauer des aktiven Stadiums Hilflosigkeit anzunehmen.

    qq) Bei der Osteogenesis imperfecta ist die Hilflosigkeit nicht nur von den Funktionseinschränkungen der Gliedmaßen sondern auch von der Häufigkeit der Knochenbrüche abhängig. In der Regel bedingen zwei oder mehr Knochen- brüche pro Jahr Hilflosigkeit. Hilflosigkeit aufgrund einer solchen Bruchneigung ist solange anzunehmen, bis ein Zeitraum von zwei Jahren ohne Auf- treten von Knochenbrüchen abgelaufen ist, längstens jedoch bis zur Vollen- dung des 16. Lebensjahres.

    rr) Bei klinisch gesicherter Typ-I-Allergie gegen schwer vermeidbare Allergene (z.B. bestimmte Nahrungsmittel), bei der aus dem bisherigen Verlauf auf die Gefahr lebensbedrohlicher anaphylaktischer Schocks zu schließen ist, ist Hilflosigkeit – in der Regel bis zum Ende des 12. Lebensjahres – anzunehmen.

    ss) Bei der Zöliakie kommt Hilflosigkeit nur ausnahmsweise in Betracht. Der Umfang der notwendigen Hilfeleistungen bei der Zöliakie ist regelmäßig wesentlich geringer als etwa bei Kindern mit Phenylketonurie oder mit Diabetes mellitus.

    e) Wenn bei Kindern und Jugendlichen Hilflosigkeit festgestellt worden ist, muss bei der Beurteilung der Frage einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse Folgendes beachtet werden: Die Voraussetzungen für die Annahme von Hilflosigkeit können nicht nur infolge einer Besserung der Gesundheitsstörungen entfallen, sondern auch dadurch, dass behinderte Jugendliche infolge des Reifungsprozesses – etwa nach Abschluss der Pubertät – ausreichend gelernt haben, die wegen der Behinderung erforderlichen Maßnahmen selbstständig und eigenverantwortlich durchzuführen, die vorher von Hilfspersonen geleistet oder überwacht werden mussten.

    6 Verfahren

    6.1 Befristung

    6.1.1 Wird ein GdB für den Zeitraum einer Heilungsbewährung nach Nummer 2 oder für einen begrenzten Zeitraum nach Nummer 1.2.5 festgestellt, kann die Feststellung des GdB befristet werden.

    6.1.2 Wird spätestens sechs Monate vor Ablauf der Befristung ein Antrag auf Neufeststellung gestellt und wird über diesen bis zum Ablauf der Befristung nicht entschieden, gilt der bisherige GdB bis zu eine Neufeststellung des GdB fort.

    6.1.3 Die zuständige Behörde hat in geeigneter Weise auf den Zeitraum nach Nummer 6.1.2 und auf die Rechtsfolgen der Befristung des Bescheides hinzuweisen.

    6.2 Wesentliche Änderung der Verhältnisse

    Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinn des § 48 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) liegt im Rahmen der Anwendung dieser Verordnung vor,

    a) wenn ein veränderter Gesundheitszustand mehr als sechs Monate angehalten hat oder voraussichtlich anhalten wird und wenn die entsprechende Änderung des GdB mindestens 10 beträgt,

    b) wenn der Zeitraum einer Heilungsbewährung (Nummer 2) oder ein festgesetzter begrenzter Zeitraum (Nummer 1.2.5) abgelaufen ist, oder

    c) wenn die Voraussetzungen für weitere Leistungen im sozialen Entschädigungsrecht oder für Nachteilsausgleiche für behinderte Menschen erfüllt werden oder entfallen sind.

    6.3 Neubewertung

    Nach Ablauf der Heilungsbewährung (Nummer 2) oder nach Ablauf eines festgesetzten begrenzten Zeitraums (Nummer 1.2.5) ist - auch bei gleichbleibenden Symptomen - eine Neubewertung des GdB zulässig.

    6.4 Übergangsfrist und Bestandsschutz

    Würde eine Neufeststellung zu einem niedrigeren Gesamt-GdB führen, verbleibt es bis zum 31. Dezember 2022 bei dem bisherigen Gesamt-GdB, wenn dieser vor dem (einfügen: Datum des Inkrafttretens) festgestellt worden ist. Dies gilt nicht im Fall von Nummer 6.3.“

    Bei Beurteilungen im sozialen Entschädigungsrecht ist bei einer Zunahme des Leidensumfangs zusätzlich zu prüfen, ob die Weiterentwicklung noch Folge einer Schädigung ist. Auch bei gleichbleibendem Erscheinungsbild kann eine wesentli- che Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse vorliegen, wenn sich die schädigungsbedingte Störung, die dem Erscheinungsbild zunächst zugrunde lag, gebessert oder ganz zurückgebildet hat, das Leidensbild jedoch aufgrund neuer Ursachen bestehen geblieben ist („Verschiebung der Wesensgrundlage“).



    Versorungsmedizinische Grundsätze
    in der Fassung der geplanten 6. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung (Referentenentwurf Stand 28.08.2018)