Wirbelsäule

März 2012

Funktionsstörungen der Wirbelsäule – Bewegungseinschränkungen alleiniger Maßstab für die GdSBeurteilung?

Anlassgebunden wiesen die Mitglieder der AG darauf hin, dass medizinische Fachartikel, auch wenn sie in renommierten Fachzeitschriften wie u. a. dem „Medizinischen Sachverständigen“ publiziert werden, nicht den Stellenwert eines antizipierten Sachverständigengutachtens verkörpern. Es handelt sich um Einzelbeiträge, die für gutachtliche Bewertungen nur dann relevant sein können, wenn sie eine Mehrheitsmeinung Bezug nehmend auf den in der medizinischen Lehre aktuell anerkannten Wissensstand wiedergeben. Vor dem genannten Hintergrund ist einem 12 Jahre altem Artikel von Bruns MedSach 3/2000 S. 75/76 zur Bewertung der Funktionsstörungen der Wirbelsäule nicht uneingeschränkt zu folgen. Insbesondere bleibt zu beachten, dass Bewegungsmaße allein nicht Maßstab für die Bewertung einer Funktionsbehinderung sein können. Dieselbe muss im sachlichen Ergebnis einer gutachtlichen Gesamtschau stets alle Beurteilungsfakten berücksichtigen. Hierzu zählen neben Bewegungsmaßen alle Aspekte einer objektivierbaren Befundkonstellation (u. a. Röntgenbefund) sowie das Beschwerdeausmaß (Schmerzsymptomatik). Insbesondere ist unter den Bedingungen einer Begutachtung daran zu denken, dass es einen Wechsel von hoch schmerzhaften Phasen zu Zeiträumen relativer Schmerzarmut gibt und dass an der Wirbelsäule die Thematik einer psychogenen Überlagerung bzw. somatoformen Störung eine wichtige Rolle spielt.

November 2000

1.9 Gutachtliche Beurteilung bei Wirbelsäulenschäden mit Titaninterponaten

Auf eine entsprechende Frage stellten die Beiratsmitglieder klar, dass auch nach Bandscheibenoperationen mit Einsätzen von Fremdmaterial wegen der weiterhin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen ein GdB/MdE-Grad von 20 nicht unterschritten werden sollte. Im Übrigen richtet sich die Beurteilung nach den in Nr. 26.18, S. 139f der „Anhaltspunkte“ genannten Kriterien.

November 1991

1.5 Beurteilung des GdB/MdE-Grades nach Bandscheibenoperation

In einem im Deutschen Ärzteblatt Nr. 28/29 1991, erschienenen Artikel hatte Prof. Dr. Krämer, Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Bochum, ein Postdiskotomiesyndrom ohne neurologische Ausfälle mit starken Dauerschmerzen mit einem GdB von 100 beurteilt, weil in einem solchen Fall Erwerbsunfähigkeit vorliege. Die Beiratsmitglieder wiesen darauf hin, daß für die GdBBeurteilung der alleinige Bezug auf das Erwerbsleben nicht maßgebend sei und aus einer Anerkennung von Erwerbsunfähigkeit nicht auf den GdB/MdE-Grad geschlossen werden könne (vgl, Nr. 18 Abs. 1 der „Anhaltspunkte“). Insofern seien die von Prof. Krämer genannten GdB-Werte für Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz nicht geeignet. Vielmehr reichten die in den „Anhaltspunkten“ genannten Kriterien für eine – auch im Vergleich zu anderen Behinderungen – sachgerechte Beurteilung aus, wenn außergewöhnliche seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen entsprechend berücksichtigt würden (vgl. Nr. 26.18, Seite 105. sowie Nr. 18 Abs. 8 der „Anhaltspunkte“).

April 19901

2.2.1 Beurteilung des GdB bei Scheuermann-Krankheit

Ein niedergelassener Orthopäde hatte Kritik an den in der Nummer 26.18 auf Seite 106 der „Anhaltspunkte“ genannten Beurteilungskriterien für eine Korsettversorgung bei Scheuermann-Krankheit geäußert und unter Berufung auf einen namhaften Klinikgutachter hierfür einen GdB von wenigstens 70 gefordert. Der BMA hatte von diesem Klinikgutachter, der auch an der Erarbeitung des diesbezüglichen Kapitels der „Anhaltspunkte“ mitgewirkt hatte, eine Stellungnahme eingeholt und diese den Beiratsmitgliedern vorab zur Kenntnis gegeben. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die „Anhaltspunkte“ nur Regelfälle beschreiben, wurde aufgrund der ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme festgestellt, daß die in diesen Richtlinien genannten Kriterien auch weiterhin zutreffend seien. Wenn allerdings bei der Scheuermann-Krankheit – was sehr selten, z. B. bei starken Schmerzen vorkomme – mehrere große Abschnitte der Wirbelsäule einschließlich der Brust- und Lendenwirbelsäule durch eine Korsettversorgung (z. B. Milwaukee- Korsett) ruhig gestellt werden müßten, könnten – entsprechend einer Korsettversorgung bei Skoliose (vgl. Abschnitt „Andere Wirbelsäulenschäden“, Nummer 26.18, S. 106 der „Anhaltspunkte“) – auch GdB-Werte von wenigstens 50 in Betracht kommen. Eine Änderung oder Ergänzung der „Anhaltspunkte“ sei somit nicht erforderlich.

Oktober 1989

2.1.2 Beurteilung des GdB bei bandscheibenbedingten Erkrankungen – einschließlich Merkzeichen „G“

Von einem Beiratsmitglied wurde im Hinblick auf eine Veröffentlichung von W. Vogelberg in Heft 4/1989 der Zeitschrift „Der medizinische Sachverständige“ zum Thema „Zur gutachtlichen Beurteilung bandscheibenbedingter Erkrankungen im Schwerbehinderten- und sozialen Entschädigungsrecht“ die Frage gestellt, ob nicht bei Stenosen des lumbalen Wirbelkanals mit neurogenem Hinken häufig ein GdB von 50 und das Merkzeichen „G“ angenommen werden könne. Dr. Vogelberg selbst wies bei der Diskussion darauf hin, daß die Auswirkungen dieses Krankheitsbildes mit denen bei der arteriellen Verschlusskrankheit vergleichbar seien. Oftmals komme es schon nach einer Gehstrecke von über 50 m zu einer Claudicatio intermittens, die Pausen von mehreren Minuten notwendig mache. Unter diesen Umständen seien GdB-Werte von 30 bis 50 – wie in dem o. g. Artikel vorgeschlagen – als angemessen anzusehen, allerdings müsse sich die Beurteilung stets am Einzelfall orientieren. Die Beiratsmitglieder stimmten den Empfehlungen von Dr. Vogelberg zur GdB-Bewertung einstimmig zu. Zum Merkzeichen „G“ wiesen sie auf die Nr. 30 Abs. 3, 1. Unterabsatz, letzter Satz der „Anhaltspunkte“ sowie auf das Beratungsergebnis vom 26. Oktober 1988 (TOP 2.3) hin.

2.1.3 Beurteilung des GdB bei Wirbelgleiten [

Prof. . . . , Orthopädische Universitätsklinik . . . , hatte dem BMA in einem Schreiben unter Hinweis auf einen beigefügten eigenen, zur Veröffentlichung vorgesehenen Aufsatz mitgeteilt, daß der in der Nr. 26.18 auf Seite 106 der „Anhaltspunkte“ empfohlene GdB von 50 bis 70 für eine Spondylolisthesis mit Gleiten um mehr als zwei Drittel des Wirbelkörpers zu hoch sei. Er hatte vorgeschlagen, diese Behinderung bei isoliertem Vorkommen nur mit einem GdB von 30 zu bewerten und empfohlen, besondere Situationen – z. B. eine Kyphosierung des Gleitwirbels mit der daraus resultierenden Fehlstatik infolge Wirbelkippung – zusätzlich zu berücksichtigen. Die Beiratsmitglieder stellten hierzu fest, daß in den „Anhaltspunkten“ eine Spondylolisthesis mit Gleiten um mehr als zwei Drittel des Wirbelkörpers als Beispiel für eine schwere Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule genannt ist. Daraus kann nicht geschlossen werden, daß jedes Wirbelgleiten in dem genannten Umfang zu ungünstigen Verhältnissen führt und deshalb – d. h. ohne zusätzliche Auswirkungen – mit einem GdB von 50 bis 70 zu beurteilen ist; maßgebend ist stets die tatsächliche Funktionsbeeinträchtigung. Die Anwesenden vertraten die Auffassung, daß nach den von Prof. . . . genannten Kriterien ein Wirbelgleiten von mehr als einer halben Wirbelkörperbreite durchaus mit einem GdB bis 70 beurteilt werden könne, wenn mit dem Wirbelgleiten weitere schwerwiegende Funktionsstörungen verbunden seien; insofern sei das in den „Anhaltspunkten“ genannte Beispiel nicht falsch. Im Übrigen wiesen sie darauf hin, daß die „Anhaltspunkte“ keine differenzierten Beurteilungskriterien für das Wirbelgleiten enthielten. Sie schlugen vor, daß in den Ländern diesbezügliche Vorschläge erarbeitet und diese auf der nächsten Sitzung diskutiert werden sollten.
Vom Ergebnis dieser Diskussion sollte es dann abhängig gemacht werden, ob eine Ergänzung der „Anhaltspunkte“ noch vor deren Überarbeitung in Betracht komme.



Versorungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung